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Es handelt sich daher auch bei der Runderneuerung um ein qualitativ höherwertiges
aliud gegenüber der Verwertung durch Nutzung der stofflichen Eigenschaften eines
Reifens.
Zu den abstrusen Folgen, die eine gegenteilige Auffassung mit sich brächte (Schuster
als Verwerter), darf an dieser Stelle auch noch einmal nach oben verwiesen werden
(vergleiche C. I. 2. b. Karkassen).
Das gefundene Ergebnis bewahrt die Runderneuerer damit in mancherlei Hinsicht vor
dem relativ strengen Regelungsregime des KrW-/AbfG.
Es nimmt sie aber auch in die Pflicht, denn § 22 Absatz 1 KrW-/AbfG zählt nicht nur
den Hersteller eines Erzeugnisses als Produktverantwortlichen für die Erfüllung der
Ziele der Kreislaufwirtschaft auf. Auch derjenige, der eine Be- oder Verarbeitung vornimmt, hat in gleicher Weise einzustehen. Der Verwerter bleibt hingegen ungenannt.
Runderneuerer sind deshalb Produktverantwortliche im Sinne der §§ 22 ff KrW-/
AbfG.
3. Stoffliche Verwertung
22 Gewichtsprozente der anfallenden Altreifenmasse werden stofflich verwertet und
hierzu fast ausschließlich granuliert. Da Textil- und Stahlanteile des Reifens zuvor
ausgesondert werden, fallen sie neben dem zerkleinerten Gummi an.280
Die Granulierung ist damit eine stoffliche Verwertung im Sinne des § 4 Absatz 3 Satz
1 Alt. 1 und 2 KrW-/AbfG. Während Textil und Stahl sekundäre Rohstoffe darstellen,
die aus den Altreifenabfällen gewonnen werden, nutzt man im Übrigen die stofflichen
Eigenschaften des zerkleinerten Gummis (Visko-Elastizität281 und chemische Stabilität nach Vulkanisierung) zur Substituierung von Rohstoffen.282 Aus dem Granulat
werden später nämlich minderwertige Gummiprodukte hergestellt, für die ansonsten
Natur- und Synthetik-Kautschuke gewonnen und erzeugt werden müssten.
Damit liegt der Hauptzweck der Granulierung, wie von Satz 2 der zitierten Norm für
eine Verwertung gefordert, eindeutig in der Nutzung des Altreifen-Abfalls und nicht
bloß in der Beseitigung seines Schadstoffpotentials. Während aus einem abgelagerten
Reifen bereits schon keine gesundheits- oder umweltgefährdenden Stoffe entweichen
können, so dass sein Schadstoffpotential von vorne herein gering ist,283 spricht auch
die vollumfängliche Nutzung seiner gesamten Masse verbunden mit einer 100-prozentigen Substantiierung von primären Rohstoffen für das Vorliegen einer Verwertung.
280 Vergleiche hierzu bereits oben B. III. 3. Stoffliche Verwertung.
281 Zu Deutsch Zäh-Verformbarkeit.
282 Vergleiche zu dem Umstand, dass die Nutzung der stofflichen Eigenschaft eines Abfalls ohne jegliche
Substitution von Rohstoffen wohl nicht möglich erscheint Kunig in: Kunig/Paetow/Versteyl, KrW-/
AbfG, 2. Auflage, Rn 25 zu § 4. Dieser Umstand hat sich auch im Gesetz niederschlagen. In Absatz 3
steht zu lesen: »Die stoffliche Verwertung beinhaltet die Substitution von Rohstoffen durch … die Nutzung der stofflichen Eigenschaften der Abfälle…«
283 Vergleiche hierzu bereits oben B. III. 1. Wieder- und Weiterverwendung.
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4. Energetische Verwertung
Die Verbrennung von Altreifen findet ausschließlich in Zementwerken statt. Sie bietet
330.000 Tonnen und damit rund der Hälfte der anfallenden Altreifenmasse eine Entsorgungsmöglichkeit. Die Zementindustrie schätzt den Reifen wegen seines hohen
Brennwerts, der nur knapp unter dem von Öl liegt. Fossile, kostenintensive Rohstoffe
müssten die benötigte Energie ansonsten lie fern. Zusätzlich bieten die in Gänze
genutzten, anorganischen Bestandteile des Reifens einen willkommenen Ersatz für
Rohstoffe, deren Zukauf andernfalls notwendig wäre.284
Das beschriebene Verfahren stellt eine energetische Verwertung im Sinne des § 4
Absatz 4 KrW-/AbfG dar: Die Altreifenabfälle werden als Ersatzbrennstoffe genutzt,
da der gemäß Satz 2 der zitierten Norm für die Abgrenzung der Verwertung von der
Beseitigung entscheidende Hauptzweck der Verbrennung auf die Substitution von
fossilen Rohstoffen gerichtet ist. Die physische Beseitigung der Reifen ist höchstens
ein Nebenzweck.
Dies zeigt gerade der Umstand, dass die Zementwerke in den letzten Jahren bereit
waren, die Entsorgungsgebühren für Altreifen immer weiter zu senken. Sie sind zur
Einhaltung ihres Kostenrahmens dringend auf den Altreifen als günstigen, aber ausgesprochen energiereichen Brennstoff angewiesen. Stünde eine Beseitigung im Vordergrund, könnte es sich die Zementindustrie leisten, hohe Preise zu nehmen und nötigenfalls auch andere Abfälle statt Reifen mitzuverbrennen.
Weiterhin fallen die Reifen, wie in § 4 Absatz 4 Satz 3 KrW-/AbfG vorgegeben, ohne
jede die Verbrennung beeinträchtigende Verunreinigung an. Es entstehen zudem keinerlei Abfälle. Da die Zementwerke schließlich an die Vorgaben der 17. BImSchV
gebunden sind, ist auch davon auszugehen, dass die entstehenden Emissionen keinen
gegen die Einstufung der Verbrennung als Verwertung sprechenden Wert erreichen.285
Die Zuführung der Reifen in den Verbrennungsprozess der Zementklinkerherstellung
ist daneben auch eine stoffliche Verwertung im Sinne des § 4 Absatz 3 Satz 1 Alt. 2
KrW-/AbfG. Denn die anorganischen Bestandteile des Reifens, vor allem der in ihm
enthaltenen Stahl, werden zur Substitution von stattdessen einzusetzenden Rohstoffen
genutzt.
Hierin liegt ein weitere Hauptzweck der Verbrennung im Sinne des Absatz 3 Satz 2
KrW-/AbfG. Denn die Beseitigung des Schadstoffpotentials der Reifen ist aus gleichen Gründen wie bei der Granulierung höchstens ein Nebenzweck. Zur weiteren
Begründung darf deshalb nach oben verwiesen werden.
Die Verbrennung von Altreifen in Zementwerken ist damit energetische wie stoffliche Verwertung. Rechtlich interessant hieran ist, dass das Gesetz diese doppelte
Rechtsnatur dem Wortlaut nach nicht kennt. Das KrW-/AbfG unterscheidet in § 4
284 Vergleiche zu diesem Absatz unbedingt noch einmal B. III. 4. Energetische Verwertung.
285 Vergleiche hinsichtlich der ausschlaggebenden Relevanz der 17. BImSchV für die Frage nach dem
zulässigen Ausmaß von Emissionen bei einer Verwertung Kunig in: Kunig/Paetow/Versteyl, KrW-/
AbfG, 2. Auflage, Rn 41 zu § 4. Mit entsprechenden Ausführungen auch von Lersner in: von Lersner/
Wendenburg, Recht der Abfallbeseitigung – Kommentar, Band 1, Stand März 2008, Rn 35 zu § 4.
Chapter Preview
References
Zusammenfassung
Wie kann abfallrechtliche Produktverantwortung dazu beitragen, das in Reifen verborgene Abfallvermeidungspotential auszuschöpfen? Welche Regelungen sind hierfür sinnvoll und rechtmäßig?
Das moderne Abfallrecht verfolgt das Ziel, den Stoffeinsatz bei der Produktherstellung durch ressourcensparendes Produktdesign möglichst zu minimieren und Stoffe durch lange Benutzungsdauer und mehrfache Verwendung über große Zeiträume im Umlauf zu halten. Die Entstehung von Abfall soll vermieden werden.
Bei Reifen lässt sich dies im Wesentlichen auf drei Arten erreichen. So kann zunächst die Kilometerlaufleistung erhöht werden, so dass ein Reifenwechsel und damit ein Altreifenanfall verzögert werden. Weiterhin können Reifen durch die Anwendung der Verfahren des Nachschneidens und der Runderneuerung „weitere Leben“ gegeben werden, so dass die aus dem Verkehr auszusondernde Zahl von Reifen erheblich verringert werden kann.
Das Buch zeigt auf, wie Reifenhersteller zur Anwendung dieser Verfahren und damit zur Wahrnehmung ihrer abfallrechtlichen Produktverantwortung gebracht werden können. Besonderes Gewicht wird dabei auf die Berücksichtigung von Vorsorgeprinzip und Lebenszykluskonzept gelegt.