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verschaffen sucht. Die Kontrahenten orientieren sich dabei in Argumentation und
Verhalten vornehmlich an ihren finanziellen Eigeninteressen.1211
3. Finanzverfassungsrecht als Expertenrecht
Eng damit verbunden ist die Feststellung, dass es sich bei dem Finanzrecht um
Expertenrecht handelt. Der Bundesgesetzgeber ist grundsätzlich auf die Vorarbeit
beziehungsweise Mitarbeit der Landesministerien angewiesen. Die Abgeordneten des Bundestages sind mit dieser Materie tendenziell überfordert. 1212
4. Dominanz der Länderinteressen über Parteiinteressen
Auch der spezifische Charakter des Verteilungskonflikts wirkt sich auf den (tatsächlichen) Ablauf des Gesetzgebungsverfahrens aus. Nach der Vorstellung des
Bundesverfassungsgerichts soll der Bundesgesetzgeber im Finanzausgleich als
ehrlicher Makler auftreten. Im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens sollen die
divergierenden Länderinteressen von ihm ausgeglichen werden. Faktisch jedoch
sieht sich der Bund hohen Erwartungen und Forderungen der Länder ausgesetzt.
Da es sich um ein zustimmungsbedürftiges Gesetz handelt, kann er diese Ansprüche nicht vernachlässigen, sondern muss sich von Anfang an auf Verhandlungen
einlassen. Der Bundestag wird dadurch zum Forum der unterschiedlichen Länderinteressen.1213
Die Besonderheit des Finanzausgleichs besteht darin, dass im Rahmen der Entscheidungsfindung Parteiinteressen keine dominante Rolle spielen. Die Zustimmungsbedürftigkeit im Bundesrat wird an dieser Stelle nicht dazu verwandt, bundespolitische Machtkämpfe auszuspielen, indem Gesetzesvorhaben der Regierung blockiert werden. Stattdessen handelt es sich um ein Gesetz, das essentielle
Länderinteressen tangiert.1214 Überspitzt formuliert, geht es um einen Ausnahmefall: Nicht der Bundesrat wird für Bundesinteressen, sondern der Bundestag für
Länderinteressen instrumentalisiert. Aus diesem Grund findet die eigentliche
Entscheidungsfindung nicht im Gesetzgebungsverfahren, sondern in »informellen« Verhandlungen zwischen den Ländern statt.
1211 Vgl. Fischer – Menshausen, in: v. Münch/Kunig, GG – Kommentar, Band 3, 1996, Art.
104a – 109, Rn. 12; Kesper, Bundesstaatliche Finanzordnung, 1998, 67.
1212 Vgl. Hidien, in: Bonner Kommentar, Art. 106 (97. Lfg November 2001) Rn. 342; Hidien,
Handbuch Länderfinanzausgleich, 1999, 26; Seybold, Der Finanzausgleich im Kontext des
deutschen Föderalismus, 2005, 23.
1213 Vgl. Hidien, Handbuch Länderfinanzausgleich, 1999, 341; Kesper, Bundesstaatliche
Finanzordnung, 1998, 25; Korioth, Maßstäbegesetzgebung im bundesstaatlichen Finanzausgleich, ZG 2002, 334, 344 für die Verhandlungen zum Maßstäbegesetz.
1214 Vgl. Kesper, Bundesstaatliche Finanzordnung, 1998, 68.
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5. Zwischenergebnis
Im Rahmen des Länderfinanzausgleichs wirkt das Gesetzgebungsverfahren nach
Art. 76 ff. GG wie eine schöne, aber nutzlose Verpackung. Zwar lehnt das Bundesverfassungsgericht bereits in seinen früheren Urteilen ein reines Aushandeln
der Verteilungskriterien durch die Bundesländer ab. Jedoch scheint es sich hierbei
um einen »frommen Wunsch« der Verfassungsrichter zu handeln. Die Entscheidung über den Länderfinanzausgleich wird vor allem deshalb zu einem machtund interessendeterminierten Verfahren, weil es sich bei dem FAG um ein Zustimmungsgesetz handelt. Der Bundesgesetzgeber ist darauf angewiesen, eine
Lösung zu finden, die von der Mehrheit der Länder im Bundesrat getragen wird.
Für die Bundesländer wiederum handelt es sich beim Länderfinanzausgleich um
eine »Herzensangelegenheit«; ihre finanzielle Handlungsfähigkeit steht für sie
auf dem Spiel. Insofern ist ihre Einflussnahme auf die Entscheidung beträchtlich,
der Gesetzgebungsprozess wird von ihren punktuellen Finanzierungsinteressen
geprägt. Eine neutrale Position des Bundestages, die Voraussetzung für ein mehr
erkenntnis- und wertorientiertes Verfahren wäre, liegt deshalb nicht vor. Die Tendenz zu informellen Absprachen und Vorverhandlungen wird zudem dadurch verschärft, dass es sich bei finanzrechtlichen Fragestellungen um Expertenrecht handelt.
III. »Gute Gesetzgebung« im Länderfinanzausgleich
Insgesamt handelt es sich bei dem Länderfinanzausgleich um eine Gesetzgebungsmaterie, die nur schwer »gezähmt« werden kann. Trotz der Grundentscheidung des Bundesverfassungsgerichts, diesen Bereich des Grundgesetzes als vollgültiges Verfassungsrecht anzusehen, lässt sich der politische Anteil des Länderfinanzausgleichs nur schwer zurückdrängen. Die Suche nach Wegen einer transparenteren Entscheidungsfindung besitzt deshalb eine dauerhafte Aktualität. In
einem nächsten Schritt wird deshalb untersucht, inwieweit es in Literatur und
Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bereits vor dem Maßstäbe – Urteil Ansätze gibt, die gesetzgeberische Entscheidung über den Finanzausgleich
stärker zu kontrollieren.
1. Tendenz zur Verrechtlichung
Hidien spricht in seiner Monographie zum Länderfinanzausgleich davon, dass
sich innerhalb der geschichtlichen Entwicklung der Finanzverfassung bei aller
Variabilität ein deutlicher Trend zur Verrechtlichung erkennen lasse.1215 Diese
Entwicklung scheint vor allem von den Urteilen des Bundesverfassungsgerichts
1215 Vgl. Hidien, Handbuch Länderfinanzausgleich, 1999, 73.
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References
Zusammenfassung
In seiner Entscheidung zum Länderfinanzausgleich hat das Bundesverfassungsgericht 1999 auf eine rechtsphilosophische Figur, John Rawls’ berühmten „Schleier des Nichtwissens“, zurückgegriffen. Dieser „Schleier“ ist in Rawls’ Werken Teil eines fiktiven Urzustands und bewirkt, dass die Entscheidungsträger ihre eigenen Interessen nicht kennen. Wenig beachtet wurde jedoch der Umstand, dass Rawls auch im Bereich der idealen Gesetzgebung auf diese Gedankenfigur verweist.
Die Arbeit setzt sich zunächst intensiv mit diesen Textpassagen auseinander, um in einem nächsten Schritt zu untersuchen, inwieweit Gesetzgebung unter dem Grundgesetz mit dem Gedanken eines unparteilichen Abgeordneten vereinbar ist.
Das Werk richtet sich an Verfassungsjuristen und Rechtsphilosophen.