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und damit der Schrankenziehungen zwischen den Gewalten verknüpft.1197 Das
parlamentarische Regierungssystem hat jedoch das Problem der Abgrenzung
zwischen Exekutive und Legislative grundlegend entschärft. Die Spannungslinien verlaufen heute nicht mehr zwischen Regierung und Parlament, sondern zwischen Mehrheitsfraktion und Opposition.1198 Wie im vierten Teil der Untersuchung erörtert wurde, liegt dem Grundgesetz ein formalisierter Gesetzesbegriff
zugrunde.1199
Aus diesem Grund hat auch in der Dogmatik zum Haushaltsrecht eine Akzentverschiebung stattgefunden. So zeigt Mussgnug in seiner Monographie zum
Haushaltplan ein verändertes Untersuchungsprogramm auf: Im Mittelpunkt der
Betrachtung steht bei ihm nicht mehr der Streit, ob das Haushaltsgesetz als nur
formelles Gesetz einzuordnen sei oder auch als ein Gesetz im materiellen Sinn
aufgefasst werden müsse.1200 Stattdessen sei entscheidend, ob es sich bei dem
Haushaltsgesetz um ein Gesetz wie jedes andere handele oder ob es Besonderheiten aufweise, die es notwendig machen, bei seinem Erlass oder seinem Vollzug
von ansonsten gültigen Prinzipien abzuweichen.1201 Ist das Haushaltsgesetz ein
Gesetz eigener Art, das nach einem eigenständigen Gesetzgebungsverfahren und
nach eigenständigen Auslegungsregeln verlangt?1202
4. Konsequenz für das weitere Untersuchungsprogramm
Der Vergleich mit dem Haushaltsgesetz hat gezeigt, dass das FAG zwar seinem
Wesen nach keinen Verwaltungsakt darstellt, jedoch nur in begrenztem Maß die
Voraussetzungen formeller Allgemeinheit erfüllt. Wie dargestellt, verlangt das
Grundgesetz die formelle Allgemeinheit von Gesetzen nach Art. 19 I S. 1 GG. Jedoch handelt es sich bei dem FAG nicht um ein grundrechtsbeschränkendes Gesetz. Im Finanzausgleich findet deshalb Art. 19 I S. 1 GG keine unmittelbare Anwendung.1203 Im Hinblick auf seine äußere Gestalt steht das FAG daher zwischen
1197 Vgl. Böckenförde, Gesetz und gesetzgebende Gewalt, 1981, 375.
1198 Vgl. Heun, Staatshaushalt und Staatsleitung, 1989, 161.
1199 Vgl. hierzu im Hinblick auf die Haushaltsgewalt vertieft Heun, Staatshaushalt und Staatsleitung, 1989, 151 ff.
1200 Vgl. Mußgnug, Der Haushaltsplan als Gesetz, 1976, 8, 31. Ebenso Heun, Staatshaushalt
und Staatsleitung, 1989, 161, Heun, in: Dreier, GG – Kommentar, Band III, 2000, Art. 110
Rn. 9; Hillgruber, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Grundgesetz Kommentar, Band 3, 4. Auflage, 2001, Art. 110 Rn. 94; Siekmann, in: Sachs, GG – Kommentar, 2003, Art. 110 Rn. 23.
1201 Vgl. Mußgnug, Der Haushaltsplan als Gesetz, 1976, 24. Ebenso Kisker, in: Isensee/Kirchhof, HStR Band IV, 1990, § 89 Rn. 94, Siekmann, in: Sachs, GG – Kommentar, 2003, Art.
110, Rn. 23.
1202 Vgl. Mußgnug, Der Haushaltsplan als Gesetz, 1976, 31.
1203 Zu überlegen wäre, ob Art. 19 I S.1 GG analog Anwendung findet. Hierfür spricht, dass
das Bundesverfassungsgericht aus Art. 3 I GG ein föderales Gleichbehandlungsgebot entwickelt. Wie jedoch an anderer Stelle deutlich wurde, wird Art. 19 I S. 1 GG sehr restriktiv
verstanden und entfaltet deshalb nur eine geringe Wirkung.
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dem Haushaltsgesetz und einem normalen Gesetz. Es stellt keinen »Hoheitsakt in
Gesetzesform« dar, entspricht aber in seinem Anwendungsbereich auch nicht einem normalen Gesetz.
Festzuhalten ist: Art. 107 II GG schreibt ausdrücklich fest, dass eine Umverteilung durch Bundesgesetz erfolgen soll. Das Grundgesetz selbst legt damit
bereits eine besondere Entscheidungssituation fest. Der Bundesgesetzgeber als
nicht unmittelbar betroffene »Instanz« soll über die Umverteilungen zwischen
den Bundesländern entscheiden. Die Bundesländer erhalten dadurch ein »Mitspracherecht«, dass es sich bei dem FAG um ein zustimmungsbedürftiges Gesetz
handelt (Art. 107 I Satz 4 2. Hs GG). Es ist ihnen jedoch nicht gestattet, die
Umverteilung mit Hilfe vertraglicher Absprachen zu regeln. Eine solche Handlungsform müsste in der Finanzverfassung ausdrücklich normiert sein.
Der Gesetzesbegriff selbst besitzt im Länderfinanzausgleich keine zentrale
Bedeutung. Die Literatur setzt sich nicht intensiv damit auseinander, welche
besonderen Eigenschaften das umverteilende FAG besitzt. Hier lohnt sich der
Blick auf das Haushaltsrecht doch. Denn dort zeigt sich ein schon bekannter Perspektivenwechsel: Nicht nur bei der Betrachtung der Gesetzgebung als Staatsfunktion, sondern auch bei der Auseinandersetzung mit der besonderen Gesetzgebungsmaterie »Haushaltsrecht« stehen mehr und mehr die Entscheidungsfindung und der Entscheidungsvollzug im Vordergrund.
II. Gesetzgebungsverfahren im Länderfinanzausgleich
Aus diesem Grund ist in einem zweiten Schritt zu untersuchen, inwieweit sich die
finanzrechtliche Literatur mit dem Entscheidungsverfahren innerhalb des Finanzausgleichs auseinander setzt. In Monographien und Kommentierungen finden
sich verstreut Ansätze, die sich mit dem Gesetzgebungsprozess, mit der Umsetzung des in Art. 107 II GG normierten Gesetzgebungsauftrages beschäftigen. Es
vermischen sich hierbei oftmals empirische Betrachtungen und rechtliche Überlegungen. Im Folgenden soll zuerst skizziert werden, welche tatsächliche Bedeutung dem Gesetzgebungsverfahren zugemessen wird. Welche Eckpunkte, welche
spezifischen Verfahrensabläufe müssen berücksichtigt werden, wenn man die
Idee einer guten Gesetzgebung in die Finanzverfassung integrieren möchte?
1. Finanzausgleich als genuin politischer Kompromiss
Insbesondere die ältere Literatur zum Finanzrecht betont das politische Element
des Finanzausgleichs. Dieser wird als ein Kompromiss angesehen, der sich in
zahlreichen Vorbesprechungen, Absprachen und Abstimmungen bildet und dann
in Gestalt eines zustimmungsbedürftigen Bundesgesetzes seinen normativen
Chapter Preview
References
Zusammenfassung
In seiner Entscheidung zum Länderfinanzausgleich hat das Bundesverfassungsgericht 1999 auf eine rechtsphilosophische Figur, John Rawls’ berühmten „Schleier des Nichtwissens“, zurückgegriffen. Dieser „Schleier“ ist in Rawls’ Werken Teil eines fiktiven Urzustands und bewirkt, dass die Entscheidungsträger ihre eigenen Interessen nicht kennen. Wenig beachtet wurde jedoch der Umstand, dass Rawls auch im Bereich der idealen Gesetzgebung auf diese Gedankenfigur verweist.
Die Arbeit setzt sich zunächst intensiv mit diesen Textpassagen auseinander, um in einem nächsten Schritt zu untersuchen, inwieweit Gesetzgebung unter dem Grundgesetz mit dem Gedanken eines unparteilichen Abgeordneten vereinbar ist.
Das Werk richtet sich an Verfassungsjuristen und Rechtsphilosophen.