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Eine solche Verrechtlichung könnte auf verschiedenen Ebenen erfolgen. Überzeugend erscheinen hier allein eine Verfassungsänderung oder ein Gesetzgebungsverfahrensgesetz, auch wenn die herrschende Meinung in der Literatur sich
gegen diese Ansätze ausspricht. Diese Ablehnung drückt die berechtigte Furcht
vor einem »Jurisdiktionsstaat« aus. Jedoch könnten zusätzliche Anforderungen
an den Gesetzgeber als schwache Verfahrenspflichten ausgestaltet werden. Im
Hinblick auf die Frage einer Verfassungsänderung oder einer einfach-gesetzlichen Regelung ist eine vermittelnde Ansicht zu favorisieren. In die Verfassung
selbst sollte ein Gesetzgebungsauftrag aufgenommen werden, der eine einfachgesetzliche Regelung bewirkt. Eine solche Regelungstechnik verhindert eine
Überfrachtung des Grundgesetzes, verankert jedoch dennoch die Notwendigkeit
einer »Disziplinierung« des Gesetzgebers in der Verfassung.
3. Begründungspflicht für die Legislative als notwendige Ergänzung
Bislang wurde in der vorliegenden Untersuchung vor allem ein Abwägungsgebot
für den Gesetzgeber diskutiert. Die rechtliche Institutionalisierung von Entscheidungsregeln stand im Vordergrund der Betrachtung. Ein wichtiger Schritt in Richtung einer guten Gesetzgebung wurde möglicherweise vernachlässigt. Denn die
Forderung nach Regeln der Entscheidungsfindung stellt, isoliert vorgetragen, einen »zahnlosen Tiger« dar. Um den Gesetzgeber an eine Methodik zu binden,
müssten gleichzeitig mit einem Abwägungsgebot Dokumentations- beziehungsweise Begründungspflichten eingeführt werden. So weist bereits Schwerdtfeger
auf die Verbindung zwischen innerem Gesetzgebungsverfahren und Begründungszwang hin.1123 Mengel greift diese Überlegung in seinen Schriften auf: Das
innere Gesetzgebungsverfahren führe dazu, dass den Gesetzgeber eine Darlegungspflicht treffe.1124 Er müsse aufzeigen, dass das Verfahren zur Entscheidungsfindung demokratisch-rechtsstaatlichen Anforderungen genüge.1125 Das
Ziel einer guten Gesetzgebung kann also scheinbar nur dann erreicht werden,
wenn der Gesetzgeber seine Überlegungen nachträglich offen legen muss.
a) Begründungszwang als abwegige Vorstellung
Eine solche legislative Begründungspflicht ist in der Gesetzgebungslehre jedoch
lange Zeit nur am Rand erörtert worden. Die Überlegungen von Schwerdtfeger
und Mengel sind nicht umfassend rezipiert worden. Die Verfechter eines rationalen Gesetzgebungsverfahrens gingen nur selten auf einen Begründungszwang für
1123 Vgl. Schwerdtfeger, Optimale Methodik der Gesetzgebung als Verfassungspflicht, FS
Ipsen, 1977, 173, 185.
1124 Vgl. Mengel, Die verfahrensmäßigen Pflichten des Gesetzgebers und ihre verfassungsgerichtliche Kontrolle, ZG 1990, 193, 210.
1125 Vgl. Mengel, Gesetzgebung und Verfahren, 1997, 330.
269
den Gesetzgeber ein.1126 Allein Lücke hat sich bereits 1987 in einer Monographie
umfassend mit behördlichen, parlamentarischen und gerichtlichen Begründungspflichten auseinander gesetzt. 1127
Ein Begründungszwang für den parlamentarischen Gesetzgeber wurde oftmals
als eine abwegige Forderung eingeordnet. Provokativ leitet beispielsweise Rixekker seine Überlegungen mit der Frage ein, ob es nicht zu unserem juristischen Alltagswissen gehöre, dass Gesetze nicht begründet werden müssen, ja vielleicht gar
nicht begründet werden können.1128
Wenn sich die öffentlich-rechtliche Dogmatik mit Begründungsfragen auseinander gesetzt hat, dann stand allein die richterliche Begründungspflicht im Vordergrund. Und selbst in diesem Bereich herrschte lange eine Zurückhaltung der
Rechtswissenschaft. Im Mittelpunkt der Betrachtung stand allein die Frage nach
der richterlichen Entscheidungsfindung. Erst in den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts wurde auch die richterliche Entscheidungsbegründung eigenständiger
Gegenstand der wissenschaftlichen Erörterung.1129
Erstaunlich ist hierbei, dass eine Gesetzesbegründung, historisch betrachtet,
keinen völlig revolutionären, modernen Gedanken verkörpert, sondern in der
Kontinuität einer in der Vergangenheit geübten Praxis steht.1130 Zwar tritt die
gerichtliche Entscheidungsbegründung als erste Form des Begründungszwanges
auf, seit dem 16. Jahrhundert bis zum Ende des Absolutismus war jedoch auch die
Erläuterung legislativer Entscheidungen, meist in Gestalt von Präambeln,
üblich.1131
In den letzten fünf Jahren hat auch eine gesetzgeberische Begründungspflicht
mehr Aufmerksamkeit gefunden. Es sind Monographien erschienen, die sich
nicht länger nur mit dem Begründungszwang der Judikative, sondern auch mit
möglichen Anforderungen an die Legislative beschäftigen.1132 Spätestens mit dem
65. Deutschen Juristentag hat die Idee einer legislativen Begründungspflicht an
Aktualität gewonnen. Wie bereits angesprochen, suchte die Abteilung »Gesetzgebung« nach »Wegen besserer Gesetzgebung«. In diesem Zusammenhang
wurde in dem Rechtsgutachten von Peter Blum1133 auch die Begründungspflicht
1126 Vgl. Meßerschmidt, Gesetzgebungsermessen, 2000, 921 Fußnote, der vermutet, dass diesen eine Begründungspflicht selbstverständlich erscheine.
1127 Vgl. umfassend hierzu Lücke, Begründungszwang und Verfassung, 1987, und Redeker/
Karpenstein, Über Nutzen und Notwendigkeiten, Gesetze zu begründen, NJW 2001, 2825,
2827. Insbesondere Lücke setzt sich in seiner grundlegenden Monographie mit der
Begründung parlamentarischer Entscheidungen auseinander.
1128 Vgl. Rixecker, Müssen Gesetze begründet werden, FS Günter Ellscheid 1999, 126, 126.
1129 Vgl. Brink, Über die richterliche Entscheidungsbegründung, 1999, 16, 17.
1130 Vgl. Kischel, Die Begründung, 2003, 34 ff., 263.
1131 Vgl. Lücke, Begründungszwang und Verfassung, 1987, 11; Skouris, Die Begründung von
Rechtsnormen, 2002, 23.
1132 Vgl. Kischel, Die Begründung, 2003, Skouris, Die Begründung von Rechtsnormen, 2002.
1133 Vgl. Blum, Gutachten, in: Verhandlungen des fünfundsechzigsten Deutschen Juristentages, Ständige Deputation des Deutschen Juristentages (Hrsg.), Band I (Gutachten), München 2004, I 6 ff.; als gekürzte Fassung erschienen auch als Beilage zu NJW Heft 27/2004,
45 ff.
270
als eine denkbare Figur angesprochen. Zeitnah zum DJT sind Aufsätze erschienen, die sich ebenfalls mit dieser möglichen Anforderung an die Gesetzgebung
auseinander setzen.1134
Auch wenn der Gedanke einer solchen Pflicht damit nicht länger ein Schattendasein fristet, so scheint er dennoch keine Überzeugungskraft zu besitzen. So formulierte die Abteilung Gesetzgebung des 65. Deutschen Juristentages folgende
These zum Referat von Jochen Dieckmann:
»Das Offenlegen der Motive, der Ziele, der Interessen und ihrer Gewichtung, der
Folgen einer Regelung – kurz: die Begründung des Gesetzes – ist keine rechtlich
begründete Verpflichtung des Gesetzgebers, sie sollte es auch nicht werden. Das
Beispiel des europäischen Rechts lädt nicht zur Nachahmung ein. Skeptisch sollte
man auch Präambeln und Gesetzesvorsprüche sehen.«1135
Auch in Kischels aktueller Monographie zum Institut der Begründung findet sich
weiterhin die einleitende Feststellung, dass die Frage nach der Begründung gesetzgeberischer Entscheidungen selten gestellt und noch seltener bejaht werde. Er
selbst spricht sich ebenfalls gegen einen legislativen Begründungszwang aus.1136
Es bleibt festzuhalten, dass in der aktuellen Diskussion um eine »gute Gesetzgebung ein ausformuliertes Begründungsgebot als nicht geboten betrachtet wird.1137
b) Funktion einer umfassenden Begründungspflicht
Losgelöst von der Figur des inneren Gesetzgebungsverfahrens stellt sich die
Frage: Welche Vorteile wären dennoch mit einer strengen legislativen Begründungspflicht verbunden? In der Literatur werden zwei grundlegende Funktionen
der Begründung unterschieden: Erklärung und Kontrolle.1138
Die Erläuterung einer staatlichen Entscheidung kann erstens eine Auslegungshilfe sein. Sie gibt Antwort auf die Frage »Was wird geregelt?«. Eine Begründung
gesetzgeberischer Entscheidungen hat unter diesem Gesichtspunkt die Aufgabe,
die Interpretation beziehungsweise die Anwendung des gesetzlichen Normbe-
1134 Vgl. Blum, NJW 2004 Beilage zu Heft 27/2004, 45, 52; Ennuschat, Wege zu besserer
Gesetzgebung, DVBl. 2004, 986, 990; Redeker, Wege zu besserer Gesetzgebung, ZRP
2004, 160, 162; Schulze–Fielitz, Wege, Umwege oder Holzwege zu besserer Gesetzgebung, JZ 2004, 862, 867.
1135 16. These zum Referat von Jochen Diekmann, Abteilung Gesetzgebung, in: Verhandlungen
des fünfundsechzigsten Deutschen Juristentages, Bonn 2004, Band II 1, München 2004,
29, 31.
1136 Vgl. Kischel, Die Begründung, 2003, 260 mit weiteren Nachweisen.
1137 Vgl. Schulze–Fielitz, Wege, Umwege oder Holzwege zu besserer Gesetzgebung, JZ 2004,
862, 867.
1138 Vgl. Brink, Über die richterliche Entscheidungsbegründung, 1999, 27; Kischel, Die
Begründung, 2003, 264; Horak, Zur rechtstheoretischen Problematik der Begründung von
Entscheidungen, in: Sprung, Entscheidungsbegründung, 1974, 1, 3; Mertens, Gesetzgebungskunst im Zeitalter der Kodifikationen, 2004, 125, 134.
271
fehls zu erleichtern. Diese Funktion der Begründung ist folglich eng mit dem Vorgang der Auslegung verknüpft, genauer mit dem Streit um die objektive oder subjektive Auslegung von Gesetzen.1139 Im Rahmen der vorliegenden Untersuchung
kann diese Auseinandersetzung um den Stellenwert von Gesetzesmaterialien
nicht vertieft erörtert werden. Die Argumente im Rahmen des Streits sind bekannt
und seit langem ausgetauscht, ohne dass eine Lösung in Sicht wäre.1140 Das deutsche Bundesverfassungsgericht bekennt sich zur objektiven Auslegungsmethode,
misst jedoch rechtstatsächlich dem historischen Argument und damit den Gesetzesmaterialien oftmals ein besonderes Gewicht zu.1141 Eine Begründung des Parlaments selbst könnte diese Auseinandersetzung lediglich entschärfen.1142 Auch
um die Arbeitsfähigkeit des Parlaments zu erhalten, dürfte eine Begründung nicht
den Umfang eines »Handkommentars« aufweisen. Sie würde einen allgemeinen
Charakter besitzen; vorgeschlagen wird beispielsweise, auf die Figur der Präambel zurückzugreifen.1143 Die Frage nach einem Rückgriff auf die umfassenden
Gesetzgebungsmaterialien stellte sich folglich weiterhin.
Die Erläuterung einer staatlichen Entscheidung kann zweitens eine Kontrollfunktion besitzen. Sie beantwortet die Frage: »Warum wird geregelt?«. Die
Begründung gesetzgeberischer Entscheidungen fordert von dem Parlament eine
Form der Rechenschaft. Diese Funktion wird in der Literatur als problematisch
empfunden.1144 Sie ist Grund dafür, dass die Idee eines Begründungszwangs auf
Ablehnung stößt.
c) Verbindung Entscheidungsfindung und Begründung
Die Kontrollfunktion stellt jedoch gerade die Verbindung zwischen der Idee eines
inneren Gesetzgebungsverfahrens und einem legislativen Begründungszwang
her. An dieser Stelle lohnt sich ein Ausblick in die Rechtstheorie als eine Strukturtheorie des Rechts1145. Die älteren Methodenlehren beschäftigen sich im
1139 Vgl. Skouris, Die Begründung von Rechtsnormen, 2002, 137.
1140 Vgl. Kischel, Die Begründung, 2003, 269.
1141 Vgl. Rüthers, Rechtstheorie, 1999, Rn. 796 ff.
1142 Vgl. Kischel, Die Begründung, 2003, 290; Lücke, Begründungszwang und Verfassung,
1987, 13.
1143 Vgl. Redeker/Karpenstein, Über Nutzen und Notwendigkeiten, Gesetze zu begründen,
NJW 2001, 2825, 2827. Sie weisen darauf hin, dass die missbräuchliche Verwendung von
Präambeln durch den nationalsozialistischen Gesetzgeber nicht zu einer pauschalen
Ablehnung dieser Begründungsform führen dürfe.
1144 Vgl. nur aktuell und beispielhaft Kischel, Die Begründung, 2003, 303.
1145 Vgl. Schäffer, Über Möglichkeit, Notwendigkeit und Aufgaben einer Theorie der Rechtsetzung, in: Schäffer, Theorie der Rechtsetzung, 1988, 11, 12. Die Rechtstheorie wird auch
als wissenschaftliches Gewissen der Rechtswissenschaft, als eine Meta- Dogmatik
bezeichnet, vgl. Broekman, Stichwort »Rechtstheorie« in: Wörterbuch der Philosophie,
Band 8, 1992, Sp. 343; Rüthers, Rechtstheorie, 1999, Rn. 28.
272
Schwerpunkt mit der Rechtsanwendung, genauer der Tätigkeit der Judikative.1146
Hier stand lange Zeit allein die richterliche Entscheidungsfindung im Mittelpunkt
der Betrachtung. Wie bereits angesprochen, wurde erst in den 70er Jahren des
letzten Jahrhunderts auch die richterliche Entscheidungsbegründung zum Gegenstand von Untersuchungen. Im Bereich der Rechtsanwendung setzte sich zunehmend die Ansicht durch, dass eine Verflochtenheit zwischen Entscheidungsfindung und Entscheidungsbegründung besteht.1147 Herstellung und Darstellung eines Urteils können nicht strikt getrennt werden.1148 Nur nach einer formalistischen Betrachtungsweise ist die Begründung als die Angabe von Gründen für
eine staatliche Entscheidung ohne größere Probleme von der Entscheidung selbst
und dem Prozess der Entscheidungsfindung abzugrenzen.1149 Inhaltlich ist eine
solche Abgrenzung schwierig beziehungsweise nicht durchführbar. Im Idealfall
werde vielmehr die Entscheidungsfindung in der Entscheidungsbegründung dokumentiert.1150
Diese Überlegungen hinsichtlich der Rechtsanwendung können und müssen
auch auf die Rechtsetzung übertragen werden. Zwischen der Forderung nach
einem rationalen Gesetzgebungsverfahren und einer Begründungspflicht für den
Gesetzgeber besteht ein innerer Zusammenhang. Wie dargelegt wurde, ist Vorbild
für Schwerdtfegers Idee eines gestuften Entscheidungsprozesses das Abwägungsgebot im Bauplanungsrecht. Im Bauplanungsrecht ist jedoch die Begründung von
Bebauungsplänen gesetzlich vorgeschrieben (§ 9 Abs. 8 BauGB). Der Begründungszwang ergänzt und verwirklicht hier das Abwägungsgebot. Denn die
Gemeinde muss darlegen, dass sie die einzelnen Schritte des Denkprozesses eingehalten / durchgeführt hat. Die Begründung soll den Entscheidungsprozess wiedergeben und dadurch transparent machen.
d) Versuch einer Ableitung unmittelbar aus der Verfassung
Auch wenn in der Gesetzgebungslehre bislang nur selten eine Verbindungslinie
zwischen der Figur des inneren Gesetzgebungsverfahrens und der Idee eines legislativen Begründungszwanges gezogen wurde, so ähneln sich die Diskussionen
sehr. Hier wird noch einmal deutlich, dass Entscheidungsfindung und Entscheidungsbegründung nicht losgelöst voneinander betrachtet werden können.
Wie bei der Diskussion um das innere Gesetzgebungsverfahren wird auch bei
einer Begründungspflicht der Versuch unternommen, diese unmittelbar aus dem
1146 Vgl. Kischel, Die Begründung, 2003, 7.
1147 Vgl. Brink, Über die richterliche Entscheidungsbegründung, 1999, 13; Garrn, Zur Rationalität rechtlicher Entscheidungen, 1986, 22.
1148 Vgl. Schneider/Schroth, Sichtweisen juristischer Normanwendung, in Kaufmann/Hassemer, Einführung in die Rechtsphilosophie und Rechtstheorie der Gegenwart, 1994, 470,
479.
1149 Vgl. Kischel, Die Begründung, 2003, 9.
1150 Vgl. Kischel, Die Begründung, 2003, 10.
273
Grundgesetz abzuleiten.1151 Anknüpfungspunkte sind hier ebenfalls das Rechtsstaatsprinzip1152, das Demokratieprinzip in Form des Öffentlichkeitsprinzips1153
und Art. 3 I GG1154. Es handelt sich methodisch um das Bemühen, aus diesen Verfassungsrechtsätzen auf einen nicht ausdrücklich formulierten Verfassungsgrundsatz zu schließen. Ebenso wie bei der Figur des inneren Gesetzgebungsverfahrens
kann ein solcher Ansatz auch nicht im Hinblick auf eine legislative Begründungspflicht überzeugen. Die Befürworter eines verfassungsrechtlichen Begründungszwanges lesen zuviel in das Grundgesetz hinein. Eine solche Verfassungspflicht
müsste ausdrücklich in der Verfassung verankert werden.
e) Ist-Zustand: schwach ausgestaltete Begründungspflicht
Der deutsche Gesetzgeber unterliegt bislang nur einer schwach ausgestalteten Begründungspflicht. Denn zum einen verabschiedet der Bundestag als solcher bislang keine ausdrücklichen Erläuterungen, er nimmt nicht Stellung.1155 Verfügbar
sind vielmehr nur Begründungen der mit der Ausarbeitung von Entwürfen beauftragten Stellen, also Begründungen der Bundesregierung zu ihren Gesetzesvorlagen, Berichte von Bundestagsausschüssen oder die Stellungnahme einzelner Abgeordneter. Es handelt sich folglich um informelle, um staatsinterne Begründungen. Indem das Gesetzgebungsorgan Bundestag nicht selbst über diese mitbe-
1151 Vgl. Kischel, Die Begründung, 2003, 261; Lücke, Begründungszwang und Verfassung,
1987, 37; kritisch hierzu Skouris, Die Begründung von Rechtsnormen, 2002, 41.
1152 Begründungspflichten werden heute zunehmend mit dem Rechtsstaat in Verbindung
gebracht. Sie sollen zu dessen Ausbau und Vertiefung beitragen. Das Rechtsstaatsprinzip
gebiete eine Kontrolle jeder Machtausübung von Menschen über Menschen. Begründungszwänge werden als Unterpunkt der Rechtsgleichheit und dann wieder als Unterpunkt des
Rechtsstaatsprinzips angesehen. Vgl. Horak, Zur rechtstheoretischen Problematik der
Begründung von Entscheidungen, in: Sprung, Entscheidungsbegründung, 1974, 1, 1;
Pawlowski, Methodenlehre für Juristen, 3. Auflage, 1999, Rn. 662; Sobota, Das Prinzip
Rechtsstaat: Verfassungs- und verwaltungsrechtliche Aspekte, Tübingen 1997, 63.
1153 Die Offenheit des Prozesses der staatlichen Meinungs- und Willensbildung verlange auch,
dass die Motive gegenüber dem Volk offen gelegt werden. Und dies sei wiederum nichts
anderes als die Kundgabe einer für die Öffentlichkeit bestimmten Begründung. Ein solcher
Begründungszwang sei auf das Volk als Gesamtheit bezogen. Eine fehlende Begründung
schwäche die demokratische Verantwortlichkeit staatlicher Stellen in entscheidender
Weise. Vgl. Kischel, Die Begründung, 2003, 114; Lücke, Begründungszwang und Verfassung, 1987, Kriele, Das demokratische Prinzip im Grundgesetz, VVDStRL 29 (1971), 46,
52; Pestalozza, Gesetzgebung im Rechtsstaat, NJW 1981, 2081, 2086. 95 ff.; Stern, Staatsrecht, Bd. 1, 2. Auflage 1984, 804.
1154 Die Bindung des Gesetzgebers an den Gleichheitsgrundsatz könnte aufzeigen, dass jede
normative Differenzierung begründet werden muss, um verfassungsgemäß zu sein. Aus
Art. 3 I GG könnte sich ein Gebot der Selbstdisziplinierung und damit eine Begründungspflicht für alle am Gesetzgebungsverfahren Beteiligten ergeben. Vgl. Dürig: in Maunz/
Dürig GG- Kommentar, 31. Lieferung, Mai 1994, Art. 3 I GG, Rn. 316.
1155 Vgl. Kischel, Die Begründung, 2003, 293; Lücke, Begründungszwang und Verfassung,
1987, 33; Meßerschmidt, Gesetzgebungsermessen, 2000, 920.
274
schließt, fehlt ihnen die legislatorische Authentizität.1156 Nicht überzeugen kann
hier die Überlegung, dass der Bundestag sich durch Beschluss des Gesetzes zugleich die Begründung des Gesetzentwurfs zu eigen macht.1157
Zum anderen sind diese staatsinternen Begründungspflichten allein im
Geschäftsordnungsrecht festgeschrieben. So legt Art. 43 der gemeinsamen
Geschäftsordnung der Bundesministerien (GGO) einen umfassenden Begründungszwang fest. Wie jedoch weiter oben bereits angesprochen, handelt es sich
bei diesen Geschäftsordnungsregeln lediglich um administratives Innenrecht, das
allein die Bundesregierung und ihre Ressorts verpflichtet.1158 Die Wirkungskraft
derartiger Normen ist gering, da ihre Verletzung nicht dazu führt, dass ein Gesetz
im Rahmen einer Normenkontrolle als verfassungswidrig verworfen wird. Prüfungsmaßstab des Bundesverfassungsgerichts ist allein das Grundgesetz selbst.
Ein Geschäftsordnungsverstoß ist nur dann erheblich, wenn er zugleich eine Verfassungsverletzung darstellt.1159
Dieser Befund ist im Hinblick auf die immer wichtiger werdende europarechtliche Perspektive erstaunlich. Denn in Art. 253 EGV (I – 38 des Verfasssungsvertrages) ist ausdrücklich eine Begründungspflicht europäischer Rechtsakte normiert. Stimmen in der Literatur fordern deshalb unabhängig von den Ansätzen
Schwerdtfegers und Mengels, dass sich die deutsche Gesetzgebung an dem europäischen Vorbild orientieren sollte.1160
f) Durchsetzbarkeit einer umfassenderen Verrechtlichung
Es stellt sich hier folglich ebenso die Frage, auf welche Art und Weise ein Begründungszwang verrechtlicht werden könnte. In der Literatur werden vereinzelt
die verschiedenen Varianten einer Institutionalisierung angesprochen. So führen
Redeker und Karpenstein in einem neueren Beitrag eher skeptisch aus, man könne
von den Gesetzgebern in Bund und Ländern heute sicherlich nicht erwarten, dass
1156 Vgl. Lücke, Begründungszwang und Verfassung, 1987, 14.
1157 So auch Lücke, Begründungszwang und Verfassung, 1987, 36, der überzeugend darauf hinweist, dass sich die parlamentarische Schlussabstimmung allein auf den Gesetzeswortlaut
beschränkt.
1158 Vgl. Achterberg/Schulte, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Grundgesetz Kommentar, Band 2,
2000, Art. 40 Rn. 33; Morlok, in: Dreier, GG – Kommentar, Band 2, 1998, Art. 40 Rn. 21;
Versteyl, in: v. Münch/Kunig, GG – Kommentar, Band 2, 2001, Art. 40 Rn. 17.
1159 Vgl. Rixecker, Müssen Gesetze begründet werden, FS Günter Ellscheid 1999, 126, 128.
Lösgelöst von der Diskussion um eine Begründungspflicht Achterberg/Schulte, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Grundgesetz Kommentar, Band 2, 2000, Art. 40 Rn. 59; Morlok, in:
Dreier, GG – Kommentar, Band 2, 1998, Art. 40 Rn. 18; Versteyl, in: v. Münch/Kunig,
GG – Kommentar, Band 2, 2001, Art. 40 Rn. 18.
1160 Vgl. vertiefend zu der Begründungspflicht im Europarecht, Redeker/Karpenstein, Über
Nutzen und Notwendigkeiten, Gesetze zu begründen, NJW 2001, 2825 ff.; Müller- Ibold,
Die Begründungspflicht im europäischen Gemeinschaftsrecht und im deutschen Recht,
1990.
275
sie sich verfassungsrechtlich verankerten Begründungspflichten unterwerfen. Es
spreche aber nichts dagegen, dass sich die Parlamente in ihren eigenen Geschäftsordnungen zu etwas mehr Transparenz verpflichteten. 1161 Hingegen setzt sich
Blum in seinem Gutachten für den DJT für eine weiter gehende Verankerung der
Begründungspflicht aus. Ein Mindestbegründungsverbot solle Verfassungsrang
haben, eine bloße Geschäftsordnungsbestimmung reiche nicht aus. Die Verwirklichung dieses Vorschlages sei am größten, wenn ein solches Verfassungsgebot
nicht mit der Nichtigkeitsfolge ausgestattet würde.1162
Ingesamt geht die Diskussion um einen Begründungszwang in der allgemeinen
Auseinandersetzung um Regeln guter Gesetzgebung auf. Zu Recht führt Rixecker
aus, dass die Frage einer parlamentarischen Begründungspflicht eine Frage des
Verhältnisses von Judikative und Legislative, zugespitzt von Bundesverfassungsgericht und parlamentarischem Gesetzgeber sei.1163
Insgesamt überwiegen die Bedenken gegenüber einer strengen Begründungspflicht für den Gesetzgeber. Diese Haltung drückt sich auch in der bereits dargestellten abschließenden These des Deutschen Juristentages aus. Jedoch erscheint
eine Begründungspflicht allein eher durchsetzbar als ein umfassendes Gesetzgebungsverfahrensgesetz. Zum einen könnte die Forderung eines Begründungszwanges mit Hinweis auf das europarechtliche Vorbild gerechtfertigt werden.
Zudem würde eine Begründungspflicht gegenüber einer detaillierten Gesetzgebungsordnung das »kleinere Übel« darstellen. Denn um die Arbeitsfähigkeit des
Parlaments zu erhalten, dürfe eine Begründung nicht den Umfang eines »Handkommentars« aufweisen. Sie müsse einen allgemeinen Charakter besitzen, vorgeschlagen wird beispielsweise auf die Figur der Präambel zurückzugreifen.1164
Die Institutionalisierung einer Begründungspflicht allein wäre ein Minus
gegenüber den ursprünglichen Forderungen von Schwerdtfeger, der eine Methode
der Entscheidungsfindung und eine diese ergänzende Darlegungspflicht forderte.
Gleichwohl wäre sie ein erster und realistischer Schritt auf dem Weg zu einer
guten Gesetzgebung. Denn die Entscheidungsbegründung dokumentiert im Idealfall die Entscheidungsfindung. Auch wenn Scheinbegründungen denkbar sind,
so ist die »Vorwirkung« einer Begründungspflicht nicht zu unterschätzen. Der
Zwang, eine Entscheidung zu rechtfertigen, wirkt sich bereits auf den Prozess der
Entscheidungsfindung aus. Mit Blick auf die Tätigkeit der Judikative ist ein innerer Zusammenhang zwischen Entscheidungsfindung und Begründung zu bejahen.
1161 Vgl. Redeker/Karpenstein, Über Nutzen und Notwendigkeiten, Gesetze zu begründen,
NJW 2825, 2831.
1162 Vgl. Blum, Beilage zu NJW Heft 27/2004, 45, 53. anderer Ansicht Meßerschmidt, Gesetzgebungsermessen, 2000, 922, 923. Ein Begründungszwang des Gesetzgebers sei dem verfassungsrechtlichen Rang der Legislative weder angemessen noch vom praktischen Ertrag
her zu rechtfertigen. Die rechtsstaatlichen Grundsätze, welche die Annahme eines Begründungszwanges für das Verwaltungshandeln nahe legen, gelten nicht in vergleichbarer
Weise für die Gesetzgebung.
1163 Vgl. Rixecker, Müssen Gesetze begründet werden, FS Günter Ellscheid 1999, 126, 132.
1164 Vgl. Redeker/Karpenstein, Über Nutzen und Notwendigkeiten, Gesetze zu begründen,
NJW 2001, 2825, 2827.
Chapter Preview
References
Zusammenfassung
In seiner Entscheidung zum Länderfinanzausgleich hat das Bundesverfassungsgericht 1999 auf eine rechtsphilosophische Figur, John Rawls’ berühmten „Schleier des Nichtwissens“, zurückgegriffen. Dieser „Schleier“ ist in Rawls’ Werken Teil eines fiktiven Urzustands und bewirkt, dass die Entscheidungsträger ihre eigenen Interessen nicht kennen. Wenig beachtet wurde jedoch der Umstand, dass Rawls auch im Bereich der idealen Gesetzgebung auf diese Gedankenfigur verweist.
Die Arbeit setzt sich zunächst intensiv mit diesen Textpassagen auseinander, um in einem nächsten Schritt zu untersuchen, inwieweit Gesetzgebung unter dem Grundgesetz mit dem Gedanken eines unparteilichen Abgeordneten vereinbar ist.
Das Werk richtet sich an Verfassungsjuristen und Rechtsphilosophen.