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5. Argumente für eine Einordnung als Verfassungspflicht
a) Rechtsstaatsprinzip
Ein inneres Gesetzgebungsverfahren als Verfassungspflicht könnte aus dem
Rechtsstaatsprinzip abgeleitet werden. Hierfür spricht, dass eine rationale Entscheidungsfindung Grundsatz des Rechtsstaatsgebotes sei, der Weg zur Entscheidung dürfe nicht willkürlich ablaufen.928 Der Rechtsstaatscharakter garantiere
deshalb Grundregeln, wie ein Verfahren innerlich ausgestaltet sein müsse.929 Der
Bürger solle darauf vertrauen können, dass Gesetze, denen er sich zu unterwerfen
hat, nach rechtsstaatlich-demokratischen Verfahrensweisen zustande gekommen
sind.930 Das Rechtsstaatsprinzip werde auch nicht überstrapaziert, wenn aus diesem Gebot ein inneres Gesetzgebungsverfahren entwickelt werde. Kein anderer
Verfassungsgedanke werde in der Judikatur des Bundesverfassungsgerichts so
weit entfaltet wie dieses Grundprinzip. Es enthalte eine große Anzahl unterschiedlicher Schwerpunkte beziehungsweise Facetten. 931
Gegen diese Argumentation wird angeführt, dass aus dem Rechtsstaatsprinzip
im Bereich der Gesetzgebung nur idealtypische Postulate abgeleitet werden können. Es bestehe eine Gefahr, mit Hilfe dieses Verfassungsprinzips Dinge zum Verfassungsrang »hinaufzuargumentieren«.932 Der Gesetzgebungsprozess werde auf
diesem Weg zu sehr verrechtlicht. Es könne zu einer nicht endenden Verrrechtlichungsspirale kommen, bei der die eigentliche Gesetzgebung doch nie erfasst, nie
eingefangen werde.933
Schon die Diskussion um den Gesetzesbegriff hat gezeigt, dass ein Rückgriff
auf das Rechtsstaatsprinzip problematisch ist. Es steht die Frage im Raum: Wie
kann der unbestimmte Verfassungsbegriff »Gesetzgebungsverfahren« mit Hilfe
des weiteren Grundbegriffs »Rechtsstaatsprinzip« konkretisiert werden? Zwar
kann das Rechtsstaatsprinzip als System institutionalisierten Misstrauens gegen
den Gesetzgeber verstanden werden.934 Der Gedanke der Gewaltenteilung bildet
928 Vgl. Hill, Rechtsdogmatische Probleme der Gesetzgebung, Jura 1986, 286, 292; Jekewitz
in: Alternativkommentar zum GG, Band II, 1984, Art.76 Rn. 6; Schwerdtfeger, Optimale
Methodik der Gesetzgebung als Verfassungspflicht, FS Ipsen 1977, 173, 177.
929 Vgl. Mengel, Gesetzgebung und Verfahren, 1997, 265; Mengel, Empfiehlt es sich, die
Regeln guter Gesetzgebung gesetzlich festzulegen?, in: Hill, Parlamentarische Steuerungsordnung, 2001, 115, 117.
930 Vgl. Mengel, Gesetzgebung und Verfahren, 1997, 266; Mengel, Empfiehlt es sich, die
Regeln guter Gesetzgebung gesetzlich festzulegen?, in: Hill, Parlamentarische Steuerungsordnung, 2001, 115, 117.
931 Vgl. Mengel, Empfiehlt es sich, die Regeln guter Gesetzgebung gesetzlich festzulegen?,
in: Hill, Parlamentarische Steuerungsordnung, 2001, 115, 121.
932 Vgl. Merten, Optimale Methodik der Gesetzgebung als Sorgfalts- oder Verfassungspflicht,
in: Hill, Zustand und Perspektiven der Gesetzgebung, 1988, 81, 83, 84.
933 Vgl. Meßerschmidt, Gesetzgebungsermessen, 2000, 838.
934 Vgl. Denninger: Stichwort »Rechtsstaat«, in: Handlexikon zur Rechtswissenschaft, 1974,
Band 2, 344, 346.
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ein Misstrauen gegenüber dem Staat ab, dessen Macht durch Teilung und gegenseitige Kontrolle gelenkt werden soll.935
Allein die Tatsache, dass das Bundesverfassungsgericht dieses Gebot in seiner
Judikatur weit entfaltet, kann jedoch nicht ausreichen, um ein inneres Gesetzgebungsverfahren als normativ im Grundgesetz verankert anzusehen. Die Argumentation aus dem Rechtsstaatsprinzip heraus kann nur aufzeigen, dass ein
Gesetzgebungsverfahren nicht willkürlich ablaufen darf. Deshalb können nur
Mindestanforderungen abgeleitet werden. Das Rechtstaatsprinzip verlangt nur
ein mit der Verfassung vereinbares Verhalten des Gesetzgebers und damit eine
Mindestkontrolle seiner Tätigkeit. Es ist nicht geeignet, um weiter gehende
Anforderungen im Sinne einer qualitativ besseren Gesetzgebung zu legitimieren.
b) Demokratieprinzip
Des Weiteren könnten zusätzliche Verfahrensanforderungen aus dem Demokratieprinzip abgeleitet werden.936 Stimmen in der Literatur sehen Verfahrensregeln
als eine Bedingung und Folge von demokratischen Strukturen an.937 Ein demokratisches Repräsentativsystem fordere ein möglichst rationales Handeln.938 Das
Rechtssetzungsverfahren müsse überschaubar und kontrollierbar ablaufen. Es
dürfe sich nicht um eine »geheime Kommandosache« handeln. Gesetzgebung
müsse vielmehr einen offenen Vorgang darstellen. Das innere Gesetzgebungsverfahren als eine Verfassungspflicht spiegele diesen Gedanken einer transparenten
Entscheidungsfindung wider.939
Gegen eine solche Betrachtungsweise wird jedoch eingewandt, dass das
Demokratieprinzip eigentlich die Aufgabe habe, den parlamentarischen Gesetzgeber zu stärken. Die Befürworter einer ungeschriebenen allgemeinen Gesetzgebungsordnung setzten dieses Gebot jedoch ein, um den Gesetzgeber zu schwächen. Dadurch verkehrten sie den Grundgedanken des Prinzips in sein Gegenteil.940 Die herausragende Stellung der Legislative werde nur dann gesichert,
935 Vgl. Kischel, Die Begründung, 2003, 59, Zippelius, Allgemeine Staatslehre, 14. Auflage,
2003, 307.
936 Vgl. zum Verhältnis von Rechtsetzung und Demokratieprinzip auch v. Bogdandy, Gubernative Rechtsetzung, 2000, 28 ff.
937 Vgl. Mengel, Die verfahrensrechtlichen Pflichten des Gesetzgebers und ihre verfassungsgerichtliche Kontrolle, ZG 1990, 193, 195.
938 Vgl. Schwerdtfeger, Optimale Methodik der Gesetzgebung als Verfassungspflicht, FS
Ipsen, 173, 177; Mengel, Empfiehlt es sich, die Regeln guter Gesetzgebung gesetzlich festzulegen? in: Hill, Parlamentarische Steuerungsordnung, 2001, 115.
939 Vgl. Mengel, Grundvoraussetzungen demokratischer Gesetzgebung, ZRP 1984, 153, 156;
Mengel, Gesetzgebung und Verfahren, 1997, 277; Mengel, Empfiehlt es sich, die Regeln
guter Gesetzgebung gesetzlich festzulegen?, in: Hill, Parlamentarische Steuerungsordnung, 2001, 115.
940 Vgl. bezogen auf Verfahrenskontrollen im Bereich der Tatsachenfeststellungen und Prognosen Raabe, Grundrechte und Erkenntnis, 1998, 379.
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wenn der Gesetzgeber im Rahmen der Art. 76 ff. GG eine Verfahrensautonomie
besitze. Der Grundsatz der Parlamentssouveränität widerspreche zusätzlichen
Verfahrensbindungen, die den Gesetzgeber in seinem Gestaltungsraum stark einschränkten.941 Der autonome Gesetzgeber schulde nichts als das Gesetz.942 Insgesamt sei das Gesetzgebungsverfahren als Entscheidungsverfahren, nicht als
Erkenntnisverfahren ausgestaltet.943
Auch bei der Argumentation mit dem Demokratieprinzip bestehen grundsätzlich die gleichen Bedenken, die in Bezug auf das Rechtsstaatsprinzip geäußert
wurden. Können aus einem solchen abstrakten Gebot die von Schwerdtfeger aufgezeigten verschiedenen Phasen eines inneren Gesetzgebungsverfahrens abgeleitet werden?
Berechtigt erscheint auf den ersten Blick das Argument, dass das Demokratieprinzip (»alle Staatsgewalt geht vom Volke aus«) den parlamentarischen Gesetzgeber stärken und nicht einer zusätzlichen Kontrolle unterwerfen will. Andererseits ist es fraglich, ob dem Grundgesetz wirklich der Gedanke einer uneingeschränkten Souveränität944 zugrunde liegt. Zum einen zeichnet die Verfassung das
Bild einer repräsentativen Demokratie, innerhalb derer der Souverän »Volk« mittelbar durch die Abgeordneten agiert. Zum anderen ist der Gesetzgeber durch Art.
20 III GG an die Verfassung gebunden. Als Konsequenz dieser Bindung stellt das
Bundesverfassungsgericht als Kontrollorgan einen »ernst zu nehmenden Gegenspieler« dar. Das Kräfteverhältnis der Verfassungsorgane ist hierbei nur schwer
einzuordnen und wird in der Literatur kontrovers diskutiert.945 Insgesamt kann
unter dem Grundgesetz demnach nicht von einer »Parlamentssouveränität«, sondern allein von einer »Verfassungssouveränität« gesprochen werden. Es gibt in
unserem Verfassungsstaat zwar höchste Staatsorgane, jedoch keine wirkliche
Organsouveränität.946 Der Gesetzgeber besitzt keine unbegrenzte Gestaltungsfreiheit, keine unbegrenzte Regelungsmacht.
Der Gedanke der Souveränität allein kann folglich nicht ausreichen, um
zusätzliche Verfahrensanforderungen als nicht »systemkonform« zu verwerfen.
Genau diese Überlegungen werden auch von den Befürwortern eines inneren
Gesetzgebungsverfahrens vorgebracht. Es bestehe keine Souveränität der Legislative. Sie sei vielmehr an die verfassungsmäßige Ordnung (Art. 20 III GG) und
941 Vgl. Gusy, Das Grundgesetz als normative Gesetzgebungslehre?, ZRP 1985, 291, 296.
942 Vgl. Gusy, Das Grundgesetz als normative Gesetzgebungslehre?, ZRP 1985, 291, 298.
943 Vgl. Gusy, Das Grundgesetz als normative Gesetzgebungslehre?, ZRP 1985, 291, 298.
944 Die Verf. lehnt sich hier an die von Meßerschmidt aufgezeigte Definition an, der Souveränität als Selbstbestimmung und Letztbestimmung nach innen und außen sowie Letzt- und
Totalverantwortlichkeit des Staates für die dieser Souveränität unterworfenen Bürger
umschreibt. Vgl. Meßerschmidt, Gesetzgebungsermessen, 2000, 451. In gleicher Weise
kann auch auf die Souveränitätslehre von Jean Bodin verwiesen werden, der die Souveränität als die höchste beziehungsweise absolute Gewalt im Staat definierte, vgl. Bodin,
Six livres de la Republique (1583): Reclam Ausgabe, Über den Staat, 1987, 19 ff.
945 Vgl. hierzu Siedler, Gesetzgeber und Bundesverfassungsgericht: eine funktionell-rechtliche Kompetenzabgrenzung, Hamburg 1999 mit weiteren Nachweisen.
946 Vgl. Quaritsch, Souveränität im Ausnahmezustand, Der Staat 35 (1996), 1, 25.
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speziell an die Grundrechte (Art. 1 III GG) gebunden.947 Unter dem Grundgesetz
gebe es keinen freien autonomen Gesetzgeber. Stattdessen kämen die im Gesetzgebungsverfahren mitwirkenden Organe ihrer Aufgabe in einem Netz von rechtlichen, faktischen und politischen Beziehungen nach. Der Bereich der Gesetzgebung umfasse organisiertes Handeln und stelle keinen rechtsfreien Raum dar.948
Insgesamt ist zuzugeben, dass der parlamentarische Gesetzgeber nicht völlig
frei agieren kann. Andererseits wird ihm mit den Art. 76 ff. GG schon ein erster
äußerer Rahmen vorgegeben. Zu hinterfragen ist, ob die Gestaltungsfreiheit
innerhalb dieser verfassungsrechtlichen Regeln mit Hilfe des Demokratieprinzips
noch weiter eingeschränkt werden kann. Wie kann das Demokratieprinzip verstanden werden? Ist es so auszulegen, dass es den begrenzten Spielraum des
Gesetzgebers absichern soll, oder spricht es sich für eine engere Wechselwirkung
zwischen Freiheit und Kontrolle des Gesetzgebers aus? Die Argumentation mit
dem Demokratieprinzip mündet in die umstrittene Frage nach der Einschränkbarkeit gesetzgeberischer Spielräume ein.
c) Grundrechtsschutz
Für ein inneres Gesetzgebungsverfahren als Verfassungspflicht wird schließlich
der Gedanke des Grundrechtsschutzes herangezogen. Die Grundrechtsrechtsrelevanz von gesetzlichen Entscheidungsmaterien müsse sich auch auf das Gesetzgebungsverfahren auswirken.949 Grundrechtseingriffe dürften nur dann zulässig
sein, wenn das Gesetzgebungsverfahren so rational wie möglich ablaufe.950
Hiergegen wird jedoch eingewandt, dass die Verfahrensrelevanz der Grundrechte nicht überstrapaziert werden dürfe. Zwar könne man über die Konstruktion
eines effektiven Grundrechtsschutzes grundsätzlich zu einer Verfassungswidrigkeit wegen Verfahrensfehlern gelangen. Eine solche Verfassungswidrigkeit
beruhe dann aber allein auf einer Verletzung der in den Verfahrensbereich vorverlagerten Grundrechte.951 Der abstrakte Gedanke der Grundrechtsbetroffenheit
könne nicht auf das Gesetzgebungsverfahren übertragen werden. Im Verwaltungs- oder Gerichtsverfahren werde die individuelle Rechtssphäre bereits durch
die Durchführung des Verfahrens berührt, während die Gesetzgebung erst durch
das Gesetz als Ergebnis in Kontakt zu den Bürgern trete.952
Die Ausführungen zur Grundrechtsrelevanz als möglichem Argument erinnern
an die Wesentlichkeitstheorie. So spricht Hill ausdrücklich davon, dass sich
947 Vgl. Lücke, Die allgemeine Gesetzgebungsordnung, ZG 2001, 1, 3.
948 Vgl. Mengel, Gesetzgebung und Verfahren, 1997, 329.
949 Vgl. Hill, Rechtsdogmatische Probleme der Gesetzgebung, Jura 1986, 286, 291.
950 Vgl. Bottke, Materielle und formelle Verfahrensgerechtigkeit, 1991, 73; Schwerdtfeger,
Optimale Methodik der Gesetzgebung als Verfassungspflicht, FS Ipsen 1977, 173, 177.
951 Vgl. Mengel, Empfiehlt es sich, die Regeln guter Gesetzgebung gesetzlich festzulegen?
in: Hill, Zustand und Perspektiven der Gesetzgebung, 1988, 81, 95.
952 Vgl. Meßerschmidt, Gesetzgebungsermessen, 2000, 823.
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Anhaltspunkte für verfassungsrechtliche Anforderungen an die Methode der Entscheidungsfindung auch aus der sachlichen »Wesentlichkeit« der gesetzlichen
Entscheidungsmaterien ergeben würden.953 Ein solcher gedanklicher Rückgriff
auf die Wesentlichkeitstheorie kann jedoch aus mehreren Gründen nicht überzeugen.
Hauptkritikpunkt an der vom Bundesverfassungsgericht entwickelten Formel
ist ihre Unbestimmtheit. Was »wesentlich« ist, bestimmt letztlich die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts.954 Ein Verweis auf diese verfassungsrechtliche »Neuschöpfung« trägt folglich nicht dazu bei, eine klar umrissene verfassungsrechtliche Grundlage für ein inneres Gesetzgebungsverfahren aufzuzeigen.
Zudem führt die Wesentlichkeitstheorie allein dazu, dass für einen Teilbereich
staatlicher Eingriffe die Handlungsform »Parlamentsgesetz« gewählt werden
muss. Sie hat folglich keine Auswirkungen auf den gesamten Bereich der Gesetzgebung, sondern erhöht das Legitimationsniveau nur für einen Ausschnitt. Selbst
wenn sich also die Aussage der Wesentlichkeitstheorie auf das »Wie« der Gesetzgebung erstrecken ließe, so würde damit nur ein Teil der legislativen Tätigkeit
erfasst werden. Die Befürworter eines inneren Verfahrens als rechtlicher Kategorie fordern jedoch eine Gesetzgebungsordnung für alle Bereiche. Der Gesetzgebungsprozess soll insgesamt um zusätzliche Anforderungen ergänzt werden. Es
erscheint unklar, wie der Gedanke der wesentlichen Grundrechtsbetroffenheit
erweitert werden kann, um eine solche Breitenwirkung zu entfalten.
Der Rückgriff auf die Wesentlichkeitstheorie kann folglich nur dann überzeugen, wenn Gesetzeskategorien gebildet würden, die unterschiedlichen Verfahrensanforderungen unterlägen. Für Gesetze mit Staat-Bürger-Bezug würde dann
ein inneres Gesetzgebungsverfahren gefordert, während für Gesetze mit Bezug
auf Staatsorganisation ein niedrigeres »Verfahrensniveau« ausreichte.955
Es erscheint jedoch nur schwer begründbar, warum der Gesetzgeber im
Bereich des Staatsorganisationsrechts einen größeren Gestaltungsspielraum
besitzen sollte. Wie gerade das Beispiel des Länderfinanzausgleichs zeigt, kann
es sich auch bei staatsorganisationsrechtlichen Bereichen um hoch umstrittene
und damit sehr »sensible« Materien handeln.
Zudem stellt der Gedanke der Wesentlichkeit keinen eigenständigen beziehungsweise neuen Anknüpfungspunkt für eine Methodik der Entscheidungsfindung dar. Denn das Bundesverfassungsgericht leitet die Wesentlichkeitstheorie
aus dem Rechtsstaats- und dem Demokratieprinzip ab.956 Es besteht ein grundlegender dogmatischer Zusammenhang zwischen Rechtstaatssprinzip und Grund-
953 Vgl. Hill, Rechtsdogmatische Probleme der Gesetzgebung, Jura 1986, 286, 291.
954 Vgl. Eberle, Gesetzesvorbehalt und Parlamentsvorbehalt, DÖV 1984, 484, 487; Haltern/
Mayer/Möllers, Wesentlichkeitstheorie und Gerichtsbarkeit, Die Verwaltung 30 (1997), 51
ff.; Kloepfer, Der Gesetzesvorbehalt im Wandel, JZ 1984, 685, 692; Papier, Der Vorbehalt
des Gesetzes und seine Grenzen, in: Götz/Klein/Starck (Hrsg.), Die öffentliche Verwaltung
zwischen Gesetzgebung und richterlicher Kontrolle, 1985, 36, 41.
955 Vgl. in diese Richtung Hoffmann, Das verfassungsrechtliche Gebot der Rationalität im
Gesetzgebungsverfahren, ZG 1990, 97, 111.
956 Vgl. BVerfGE 47, 46, (79).
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rechten.957 Damit führt das Argument des Grundrechtsschutzes wieder zurück zu
der Frage, ob sich ein Abwägungsgebot letztlich aus diesen Strukturprinzipien
heraus begründen lässt.
Schließlich ist auch aus systematischen Gründen den kritischen Stimmen in der
Literatur zuzustimmen. Das Grundgesetz selbst teilt sich in Grundrechtsteil und
Organisationsstatut auf. Auch wenn diese Abschnitte nicht streng isoliert nebeneinander stehen, so können die Grundrechte nur bedingt als »Interpretationsmaterial« für den Bereich der Gesetzgebung herangezogen werden. Der Gedanke der
Einheit der Verfassung würde hierdurch überstrapaziert werden; jegliche Unterscheidung zwischen Bürger-Staat-Verhältnis einerseits und innerstaatlicher Organisation andererseits würde aufgehoben.
Insgesamt können zusätzliche Verfahrensanforderungen nicht überzeugend
aus dem Grundgesetz in seiner jetzigen Fassung abgeleitet werden. Weder der
Gedanke des Grundrechtschutzes noch Rechtsstaats- und Demokratieprinzip
können allein eine Methode der Entscheidungsfindung als Verfassungspflicht
legitimieren. Selbst wenn sich ein unbenannter Verfassungsgrundsatz mit dem
Inhalt »Rationalität im Gesetzgebungsverfahren« ableiten ließe, wäre dieser zu
allgemein und vage. Er bedürfte einer Konkretisierung und Ausgestaltung.958
6. Bedenken gegenüber einer solchen Verfassungsinterpretation
Bevor in der abschließenden Stellungnahme auf die Frage eingegangen wird, auf
welchem Weg zusätzliche Verfahrensanforderungen an den Gesetzgeber institutionalisiert werden könnten, ist zu überlegen, ob sich aus der Systematik des
Grundgesetzes nicht auch gewichtige Bedenken gegen ein inneres Gesetzgebungsverfahren ergeben. Möglicherweise stellt die Idee einer Methodik der Gesetzgebung einen »Fremdkörper« innerhalb der Verfassung dar. Der Versuch, das
innere Gesetzgebungsverfahren mit Hilfe des Demokratieprinzips zu legitimieren, hat bereits die »Achillesferse« dieses Reformansatzes aufgezeigt. Zusätzliche Anforderungen an das Gesetzgebungsverfahren könnten unvereinbar mit der
Theorie der Spielräume sein.
a) Theorie der Spielräume959
Diese Theorie besagt abstrakt, dass der Gesetzgeber bei seiner Tätigkeit einen
Gestaltungsspielraum besitzt; er ist in seinem Handeln nicht vollständig determi-
957 Vgl. Schlink, Abwägung im Verfassungsrecht, 1976, 198, v. Bogdandy, Gubernative Rechtsetzung, 2000, 185.
958 Vgl. Lücke, Die allgemeine Gesetzgebungsordnung, ZG 2001, 1, 36.
959 Diese Bezeichnung lehnt sich an die Ausführungen von Robert Alexy an. Er fordert im
Hinblick auf das Verhältnis von Verfassungsgerichtsbarkeit und Fachgerichtsbarkeit sowie
im Verhältnis von Verfassungsgericht und Gesetzgeber eine Dogmatik der Spielräume.
Chapter Preview
References
Zusammenfassung
In seiner Entscheidung zum Länderfinanzausgleich hat das Bundesverfassungsgericht 1999 auf eine rechtsphilosophische Figur, John Rawls’ berühmten „Schleier des Nichtwissens“, zurückgegriffen. Dieser „Schleier“ ist in Rawls’ Werken Teil eines fiktiven Urzustands und bewirkt, dass die Entscheidungsträger ihre eigenen Interessen nicht kennen. Wenig beachtet wurde jedoch der Umstand, dass Rawls auch im Bereich der idealen Gesetzgebung auf diese Gedankenfigur verweist.
Die Arbeit setzt sich zunächst intensiv mit diesen Textpassagen auseinander, um in einem nächsten Schritt zu untersuchen, inwieweit Gesetzgebung unter dem Grundgesetz mit dem Gedanken eines unparteilichen Abgeordneten vereinbar ist.
Das Werk richtet sich an Verfassungsjuristen und Rechtsphilosophen.