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nommen darzustellen – wenn und insoweit er sich selbst für befangen hält und
nicht lediglich die Prüfung eröffnen will, muss er ihn jedoch auch nutzen. Auch
hierauf dürfte es zurückzuführen sein, dass von den 13 hier untersuchten erfolgreichen Ablehnungen nur drei234 auf Anträge von Prozessbeteiligten beruhen,
während die übrigen zehn Selbstablehnungen betreffen.235
c) Gesetzesänderungen
Nachdem aufgrund der Komplexität der Materie gelegentlich sogar Rufe nach
Abschaffung des Befangenheitsrechts laut geworden sind,236 können vielmehr einige wenige Präzisierungen und Modifikationen der §§ 18, 19 hilfreich sein. Den
unbestimmten Rechtsbegriff der Befangenheit konkretisieren zu wollen,237 erscheint dabei jedoch wenig Erfolg versprechend: Die Mannigfaltigkeit potenzieller Voreingenommenheiten ist mit einer möglichst auslegungsfähigen Vorschrift
am besten zu begegnen. Jedoch könnten die Entscheidungskompetenz geändert
und die Frage der Selbstablehnung präzisiert werden:
Zum einen ist die Konstellation, dass die Richter eines Senats über die Befangenheit eines Kollegen entscheiden, ungeschickt. Die entscheidenden Richter
sind mit dem abgelehnten Kollegen eng verbunden und arbeiten bis zu zwölf
Jahre mit ihm zusammen, zwangsläufig kann in personalisierten Verfahren gegen
Kollegen in ihnen nicht die reine »Gerichtsvernunft«238 walten. Über die Befangenheitsanträge befinden somit Befangene.239 Die Vermutung »solidarischer Freisprüche«240 liegt nahe und wirft insbesondere angesichts der teilweise brachialen
Restriktionen, die das Gericht dem verfassungsprozessualen gegenüber jedem
anderen Befangenheitsbegriff aufgebürdet hat, einen dunklen Schatten über jede
zukünftige Entscheidung. Tendenziell existiert das Problem zwar auch in anderen
234 In den Fällen Leibholz, Rottmann und Kirchhof.
235 Zur Übersicht vgl. das Verzeichnis der ausgewerteten Entscheidungen des BVerfG im
Anhang.
236 Vgl. zur Diskussion Lars Brocker, Ausschluss und Ablehnung von Richtern des Bundesverfassungsgerichts, 92 f.
237 Lars Brocker, Ausschluss und Ablehnung von Richtern des Bundesverfassungsgerichts,
schlägt auf Seite 96 die Formulierung »Wegen Besorgnis der Befangenheit findet die
Ablehnung statt, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit eines Richters zu rechtfertigen.« vor.
238 Die nach Karl-Hermann Schütz, Die Ablehnung von Bundesverfassungsrichtern wegen
Besorgnis der Befangenheit, 41 f., dazu führen soll, dass »dank des Abstandes und der
Unvoreingenommenheit der über einen Ablehnungsantrag entscheidenden Richter« eine
»Ausuferung des Ablehnungsrechts« vermieden wird.
239 Worauf Ernst Benda, NJW 2000, 3620 (3621) und passim eloquent hinweist.
240 Ausdruck bei Rolf Lamprecht, NJW 1999, 2791.
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Prozessordnungen,241 die jedoch die Möglichkeit der sofortigen Beschwerde
gegen eine zurückgewiesene Ablehnung und also die Überprüfung durch Nicht-
Kollegen des betroffenen Richters vorsehen. Eine entsprechende Option besteht
im Verfassungsprozessrecht nicht. Neben der oben angeregten materiellen Änderung ist daher in Betracht zu ziehen, dass über Ablehnungen der jeweils andere
Senat entscheidet. Diese Idee ist gelegentlich als systembrüchig abgelehnt worden, weil sie »Schutz vor dem Verfassungsgericht durch das Verfassungsgericht«242 bedeute. Dieser Einwand überzeugt indes nicht. Ablehnungen wegen
Besorgnis der Befangenheit haben keine sachlichen Rechtsfragen zum Inhalt, die
in der Tat keiner Prüfungsrekursivität anheim fallen dürfen, sondern die Garantie
des gesetzlichen Richters. Über diese Frage bei Wahrung der sachlichen und
instanziellen Zuständigkeit in möglichst großer Unvoreingenommenheit zu entscheiden, ließe sich am ehesten bei einer Entscheidung des anderen Senats erreichen. Überdies könnte so noch ein weiteres offenes Problem gelöst werden: Der
Fall der Ablehnung von so vielen Richtern, dass der übrige Senat nicht mehr
beschlussfähig wäre. Die frühe Praxis des Gerichts, nacheinander über die Ablehnungen unter Mitwirkung ebenfalls abgelehnter Richter zu entscheiden, überzeugt wie gezeigt aufgrund des vorherzusehenden Ergebnisses nicht. Entschiede
der andere Senat, stellte sich das Problem von vornherein nicht.
Eine Klarstellung verdient die Frage der Selbstablehnung. Die Selbstablehnungen der Richter schwanken zwischen der bloßen Mitteilung von Umständen, die
die Besorgnis der Befangenheit begründen könnten, und der Bitte, von der weiteren Mitwirkung an der Entscheidung entbunden zu werden. Für die Entscheidung selbst darf diese Differenz wie gezeigt allenfalls indiziellen Charakter
haben. Gelegentlich ist jedoch kritisiert worden, dass es sich bei der bloßen
Anzeige von Umständen ohne, dass sich der Richter für befangen hält, um keine
echte Selbstablehnung handelt und der Richter deshalb nicht aus dem Verfahren
herausgenommen werden darf.243 Der Richter müsse sich vielmehr selbst tatsächlich für befangen halten und dies auch im Antrag ausdrücken.244 Diese Auffassung
hat zwar den exakten Wortlaut des § 19 Abs. 3 für sich, die Praxis des Bewertungsvorgangs und die Parallele zur Ablehnung durch einen Beteiligten jedoch
gegen sich. Zum einen wird die Formulierung der Selbstablehnung immer ein
Aspekt unter – möglichst – vielen sein, die der Senat zur Prüfung heranzieht. Dem
241 Vgl. etwa § 45 ZPO, demzufolge über eine Ablehnung das Gericht entscheidet, dem der
Abgelehnte angehört, sofern es ohne ihn beschlussfähig ist. Dies kann bei einer mit vier
Richtern besetzten Kammer am LG also durchaus dazu führen, dass über die Ablehnung
eines Richters seine drei Kammerkollegen entscheiden.
242 So Lars Brocker, Ausschluss und Ablehnung von Richtern des Bundesverfassungsgerichts,
96 f.
243 Lars Brocker, Ausschluss und Ablehnung von Richtern des Bundesverfassungsgerichts,
104 f.
244 Lars Brocker, DVBl. 1999, 1349 mwN auf sein Schrifttum.
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vorsichtigen Richter, der von seiner Befangenheit selbst nicht überzeugt ist,245
aber nicht ausschließen kann, dass aus der Sicht eines Beteiligten eine Voreingenommenheit angenommen werden darf, sollten formulierungstechnisch keine
Steine in den Weg gelegt werden. Das Verfassungsprozessrecht sollte ihn nicht zu
der Entscheidung nötigen, sich entweder befangener zu geben, als er sich selbst
(emp-)findet oder auf die Prüfung durch den Senat zu verzichten. Zum anderen
ist auch hier ein Gleichklang durch die Ablehnung eines Beteiligten herzustellen.
Dies ist nur durch einen formalen Unterschied möglich: Der Beteiligte wird einen
Richter dann ablehnen, wenn er von diesem einen für ihn ungünstigen Einfluss
auf das Verfahren befürchtet. Er wird daher seine rhetorischen Fähigkeiten ausschöpfen, den Richter als wirklich befangen darzustellen, selbst wenn er möglicherweise insgeheim Zweifel an der Befangenheit hegt. Der Richter selbst hat
jedoch regelmäßig lediglich das Interesse der Lauterkeit und des Ansehens auf
seiner Seite und in dem Verfahren direkt ohnehin nichts zu gewinnen oder verlieren, vom argumentativen Trommelwirbel eines insbesondere anwaltlich vertretenen Beteiligten ist er also weit entfernt. Es gibt für ihn keinen Grund, Zweifel an
seiner Befangenheit zu verhehlen – das aber entspricht nicht der typischen Ablehnung, die nur auf die erfolgreiche, nicht auf die erfolglose Bescheidung zielt.
Daher ist dem Vorschlag246 zuzustimmen, dass das BVerfGG in Anlehnung an die
§§ 30 StPO, 48 ZPO vom Richter lediglich verlangt, dass er »von einem Verhältnis Anzeige macht, das seine Ablehnung rechtfertigen könnte.«
245 Er muss nicht überzeugt sein: Hierzu eingängig Volker Epping, DÖD 1995, 148 (151); Diskussionsüberblick bei Lars Brocker, Ausschluss und Ablehnung von Richtern des Bundesverfassungsgerichts, 98 ff.
246 Von Volker Epping, DÖD 1995, 148 (152).
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References
Zusammenfassung
Bundesverfassungsrichter müssen fachlich hervorragend geeignet sein und vor ihrer Wahl durch profilierte Meinungsäußerungen auf sich aufmerksam gemacht haben – was folgt hieraus für die unvoreingenommene Beurteilung der ihnen vorgelegten Fragen? Der Leser gewinnt einen kritischen Überblick über die Chronologie der bundesverfassungsrichterlichen Befangenheit und Ausgeschlossenheit.
Die Untersuchung entwickelt aus etwa 50 Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts selbst und unter Anlehnung an den Topos der Verfassungsorgantreue Lösungsvorschläge für problematische Konstellationen. Sie trägt zur Meinungsbildung darüber bei, wann von einer unvoreingenommenen Entscheidungsfindung ausgegangen werden kann und macht das Gebot der gegenseitigen Rücksichtnahme der Verfassungsorgane für diese Fragen nutzbar.