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C. Beispiele
Im Folgenden werden exemplarisch für die umfangreichen Kontroversen darüber,
ob und ggf. wann eine neue Nutzungsart anzunehmen ist, einige technische Entwicklungen der vergangenen Jahrzehnte im Zusammenhang mit der Übertragung
von Fernsehsendungen sowie der Zweitauswertung von Filmen dargestellt:
Unstreitig ist zunächst, dass die fernsehmäßige Nutzung von Filmen gegenüber
der Kinovorführung als neue Nutzungsart anzusehen ist.220 Der BGH geht davon
aus, dass das Fernsehen schon seit 1939 bekannt ist221, was angesichts der ungeheuren wirtschaftlichen Bedeutung, die das Fernsehen inzwischen einnimmt und
die keiner hätte erahnen können, als verfehlt angesehen wird222.
Satelliten- und Kabelfernsehen stellen nach Auffassung des BGH gegenüber
der terrestrischen Ausstrahlung von Rundfunksendungen jeweils keine neue Nutzungsart im Sinne des § 31 Abs. 4 UrhG a.F. dar, sondern sind lediglich technische Fortschritte, welche die bisher übliche Nutzungsmöglichkeit aus Sicht der
Endverbraucher nicht entscheidend in ihrem Wesen verändern.223 In der Literatur
wurde diese Entscheidung zum Teil mit dem Argument abgelehnt, dass Satellitensendung und Kabelweiterleitung regelmäßig eine gegenüber der Terrestrik
intensivere Nutzung ermöglichten.224
Da die Digitalisierung eines Werkes allein noch keine neue Nutzungsart darstellt225, ist das Digitalfernsehen nach herrschender Meinung im Vergleich zum
herkömmlichen analogen Fernsehen ebenfalls nicht ohne weiteres als eigenständige Nutzungsart zu beurteilen.226 Erst zusätzliche Umstände (z.B. größere Sendekapazitäten, die wiederum Spartenprogramme für spezielle Zuschauerkreise
ermöglichen oder die Möglichkeit des Zuschauers, einzelne Sendungen auszu-
220 Ausführlich: Donhauser, S. 71 ff.
221 BGH, GRUR 1982, 727, 730 f. – Altverträge.
222 LG Berlin, GRUR 1983, 438, 440 – Joseph Roth; Fromm/Nordemann/Hertin, §§ 31/32
UrhG Rn. 14; Wandtke/Grunert in Wandtke/Bullinger, § 31 UrhG Rn. 64.
223 BGH, GRUR 1997, 215, 217 – Klimbim; BGH, NJW 2001, 2402, 2405 – Barfuss im Bett.
224 Wandtke/Grunert in Wandtke/Bullinger, § 31 UrhG Rn. 45; Schricker/Schricker, § 31
UrhG Rn. 30; Fitzek, S. 100 ff.; Donhauser, S. 147 f. (die als Bekanntheitszeitpunkt für
die Kabelweitersendung das Jahr 1978 und für das Satellitenfernsehen das Jahr 1985
angibt, S. 148 f.); Schricker, EWiR, 1996, 1139, 1140; Loewenheim, GRUR 1997, 220.
225 BGH, GRUR 2002, 248, 252 – SPIEGEL-CD-ROM; Schricker/Schricker, § 31 UrhG Rn.
30 a; Möhring/Nicolini/Lütje, § 88 UrhG Rn. 48; Schack, Rn. 551; Fitzek, S. 108 f.;
Zscherpe, S. 140 f.; Hoeren, MMR 2002, 233; von Gamm, ZUM 1994, 591, 593; Schwarz,
GRUR 1996, 836, 837; a.A. Dreier/Schulze/Schulze, § 31 UrhG Rn. 96; Lehmann, S. 61;
Maaßen, ZUM 1992, 338, 349 (Bekanntheitszeitpunkt: 1988); Schulze, ZUM 2000, 432,
439; wohl auch Wandtke/Grunert in Wandtke/Bullinger, § 31 UrhG Rn. 48.
226 Schricker/Katzenberger, § 88 UrhG Rn. 48; Becker/Dreier/Dreier, Urheberrecht und digitale Technologie, S. 145; von Gamm, ZUM 1994, 591, 593; Schwarz, ZUM 1997, 94, 95;
ders., GRUR 1996, 836, 837; Reber, GRUR 1998, 792, 795; Zscherpe; S. 169; a.A. LG
München I, NJW-RR 2000, 1148, 1149 – Pauschale Rechtseinräumung an Fernsehproduktion.
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wählen oder das Programm über einen Rückkanal aktiv mitzugestalten) sollen zu
einer wirtschaftlichen Selbstständigkeit und damit einer eigenständigen Nutzungsart führen können.227
Bedenklich ist die in der Literatur erfolgende pauschale Einordnung der Übertragung von Rundfunksendungen im Internet als neue Nutzungsart228, die seit
1995229 bzw. 1999230 bekannt ist. Dabei wird nämlich oftmals nicht zwischen dem
Live-Webcasting und dem individuellen Abruf einzelner Produktionen unterschieden.231 Unter Zugrundelegung der Klimbim-Entscheidung des BGH könnte
man das Live-Webcasting übers Internet durchaus lediglich als einen neuen Übertragungsweg einordnen.232 So nimmt die Rechtsprechung bislang nur für die Digitalisierung und Bereitstellung eines Fernsehmagazinbeitrags im Internet ausdrücklich eine gegenüber der Ausstrahlung im Fernsehen neue Nutzungsart an.233
Weniger die Übertragungstechnologie als vielmehr die Vertriebsform unterscheidet schließlich das Pay-TV vom herkömmlichen, frei zugänglichen Fernsehen. Ob dies für die Annahme einer neuen Nutzungsart ausreicht, ist umstritten.
Nach der wohl herrschenden Meinung sollen sowohl das »klassische« Pay-TV
(Abonnement des gesamten Programms234) als auch das Pay-per-View (Abruf und
Bezahlung einer bestimmten Einzelsendung235) jeweils gegenüber dem Free-TV
selbstständige Nutzungsarten sein.236 Als Bekanntheitszeitpunkt wird für das
Pay-TV das Jahr 1991237, Mitte der 90er Jahre238 oder die 90er Jahre allgemein239
angegeben. Pay-per-View soll dagegen erst seit wenigen Jahren bekannt sein.240
227 Schricker/Katzenberger, § 88 UrhG Rn. 48; a.A. Möhring/Nicolini/Lütje, § 88 UrhG Rn.
53; Schwarz, GRUR 1996, 836, 837.
228 Schricker/Katzenberger, § 88 UrhG Rn. 48; Wandtke/Grunert in Wandtke/Bullinger, § 31
UrhG Rn. 60; Möhring/Nicolini/Lütje, § 88 UrhG Rn. 55; Donhauser, S. 150.
229 Frohne, ZUM 2000, 810, 813.
230 Donhauser, S. 150.
231 Frohne, ZUM 2000, 810, 813.
232 Frohne, ZUM 2000, 810, 813; Sasse/Waldhausen, ZUM 2000, 837, 842; Schwarz, ZUM
2000, 816, 822 ff.; Schardt, ZUM 2000, 849, 853; ähnlich: Drewes, S. 106 f.
233 LG München I, NJW-RR 2000, 1148, 1149 – Pauschale Rechtseinräumung an Fernsehproduktion.
234 Zscherpe, S. 145.
235 Zscherpe, S. 145.
236 Dreier/Schulze/Schulze, § 31 UrhG Rn. 91; Schricker/Schricker, § 31 UrhG Rn. 30 a;
Wandtke/Grunert in Wandtke/Bullinger, § 31 UrhG Rn. 46; Fromm/Nordemann/Hertin,
§§ 31/32 UrhG Rn. 18; Fitzek, S. 130 ff., 139 ff.; a.A. KG, ZUM-RD 2000, 384 – Nutzungsrechte an in der ehemaligen DDR hergestellten Filmen; Drewes, S. 105; Zscherpe,
S. 169; Schwarz, GRUR 1996, 836, 837; Platho, ZUM 1986, 572, 578; Reber, GRUR 1998,
792, 797.
237 Fitzek, S. 224 f.
238 Wandtke/Grunert in Wandtke/Bullinger, § 31 UrhG Rn. 46; Donhauser, S. 149.
239 Ernst, GRUR 1997, 592, 596.
240 Wandtke/Grunert in Wandtke/Bullinger, § 31 UrhG Rn. 46; a.A. Donhauser, S. 149,
Dreier/Schulze/Schulze, § 31 UrhG Rn. 91 (die auch hinsichtlich des Pay-per-View von
einer Bekanntheit seit Anfang bzw. Mitte der 90er Jahre ausgehen).
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Neue technische Entwicklungen werden auch in Zukunft zu weiteren neuen
Nutzungsarten rund um die Übertragung von Fernsehsendungen führen. Insbesondere im Hinblick auf das sich derzeit noch in den Startlöchern befindende
»Handy-TV« sind ausgiebige Diskussionen darüber zu erwarten, ob eine neue
Nutzungsart vorliegt.241
Die letzte höchstrichterliche Entscheidung zu § 31 Abs. 4 UrhG a.F. betraf die
Zweitauswertung von Spielfilmen auf DVD.242 Diese stellt nach Auffassung des
BGH im Verhältnis zur herkömmlichen Videozweitauswertung keine neue Nutzungsart dar, da die DVD auf längere Sicht die herkömmliche Videokassette
ersetzen werde und daher keinen neuen Markt erschließe, sondern nur eine herkömmliche Verwendungsform substituiere.243 Es könne nicht festgestellt werden,
dass aufgrund der technischen Neuerungen der DVD neben dem Videokassetten-
Markt ein neuer Absatzmarkt entstehen werde.244 In der Literatur ist man hingegen geteilter Auffassung darüber, ob die Verwertung von Filmen auf DVD eine
eigenständige Nutzungsart begründet.245 Diejenigen, die eine neue Nutzungsart
annehmen, verweisen auf die zahlreichen technischen Verbesserungen und
Erweiterungen, welche die DVD im Vergleich zur Videokassette aufweise. Die
sich hieraus ergebenden veränderten Nutzungsmöglichkeiten der Endverbraucher
dürften nicht unberücksichtigt bleiben (z.B. mehrere Sprachfassungen, unterschiedliche Filmabläufe und Kameraperspektiven, Kommentare, Interviews,
Standbilder, etc.).246 Auch das Substitutionsargument könne nicht durchgreifen,
da die Verkaufszahlen belegten, dass durch die DVD ein neuer Massenmarkt
generiert worden sei.247 Dabei wurde auch auf die derzeit noch parallel laufende
Vermarktung von Videokassetten und DVD hingewiesen.248
Die angeführten Beispiele vermitteln einen ungefähren Eindruck dafür, mit
welchen – jahrelangen – Rechtsunsicherheiten Verwerter und Urheber bislang zu
kämpfen hatten, wenn sie künftige Nutzungsmöglichkeiten im Vertrag antizipieren wollten. Gleichzeitig belegt insbesondere auch die jüngste Entscheidung zur
Filmauswertung auf DVD, dass vor allem der BGH den Begriff der unbekannten
Nutzungsart bisher sehr restriktiv ausgelegt hat. Ob hieran in Zukunft festgehal-
241 Gegen die Annahme einer neuen Nutzungsart bereits jetzt: Ory, ZUM 2007, 7, 8. Ausführlich zur Lizenzierung im Rahmen des Handy-TV: Bauer/von Einem, MMR 2007, 698,
700f.
242 BGH, GRUR 2005, 937 ff. – Der Zauberberg.
243 BGH, GRUR 2005, 937, 939 f.– Der Zauberberg.
244 BGH, GRUR 2005, 937, 940 – Der Zauberberg.
245 Gegen die Annahme einer neuen Nutzungsart: Donhauser, S. 146; Drewes, S. 120 f.; Rehbinder, Rn. 547; Castendyk, ZUM 2002, 332, 345 f.; von Petersdorff-Campen, ZUM 2002,
74 ff.; Fette, ZUM 2003, 49 ff.; Loewenheim, GRUR 2004, 36, 38 ff. Für die Annahme
einer neuen Nutzungsart: Dreier/Schulze/Schulze, § 31 UrhG Rn. 98; Wandtke/Grunert in
Wandtke/Bullinger, § 31 UrhG Rn. 67; Schack, Rn. 551; Katzenberger, GRUR Int. 2003,
889, 897 ff.; ders., GRUR Int. 2005, 215; Stieper/Frank, MMR 2000, 643, 646 f.; Reber,
GRUR 1998, 792, 797; ders., MMR 2001, 829 f. (Bekanntheit ab Mitte 1999).
246 Katzenberger, GRUR Int. 2005, 215, 217; Reber, GRUR 1998, 792, 797.
247 Katzenberger, GRUR Int. 2005, 215, 218 f.; Reber, MMR 2001, 829, 830.
248 Stieper/Frank, MMR 2000, 643, 646.
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ten wird, bleibt angesichts der nun veränderten Rechtsfolgen, die an das Vorliegen
einer unbekannten Nutzungsart geknüpft werden, abzuwarten. So hat der BGH
seine restriktive Rechtsprechung damit begründet, dass § 31 Abs. 4 UrhG a.F. die
wirtschaftlich-technische Fortentwicklung der Werknutzungen nicht behindern
dürfe.249 Nachdem die strenge Unwirksamkeitsfolge des § 31 Abs. 4 UrhG a.F.
aufgehoben wurde, könnte nun auch der BGH zu einer großzügigeren Auslegung
tendieren. Dies ist zu berücksichtigen, wenn man künftig bei der Bestimmung des
Anwendungsbereichs der §§ 31 a, 32 c UrhG auf die zur alten Rechtslage vertretenen Ansichten zurückgreift.
249 BGH, GRUR 1997, 215, 217 – Klimbim.
Chapter Preview
References
Zusammenfassung
Seit Inkrafttreten des Zweiten Gesetzes zur Regelung des Urheberrechts in der Informationsgesellschaft („Zweiter Korb“) am 1.1.2008 können Urheber nunmehr auch die Rechte zur Nutzung ihrer Werke in unbekannten Nutzungsarten wirksam übertragen.
Das Verbot solcher Verträge wurde ersetzt durch Bestimmungen zum Vertragsschluss und durch Einführung eines Widerrufsrechts sowie eines gesetzlichen Vergütungsanspruchs zum Schutz der Urheber. Die Verfasserin stellt die Neuregelung sowie ihre Auswirkungen auf die Vertragspraxis vor. Dabei kommt sie zu dem Ergebnis, dass die Verwertungshemmnisse, die nach alter Rechtslage bestanden, im Wesentlichen überwunden sind, dass dabei aber auch die Interessen der Urheber aufgrund der neuen Bestimmungen angemessen gewahrt werden. Abschließend werden die Punkte zusammengefasst, an denen noch eine Nachbesserung des Gesetzgebers erfolgen sollte.
Die Autorin ist derzeit Mitglied der Kammer für Urhebersachen am LG Hamburg.