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Europarat von albanischen Experten eine zentrale Rolle, vor allem bei der Rechtsund Justizreform, zugemessen.
6.1. Die Ziele des Europarats in Albanien
Die Aktivitäten des Europarats in Albanien zielten auf eine Unterstützung bei der
Demokratisierung ab, insbesondere beim institutionellen Aufbau im Bereich des
Rechts- und Justizsystems und beim Schutz der Menschenrechte. Vor allem nach der
Staatskrise von 1997 begleitete der Europarat durch Beratung und die Durchführung
von Unterstützungsprojekten die umfassende gesetzliche und institutionelle Reform
des Justizwesens. Der Europarat zielte mit seinen Kooperationsprogrammen darauf
ab, zu einer Stabilisierung der Situation in Albanien beizutragen und das Land dazu
zu befähigen, die durch die Mitgliedschaft und die Unterzeichnung von Konventionen und Protokollen des Europarats eingegangenen Verpflichtungen, wie u.a. der
Europäischen Menschenrechtskonvention, zu erfüllen (vgl. Council of Europe
1998). Ein großer Teil der Unterstützung des Europarats wurde seit 1993 im Rahmen der sog. „Gemeinsamen Programme“ mit der Europäischen Kommission
durchgeführt. Sie zielten in den ersten Jahren der Unterstützung vor allem auf die
Schaffung der gesetzlichen Grundlagen und der institutionellen Reformen im Bereich des Rechts- und Justizsystems ab. Im Vordergrund der Bemühungen des Europarats nach 1997 stand vor allem das Ziel, die Entwicklung einer europäischen
Standards entsprechenden Gesetzgebung zu erreichen. Darüber hinaus unterstützte
er die Modernisierung des albanischen Rechts- und Justizsystems sowie die Einhaltung der Menschenrechte. Insgesamt hatte die paneuropäische intergouvernementale
Zusammenarbeit im Europarat die Funktion der Heranführung Albaniens an die
europäischen Strukturen und fungierte zugleich als „demokratisches Gütesiegel“ für
die Bestrebungen Albaniens, sich der EU anzunähern.
6.2. Der Europarat als Akteur in Albanien: Struktur und Organisation
Der Europarat eröffnete erst im März 1997 ein lokales Büro in Tirana. Grund dafür
war, dass „given Albania’s domestic administrative culture, which relies heavily on
personal experience, experience shows that a permanent Council of Europe presence
in Tirana (…) was indispensable to the efficient implementation of the Co-operation
Programme“ (Council of Europe 1998: 4). Bis 2003 war der Europarat in Albanien
durch einen Speziellen Repräsentanten des Generalsekretärs vertreten. Sein Mandat
war es, eine politische Präsenz des Europarats in Albanien aufzubauen, um seine
Sichtbarkeit zu erhöhen und die Durchführung und Koordination seiner Kooperationsprogramme zu verbessern.
Als erster Spezieller Repräsentant des Europarats in Albanien nahm am 15. Juli
1998 der Grieche Andreas Papaconstantinou seine Tätigkeit als Büroleiter auf. Er
bemühte sich in der ersten Zeit vor allem darum, Kontakte zu allen wichtigen politi-
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schen Akteuren vor Ort aufzubauen und das Engagement der internationalen Gemeinschaft für eine Stabilisierung des Landes zu unterstützen.375 Am 31. März 1999
nahm die Türkin Reyhan Akant ihre Arbeit als Spezielle Repräsentantin in Tirana
auf. Ihr Nachfolger wurde am 23. Mai 2000 der Däne Jürgen Grünnet. Während die
Projektsteuerung im wesentlichen vom Sekretariat des Europarats in Straßburg aus
erfolgte, war es die Aufgabe der lokalen Repräsentanz des Europarats in Albanien,
die Durchführung der Kooperationsprojekte in Albanien und die Koordination mit
den Aktivitäten anderer internationaler Organisationen zu unterstützen (vgl. Council
of Europe 2000 b).376
Ein großer Teil der Unterstützung und Beratung des Europarats fand in der Form
von „Missionen“ statt, bei denen internationale Experten des Europarats für mehrere
Tage nach Albanien „eingeflogen“ wurden. Eine solche punktuelle Arbeitsweise
konnte zwar eine kurzzeitige Wissensvermittlung garantieren, aber nicht eine kontinuierliche Arbeit mit den albanischen Behörden vor Ort ersetzen. Darüber hinaus
erfolgte die Unterstützung durch die Übersetzung und Veröffentlichung von offiziellen Texten des Europarats, die Durchführung von Seminaren, runden Tischen und
Konferenzen. Schließlich führte das Büro Europarat-Kampagnen (z.B. zum internationalen Tag der Menschenrechte) durch und arbeitete mit der Zivilgesellschaft in
den Bereichen Demokratie, Rechtsstaat und Menschenrechte zusammen.377
Die Präsenz des Speziellen Repräsentanten des Europarats in Albanien wurde im
Juni 2003 in ein Informationszentrum umgewandelt, das zentral am großen Skanderbergplatz im Herzen Tiranas gelegen ist.378 Im Juli 2003 verließ der Spezielle
Repräsentant des Generalsekretärs Albanien. Die Unterstützung der Kooperationsprojekte wurde fortan von einer albanischen Projektkoordinatorin vor Ort geleistet.
Später entschied der Europarat, das Informationsbüro „aufzuwerten“, indem ihm ein
internationaler Berater, Guy-Michel Brandtner, zur Seite gestellt wurde. Er nahm
seinen Dienst am 1. März 2004 auf. Das Zentrum, das ausschließlich durch den Europarat finanziert wird, dient der Information der albanischen Öffentlichkeit und der
Zivilgesellschaft über die Arbeit des Europarats und des Europäischen Gerichtshofs
für Menschenrechte, seine Standards sowie seine Aktivitäten.
Der Europarat unterstützte seit 1993 mit fünf Kooperationsprogrammen die
Rechts- und Justizreform in Albanien. Die Programme zielten darauf ab, den Aufbau
eines auf europäischen Normen und Standards beruhenden Rechts- und Justizsystems zu unterstützen und den Schutz der Menschenrechte zu stärken. Die Kooperationsprogramme des Europarats wurden zusammen mit der Europäischen Kommissi-
375 Vgl. http://assembly.coe.int/Mainf.asp?link=/Documents/WorkingDocs/Doc98/EDOC8242.htm
(Zugriff: 12.3.2007).
376 Interview mit einem Mitarbeiter des Europarats, am 13.2.2003 in Tirana.
377 Vgl. http://www.coealb.org (Zugriff: 30.12.2006).
378 Grundlage des Europarats-Informationsbüro war ein Memorandum of Understanding zwischen der albanischen Regierung und dem Europarat (vgl. http://www.coealb.org).
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on durchgeführt.379 In der Praxis lag die Verantwortung für die Konzeptualisierung
und Durchführung (trotz gemeinsamer Planungs- und Evaluierungssitzungen) allerdings vor allem beim Europarat, während sich die Europäische Kommission in erster
Linie durch die Bereitstellung des überwiegenden Teils der finanziellen Mittel (ca.
80 Prozent des Finanzvolumens) engagierte. Die folgende Tabelle gibt einen Überblick über die zwischen 1993 und 2005 durchgeführten gemeinsamen Programme.
Tabelle 55: Die Gemeinsamen Programme von Europarat und Europäischer
Kommission zur Unterstützung Albaniens (1993–2005)
Nr. Zeitraum Finanzvolumen*
Beitrag Europäische Kommission
Beitrag
Europarat
I 1/1993–2/1995 k.A. k.A. k.A.
II 3/1995–12/1998 k.A. k.A. k.A.
III 1/1999–7/2001 1.348.000 EUR 1.000.000 EUR 348.000 EUR
IV BIS 3/2001–4/2003 750.000 EUR 600.000 EUR 150.000 EUR
IV 11/2003–11/2005 1.260.846 EUR 1.008.646 EUR 252.200 EUR
* Das gesamte Finanzvolumen der Programme I bis III umfasste ca. 3,3 Mio. EUR (vgl.
http://www.jp.coe.int/ programmes/albaniaIIIbis).
Die Zusammenarbeit zwischen der Europäischen Kommission und dem Europarat
verlief nach Aussagen eines Mitarbeiters des Europarats gut.380 Zur Programmkoordination fanden zwei bis drei Mal pro Jahr Treffen des Leitungskomitees des Gemeinsamen Programms entweder in Tirana, Straßburg oder Brüssel statt. Das Leitungskomitee setzt sich aus den jeweiligen Vertretern des Europarats, der Europäischen Kommission und den relevanten albanischen Institutionen zusammen und
diente der Planung, der Koordinierung und der Evaluierung der Gemeinsamen Programme. Die Vielzahl der involvierten Akteure erschwerte allerdings die Kooperation. So mussten Absprachen z.B. jeweils zwischen dem Sekretariat des Europarats in
Straßburg, seiner Vertretung in Tirana, der Europäischen Kommission in Brüssel
und der Delegation der Europäischen Kommission in Tirana getroffen werden.
Über die Teilnahme am Leitungskomitee hinaus war die Europäische Kommission wenig in den Prozess involviert, in dem die Prioritäten der Gemeinsamen Programme festgelegt wurden.381 Die Gestaltung der Programme legte im Wesentlichen
379 Vgl. http://www.jp.coe.int (Zugriff: 2.1.2007). Solche „Joint Programmes“ werden auch mit
anderen Mitgliedsländern des Europarats durchgeführt.
380 Interview mit einem Mitarbeiter des Europarats, am 13.2.2003 in Tirana. Soweit nicht anders
angegeben, stammen die folgenden Informationen aus diesem Interview.
381 Zumindest bis 2003 war das laut der Interviews, die die Verfasserin 2003 in Albanien durchführte, der Fall. Mit dem Prozess der Dekonzentration der Europäischen Kommission, durch
den die EU-Delegationen neue Aufgaben erhielten, war die Erwartung verbunden, dass sich
die Beteiligung der Europäischen Kommission intensivieren würde. Ob es tatsächlich dazu
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der Europarat in Straßburg fest. Während der Europarat die Aktivitäten vor Ort
durchführte, bot die Kommission Vorschläge und allgemeine Unterstützung für das
Programm an. Eine Evaluierung aus dem Jahr 2003, deren Ergebnisse nicht veröffentlicht wurden, kritisierte, dass die Gemeinsamen Programme bis dahin zu wenig
kohärent gewesen seien und stärker als eine gemeinsame Initiative der albanischen
Regierung, des Europarats und der Europäischen Kommission gestaltet werden
müssten. Außerdem würden sie noch zu wenig von den verantwortlichen albanischen Institutionen getragen. Die letzte Bemerkung verweist auf die geringe Involvierung der albanischen Regierung in die Entwicklung der jeweiligen Programme.
Trotzdem hat sich nach Ansicht des Europarats die Tatsache, dass Albanien Mitglied des Europarats ist, grundsätzlich positiv auf die Zusammenarbeit der drei Partner des Programms ausgewirkt. „(M)uch of the work of the Joint Programme could
be carried out in very close and privileged co-operation with the Albanian authorities“ (vgl. Council of Europe/European Commission 2002 a: 8). So ist z.B. die Zusammenarbeit aller drei Akteure im Leitungskomitee des Gemeinsamen Programms
zumindest ein Zeichen für eine größere Partizipation an der Programmgestaltung.
Bei anderen internationalen Organisationen bestand eine solche institutionalisierte
Form der Kooperation nicht.
6.3. Die Instrumente der Integration und Demokratisierung
Der Europarat unterstützte Albanien bei der Justiz- und Rechtsreform und dem
Schutz der Menschenrechte in Albanien im Rahmen der Gemeinsamen Programme
vor allem durch zwei Instrumente.382 Das erste Instrument bestand im politischen
Dialog, dem Monitoring und der Beratung der albanischen Regierung, u.a. durch die
Bereitstellung internationaler und nationaler Expertisen. Dabei stand die Unterstützung bei der strukturellen Reform der Rechtsinstitutionen und der Modernisierung
der Gesetzgebung in Übereinstimmung mit europäischen Normen und Standards im
Vordergrund. Thematisch engagierte sich der Europarat in einem breiten Spektrum
von Themenfeldern, das von Fragen des Menschenhandels über Anti-Korruptionsmaßnahmen bis zu Minderheiten reichte.
Als zweites Instrument führte der Europarat Projekte zur fachlichen und personellen Unterstützung von Institutionen des Rechts- und Justizsystems durch. Dies geschah in Form von Seminaren, Workshops, Expertenmissionen, Studienreisen und
kam, konnte im Rahmen der empirischen Forschung nicht mehr nachgeprüft werden, da die
Feldforschungsphase 2003 abgeschlossen wurde.
382 Neben dem binationalen Kooperationsprogramm mit Albanien engagierte sich der Europarat
darüber hinaus mit verschiedenen regionalen Initiativen für die Demokratisierung Südosteuropas, u.a. mit der „Group of States against Corruption“ (GRECO) (vgl. http://www.coe.int/
t/dg1/greco) oder dem „Programme against corruption and organized crime“ (PACO) (vgl.
http://www.coe.int/paco-impact). Hier sollen allerdings nur die nationalen Programme berücksichtigt werden.
Chapter Preview
References
Zusammenfassung
Im Schnittfeld von Transformations- und Integrationsforschung bietet die Arbeit eine detaillierte Auseinandersetzung mit den Einflussmöglichkeiten europäischer Institutionen auf die Demokratisierung in Südosteuropa. Analysiert wird die Demokratisierungshilfe von EU, OSZE und Europarat am wenig untersuchten Fall des „scheinheiligen Demokratisierers“ Albanien. Scheinheilige Demokratisierer stellen die Demokratisierungsbemühungen europäischer Organisationen in Südosteuropa vor große Herausforderungen. Wegen der prekären Sicherheitslage weisen sie einen erhöhten Stabilisierungsbedarf auf und begrenzten dadurch die Wirkung des Engagements der europäischen Akteure. In Auseinandersetzung mit den Forschungsansätzen der Internationalen Sozialisierung, der Europäisierung und der Konditionalität leistet die Arbeit einen Beitrag zur Debatte über die Rolle externer Akteure und untersucht die Wirkungszusammenhänge zwischen der internationalen und nationalen Dimension der Demokratisierung von Transformationsländern. Die Ergebnisse der Studie werfen einen kritischen Blick auf die EU-Konditionalität und zeigen die Notwendigkeit einer neuen Integrationsstrategie für die Länder Südosteuropas auf.