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6. Der Europarat in Albanien
Das wesentliche Ziel des Europarats seit 1989 besteht darin, die jungen Demokratien
in Mittel- und Osteuropa beim Schutz der Menschenrechte und der Durchführung
ihrer politischen, rechtlichen und konstitutionellen Reformen zu unterstützen.373
Außerdem stellt der Europarat fachliche Beratung in den Bereichen Menschenrechte, kommunale Demokratie, Erziehung, Kultur und Umwelt zur Verfügung.
Albanien wurde nach der Beobachtung seiner ersten pluralistischen Wahlen 1991
durch die parlamentarische Versammlung des Europarats am 25. November 1991 der
Status als „spezieller Gast“ beim Europarat verliehen. Der Europarat kam damit dem
Streben Albaniens nach Integration in die europäischen Strukturen nach. Die pluralistischen Wahlen vom März 1992 eröffneten den Weg für eine engere Beziehung
Albaniens mit dem Europarat. Er mündete darin, dass Albanien im Mai 1992 einen
Antrag auf Aufnahme an das Ministerkomitee des Europarats stellte. Das Ministerkomitee gelangte zur Ansicht, dass Albanien Fortschritte im Bereich der Gesetzgebung und der Annäherung an die Prinzipien des Europarats und der Europäischen
Menschenrechtskonvention gemacht hätte, und beschloss am 10. Juli 1995 die Aufnahme Albaniens als 35. Mitglied in den Europarat (vgl. Council of Europe 1995 b).
Albanien wurde somit in einem frühen Stadium seines Transformationsprozesses in
den Europarat aufgenommen. Damit verpflichtete sich das Land den Prinzipien des
Europarats, die den Schutz der Menschenrechte und der parlamentarischen Demokratie, die Entwicklung einer pluralistischen Gesellschaft und eines Rechtsstaats, die
kulturelle Identität und Vielfalt umfassen (vgl. Council of Europe 1949).
In der Stellungnahme der Parlamentarischen Versammlung des Europarats zum
Beitritt Albaniens wurde allerdings betont, dass „(c)riticism will persist in regard to
Albania’s judicial and penal systems and the administration of justice. (…) Progress
must be assesed in the context of immense material difficulties, following the collapse of an isolationist totalitarian dictatorship“ (Council of Europe 1995 a: 2). Um
Albanien auf eine Mitgliedschaft im Europarat vorzubereiten und das Land nach der
Aufnahme bei der Umsetzung seiner Verpflichtungen als Mitglied des Europarats zu
unterstützen, führte der Europarat bereits seit 1993 kontinuierlich Kooperationsprogramme mit Albanien durch.374
Angesichts geringer finanzieller Mittel war das Unterstützungsangebot des Europarats im Vergleich zur OSZE und der EU jedoch relativ klein. Trotzdem wird dem
373 Vgl. http://www.coe.int (Zugriff: 24.3.2007).
374 Über die Unterstützung des Europarats in Albanien sind keine Evaluierungen veröffentlicht.
Die Informationen sind zum einen den Dokumenten des Europarats und vor allem den Interviews mit den Mitarbeitern des Europarats bzw. Vertretern albanischer Institutionen, die vom
Europarat unterstützt wurden, entnommen.
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Europarat von albanischen Experten eine zentrale Rolle, vor allem bei der Rechtsund Justizreform, zugemessen.
6.1. Die Ziele des Europarats in Albanien
Die Aktivitäten des Europarats in Albanien zielten auf eine Unterstützung bei der
Demokratisierung ab, insbesondere beim institutionellen Aufbau im Bereich des
Rechts- und Justizsystems und beim Schutz der Menschenrechte. Vor allem nach der
Staatskrise von 1997 begleitete der Europarat durch Beratung und die Durchführung
von Unterstützungsprojekten die umfassende gesetzliche und institutionelle Reform
des Justizwesens. Der Europarat zielte mit seinen Kooperationsprogrammen darauf
ab, zu einer Stabilisierung der Situation in Albanien beizutragen und das Land dazu
zu befähigen, die durch die Mitgliedschaft und die Unterzeichnung von Konventionen und Protokollen des Europarats eingegangenen Verpflichtungen, wie u.a. der
Europäischen Menschenrechtskonvention, zu erfüllen (vgl. Council of Europe
1998). Ein großer Teil der Unterstützung des Europarats wurde seit 1993 im Rahmen der sog. „Gemeinsamen Programme“ mit der Europäischen Kommission
durchgeführt. Sie zielten in den ersten Jahren der Unterstützung vor allem auf die
Schaffung der gesetzlichen Grundlagen und der institutionellen Reformen im Bereich des Rechts- und Justizsystems ab. Im Vordergrund der Bemühungen des Europarats nach 1997 stand vor allem das Ziel, die Entwicklung einer europäischen
Standards entsprechenden Gesetzgebung zu erreichen. Darüber hinaus unterstützte
er die Modernisierung des albanischen Rechts- und Justizsystems sowie die Einhaltung der Menschenrechte. Insgesamt hatte die paneuropäische intergouvernementale
Zusammenarbeit im Europarat die Funktion der Heranführung Albaniens an die
europäischen Strukturen und fungierte zugleich als „demokratisches Gütesiegel“ für
die Bestrebungen Albaniens, sich der EU anzunähern.
6.2. Der Europarat als Akteur in Albanien: Struktur und Organisation
Der Europarat eröffnete erst im März 1997 ein lokales Büro in Tirana. Grund dafür
war, dass „given Albania’s domestic administrative culture, which relies heavily on
personal experience, experience shows that a permanent Council of Europe presence
in Tirana (…) was indispensable to the efficient implementation of the Co-operation
Programme“ (Council of Europe 1998: 4). Bis 2003 war der Europarat in Albanien
durch einen Speziellen Repräsentanten des Generalsekretärs vertreten. Sein Mandat
war es, eine politische Präsenz des Europarats in Albanien aufzubauen, um seine
Sichtbarkeit zu erhöhen und die Durchführung und Koordination seiner Kooperationsprogramme zu verbessern.
Als erster Spezieller Repräsentant des Europarats in Albanien nahm am 15. Juli
1998 der Grieche Andreas Papaconstantinou seine Tätigkeit als Büroleiter auf. Er
bemühte sich in der ersten Zeit vor allem darum, Kontakte zu allen wichtigen politi-
Chapter Preview
References
Zusammenfassung
Im Schnittfeld von Transformations- und Integrationsforschung bietet die Arbeit eine detaillierte Auseinandersetzung mit den Einflussmöglichkeiten europäischer Institutionen auf die Demokratisierung in Südosteuropa. Analysiert wird die Demokratisierungshilfe von EU, OSZE und Europarat am wenig untersuchten Fall des „scheinheiligen Demokratisierers“ Albanien. Scheinheilige Demokratisierer stellen die Demokratisierungsbemühungen europäischer Organisationen in Südosteuropa vor große Herausforderungen. Wegen der prekären Sicherheitslage weisen sie einen erhöhten Stabilisierungsbedarf auf und begrenzten dadurch die Wirkung des Engagements der europäischen Akteure. In Auseinandersetzung mit den Forschungsansätzen der Internationalen Sozialisierung, der Europäisierung und der Konditionalität leistet die Arbeit einen Beitrag zur Debatte über die Rolle externer Akteure und untersucht die Wirkungszusammenhänge zwischen der internationalen und nationalen Dimension der Demokratisierung von Transformationsländern. Die Ergebnisse der Studie werfen einen kritischen Blick auf die EU-Konditionalität und zeigen die Notwendigkeit einer neuen Integrationsstrategie für die Länder Südosteuropas auf.