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Die OSZE hat nach Angaben des Leiters einer NRO mit der Etablierung der
ZGEZ einen wichtigen Beitrag zur Stärkung und der Vernetzung von zivilgesellschaftlichen Organisationen geleistet.371 Im Gegensatz zur EU, die mit ihrem Instrument der „call for proposal“ nur jeweils diejenigen NROs unterstützt, deren
Aktivitäten sich in einem von der EU gewünschten thematischen Rahmen bewegen,
etablierte die OSZE eine Struktur, die NROs langfristig eine Unterstützung bei ihrer
Arbeit – ihren eigenen Prioritäten entsprechend – bietet. Die ZGEZ können daher
unter dem Gesichtspunkt der Nachhaltigkeit und „ownership“ als ein positiver Ansatz bezeichnet werden. Eine externe Evaluierung kam zu dem Ergebnis, dass die
ZGEZ die einzigen regionalen Zentren mit diesem Angebot für zivilgesellschaftliche
Gruppen sind.372
5.4. Zwischenfazit
Wie deutlich wurde, war die OSZE neben der EU ein bedeutender Akteur im Demokratisierungsprozess Albaniens. Sie spielte während der ersten Jahre ihrer Präsenz
nach der Krise im Jahr 1997 eine zentrale, stabilisierende Rolle. Ihre hohe Bedeutung als Akteur in den durch wiederkehrende Krisen gekennzeichneten Jahren 1997–
1999 wird von albanischen Experten stark unterstrichen. Ihr Krisenmanagement, vor
allem als Vermittlerin zwischen den verfeindeten politischen Parteien auch in den
Jahren nach 1999, hat in hohem Maße zur Stabilisierung in Albanien beigetragen. In
dieser Funktion leistete sie – wie albanische Experten in den Interviews betonten –
einen wichtigen Beitrag zur Stabilisierung in Albanien vor allem im Krisenjahr
1997, aber auch in politisch schwierigen Situationen, wie z.B. nach der Ermordung
des oppositionellen DP-Politikers Azem Hajdari 1998 und während der Parlamentsboykotte durch die DP in den Jahren 1997–1999 und 2001–2002.
Das breite Mandat, mit dem die OSZE-Präsenz 1997 vom Ständigen Rat ausgestattet wurde, ermöglichte es ihr, den komparativen Vorteil ihres umfassenden Sicherheitskonzepts zu nutzen und in ihrer Arbeit die verschiedenen Dimensionen von
Sicherheit miteinander zu verbinden: die politisch-militärische, wirtschaftliche,
umweltpolitische und menschliche Dimension. Mit mehreren Veränderungen ihres
Mandats reagierte die OSZE in der Gestaltung und im Umfang ihrer Aktivitäten
flexibel auf die sich ändernde Situation im Land (u.a. durch die Öffnung von Lokalbüros landesweit). In der ersten Phase des Engagements der OSZE zwischen 1997
und Ende 2002 lag der Fokus auf der Stabilisierung und dem Krisenmanagement. In
dieser Zeit kann gleichzeitig eine Ausdehnung des Umfangs der OSZE-Tätigkeit
festgestellt werden, die vor allem durch die Kosovo-Krise ausgelöst wurde. Die
zweite Phase, die Ende 2002 einsetzte und bis heute anhält, ist hingegen von einem
371 Interview mit einem Vertreter einer albanischen NRO, am 20.1.2003 in Tirana.
372 Vgl. http://www.mans.cg.yu/Cijevna/English/Documents/Second_Workshop_NGO_Albania_
Networking.htm (Zugriff: 30.3.2006).
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langsamen Rückzug der OSZE aus Albanien charakterisiert. Sie zeigt sich an einer
Verringerung der Anzahl der OSZE-Lokalbüros und einer Veränderung des Tätigkeitsfelds der OSZE. So engagierte sich die OSZE – trotz einer Fortsetzung ihres
Krisenmanagements in angespannten Situationen – stärker bei der mittelfristigen
Unterstützung der Reformprozesse in den Bereichen ihres Mandats.
Die Gründe dafür liegen zum einen in der zunehmenden Stabilisierung in Albanien, zum anderen in der wachsenden Rolle, die die EU im Zuge des Stabilisierungsund Assoziierungsprozesses (SAP) in Albanien nach 2001 zu spielen begann. Mit
der stärkeren Fokussierung der albanischen Regierung auf die EU entwickelte sich
eine zunehmend kritische Haltung gegenüber der OSZE. Die hohe politische Bedeutung, die der OSZE als Vermittlerin und Schlichterin in der Krisensituation in den
ersten Jahren ihres Einsatzes in Albanien zukam, nahm daher vor allem nach 2002
ab, weil ihre Anwesenheit als ein Zeichen der Krisenhaftigkeit gesehen wurde, was
politisch nicht gewollt war.
Dieser Fall zeigt deutlich, dass sich die Bedeutung und die Wirkung eines externen Akteurs abhängig von der Situation, in der sich ein Land befindet, ändern kann.
Während in der Krisenzeit zwischen 1997 und 1999 die Anwesenheit der OSZE aus
albanischer Sicht wichtige internationale Legitimierung spendete („Zeichen der
Stabilisierung und internationaler Unterstützung“), bewirkte sie in der Stabilisierungsphase nach 2000 in den Augen der albanischen Elite genau das Gegenteil
(„fortwährende Präsenz der OSZE als Zeichen der fehlenden Stabilisierung“). So
nahm die Bedeutung der internationalen Legitimität, die die OSZE Albanien als
sozialen Anreiz für Reformen „anbieten“ konnte, ab. Ihre Präsenz wurde als delegitimierend auf dem Weg zur Integration in die europäischen Strukturen empfunden.
Gegenüber der EU und dem Europarat lag der Vorteil der OSZE in ihrer starken
Vor-Ort-Präsenz und der Ausstattung mit einem Mandat durch den Ständigen Rat
der OSZE, das ihr in der operationalen Arbeit eine relative Autonomie von „Wien“
gewährte. Ihre dezentrale Organisationsstruktur ermöglichte es ihr, schnell und ohne
bürokratische Verzögerungen auf Krisen zu reagieren und sich flexibel dem sich
verändernden Konfliktpotential anzupassen. Das Netz aus Lokalbüros, das zu Zeiten
seiner größten Ausdehnung bis zu elf OSZE-Büros im gesamten Land umfasste,
erwies sich als wichtige Stütze für die Arbeit der OSZE in Albanien. Die Lokalbüros
machten auch jene Regionen der Beobachtung der OSZE zugänglich, die aufgrund
ihrer geographischen Lage nur schwer von Tirana aus zu erreichen sind. Dadurch
war die OSZE wie keine andere internationale Organisation in Albanien in der Lage,
verlässliche Informationen über die Situation in den verschiedenen Regionen Albaniens zu sammeln, auf lokale Ereignisse zu reagieren und nach zu verfolgen, ob und
wie politische Entscheidungen, die in Tirana gefällt wurden, auf lokaler Ebene umgesetzt wurden. Die Lokalbüros, deren Anzahl vor allem angesichts der Kosovo-
Krise 1998/1999 erheblich erhöht wurden, waren eine wichtige Unterstützung im
Krisenmanagement der internationalen Gemeinschaft, als mehrere hunderttausend
Flüchtlinge aus dem Kosovo in Albanien Schutz suchten. Auch in der Phase nach
der Rückkehr zur Stabilität trug die OSZE mit ihren Lokalbüros zur Konfliktprävention in den entlegeneren Gebieten des Landes, vor allem dem Norden, bei. Schließ-
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lich ermöglichte ihr die dezentrale Struktur den direkten Kontakt zu den Bürgern
und half dadurch entscheidend, die Sichtbarkeit der OSZE-Mission im Land zu
erhöhen.
Ein zentrales Instrument der OSZE war ihre Beratungs-, Beobachtungs- und
Vermittlerrolle. Die OSZE intervenierte dabei zum einen proaktiv in den Bereichen,
in denen sie es selbst für adäquat hielt, zum anderen schaltete sie sich ein, wenn sie
von den albanischen Institutionen um Hilfe gegeben wurde. Exemplarisch wurde die
Bedeutung dieses ersten Instruments der OSZE an einem zentralen Beispiel der
Unterstützung der OSZE, dem Prozess der Wahlen und der Reform der Wahlgesetzgebung, verdeutlicht. Durch die Vermittlung der OSZE zwischen den beiden politischen Kontrahenten SP und DP und durch ihre Bemühungen um eine Konfliktbeilegung wurde eine Einigung in der über mehrere Jahre andauernden Wahlreform erst
möglich. Darüber hinaus leistete die OSZE gemeinsam mit ODIHR und dem Europarat durch die Bereitstellung von Expertisen einen Beitrag zur formalen Anpassung
der Wahlgesetzgebung an europäischen Standards und Normen. Schließlich bestand
die OSZE-Präsenz auf der Einhaltung von internationalen Verpflichtungen, die die
albanische Regierung eingegangen war, und übte durch die Veröffentlichung der
Wahlbeobachtungsberichte kontinuierlichen Reformdruck auf die albanischen Entscheidungsträger aus. Wie die Analyse der Empfehlungen zu den Wahlen und ihrer
Umsetzung bei den jeweils darauffolgenden Wahlen zeigte, haben die Empfehlungen der internationalen Berater von OSZE und Europarat in vielen Bereichen zu
einer Verbesserung des Wahlgesetzes im Sinne einer formalen Anpassung der nationalen Gesetzgebung an internationale Standards für demokratische Wahlen geführt.
Allerdings wurde nur in einigen Fällen auch eine Verbesserung der Wahlvorbereitung und -durchführung (z.B. in den Bereichen Wahlkampagnenführung, Medien)
erzielt. Einige gravierende Probleme der Wahlen, wie z.B. die Erstellung eines zuverlässigen und genauen Wählerregisters, wurden trotz wiederholter Kritik der
OSZE/ODIHR nicht gelöst. Vor allem seit 2001 kritisierte die OSZE/ODIHR daher
explizit den mangelnden „politischen Willen“ der albanischen Elite, die Voraussetzungen für die Durchführung von regelgeleiteten demokratischen Wahlen zu schaffen. Obwohl sich die verfeindeten großen Parteien – mit Hilfe der OSZE – immer
wieder zu Konsenslösungen und Kompromissen zusammengefunden haben, kann
von einer „Sozialisierung“ im Sinne einer „Internalisierung“ von demokratischen
Normen bei den wichtigen parteipolitischen Akteuren nicht gesprochen werden. Das
zeigen auch die jüngsten Wahlen im Februar 2007, die wieder durch erhebliche
Mängel gekennzeichnet waren, die ihre Ursache in einem fehlenden politischen
Willen haben. Der Prozess der Reform gleicht daher einer Sisyphusarbeit, die von
zwei Reformschritten nach vorne und einem Schritt zurück geprägt ist, was bezeichnend ist für das Agieren von scheinheiligen Demokratisierern.
Das zweite Instrument der OSZE, das im Rahmen dieses Kapitels untersucht
wurde, waren die Projekte, mit denen sie den Demokratisierungsprozess in Albanien
unterstützte. Dabei reagierte die OSZE, wie deutlich wurde, stark auf die Bedürfnisse, die von den albanischen Partnern geäußert wurden. Im Rahmen der Unterstützung des Parlaments gelang es der OSZE, einen Beitrag zur Professionalisierung der
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Parlamentsarbeit, u.a. durch die Entwicklung von parlamentarischen Verfahrensregeln, zu leisten. Das zeigte sich an der aktiveren Rolle, die das Parlament als Forum
für politische Diskussionen nach 2004 einnahm. Insgesamt war die Unterstützung
der OSZE für das Parlament als einer Institution, die von der internationalen Gemeinschaft vernachlässigt wurde, ein wichtiger Beitrag zu seiner Stärkung. Einige
der Fortschritte, die bei der Parlamentsarbeit zu verzeichnen sind, wären ohne diese
Unterstützung nicht möglich gewesen.
Darüber hinaus hat die OSZE mit der Etablierung der Zivilgesellschaftsentwicklungszentren in sechs Städten Albaniens einen wichtigen Beitrag zur Stärkung und
Vernetzung von zivilgesellschaftlichen Organisationen und zu ihrer besseren Interaktion mit der lokalen Regierung und Verwaltung geleistet. Die ZGEZ sind damit
ein positives Beispiel für eine nachhaltige Strategie zur Unterstützung der Zivilgesellschaft in Albanien. Während die EU durch die „calls for proposal“ ihre Unterstützung der NROs nach bestimmten Themenschwerpunkten ausrichtete, gelang es
der OSZE im Gegensatz dazu, eine Struktur aufzubauen, die NROs langfristig eine
Unterstützung bei ihrer Arbeit ihren eigenen Prioritäten entsprechend bietet.
Anhand der Untersuchung beider Projekte wird deutlich, dass die OSZE auf die
landesspezifischen Probleme schnell reagierte, eine langfristige und nachhaltige
Orientierung ihrer Unterstützung verfolgte, gesellschaftliche Gruppen durch eine
„bottom-up“-Herangehensweise einbezog und darauf abzielte, innenpolitische
Strukturen und Akteure aufzubauen.
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References
Zusammenfassung
Im Schnittfeld von Transformations- und Integrationsforschung bietet die Arbeit eine detaillierte Auseinandersetzung mit den Einflussmöglichkeiten europäischer Institutionen auf die Demokratisierung in Südosteuropa. Analysiert wird die Demokratisierungshilfe von EU, OSZE und Europarat am wenig untersuchten Fall des „scheinheiligen Demokratisierers“ Albanien. Scheinheilige Demokratisierer stellen die Demokratisierungsbemühungen europäischer Organisationen in Südosteuropa vor große Herausforderungen. Wegen der prekären Sicherheitslage weisen sie einen erhöhten Stabilisierungsbedarf auf und begrenzten dadurch die Wirkung des Engagements der europäischen Akteure. In Auseinandersetzung mit den Forschungsansätzen der Internationalen Sozialisierung, der Europäisierung und der Konditionalität leistet die Arbeit einen Beitrag zur Debatte über die Rolle externer Akteure und untersucht die Wirkungszusammenhänge zwischen der internationalen und nationalen Dimension der Demokratisierung von Transformationsländern. Die Ergebnisse der Studie werfen einen kritischen Blick auf die EU-Konditionalität und zeigen die Notwendigkeit einer neuen Integrationsstrategie für die Länder Südosteuropas auf.