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5. Die OSZE-Präsenz in Albanien
Die Aufnahme Albaniens in die Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in
Europa (KSZE), aus der 1995 die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit
in Europa hervorging (OSZE), erfolgte im Jahr 1991.310 Nach dem Zusammenbruch
der Pyramidenspiele und der bürgerkriegsähnlichen Zustände Anfang 1997 bat Albanien die OSZE offiziell um Hilfe bei der Bewältigung der prekären Sicherheitssituation im Land (vgl. OSZE 1997). Trotz klarer Anzeichen von wirtschaftlichen und
politischen Problemen und eines möglichen Kollapses der zentralen Regierung in
Albanien war die „Frühwarnung“ der internationalen Gemeinschaft durch die OSZE
ungenügend gewesen (vgl. USIP 2001). Erst nach Beginn der Krise wurde 1997 eine
OSZE-Mission in Albanien mit dem Ziel errichtet, die Lage zu stabilisieren, Hilfestellung bei der Durchführung der Wahlen von 1997 und beim Aufbau demokratischer Strukturen zu leisten.
Albanien hatte am 13. März 1997 zu Händen der EU-Ratspräsidentschaft ein Ersuchen an die Westeuropäische Union gerichtet, um einen Militäreinsatz zur Konsolidierung der Lage im Land zu erbitten (vgl. Grubmayr 1997). Während sich nach
Beginn der Krise in Albanien im Februar/März 1997 die EU, der Europarat und die
OSZE in gleicher Weise engagierten, wurde die EU, die zunächst mit der Einrichtung einer Advisory Mission die Führung zu übernehmen schien, bald von der
OSZE als zentralem Akteur in der Koordination des Krisenmanagements abgelöst.
Vor allem in den Krisenjahren 1997 bis 1999 spielte die OSZE eine wichtige Rolle
bei der Vermittlung von politischen Lösungen und trug dadurch zur Krisenprävention und Stabilisierung des Landes bei.
5.1. Die Mandate und Ziele der OSZE in Albanien
Das Engagement der OSZE wurde durch die Mandate des Ständigen Rates der
OSZE, ihre Erweiterungen und Konkretisierungen bestimmt. Es können zwei wesentliche Phasen unterschieden werden.
Die erste Phase begann 1997 und dauerte bis Ende 2002. Sie ist durch eine Expansion der OSZE-Tätigkeit und die Fokussierung auf die Stabilisierung und das
Krisenmanagement charakterisiert. In dieser Phase übernahm die OSZE eine entscheidende Rolle bei der Konfliktlösung und der Krisenprävention in Albanien. Die
zweite Phase bahnte sich Ende 2002 an und ist noch nicht abgeschlossen. Sie ist
durch eine Veränderung des Tätigkeitsfelds der OSZE und ihrem langsamen Rück-
310 Im Folgenden wird nur von der OSZE gesprochen. Mit dem Beitritt von Montenegro am
22. Juni 2006 umfasst die OSZE inzwischen 56 Teilnehmerstaaten.
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zug aus Albanien charakterisiert. Obwohl die OSZE in dieser Phase immer noch in
kritischen Situationen Unterstützung im Krisenmanagement leistet, ermöglichte es
die größere politische Stabilität des Landes, dass sich die OSZE mehr der mittelfristigen Unterstützung der Reformprozesse in den Bereichen ihres Mandats widmete.
Gleichzeitig wurde die Bedeutung der OSZE durch die zunehmende Rolle, die die
EU-Annäherung für Albanien spielt, nach 2002 in den Hintergrund gedrängt.311
5.1.1. Das Krisenmanagement und die Stabilisierung als Ziel
Die erste Phase wurde eingeleitet, als der Ständige Rat der OSZE am 27. März 1997
beschloss, in Kooperation mit den albanischen Autoritäten eine OSZE-Präsenz in
Albanien zu errichten (vgl. OSCE 1997).312 Grundlage für diese Entscheidung waren
die Berichte des Persönlichen Repräsentanten des Amtierenden Vorsitzenden der
OSZE und späteren Sonderbeauftragten, Dr. Franz Vranitzky, über seine Besuche in
Albanien am 8. und 14. März 1997.313 Er war wesentlich daran beteiligt, dass am
9. März 1997 in einem „Neun-Punkte-Abkommen“ eine alle Parteien umfassende
„Regierung der Nationalen Versöhnung“ und die Abhaltung von Parlamentswahlen
bis Ende Juni 1997 zwischen den bis dahin unversöhnlichen politischen Gegnern,
der DP und der SP, ausgehandelt wurde (vgl. Grubmayr 1997).314
Die OSZE-Präsenz in Albanien nahm ihre Arbeit am 3. April 1997 in Tirana auf.
Mit dem Mandat des Ständigen Rates der OSZE vom 27. März 1997 wurde sie beauftragt, gemeinsam mit anderen internationalen Organisationen, wie u.a. dem Europarat, Albanien in den Bereichen Demokratisierung, Medien und Menschenrechte
sowie Wahlvorbereitung und -beobachtung zu unterstützen (vgl. OSZE 1997). Eine
Demokratisierung bestand in der Perspektive der OSZE in einer „consolidation of
legitimate executive, judicial and legislative institutions, as well as the strengthening
of a civil society and a viable economy“ (OSCE 2001: 9). Außerdem sollten andere
Gebiete der Unterstützung erschlossen werden, wie z.B. das Einsammeln von Waffen.
Mit diesem breiten Mandat ausgestattet entwickelte sich die Förderung von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit und der Aufbau der Zivilgesellschaft zu den grundsätzlichen Aufgaben der OSZE-Präsenz (vgl. Everts 1999). Darüber hinaus beschäf-
311 Interview mit dem Leiter einer albanischen NRO, am 3.3.2003 in Tirana.
312 Die Vor-Ort-Missionen der OSZE werden vom Ständigen Rat der OSZE, d.h. im Konsens
aller OSZE-Teilnehmerstaaten und im Einvernehmen mit den Gastländern, eingerichtet. Sie
erstatten regelmäßig Bericht an den Ständigen Rat der OSZE. Obwohl die OSZE-
Außenvertretungen normalerweise als „Missionen“ bezeichnet werden, wurde dieser Begriff
vermieden, weil er von Teilen des politischen Spektrums in Albanien als krisenbehaftet und
bevormundend empfunden wurde.
313 Von März bis Oktober 1997 fungierte Vranitzky als Sonderbeauftragter der OSZE und reiste
mehrfach zu Verhandlungen ins politisch instabile Albanien (vgl. Mappes-Niediek 1997).
314 Es umfasste neben den zwei genannten Punkten u.a. eine Generalamnestie für die Beteiligten
an den Ausschreitungen Anfang 1997, die Rückgabe erbeuteter Waffen und eine Aufhebung
des während der Unruhen erklärten Ausnahmezustands (vgl. Mappes-Niediek 1997).
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tigte sich die OSZE auch mit wirtschaftlichen und Umweltfragen, die nicht explizit
im Mandat vorgesehen waren. „Mandates tend to be constructively ambigious, a
‚shifting idea‘ that provides an umbrella to accommodate all suitable measures“
(Huber et al. 2003: 27). Die OSZE war somit in der Lage, in ihrer Arbeit die verschiedenen Dimensionen von Sicherheit miteinander zu verbinden: die politischmilitärische, die wirtschaftliche, die umweltpolitische und die menschliche Dimension. Diese Dimensionen sind Teil des umfassenden Konzepts von Sicherheit, das
nach Meinung von Huber das wichtigste Gut der OSZE darstellt (vgl. Huber et al.
2003).315
Eine erste Ausweitung des Mandats der OSZE-Präsenz erfolgte durch die Entscheidung des Ständigen Rats der OSZE vom 11. Dezember 1997, die Präsenz mit
der Aufgabe zu betrauen, als Koordinationsstelle für die Unterstützung der internationalen Gemeinschaft in Albanien zu dienen. Sie sollte in Form eines „Clearing-
House“ Informationen über die internationalen Bemühungen in Albanien sammeln
und weitergeben.316 Damit spielte die OSZE-Präsenz eine besondere Rolle im Kontext der internationalen Gemeinschaft in Albanien, die auch unter OSZE-Missionen
in der Region einmalig war (vgl. OSCE 2000 b). Vor allem während der Kosovo-
Krise in den Jahren 1998/1999 kam diese Aufgabe zum Tragen, als die OSZE-
Präsenz die Koordination der internationalen Unterstützung in Albanien für die
Flüchtlinge aus dem Kosovo übernahm. Auch im Rahmen der sog. „Friends of Albania“ (FoA) setzte die OSZE-Präsenz ihre Bemühungen fort, die externe Hilfe zur
Unterstützung des albanischen Reformprozesses zu koordinieren.317 Die FoA diente
als „watchdog“ der albanischen Reformbemühungen und übte durch ihre regelmäßigen Empfehlungen internationalen Druck auf die albanische Regierung aus, bis sie
in dieser Funktion von der EU abgelöst wurde und 2001/2002 an Bedeutung verlor.
315 Ein Bereich, in dem sich die verschiedenen Dimensionen widerspiegeln, ist die Unterstützung
der Reform des Rechtsstaats durch die OSZE: Sie umfasst Aspekte, die sich auf die Justiz,
das politische System, die Menschenrechte, die Anwendung von Gesetzen und deren Umsetzung sowie auf soziale und wirtschaftliche Sicherheit beziehen. So werden in die Projekte der
OSZE-Präsenz in Albanien im Bereich Menschenhandel polizei-, menschenrechts-, wirtschafts- und gender-relevante Aspekte einbezogen.
316 Die Koordination der internationalen Bemühungen durch die OSZE wurde in einem Memorandum zwischen der albanischen Regierung und der OSZE festgelegt (vgl. Carlson/Inman
2004).
317 Die „Friends of Albania“ (FoA) wurde als informelles Forum von 38 Ländern und internationalen Organisationen am 30. September 1998 in Brüssel mit dem Ziel gegründet, die internationale Unterstützung für Albaniens Demokratisierung und wirtschaftliche Entwicklung zu
verstärken und eine gemeinsame Herangehensweise an die Reformbemühungen in Albanien
zu entwickeln (vgl. OSZE-Präsenz in Albanien, Pressemitteilung vom 17. April 2002). Die
OSZE hatte den Vorsitz der FoA gemeinsam mit der Europäischen Kommission inne. Die
FoA war als Forum für Beratungen und Politikkoordination auf internationaler und nationaler
Ebene zwischen 1998 bis 2002 aktiv. Im Herbst 2001 fand das letzte technische Koordinationstreffen der FoA in Tirana statt, das letzte internationale Treffen wurde im April 2002
durchgeführt (Interview mit dem OSZE-Koordinator der „Friends of Albania“, am 22.1.2003
in Tirana).
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Ein zweites Mal erlebte die OSZE-Präsenz in Albanien eine Erweiterung ihres
Mandats nach 1998. Angesichts der Kosovo-Krise wurde ihr vom Ständigen Rat der
OSZE am 11. März 1998 temporär die Aufgabe übertragen, die albanischen Grenzgebiete zum Kosovo, zu Mazedonien und zum ehemaligen Jugoslawien (Montenegro) zu überwachen und damit mögliche „Spillover“-Effekte der Krise zu verhindern.
Durch die Erweiterung ihres Mandats erhielt die OSZE-Präsenz „eines der umfassendsten Mandate aller von der OSZE eingerichteten Missionen“ (Imholz 2001:
173). Zur Überwachung der Grenzen Albaniens zu seinen Nachbarländern richtete
die OSZE mehrere Kontrollstationen ein (u.a. in Kukes und Shkodra im Norden des
Landes). Mit dem Ende der Kosovo-Krise im Jahr 1999 wurde diese Funktion der
OSZE langsam reduziert und die Grenzkontrollstationen in normale Lokalbüros der
OSZE umgewandelt.318
5.1.2. Die Unterstützung des mittelfristigen Reformprozesses als Ziel
In Anbetracht der allgemeinen Fortschritte, die Albanien in den Jahren 2000 und
2001 machte, und der allgemeinen Stärkung der Rolle des albanischen Staates im
Reformprozess, entwickelte sich im Herbst 2002 eine öffentliche Diskussion über
die weitere Zukunft der OSZE in Albanien.319 Sie mündete in der Forderung der
albanischen Regierung nach einer Reduzierung der OSZE-Präsenz in Albanien.320
Hintergrund dieser Entwicklung war die allgemeine Wahrnehmung der OSZE-
Mission in Albanien als „Stigma“. Die albanische Regierung hielt eine Präsenz der
OSZE im gesamten Land nicht mehr für nötig, weil sie der Ansicht war, dass die
Zeit des Krisenmanagements vorbei sei. Das Drängen auf eine Verringerung des
Engagements der OSZE kann u.a. auch auf die wachsende Bedeutung der EU für
Albanien zurückgeführt werden. In der Zeit, in der Albanien der EU seine Reformfortschritte beweisen wollte, wurde eine starke OSZE-Präsenz, deren Anwesenheit
in der Zeit der Instabilität und der Krise erwünscht gewesen war, nun von der Regierung als ein „Krisenindikator“ empfunden.
Nach Aussage von albanischen Experten ist die Zeit zwischen Herbst 2002 und
Frühjahr 2003 von einer Reorganisation der OSZE-Aktivitäten in Albanien gekennzeichnet, die sich auch in der Schließung von drei der insgesamt elf Lokalbüros
318 Dass die Arbeit der OSZE-Präsenz in der ersten Phase ihres Engagements vom Krisenmanagement und der Krisenprävention geprägt war, zeigt sich auch daran, dass der Ständige Rat
beschloss, die Tätigkeiten der Präsenz in Albanien und die Umsetzung ihres Mandates halbjährlich zu überprüfen. In diesem Rhythmus wurde auch über eine Verlängerung des Mandates entschieden.
319 Interview mit einem Vertreter einer albanischen NRO aus dem Medienbereich, am 22.1.2003
in Tirana.
320 Der Leiter einer albanischen NRO ging in einem Interview sogar soweit zu sagen, dass gegen
die OSZE eine öffentliche Kampagne geführt worden sei.
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References
Zusammenfassung
Im Schnittfeld von Transformations- und Integrationsforschung bietet die Arbeit eine detaillierte Auseinandersetzung mit den Einflussmöglichkeiten europäischer Institutionen auf die Demokratisierung in Südosteuropa. Analysiert wird die Demokratisierungshilfe von EU, OSZE und Europarat am wenig untersuchten Fall des „scheinheiligen Demokratisierers“ Albanien. Scheinheilige Demokratisierer stellen die Demokratisierungsbemühungen europäischer Organisationen in Südosteuropa vor große Herausforderungen. Wegen der prekären Sicherheitslage weisen sie einen erhöhten Stabilisierungsbedarf auf und begrenzten dadurch die Wirkung des Engagements der europäischen Akteure. In Auseinandersetzung mit den Forschungsansätzen der Internationalen Sozialisierung, der Europäisierung und der Konditionalität leistet die Arbeit einen Beitrag zur Debatte über die Rolle externer Akteure und untersucht die Wirkungszusammenhänge zwischen der internationalen und nationalen Dimension der Demokratisierung von Transformationsländern. Die Ergebnisse der Studie werfen einen kritischen Blick auf die EU-Konditionalität und zeigen die Notwendigkeit einer neuen Integrationsstrategie für die Länder Südosteuropas auf.