178
sehr schwer, der albanischen Bevölkerung die Mechanismen und Verfahren der EU
verständlich zu machen.227
Das folgende Beispiel verdeutlicht dieses Problem: Die Vielzahl der involvierten
Akteure der EU und die teilweise fehlende Absprache zwischen Brüssel und Tirana
führten zu Widersprüchlichkeiten und falschen Aussagen. So berichtete z.B. die
albanische Presse im Jahr 2003 über einen angeblich „geheimen Report“ der EU
über kritische Entwicklungen in Albanien, u.a. im Bereich der Justiz (vgl. Delegation of the European Commission in Albania 2003). Das führte zu aufgebrachten
Diskussionen in Tirana, da die Nachricht über einen „geheimen“ Bericht sofort negative Assoziationen mit den Überprüfungen durch das kommunistische Regime in
Albanien auslöste. In dieser Situation erklärte die Delegation in Albanien, dass die
EU keine geheimen Berichte über Albanien verfasse und dass der Bericht nur intern
sei, aber die albanische Regierung alle genannten Probleme und Details bereits kenne. In demselben Kontext behauptete die Pressesprecherin von Chris Patten, dass es
sich in der Tat um einen Geheimbericht der EU handeln würde, was erneute Unruhe
in der politischen Landschaft in Tirana auslöste. Das Beispiel verdeutlicht, wie
wichtig eine richtige „Verortung“ einer Nachricht im lokalen Kontext für das Image
der EU in Albanien sein kann.228 Die geringe Wahrnehmung der Delegation in der
albanischen Öffentlichkeit verwandelte sie nach Aussagen von einem albanischen
Experten gleichsam in eine „stumme“ Institution.229
Die politische Sichtbarkeit der Delegation erhöhte sich erst, als die EU mit der
Initiierung des SAA und des Stabilitätspakts für den Westlichen Balkan insgesamt
eine größere Bedeutung als politischer Akteur in der Region erhielt. Erst mit den
Vorbereitungen für die Verhandlungen über ein SAA mit Albanien in den Jahren
2001/2002, die mit einem intensiven Monitoring der Entwicklungen in Albanien
durch die EU verbunden waren, gewann die EU insgesamt mehr Aufmerksamkeit in
der albanischen Öffentlichkeit. Auch die jährlichen Fortschrittsberichte, die seit
2002 zum Monitoring der Fortschritte Albaniens von der Kommission erstellt werden, sind Anlass zu einer öffentlichen Diskussion in Albanien.
4.3. Die Instrumente der europäischen Integration Albaniens
Im Folgenden werden die beiden zentralen Instrumente betrachtet, mit denen die EU
die Länder des Westlichen Balkans näher an ihre Strukturen heranzuführen versuchte. Das erste Instrument besteht im politischen Dialog und in den Verhandlungen
über ein SAA zwischen Albanien und der EU. Das zweite Instrument ist die finanzielle und technische Hilfe der Kommission der Europäischen Union, die vor allem
227 Interview mit einem Vertreter der Delegation der Europäischen Kommission in Albanien, am
10.3.2003 in Tirana.
228 Ebd.
229 Interview mit einem Vertreter der albanischen Zivilgesellschaft, am 22.1.2003 in Tirana.
179
in Form von Projekten umgesetzt wurde. Beide Instrumente stellen die zwei wesentlichen Anreize dar, die die EU den Ländern des Westlichen Balkans für die Transformation in Richtung Demokratie und Marktwirtschaft anbot. Besonders nach 1997
wurde das Engagement der EU – vor dem Hintergrund des Stabilisierungs- und
Assoziierungsprozesses für die gesamte Region des Westlichen Balkans – zentral für
den Reformprozess in Albanien.
Im ersten Teil des Kapitels wird im Folgenden zunächst der politische Dialog der
EU mit Albanien im Vordergrund stehen. Im zweiten Teil des Kapitels wird die
technische Hilfe der EU in zwei für die Demokratisierung zentralen Bereichen, der
Reform der öffentlichen Verwaltung und der Förderung der Zivilgesellschaft, analysiert.
4.3.1. Die Instrumente der Integration I: Politischer Dialog und Verhandlungen für
ein Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen (SAA)
Im Folgenden wird der politische Dialog zwischen der EU und Albanien sowie die
Verhandlungen über ein SAA und das damit verbundene Monitoring als eines der
Instrumente untersucht, mit dem die EU auf die Unterstützung des Demokratisierungsprozesses in Albanien und eine Anpassung an liberal-demokratische Normen
abzielte. Der politische Dialog soll hier definiert werden als reguläre bilaterale Treffen auf der höchsten politischen Ebene zwischen der EU und Albanien, der die Konsultation und den Austausch von Meinungen zu allen Themen des gemeinsamen
Interesses und insbesondere Fragen des Integrationsprozesses umfasst (vgl. Börzel/
Risse 2004).
Bis Ende der 1990er Jahre war die einzige vertragliche Beziehung zwischen Albanien und der EU das Handels- und Kooperationsabkommen, das im Jahr 1992 in
Kraft trat. Fester Bestandteil des Abkommens war der politische Dialog zwischen
der EU und der albanischen Regierung. In einem „Gemeinsamen Komitee“ (Joint
Committee), das sich regelmäßig traf, wurden alle wichtigen Fragen, die das Abkommen betrafen, auf bilateraler Ebene diskutiert.
Albanien bewarb sich bereits 1995 um eine Eröffnung von Verhandlungen für ein
Assoziationsabkommen. Bei der Prüfung der Voraussetzungen für ein Freihandelsabkommen für Güter, Dienstleistungen und Kapital zwischen der EU und Albanien
war die Kommission allerdings zu dem Ergebnis gekommen, dass ein „klassisches
Assoziationsabkommen“ nicht angestrebt werden konnte (vgl. Europäische Kommission 1996). Obwohl der Rat für Allgemeine Angelegenheiten im Januar 1996 die
Kommission aufforderte, einen Vorschlag für eine neue Art von Abkommen mit
Albanien zu entwickeln, führten die Manipulationen bei den Parlamentswahlen in
Albanien im Jahr 1996 und die politische und wirtschaftliche Krise im Jahr 1997
dazu, dass dieser Plan aufgeschoben wurde. Erst 1999 entschied sich die EU im
Zusammenhang mit der Entwicklung der regionalen Integrationsstrategie für die
180
Länder des Westlichen Balkans zu einer Weiterführung und Vertiefung der vertraglichen Beziehungen zwischen Albanien und der EU.230 Die EU bot der Region mit
der Entwicklung des SAA einen wichtigen Rahmen für die zukünftigen Beziehungen, der eine Integrationsperspektive einschloss.
Die Verhandlungen über ein SAA schließen ähnlich detaillierte Anforderungen
der EU an das Drittland ein wie die Beitrittsverhandlungen über eine EU-
Mitgliedschaft. Allerdings ist der Umfang der zu verhandelnden Kapitel – anders als
bei den Beitrittsverhandlungen – nicht so groß. So muss beim Abschluss eines SAA
nicht der gesamte, sondern nur Teile des Acquis communautaire übernommen werden. Während für Kandidatenländer die Annahme und Umsetzung der gesamten
Voraussetzungen einer EU-Mitgliedschaft verlangt werden, müssen die potentiellen
Kandidatenländer wie Albanien eine Annäherung an diese Anforderungen nachweisen.231 Auch wenn die zu verhandelnde Agenda damit nicht so umfangreich ist, kann
man aber von einem ähnlichen Anpassungsdruck auf die Innenpolitik Albaniens
ausgehen. Denn aufgrund der Machtasymmetrie zwischen EU und Albanien ist Albanien „gezwungen“, den Anforderungen der EU in Hinblick auf die geforderten
Anpassungen im Rahmen des SAA zu folgen. Mit der Ausnahme von Übergangsregelungen oder temporären Schutzklauseln stehen darüber hinaus die zu verhandelnden Inhalte fest. Bereits der Weg Albaniens bis zur Eröffnung der Verhandlungen
und der Prozess der Verhandlungen selbst war mit umfangreichen Überprüfungen
und Bewertungen der Entwicklungen des Landes verbunden, die im Sinne des „gatekeeping“ (Grabbe 2003) von der EU benutzt wurden, um die albanische Regierung
zu Reformen zu veranlassen.
Im Prozess der Annäherung zwischen der EU und Albanien werden zwei Phasen
unterschieden. Die erste Phase reichte von 1999 bis 2003, von der Beauftragung
einer Durchführungsstudie über die Verhandlungen mit Albanien über ein SAA
durch den Europäischen Rat im April 1999 bis zum Beginn der SAA-Verhandlungen im Jahr 2003. Die zweite Phase umfasst die Verhandlungen über das SAA
selbst, die bis Anfang 2006 andauerten und mit dem Abschluss des SAA im Juni
2006 endeten. Die Analyse des ersten Integrationsinstruments, des politischen Dialogs und der Verhandlungen, wird sich daher auf die Zeit zwischen 1999 und 2006
beschränken.
4.3.1.1. Die Schritte auf dem Weg zu Verhandlungen über ein SAA (1999–2003)
Bis zum Verhandlungsbeginn über ein SAA mit der EU am 31. Januar 2003 musste
Albanien eine umfangreiche Vorbereitung vollziehen. Die Schritte bis zur Eröffnung
der Verhandlungen über ein SAA sind für alle Länder des Westlichen Balkans
gleich. Diese Schritte wurden in der Mitteilung der europäischen Kommission an
230 Siehe Schlussfolgerungen des Rats der Europäischen Union vom 21.–22.6.1999 in Luxemburg.
231 Vgl. http://ec.europa.eu/enlargement/financial_assistance/ipa/index_en.htm (Zugriff: 2.4.2007).
181
den Rat vom 2. März 2000 festgelegt (vgl. Kommission der Europäischen Gemeinschaften 2000). Sie wurden von der EU mit dem Ziel benutzt, durch die Überwindung von „Hürden“ Anreize für Reformen zu bieten. Die folgenden drei Schritte
müssen durchlaufen werden:
1) Die europäische Kommission erstellt einen Bericht über die Durchführbarkeit
der Eröffnung von Verhandlungen, bei dem sie prüft, ob das jeweilige Land die
in den Schlussfolgerungen des Rats vom 29. April 1997 genannten Bedingungen erfüllt hat. Danach erfolgt eine Beurteilung des Berichts durch den Rat.
2) Im Fall einer positiven Bilanz des Rates wird die Kommission aufgefordert,
einen Vorschlag für Verhandlungsdirektiven auszuarbeiten, der vom Rat verabschiedet werden muss.
3) Die Verhandlungen werden eröffnet.
Die folgende Tabelle gibt einen Überblick über die Schritte, die Albanien bis zur
Eröffnung der Verhandlungen über ein SAA gehen musste. Vor jedem weiteren
Schritt auf dem Weg zur Eröffnung der SAA-Verhandlungen wurden die Fortschritte Albaniens bei den Reformen in den Bereichen Demokratie und Marktwirtschaft
von der EU beurteilt.
Tabelle 32: Die Schritte zu den Verhandlungen über ein SAA
Schritte Datum Ergebnis
1. Schritt 26.–27. April
1999
y Europäischer Rat beauftragt die Kommission mit der
Erstellung einer Durchführungsstudie über die Verhandlungen mit Albanien über ein SAA y Erklärung am Ende des EU-Albanien-Dialogtreffens
auf Minister-Ebene: Die Kommission drückt ihre Bereitschaft aus, einen Bericht über die Durchführbarkeit
der Eröffnung von Verhandlungen über ein SAA vorzubereiten
24. November
1999
y Kommission legt „Durchführbarkeitsstudie für die Verhandlungen über ein Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen“ vor y Ergebnis: Albanien ist noch nicht in der Lage, die Verhandlungen über ein SAA zu beginnen ? Negatives
Signal!
24. Januar
2000
y Rat der EU fordert die albanische Regierung auf, einen
Status-Report zu präsentieren (Verhandlungsbeginn
war für Frühjahr 2002 geplant)
5.–6. Juni
2000
y Erklärung am Ende des Treffens des Gemeinsamen
Komitees: Die von Albanien unternommenen Reformen und erreichten Fortschritte stellen die Basis für die
Teilnahme Albaniens am SAP dar und können zu einer
zukünftigen Eröffnung der Verhandlungen führen ?
Positives Signal
182
16. November
2000
y Zagreb-Gipfel: Einrichtung einer hochrangigen Lenkungsgruppe zur Überprüfung des Reformprozesses in
Albanien y Ergebnis des Berichts ? Positives Signal, trotz Bedenken
2. Schritt 15.–16. Juni
2001
y Der Europäische Rat lädt die Kommission ein, die
Verhandlungslinien für das SAA mit Albanien bis Ende 2001 zu entwerfen
Dezember
2001
y Die Kommission entscheidet wegen der schwierigen
politischen Situation in Albanien, den Entwurf für die
Verhandlungsdirektiven dem Rat nicht Ende 2001,
sondern erst im Juni 2002, d.h. ein Jahr nach der Aufforderung durch den Rat, zu präsentieren (Verschiebung der Vorlage) ? Negatives Signal
Juni 2002 y Kommission legt dem Rat den Entwurf der Verhandlungsdirektiven vor
3. Schritt 31. Januar
2003
y Offizielle Eröffnung der Verhandlungen des SAA
durch die europäische Kommission in Albanien
Quelle: Eigene Darstellung.
Der erste Schritt: Die Durchführbarkeitsstudie für die Eröffnung der Verhandlungen
mit Albanien
Wie die Darstellung der Herangehensweise der EU gegenüber dem Westlichen Balkan gezeigt hat, entwickelte die EU in Reaktion auf die Kosovo-Krise eine Integrationsstrategie für Südosteuropa, die auch Albanien erstmals eine mögliche EU-
Mitgliedschaft in Aussicht stellt. Am Anfang des ersten Schritts auf diesem Wege
stand die Entscheidung des Rats der Europäischen Union am 26. April 1999, eine
Durchführungsstudie über die Verhandlungen mit Albanien über ein SAA bei der
Kommission in Auftrag zu geben (vgl. Council of the European Union 1999). Dieser
Entschluss muss im Kontext der Kosovo-Krise gesehen werden. So bescheinigt die
EU Albanien, dass „(t)he country has dealt admirably with the massive refugee influx from Kosovo and has cooperated efficiently with international organisations“
(Commission of the European Communities 1999: 1) Außerdem erkannte die EU an,
dass Albanien Fortschritte in Bezug auf demokratische Prinzipien, Menschenrechte
und wirtschaftliche Reformen gemacht hatte. So habe der Dialog zwischen der albanischen SP-Regierung und der demokratischen Partei zu einer Verbesserung des
innenpolitischen Klimas in Albanien beigetragen.
Ausgehend von den Schlussfolgerungen des Rats im April 1999 legte die Europäische Kommission am 24. November 1999 eine „Durchführbarkeitsstudie für die
Verhandlungen über ein Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen“ vor (vgl.
Commission of the European Communities 1999). In dieser Studie analysierte sie
ausführlich die Entwicklungen in Albanien im Hinblick auf die Parameter eines
183
zukünftigen SAA und beurteilte die Fortschritte, die Albanien in diesen Bereichen
gemacht hat.232
Die Studie betonte vor allem drei Problembereiche, die eine baldige Assoziation
Albaniens mit der EU behinderten.
1) Albanien ist geprägt von einer mangelnden institutionellen Stabilität, einer
schwachen Regierungsführung, einer schlecht funktionierenden öffentlichen
Verwaltung und einem schwachen Rechtsstaat.
2) Angesichts der starken Abhängigkeit Albaniens von Zolleinnahmen besteht
eine Schwierigkeit bei der Etablierung einer Freihandelszone mit der EU, die
das Ziel des SAA ist (mehr als 80 Prozent der Gesamtimporte stammen aus der
EU).
3) Die albanische Wirtschaft ist allgemein schwach und in hohem Maße von ausländischer Hilfe abhängig (vgl. ebd.).
Auf der Grundlage der Durchführbarkeitsstudie kam die Kommission zu dem Ergebnis, dass Albanien noch nicht in der Lage war, die Verhandlungen über ein SAA
zu beginnen. Gründe dafür bestanden vor allem darin, dass „Albania remains
marked by important economic, political and institutional weaknesses which do not
facilitate the perspective of an association with the EC and its Member States. At
least in parallel to the opening of negotiations, if not before, the country must do its
utmost to address the weaknesses“ (Commission of the European Communities
1999: 16, Hervorhebung J.H.).
Daher forderte die Kommission glaubwürdige Verpflichtungen und einen Aktionsplan der albanischen Regierung für die Reformen, um erfolgreich am SAP teilnehmen und die Beziehungen mit der EU und den Mitgliedsländern ausweiten zu
können. Außerdem betonte die Kommission, dass im Verlauf des SAP von Albanien
wichtige Reformen in den Bereichen der makroökonomischen Stabilisierung, der
öffentlichen Sicherheit, der Stärkung der Regierungsführung und der Umsetzung
von Gesetzen geleistet werden müssten. In einer detaillierten Liste stellte die Kommission den Reformbedarf in den genannten Bereichen auf, der von Albanien angegangen werden sollte:
232 Die Parameter des SAA umfassen: politischer Dialog, regionale Kooperation, Güterhandel,
Kapitalmobilität, Dienstleistungen, Justiz und Inneres, ökonomische und finanzielle Kooperation.
184
Tabelle 33: Voraussetzungen für eine erfolgreiche Teilnahme Albaniens im SAP
laut Durchführbarkeitsstudie der Europäischen Kommission (1999)
Bereich Geforderte Reformschritte
Wirtschaft y Umsetzung des mittelfristigen Wirtschaftsprogramms des IWF y Beschleunigung der Revision der Bankgesetzgebung y Privatisierung der staatlichen Banken sowie staatlicher Unternehmen y Stärkung der Steuereinnahmen und die Umsetzung des neuen
Zollgesetzes y Etablierung eines funktionierenden Marktes für Agrarland y Restrukturierung der öffentlichen Einrichtungen und Verbesserung ihres finanziellen Managements y Integration der öffentlichen Investitionen in das allgemeine Budget
Sicherheit y Annahme eines rechtlichen Rahmens für die Polizeikräfte y Verbesserung der Funktion der Polizei in Kooperation mit der
WEU y Einsammlung von Waffen und ihrer Zerstörung in Kooperation
mit UNDP
Regierungsführung
y Annahme eines Rahmengesetzes über die Organisation des Justizministeriums sowie die zeitgerechte Umsetzung der Justizreformen und rechtlichen Reformen in Kooperation mit dem Europarat y Umsetzung der Aktivitäten des Anti-Korruptionsprogramms in
Kooperation mit der Weltbank, u.a. Aktivieren der Anti-
Schmuggel-Einheit, die im Rahmen der Zollmission der EU geschaffen wird y Etablierung eines Staatlichen Publikationsamtes und einer unabhängigen Kommission für die öffentliche Verwaltung
Quelle: Commission of the European Communities 1999.
Im Januar 2000 fordert der Rat die albanische Regierung auf, einen Bericht über ihre
geplanten Aktivitäten (inklusive eines Zeitplans) in den Prioritätsgebieten, die die
Kommission in der Durchführungsstudie identifiziert hatte, zu erstellen. In Reaktion
darauf legte die albanische Regierung im März 2000 einen sog. „Statusbericht“ vor,
in dem sie ihre Reformbestrebungen im Hinblick auf die von der Kommission genannten Reformbereiche gemeinsam mit einem Zeitplan darlegte. Der Statusbericht
ging auf die von der Kommission benannten Bereiche ein und legte die bisher erreichten Reformschritte bei der makroökonomischen Stabilisierung und den Strukturreformen, der Stärkung der öffentlichen Ordnung, der Verbesserung der Regierungsführung und der Stärkung der Strafverfolgung dar (vgl. Republic of Albania
2000).
Auf dem vierten Treffen des Gemeinsamen Komitees der EU und Albaniens, das
am 5. und 6. Juni 2000 in Tirana stattfand, wurde festgehalten, dass der im Statusbe-
185
richt dargelegte Fortschritt bei der Stabilisierung Albaniens sowie die unternommenen Reformen die Basis für die Teilnahme Albaniens am SAP darstellen würden und
zu einer zukünftigen Eröffnung der Verhandlungen führen könnten. In seinen
Schlussfolgerungen forderte der Europäische Rat beim Gipfel Ende Juni 2000 in
Feira die albanische Regierung auf, „in bezug auf die von der Kommission in ihrer
Durchführbarkeitsstudie zur Sprache gebrachten Punkte ihre Bemühungen fortzusetzen“ (Europäischer Rat 2000: 13). Außerdem bekräftigte der Europäische Rat, dass
alle Länder des Westlichen Balkans potentielle Bewerber für den Beitritt zur EU
seien und es nach wie vor das Ziel sei, „die Länder der Region im Wege des SAP
(…) so weit wie möglich in den Strom der europäischen Entwicklungen einzubeziehen“ (ebd.). Beim Zagreb-Gipfel zwischen der EU und den Ländern des Westlichen
Balkans im November 2000 stimmten die Regierungen der Region dem SAP der EU
offiziell zu und akzeptierten die Ziele und die Konditionalität der EU – angesichts
des Angebots der EU „of a prospect of accession on the basis of the Treaty on European Union (TEU) and the 1993 Copenhagen criteria“ (European Commission 2001
a: 5).
Der zweite Schritt: Die Bewertung der albanischen Reformen durch die
Hochrangige Lenkungsgruppe und die Vorbereitung der Verhandlungsdirektiven
Der Zagreb-Gipfel leitete für Albanien den zweiten Schritt auf dem Weg der Annäherung Albaniens an die EU im Rahmen des SAP ein. Dort entschied die EU, eine
Hochrangige Lenkungsgruppe aus Vertretern der EU und Albaniens (EU/Albania
High Level Steering Group) einzurichten, die von der stellvertretenden Direktorin
der Generaldirektion Außenbeziehungen, Catherine Day, geleitet wurde (vgl. Commission of the European Communities 2001). Die Lenkungsgruppe hatte zum einen
die Aufgabe, die Reformfortschritte, die Albanien seit der Veröffentlichung der
Durchführbarkeitsstudie der Kommission im Jahr 1999 gemacht hatte, zu bewerten
und dem Rat ihre Ergebnisse bis Mitte 2001 zu übermitteln. Im Mittelpunkt der
Studie stand die politische und wirtschaftliche Lage Albaniens und seine Fähigkeit,
die aus einem zukünftigen SAA entstehenden Verpflichtungen zu erfüllen. Zum
anderen sollte die Lenkungsgruppe Albanien bei seinen Vorbereitungen auf die
Verhandlungen über ein SAA unterstützen.
Auf der Grundlage des Berichts der Lenkungsgruppe kam die Europäische Kommission zu widersprüchlichen Schlussfolgerungen. Obwohl viele der Reformschritte, die in der Durchführbarkeitsstudie der Kommission 1999 angemahnt worden waren, von Albanien eingeleitet wurden, kam sie zu dem Ergebnis, dass Albanien bisher nicht in der Lage war, die Verpflichtungen, die mit einem SAA
verbunden sind, einzulösen. Trotzdem empfahl sie, die Verhandlung eines SAA mit
Albanien anzuvisieren. Der Widerspruch in den Schlussfolgerungen löst sich auf,
wenn man sich die spezifische Betrachtungsweise der Kommission vor Augen führt.
Sie sah das Integrationsinstrument „SAA“ als Anreiz für Reformen in Albanien an
und ging davon aus, dass „the perspective of opening Stabilisation and Association
Agreement negotiations is the best way of helping to maintain the momentum of
186
recent political and economic reform, and of encouraging Albania to continue its
constructive and moderating influence in the region“ (Commission of the European
Communities 2001: 15, Hervorhebung J.H.). Die Kommission war demnach der
Meinung, dass Albanien erhebliche Verbesserungen erreichen könnte, wenn die
bisherigen Reformbemühungen fortgesetzt würden und Albanien eine genügend
hohe Priorität auf die Stärkung der Verwaltungskapazitäten während des Verhandlungs- und Übergangsprozesses des SAA legen würde (vgl. Commission of the European Communities 2001).
Der Europäische Rat entschied im Juni 2001 auf dem Göteborg Gipfel, den Empfehlungen der Kommission zur Verhandlung eines SAA mit Albanien zu folgen. Er
forderte daher die Kommission auf, bis Ende 2001 einen Entwurf für die Verhandlungsdirektiven mit Albanien zu präsentieren (vgl. European Council 2001). Um die
Verhandlungen über ein SAA mit Albanien vorzubereiten, wurde auf politischer
Ebene eine Beratende Arbeitsgruppe EU-Albanien (Consultative Task Force, CTF)
ins Leben gerufen. Sie ist „an ad-hoc Council/Commission forum set up with
Albania. It is co-chaired by the Council Presidency/Commission and the Albanian
Minister for European Integration.“233 Die Beratende Arbeitsgruppe bildete im weiteren Verlauf und bis zum Ende der Verhandlungen über das SAA ein zentrales
Instrument der Überprüfung des albanischen Reformprozesses.
Trotz des positiven Signals des Europäischen Rats entschied die Kommission,
den Entwurf für die Verhandlungen dem Rat nicht Ende 2001, sondern erst im Juni
2002, d.h. ein Jahr nach der Aufforderung durch den Rat, zu präsentieren. Grund
dafür war die gestiegene politische Instabilität in Albanien in Folge der umstrittenen
Parlamentswahlen im Juni 2001. Bei diesen hatten sich die SP und ihre Koalitionspartner durch Unregelmäßigkeiten die Mehrheit im Parlament gesichert, mit der sie
in der Lage waren, allein den Präsidenten bestimmen zu können, der im Sommer
2002 gewählt werden sollte.
Die negative Reaktion der EU hatte eine erhebliche Verzögerung der Vorbereitungen auf den Verhandlungsbeginn zur Folge. Die Sanktion der EU löste starke
Reaktionen auf albanischer Seite aus, da man mit einem Beginn der Verhandlungen
bereits im Frühjahr 2002 gerechnet hatte (vgl. Rat für Allgemeine Angelegenheiten
2000).234
Der Entschluss der Europäischen Kommission, die Vorlage des Entwurfs der
Verhandlungsdirektiven beim Rat um ein halbes Jahr, von Dezember 2001 auf Juni
2002, zu verschieben, zeigte die Bereitschaft der EU, in der kritischen Situation
nach den umstrittenen Parlamentswahlen in Albanien Sanktionen zu ergreifen, um
Albanien zu weiteren Reformen zu veranlassen und zur Überwindung der Krise zu
führen. Damit setzte die EU ein klares Zeichen, dass die Verhandlungen erst dann
233 http://ec.europa.eu/enlargement/albania/eu_albania_relations_en.htm (Zugriff: 12.4.2007).
234 Die Beratende Arbeitsgruppe trat trotz der Verzögerung am 1. Oktober 2001 zum ersten Mal
zusammen (vgl. Commission of the European Communities 2002). Bis zum Beginn der Verhandlungen im Januar 2003 fanden vier Treffen statt, bei denen die Kommission Empfehlungen für weitere Reformschritte in Albanien gab.
187
beginnen würden, wenn Albanien ausreichend seine Reformfähigkeit unter Beweis
gestellt haben würde.
Der dritte Schritt: Die „verspätete“ Eröffnung der Verhandlungen über ein SAA
Im Juni 2002 evaluierte die Kommission erneut im Rahmen des ersten Stabilisierungs- und Assoziierungsberichts ausführlich die Entwicklungen Albaniens auf dem
Weg zur Demokratie und zur Marktwirtschaft. Die Kommission erkannte darin die
Reformschritte an, die Albanien nach der Krise im Jahr 1997 unternommen hatte. Zu
den zentralen Reformen der albanischen Regierung gehörten: y die Annahme einer modernen Verfassung und eines gesetzlichen Rahmens, y eine allgemeine Verbesserung der makroökonomischen Stabilität und der fiskalischen Nachhaltigkeit, y eine effektive Umsetzung des Privatisierungsprozesses, y eine substantielle Stärkung der Zoll- und Steueradministration sowie y eine Verbesserung im Bereich von Sicherheit und öffentlicher Ordnung.
Darüber hinaus wurde die konstruktive Antwort Albaniens auf die politische Krise
in Makedonien und im Presevo-Tal im Kosovo (2001) betont. Allerdings machte die
EU darauf aufmerksam, dass das Ausgangsniveau des Reformprozesses in Albanien
insgesamt „extrem niedrig“ gewesen war (vgl. Commission of the European Communities 2002).
Daher sollte Albanien vor allem seine Bemühungen in vier Bereichen verstärken: y bei der Konsolidierung zu einer starken und funktionierenden Demokratie, y der Implementierung des Rechtssystems, y der Bekämpfung von Betrug, Korruption und organisiertem Verbrechen und y der Sicherstellung von ökonomischer Stabilität und sozioökonomischem Fortschritt.
Insgesamt kam der Bericht zum Ergebnis, dass „in almost every area where Albania
would take on obligations under a future SAA, there is a considerable lack of
implementing capacity“ (Commission of the European Communities 2002: 4). So
forderte die Beratende EU-Albanien-Arbeitsgruppe, die seit Oktober 2001 regelmä-
ßig tagte, bei ihrem Treffen im Juni 2002 mehr Anstrengungen der albanischen Regierung für die Verbesserung zentraler Institutionen der albanischen öffentlichen
Verwaltung.
Trotzdem legte die Kommission im Juni 2002 dem Rat die Verhandlungsdirektiven für das SAA mit Albanien vor. Dieser Schritt war erst möglich geworden, nachdem der Vorschlag eines „Konsens“-Präsidenten durch die SP-Regierung gemacht
worden war, auf den sich die beiden konkurrierenden Parteien SP und DP im Parlament einigen konnten. Damit entspannte sich die politische Situation nach den umstrittenen Ergebnissen der Parlamentswahlen im Jahr 2001 wieder und eine Krise
konnte vermieden werden. Dieser versöhnliche Schritt in der albanischen Politik ist
nach Aussagen von Beobachtern zu einem großen Teil dem Einfluss der Vorsitzenden der Delegation des Europäischen Parlaments für die Beziehungen zu Südosteuropa, Frau Pack, zu verdanken, die sich maßgeblich für die Aufstellung eines Kon-
188
senskandidaten engagiert hatte.235 Die Wahl von Alfred Moisiu im Juni 2002 leitete
– zumindest temporär – eine konstruktivere politische Atmosphäre zwischen der
Regierung und der Opposition ein.
Der Rat nahm schließlich im Oktober 2002 die Verhandlungsdirektiven an. Am
31. Januar 2003 wurden die Verhandlungen über ein Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen offiziell in Tirana durch den damaligen Kommissionspräsidenten
Romano Prodi eröffnet.236 Die Eröffnung der Verhandlungen kann daher als eine
„Belohung“ für die konstruktive Innenpolitik verstanden werden, die eine erneute
Krise in Albanien abgewendet hatte. Denn obwohl die Fortschritte Albaniens mäßig
waren, wollte man der politischen Stabilisierung nach der Wahl des Präsidenten
Anerkennung zollen. Der Beginn der Verhandlungen kann außerdem als Anreiz für
weitere Reformen interpretiert werden (im Sinne von „carrots“).237 Nach einer Phase
des Konsenses vor der Wahl des albanischen Präsidenten im Sommer 2002 setzten
jedoch im Jahr 2003 erneute Rivalitäten sowohl zwischen den großen Parteien SP
und DP als auch innerhalb der SP ein. Sie gefährdeten die Stabilität der Regierung
und die Fortsetzung des Reformprozesses (vgl. European Commission o.J. a).
Um die Entwicklungen und die Reformschritte Albaniens weiterhin eng beobachten zu können, hatte der Rat die Kommission mit einem spezifischen Verhandlungsmandat ausgestattet. Es sah – anders als z.B. bei den Verhandlungen für ein
SAA mit Kroatien – eine Fortführung der Treffen der Beratenden Arbeitsgruppe
auch nach Beginn der Verhandlungen im Januar 2003 vor.238 Diese Treffen, bei
denen auch die EU-Mitgliedsländer vertreten waren, sollten es ermöglichen, den
allgemeinen Reformprozess in Albanien zu überprüfen. Sie sollten parallel zu den
technischen Verhandlungen über das SAA, bei denen die Europäische Kommission
die Führung übernahm, abgehalten werden.239
Die spezifischen Verhandlungsdirektiven können als Ergebnis eines schwierigen
Verhandlungsprozesses zwischen denjenigen EU-Mitgliedsstaaten gesehen werden,
die für eine frühe Eröffnung der Verhandlungen mit Albanien waren (vor allem
Italien und Griechenland als unmittelbare Nachbarn), und denjenigen, die ihr skeptisch entgegenstanden (vor allem die „nördlichen“ Mitgliedsstaaten). In erster Linie
235 Interview mit einem Repräsentanten der OSZE-Präsenz, am 22.1.2003 in Tirana.
236 Bei der feierlichen Eröffnung der Verhandlungen im Palast des Präsidenten nahmen neben
den politischen Repräsentanten des Landes auch die geistlichen Führer der drei Religionsgemeinschaften, der Bektashi, der katholischen sowie der orthodoxen Kirche, teil, die in großer
Eintracht versammelt waren. Das bisher weitgehend problemlose Zusammenleben der verschiedenen religiösen Gruppen in Albanien ist angesichts der Situation in anderen Länder des
Balkans beachtenswert, findet aber weder in der Forschung noch in der europäischen Öffentlichkeit entsprechende Aufmerksamkeit.
237 Interview mit einem Vertreter der Europäischen Kommission, am 6.5.2003 in Brüssel.
238 Im Fall von Kroatien galten die Treffen der Arbeitsgruppe nur der Vorbereitung der Verhandlungen und wurden nach ihrem Ende nicht fortgeführt (Interview mit einem Vertreter der Europäischen Kommission, am 6.5.2003 in Brüssel).
239 Die Verhandlungsstrategie wurde nicht offiziell bekannt gegeben. In einem sog. „Non-
Paper“, das als geheim galt, wurde die Verhandlungsstrategie dargelegt. Nach dem Ende der
Verhandlungen sind diese Informationen im Internet öffentlich zugänglich.
189
wollte die letzte Gruppe mit der Fortsetzung der Treffen der Beratenden Arbeitsgruppe sicherstellen, dass sie über die Kommission hinaus, die das Verhandlungsmandat erhalten hatte, die Entwicklungen weiter beobachten konnte. Das Verhandlungsmandat war daher eine innovative Anpassung an die spezifischen Erfordernisse
der Verhandlung mit Albanien.240
4.3.1.2. Die Verhandlungsrunden und das Monitoring der Fortschritte (2003–2006)
Die Verhandlungsrunden über das SAA umfassten zwei Elemente: zum einen die
rein technischen Verhandlungen, zum anderen die Treffen der Beratenden Arbeitsgruppe, die aus Vertretern der EU-Ratspräsidentschaft, der Kommission und des
albanischen Ministeriums für europäische Integration bestand und die technischen
Verhandlungen über das SAA auf politischer Ebene begleitete (vgl. Delegation der
Europäischen Kommission in Albanien, Pressemitteilung vom 22.–23. April
2004).241 Letztere bildete eine wichtige Plattform für den politischen Dialog, auf der
die Fortschritte Albaniens bei allgemeinen Reformen, die nicht direkt Gegenstand
der Verhandlungen waren (wie z.B. die Wahlen, die Korruption, die Justiz, der
Rechtsstaat), diskutiert und überprüft werden konnten. Die Treffen der Arbeitsgruppe fanden während des gesamten Verhandlungsprozesses in einem regelmäßigen
Rhythmus von ca. drei bis vier Monaten statt. Zusätzlich waren die regelmäßigen
Fortschrittsberichte der EU von Bedeutung für das Monitoring der Reformen.
Im Kontext dieser Arbeit ist der Fortgang der „technischen Verhandlungen“ weniger relevant, weil sie sich vor allem auf die formalen Voraussetzungen zur Errichtung einer Freihandelszone richteten. Daher wird nur ein kurzer Überblick über die
technischen Verhandlungen gegeben, bevor im Anschluss die Empfehlungen der
Beratenden Arbeitsgruppe und die Monitoringberichte der EU während des Verhandlungsprozesses analysiert werden.
Die technischen Verhandlungen
Die technischen Verhandlungsrunden behandelten vor allem die Artikel eines späteren SAA, das das Ziel hatte, zwischen Albanien und der EU eine Freihandelszone zu
errichten. So wurden während der technischen Verhandlungen Fragen u.a. bezüglich
des freien Warenverkehrs (Kapitel IV), des freien Personenverkehrs, der Niederlassungsfreiheit, der Kapitalverkehrsfreiheit (Kapitel V), der rechtlichen Annäherung,
des Wettbewerbs (VI), Fragen von Justiz und Innerem (VII) etc. diskutiert. Die
technischen Verhandlungsrunden mit Albanien fanden in einem Rhythmus von ca.
sechs Wochen statt. Die folgende Tabelle gibt einen Überblick über den Fortgang
240 Interview mit einem Vertreter des Rats der Europäischen Union, am 9.5.2003 in Brüssel.
241 Die EU war dort vertreten durch den Vorsitzenden der EU-Ratsgruppe zum Westlichen Balkan (in Vertretung der Ratspräsidentschaft) und den Direktor für den Westlichen Balkan der
Europäischen Kommission, Reinhard Priebe (vgl. Delegation der Europäischen Kommission
in Albanien, Pressemitteilung vom 22.–23. April 2004).
190
und die Themen der Verhandlungen – soweit Informationen über sie öffentlich zugänglich waren.
Tabelle 34: Übersicht über die Themen der technischen Verhandlungsrunden
Verhandlungsrunde Artikel/Thema
1: Februar 2003 y Keine Angabe
3: 6.–7. November
2003242
Parallel: Treffen der
beratenden Arbeitsgruppe
y Landwirtschaft y Fischerei y Stahlindustrie y Readmission
5: 22. Januar 2004 y Handel mit verarbeiteten Agrargütern y Handel mit Wein und Spirituosen
Artikel 70–77 des SAA: y Annäherung an die EU-Gesetzgebung, die Inkraftsetzung von Gesetzen und Wettbewerbsregeln y Intellektuelles, industrielles und kommerzielles Eigentum y Staatliches Vergabewesen y Standardisierungen, Akkreditierung und Konformitätsbewertung y Konsumentenschutz
6: 15.–16. März 2004 Artikel 85–110 des SAA: y Statistische Kooperation y Banken, Versicherungen und andere finanzielle Dienstleistungen y Rechnungsprüfung y Investitionsförderung und -schutz y Industrielle Kooperation y Zölle und Steuern
242 Während der dritten Verhandlungsrunde (2003) entdeckte die Kommission zufällig, dass die
albanische Regierung die Zusagen, die sie im Rahmen des Beitritts zur WTO gemacht hatte,
nicht einhielt. So veranschlagte sie immer noch einen Importaufschlag von einem Prozent,
der entsprechend von WTO-Vereinbarungen nicht mehr erhoben werden durfte. Die albanische Seite berichtete bei der fünften Verhandlungsrunde, dass sie ihren WTO-Verpflichtungen nachgekommen sei, indem sie den Zuschlag auf Importe, der im Haushalt von 2004
veranschlagt war, zurücknahm (Delegation der Europäischen Kommission in Albanien, Pressemitteilung vom 22.1.2004).
191
7: 28. Juni 2004
Parallel: Treffen der
beratenden Arbeitsgruppe
y Justiz und Innenpolitik, insbesondere die Kooperation
bezüglich der Bewegung von Personen, Visa, Grenzmanagement, Asyl und Migration, Prävention und Kontrolle illegaler Immigranten, Readmission, Kampf gegen das organisierte Verbrechen, Geldwäsche und Handel mit illegalen Drogen, die Prävention und der Kampf
gegen organisiertes Verbrechen y Kooperation auf dem Gebiet der Massenvernichtungswaffen y Finanzielle, institutionelle und allgemeine Kooperation
im Rahmen des SAA
28. Juni 2004 Art. 43 des SAA: y Spezielle Vorkehrungen für die administrative Kooperation y Anti-Betrugs-Klausel
8: 21.–22. Oktober
2004
Parallel: Treffen der
beratenden Arbeitsgruppe
y Agrar- und Fischereiprodukte y Graduelle Liberalisierung des Handels zwischen der EU
und Albanien in diesen Bereichen
9: 23.–24. Februar
2005
Parallel: Treffen der
beratenden Arbeitsgruppe
y Handel von Agrarprodukten, inklusive Wein und Fischereierzeugnisse
10: 29.–30. September
2005
y Albanische Reformpläne für die zentralen Bereiche der
Umsetzung des SAA (u.a. Anti-Korruption, Justiz, Medienfreiheit, Zolladministration)
11: 8. Februar 2006
Parallel: Treffen der
beratenden Arbeitsgruppe
y Übereinkunft über den Entwurf des SAA zwischen
Albanien und EU
Quelle: Eigene Darstellung auf der Grundlage der Pressemitteilungen der Delegation der Europäischen Kommission (vgl. http://www.delalb.ec.europa.eu/en/news/whatsnew.htm, Zugriff:
24.4.2007).
Während in dieser Zeit die technischen Verhandlungen aus Sicht der Kommission
mehr oder weniger zufriedenstellend verliefen, stagnierte die Umsetzung der allgemeinen Reformen im Bereich der öffentlichen Verwaltung, des Rechtsstaats und der
guten Regierungsführung. Daher dauerte der Prozess der Verhandlungen, dessen
Länge ursprünglich auf ca. ein bis eineinhalb Jahre geschätzt wurde, insgesamt wesentlich länger. So wurde das SAA erst drei Jahre nach der Eröffnung der Verhandlungen im Juni 2006 beschlossen.
192
Das Monitoring der Reformen: die Treffen der Beratenden Arbeitsgruppe und die
SAA-Fortschrittsberichte
Während des Verhandlungsprozesses stellten die Empfehlungen der Beratenden
Arbeitsgruppe und die SAP-Fortschrittsberichte ein besonderes Instrument des Einflusses dar, von dem die EU Wirkungen auf den Demokratisierungsprozess in Albanien erwartete.
Die Beratende Arbeitsgruppe wurde von der Europäischen Kommission als ein
Ad-hoc-Instrument für kritische Fragen an die albanische Regierung bezüglich des
Reformprozesses während der Verhandlungen gesehen.243 Sie ist der zentrale Ort, an
dem der Reformprozess in Albanien von der Kommission und der EU-Präsidentschaft begutachtet wurde. Vor den jeweiligen Treffen bereitete die Europäische
Kommission einen detaillierten Katalog mit Fragen zum Reformprozess (z.B. im
Bereich der Verwaltungsreform oder den Wahlen) vor und forderte die albanische
Regierung auf, diese zu beantworten.244 Zu diesen Themen wurden dann von den
Vertretern der Kommission und der EU-Präsidentschaft Empfehlungen gegeben.245
Am Ende der Treffen standen gemeinsame Erklärungen der albanischen Regierung
und der EU, die (zumindest anfangs) nicht öffentlich gemacht wurden. Auf diese
Weise fand – unter Ausschluss der Öffentlichkeit und der Medien – ein detailliertes
Monitoring der Entwicklungen statt.246
Ein weiteres Instrument des Monitorings der EU während der Verhandlungen waren die öffentlichen Stabilisierungs- und Assoziierungsberichte zu Albanien, die seit
2002 einmal im Jahr von der Kommission unter Einbeziehung der EU-Delegation
verfasst wurden. In diesen Berichten wurden sowohl die politischen Kriterien überprüft als auch alle Parameter, die für ein zukünftiges SAA (vor allem Freihandelsaspekte und Fragen von Justiz und Inneres), von Bedeutung sind. Alle SAP-Berichte
folgen einer ähnlichen Struktur. Sie beschreiben kurz die Beziehung zwischen Albanien und der EU, analysieren die politische und die wirtschaftliche Situation in Albanien (entsprechend des politischen und des wirtschaftlichen Kriteriums für eine
EU-Mitgliedschaft) und betrachten schließlich die Fähigkeit Albaniens, sich der
Gesetzgebung und den Politiken des Acquis im Rahmen des SAA und den Prioritä-
243 Die beratende Arbeitsgruppe wurde vom damaligen Staatminister für europäische Integration,
Sokol Nako, bzw. der Ministerin für Europäische Integration, Ermelinda Meksi, geleitet (beide SP). Außerdem waren Vertreter der Sektorministerien, des Justiz- und des Außenministeriums und die Leiterin des AÖV präsent. Die Europäische Kommission wurde durch den Direktor für den Westlichen Balkan repräsentiert. Darüber hinaus war der Vertreter der Ratspräsidentschaft sowie Vertreter der Mitgliedsstaaten präsent.
244 Interview mit einem Mitarbeiter der Delegation der Europäischen Kommission, am 9.3.2003
in Tirana.
245 Interview mit einem Mitarbeiter der Europäischen Kommission, am 6.5.2003 in Brüssel.
246 Der Ausschluss der Öffentlichkeit sollte der albanischen Regierung einen gewissen Schutz
bieten, weil die Treffen in teilweise sehr offener Weise Probleme thematisierten und anerkannten, die bei einer Veröffentlichung zu erheblichem Zündstoff in der Öffentlichkeit hätten
führen können.
193
ten der Europäischen Partnerschaft anzunähern (vgl. Commission of the European
Communities 2006 a).
Im Folgenden werden daher vor allem die Empfehlungen und Forderungen der
EU im Hinblick auf die allgemeinen institutionellen Reformen im Vordergrund
stehen, die während der regelmäßigen Treffen der beratenden Arbeitsgruppe und in
den jährlichen SAP-Fortschrittsberichten geäußert wurden.247
Obwohl die Euphorie der Eröffnung der SAA-Verhandlungen erneute Reformanstrengungen erwarten ließ (und die Kommission die Verhandlungen als „Motor“
weiterer Reformen gesehen hatte), zeigte sich im Verlauf des Jahres 2003, dass ein
substantieller Fortschritt im Hinblick auf die Ziele, die von der EU gesetzt worden
waren, nicht erreicht werden konnte. So kam der zweite Bericht zum Stabilisierungs- und Assoziierungsprozess vom 26. März 2003 zu dem Ergebnis, dass „(l)imited progress has been made by Albania in addressing the many challenges it has to
face.“ (vgl. Commission of the European Communities 2003: 1). So wurden nach
Ansicht der Kommission die Empfehlungen, die im SAP-Bericht der EU von 2002
ausgesprochen wurden, nur teilweise von der albanischen Regierung behandelt. Ein
Grund dafür war das angespannte politische Klima, das eine solide Umsetzung der
Reformen behinderte. „The fragile political stability achieved in 2002 has been progressively replaced by strong tensions not only between the main political parties,
but also within the ruling Socialist Party (SP) itself.“ (vgl. European Commission
o.J. a: 2). Allerdings verzeichnete der SAP-Bericht von 2003 Fortschritte bei der
Kontrolle der illegalen Migration in die EU. Trotzdem blieb der Menschen- und
Drogenhandel sowie andere Formen des organisierten Verbrechens auf unverändertem Niveau. Auch die Korruption im Justizbereich, in der Zollverwaltung und in der
Polizei blieb hoch. Nach Ansicht der Kommission wäre Albanien nur in der Lage,
diese Probleme anzugehen, „if there is real commitment by the Government, the
Albanian political forces and the law enforcement bodies (including the prosecution
office and the judiciary), and full determination to translate that commitment into
action.“ (vgl. Commission of the European Communities 2003: 1).
Trotz dieser Schlussfolgerungen wurde Albanien gegenüber wie den anderen
Länder des SAP weiterhin die Aussicht auf eine Integration in die europäischen
Strukturen bekräftigt. Die EU-Mitgliedsstaaten erneuerten auf dem EU-Westbalkan-
Gipfel in Thessaloniki im Juni 2003 ihr politisches Versprechen, dass der Westliche
Balkan ein integraler Bestandteil des vereinten Europas wird. Eine bedingungslose
Aufnahmezusage oder ein fester Beitrittstermin wurde allerdings nicht genannt.
Damit wurden manche zu hoch gesteckten Erwartungen gegenüber den Ergebnissen
des Gipfels auf Seiten der Regierungen der Länder der Region nicht erfüllt. Allerdings unterstrich der Thessaloniki-Gipfel den Glauben in die Erreichbarkeit dieses
Zieles (vgl. Schäfer 2003).
247 Da die Treffen nicht öffentlich sind, wurden als Quellen nur die Pressemitteilungen der Delegation der Europäischen Kommission bzw. Interviews herangezogen.
194
Nach der dritten technischen Verhandlungsrunde am 6. und 7. November 2003, zu
der parallel auch ein Treffen der Beratenden Arbeitsgruppe stattfand, veröffentlichte
die Kommission erstmals eine Pressemitteilung zum Stand und der Entwicklung der
Verhandlungen (vgl. Delegation der Europäischen Kommission in Albanien, Pressemitteilung vom 7. November 2005). Dieser Schritt kann als Versuch der EU gewertet werden, den Druck auf die albanische Regierung zu erhöhen, um ein größeres
Engagement für die notwendigen Reformen zu erreichen. Positiv wurden in der
Mitteilung zunächst die erheblichen Fortschritte bei den Verhandlungen über den
Abschluss eines bilateralen „Readmission“-Übereinkommens erwähnt. Mit dieser
Übereinkunft verpflichtete sich Albanien, aus der EU ausgewiesene illegale albanische Staatsbürger oder Personen, die zuletzt in Albanien wohnten oder von dort
kamen, ohne Formalitäten wiederaufzunehmen.248 Der Abschluss eines solchen
Abkommens wurde als „an important success for the EU and Albania in this very
sensitive field of the prevention and control of the illegal immigration“ präsentiert
(Delegation der Europäischen Kommission in Albanien, Pressemitteilung vom
7. November 2003: 1).
Insgesamt äußerte sich die Kommission jedoch kritisch zu dem langsamen Reformtempo in Albanien, das die Fortsetzung der Verhandlungen gefährdete. Reformbereiche, in denen eine größere Anstrengung gezeigt werden müsste, betrafen
nach Meinung der Kommission vor allem den Kampf gegen das organisierte
Verbrechen und die Korruption, das Funktionieren der demokratischen Institutionen,
die vollständige Umsetzung von Gesetzen und die Stabilität der Administration,
besonders im Bereich der Zollverwaltung. Das waren die Bereiche, die bereits im
ersten und zweiten SAP-Bericht der Kommission 2002 und 2003 kritisiert worden
waren. Die EU beklagte darüber hinaus, dass „(t)he focus on purely internal political
issues seems to have once more distracted the energies from following up on the
recommendations made over many months by the EU side“ (Delegation of the
European Commission in Albania 2003: 1). Damit waren in erster Linie die internen
Machtkämpfe in der Sozialistischen Partei zwischen dem Ministerpräsidenten Fatos
Nano und seinem Widersacher Ilir Meta sowie die erheblichen Schwierigkeiten bei
der Durchführung der Lokalwahlen von 2003 gemeint. Sehr deutlich forderte die EU
die albanischen Behörden auf, „to take immediate actions to address the many shortcomings identified by the Sap (sic) report and the CTF meetings“ (European Union
2003: 1). Allerdings äußerte der Leiter der EU-Verhandlungsdelegation gleichzeitig,
dass „there was no reason that the talks were to be put off“ (OSCE Presence in Albania 2003: 2).
Auch im Jahr 2004 schritten die Reformbemühungen der albanischen Regierung
nur langsam voran. Nach der fünften technischen Verhandlungsrunde am 22. Januar
2004 in Tirana betonte die Kommission in einer Pressemitteilung, dass sich die Zusagen der albanischen Seite auch in einer korrekten und effektiven Umsetzung wi-
248 „In return, non-EU countries would receive funds to take back and resettle these people.“
http://www.euractiv.com/en//illegal-immigration-asylum-border-control/article-117508.
195
derspiegeln müssten. Neben den technischen Verhandlungen, die sich mit spezifischen Aspekten eines zukünftigen SAA beschäftigten, müsse der allgemeine Reformprozess weiter voranschreiten. Diese Forderung wiederholte die Kommission
auch nach der sechsten technischen Verhandlungsrunde, die am 15. und 16. März
2004 in Tirana stattfand. „(P)rogress in the negotiations at technical level must be
seen in the broader perspective of reforms that Albania needs to carry out in order to
be able to implement the Stabilization and Association Agreement“ (vgl. Delegation
der Europäischen Kommission in Albanien, Pressemitteilung vom 15.3.2004: 1).
Ein Treffen der Beratenden Arbeitsgruppe am 23. April 2004 in Tirana, bei dem
die albanische Seite hochrangig vertreten war, widmete sich dem Problem des organisierten Verbrechens und Fragen der internen und externen Rechnungskontrolle.249
Die EU bewertet den Stand der Umsetzungen der Vereinbarungen, die beim Ministertreffen zu Fragen von Justiz und Innenpolitik zwischen der EU und Albanien im
November 2003 in Brüssel vereinbart worden waren. Obwohl einige Schritte im
Kampf gegen das organisierte Verbrechen unternommen worden waren (neue Gesetzgebung, spezielle Untersuchungsmittel, Strafgericht etc.), blieb die EU insgesamt kritisch gegenüber den Fortschritten in diesem Bereich. Sie forderte die albanische Regierung auf, „to increase the speed and effectiveness of policy and legislative measures in this area, which are key to the successful conclusion of the SAA
negotiations“ (vgl. Delegation der Europäischen Kommission in Albanien, Pressemitteilung vom 22.–23.4.2004: 1). Die effektive und wirkungsvolle Umsetzung,
die sich in der Verfolgung und Verurteilung einer größeren Anzahl von Verbrechensfällen niederschlagen würde, wurde von der EU als wichtiger Test gesehen, an
dem die Leistung Albaniens, EU-Standards zu erreichen, gemessen werden sollte.
Auch in Bezug auf die Verbesserung der internen und externen Finanzkontrolle
äußerte sich die EU kritisch. Albanien müsse sich mehr anstrengen, um die entsprechenden europäischen und internationalen Standards zu erreichen und damit effektiv
gegen Betrug und Korruption anzukämpfen.
Ähnlich wie bereits 2003 kritisierte die EU auch im SAP-Bericht 2004 mangelnde
Reformfortschritte und die widersprüchliche Haltung der albanischen Regierung
gegenüber dem Reformprozess. „The Government has continued to state that Albania’s progress in the Stabilisation and Association Process is a top priority. However, its actions have not always supported this“ (vgl. Commission of the European
Communities 2004 a: 3). So beklagte die EU, dass bisher nur eine geringe Zahl der
Empfehlungen des Berichts der hochrangigen Leitungsgruppe von 2001, der danach
folgenden SAP-Berichte und der verschiedenen Treffen der Beratenden Arbeitsgruppe voll umgesetzt worden sei. Trotz Fortschritten bei den technischen Verhandlungen eines zukünftigen SAA seien zentrale Reformen, die für die Umsetzung eines
solchen Abkommens nötig seien, nicht in die Wege geleitet worden. Insbesondere
betonte die Kommission, dass „results have fallen short of expectations in the key
249 Teilnehmer waren die Minister für Äußeres, Öffentliche Ordnung, Justiz, der Finanzen, der
Generalstaatsanwalt, der Vorsitzende des Rechnungshofs sowie hohe Vertreter der öffentlichen Verwaltung.
196
areas of organised crime, corruption, judicial system and public administration reform“ (ebd.). Der Bericht kommt insgesamt zu dem Ergebnis, dass „(s)ince Albania
wishes to progress on its path towards the EU, it is crucial that it demonstrates the
political will, the determination and the capacity to address the key issues identified
in this report without delay“ (ebd.).
Trotz mangelnder Reformschritte in Albanien entschied der Rat im Juni 2004 allerdings, mit Albanien genau wie mit den anderen Ländern des Westlichen Balkans
eine Europäische Partnerschaft einzugehen (vgl. Commission of the European
Communities 2004 b). Die Europäische Partnerschaft enthielt umfangreiche Empfehlungen für die Maßnahmen, denen Albanien für eine weitere Annäherung an die
EU folgen sollte. Albanien nahm daraufhin im September 2004 einen Aktionsplan
für die Umsetzung der Prioritäten der Europäischen Partnerschaft an und informierte
die Europäische Kommission im Dezember 2004 und März 2005 über ihre Fortschritte in Bezug auf die Umsetzung des Aktionsplans.
Am 21. und 22. Oktober 2004 traf sich die Beratende Gruppe nach der achten
technischen Verhandlungsrunde erneut in Albanien (vgl. Delegation der Europäischen Kommission, Pressemitteilung vom 22.10.2004). Sie evaluierte angesichts der
bevorstehenden Parlamentswahlen im Jahr 2005 die Wahlrechtsreformen sowie das
Migrations- und Visaregime Albaniens.250 Positive Schritte der albanischen Regierung stellte die Kommission im Bereich von Justiz und Inneres beim Kampf gegen
den Menschenhandel fest. Die Regierung wurde aufgefordert, diese Bemühungen
fortzusetzen und die Grenzüberwachung zu verbessern, um jede Art des illegalen
Handels von kriminellen Organisationen zu bekämpfen. Während die EU die gesetzlichen Maßnahmen, die das albanische Parlament in Bezug auf die Wählerlisten und
die Zusammensetzung des Zentralen Wahlvorstands beschlossen hatte, begrüßte,
betont sie, dass eine effektive und faire Umsetzung des Wahlgesetzes und die entsprechende administrative Vorbereitung der Wahlen entscheidend für deren Erfolg
sei. Gleichzeitig äußerte die EU, dass die Durchführung von fairen und freien Parlamentswahlen ein entscheidender Test für eine funktionierende Demokratie in Albanien seien.
Insgesamt war das Jahr 2004 nach Ansicht der EU ernüchternd in Bezug auf die
Reformen in Albanien (vgl. Commission of the European Communities 2004 a). Da
keine wesentlichen Fortschritte in zentralen Gebieten (u.a. Verwaltungsreform, Justiz etc.) unternommen wurden und damit die allgemeinen Reformen in den Jahren
2003 und 2004 stagnierten, kündigte die Kommission Ende 2004 an, dass die Verhandlungen über das SAA nicht vor den Parlamentswahlen 2005 angeschlossen
werden würden. Durch die Aufschiebung sollte ein Anreiz für stärkere Reformbemühungen gegeben und gleichzeitig vermieden werden, dass die SP als Regierungs-
250 Die Themen weiterer Treffen waren der Respekt der Menschenrechte, Minderheitenrechte,
Meinungsfreiheit, Medien und Entschädigungen von Eigentum an Land.
197
partei politisch vom Abschluss der SAA-Verhandlungen vor den Wahlen profitierte.251
Nach den am 23. und 24. Februar 2005 durchgeführten technischen Verhandlungsrunden über das SAA konzentrierte sich die Diskussion der Beratenden Arbeitsgruppe nochmals auf die Durchführung der anstehenden Parlamentswahlen im
Juli 2005. Darüber hinaus wurden Fragen der Menschen- und Minderheitenrechte
und die Umsetzung des Gesetzes zur Entschädigung von enteignetem Land und die
Medienpolitik diskutiert. Dabei betont die EU, dass „implementation is what really
matters“ (Delegation der Europäischen Kommission in Albanien, Pressemitteilung
vom 24. Februar 2005). Vor allem die Parlamentswahlen von 2005 seien ein wichtiger Test für das Funktionieren der Demokratie in Albanien. „If the next elections
will be again problematic, this will be a serious setback in the aspiration of the country to make progress on its way towards European integration“ (vgl. ebd.). Außerdem äußerte die EU ihre Unzufriedenheit über die immer noch unzureichenden Reformfortschritte und die zögerliche Umsetzung der Gesetzgebung in zentralen Bereichen, wie u.a. dem Kampf gegen organisierte Kriminalität und Korruption sowie die
Stärkung der Justiz.
Der Wendepunkt im Hinblick auf die Verhandlungen wurde mit den Parlamentswahlen von 2005 erreicht. Nach den Wahlen, bei denen die DP die Mehrheit der
Stimmen gewann, wurden bei der darauffolgenden technischen Verhandlungsrunde
vom 29.–30. September mit der neuen Regierung deren Reformpläne in den zentralen Bereichen des SAA diskutiert. Dabei wurden der Kampf gegen die Korruption,
die Verbesserung der Justiz, die Medienfreiheit und die Stärkung der Zolladministration angesprochen. Die EU machte zu diesem Zeitpunkt deutlich, dass sie die
wirtschaftlichen und politischen Fortschritte Albaniens in ihrem jährlichen SAP-
Bericht, der im November 2005 erschien, beurteilen und auf dieser Grundlage über
einen Abschluss der SAA-Verhandlungen entscheiden würde.
Der nach den Parlamentswahlen im November 2005 veröffentlichte SAP-Bericht
attestierte Albanien Fortschritte in einer Reihe von Gebieten (vgl. European Commission 2005 a). Der friedliche Machtwechsel von der SP zur DP eröffnete den Weg
zum Abschluss des SAA. Positiv verzeichnet der SAP-Bericht, dass sich die politische Lage insgesamt verbessert habe und die demokratischen Institutionen, die Justiz und die Behörden gestärkt worden seien. „Die Parlamentswahlen 2005 gingen
einwandfrei vonstatten, und es wurden ernsthafte Anstrengungen zur Bekämpfung
der Korruption und zur größeren Achtung der Menschenrechte unternommen.“252
Auch habe Albanien wie zuvor eine positive Rolle bei der Stabilisierung der Region
gespielt. Darüber hinaus wurde hervorgehoben, dass Albanien gewisse Fortschritte
bei der Angleichung an europäische Standards erzielt habe, in erster Linie bei der
Annahme neuer Rechtsvorschriften und den Aufbau neuer Institutionen. So wurden
Fortschritte gemacht in Binnenmarktfragen und in den Bereichen Zoll, Steuern,
251 Interview mit einem Repräsentanten der Delegation der Europäischen Kommission in Albanien, am 3.11.2004 in Tirana.
252 http://europa.eu/rapid/pressReleasesAction.do?reference=MEMO/05/410 (Zugriff: 17.3.2007).
198
Verkehr, Energie, Informationsgesellschaft und Medien, Grenzschutz, Polizei,
Geldwäschebekämpfung und Drogenhandel. „The Commission considers that the
progress achieved so far paves the way for the closure of these negotiations“.253
Allerdings betonte die Kommission in ihrem Bericht auch, dass sichtbare Ergebnisse
im Kampf gegen die organisierte Kriminalität und die Korruption, bei der Verbesserung der Medienfreiheit und der Unabhängigkeit der Justiz, bei der Durchführung
von Rechtsvorschriften und der Fortführung der Wahlrechtsreform nötig seien (vgl.
European Commission 2005 a). Außerdem müsse Albanien weiter seine Verwaltungskapazitäten stärken.
Im Dezember 2005 nahm der Europäische Rat eine revidierte Europäische Partnerschaft mit Albanien an, die die kurz- und mittelfristigen Prioritäten für Albanien
aufzeigte. Sie sollten als Checkliste dienen, um die Fortschritte Albaniens zu überprüfen und Anleitung für die Unterstützung der EU geben.
Am 8. Februar 2006 wurde beim Treffen der Beratenden Arbeitsgruppe eine
Übereinkunft über den Entwurf des SAA zwischen Albanien und der EU erzielt. Am
12. Juni 2006 wurde schließlich das Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen in
Luxemburg unterzeichnet (vgl. Council of the European Union 2006 b). Bis es in
Kraft tritt, garantiert ein Interim-SAA, das im Mai 2006 abgeschlossen wurde, die
schnelle Umsetzung der handelsbezogenen Vereinbarungen des SAA (vgl. Council
of the European Union 2006 a).
4.3.1.3. Die Gründe für die Stagnation der Reformen: Geringe Anreize und hohe
Kosten des innenpolitischen Wandels
Wie bereits analysiert wurde, ging die Europäische Kommission entsprechend dem
Bericht der Hochrangigen Lenkungsgruppe 2001 davon aus, dass die EU durch die
Eröffnung der SAA-Verhandlungen einen Anreiz für den albanischen Reformprozess geben und diesen damit langfristig positiv beeinflussen könnte. Die EU betonte
außerdem in ihren Fortschrittsberichten und den Empfehlungen der Beratenden
Arbeitsgruppen regelmäßig, dass die Verhandlungen erst abgeschlossen werden
könnten, wenn es ein klares Zeichen für Fortschritte in den problematischen Bereichen des zukünftigen SAA und den allgemeinen Reformen gibt und die albanische
Regierung in der Lage ist, das zukünftige SAA umzusetzen (vgl. Commission of the
European Communities 2004 a). Trotz der offenkundigen Haltung der EU, die sie
der albanischen Regierung immer wieder mitteilte, stagnierten beim Fortschreiten
der technischen Verhandlungen über ein SAA die allgemeinen Reformen (u.a. im
Bereich der Justiz, im Kampf gegen Korruption und in der Verwaltungsreform), vor
allem in den Jahren 2003 und 2004. Obwohl einige Reformen erst 2005 eingeleitet
und viele Bereiche kritisch blieben, wurde schließlich im Juni 2006 das SAA abgeschlossen. Selbst danach wiederholte die Kommission beim Treffen der Beratenden
Gruppe die Bedeutung „of demonstrating progress in fostering freedom of expressi-
253 Ebd.
199
on, property restitution and compensation, electoral reform, human rights and minority rights“.254
Die bisherige Analyse zeigte, dass die Annahme der EU, die Verhandlungen über
ein SAA mit Albanien und die Perspektive einer engeren Annäherung an die EU
böten einen starken Anreiz für Reformen, zu optimistisch war. Es stellt sich grundsätzlich die Frage, wie realistisch die Aussicht war, dass Albanien angesichts seiner
auch der EU bekannten institutionellen Schwächen und geringen administrativen
Kapazitäten in der Lage sein würde, innerhalb einer relativ kurzen Zeit (von ca. 12–
18 Monaten, die zu Beginn der Verhandlungen bis zum Abschluss eines SAA anvisiert waren) entscheidende Fortschritte bei einer umfangreichen Reformagenda zu
machen.
Obwohl die geringen institutionellen Kapazitäten Albaniens ein wichtiger Grund
für die Stagnation der Reformen sind, wäre es einseitig, die fehlenden Fortschritte
nur auf die mangelnden Fähigkeiten der öffentlichen Verwaltung zur Einleitung und
Umsetzung der drängenden Reformen zurückzuführen. Angesichts der Tatsache,
dass vor allem in den Jahren 2003 und 2004 nur sehr wenige Reformen umgesetzt
wurden, stellt sich auch die Frage nach dem (fehlenden) politischen Willen für Reformen, der wiederholt von der EU und der OSZE angemahnt wurde.
Greift man auf die Argumentation aus dem im Theorieteil vorgestellten Ansatz
der Konditionalität zurück, so stellen 1) die Größe des Anreizes der externen Akteure, 2) die Glaubwürdigkeit von Sanktionen und 3) die innenpolitischen Kosten der
Reformen wichtige Bedingungen der Konditionalität dar. Im Folgenden werden
diese drei Bedingungen im Kontext der Stagnation der albanischen Reformen diskutiert:
Erstens sind die Anreize, die der Abschluss eines SAA bietet, nicht mit einer EU-
Mitgliedschaft zu vergleichen. Der größte Gewinn eines zukünftigen SAA wird die
Etablierung einer Freihandelszone zwischen der EU und Albanien sein. Das SAA
„set out rights and obligations in areas such as competition and state aid rules, intellectual property and establishment, which will allow the economies of the region to
begin to integrate with the EU’s“ (Kuko 2003: 7). Da über 80 Prozent der albanischen Importe aus der EU stammen und die Einnahmen aus Zöllen eine wichtige
Einkommensquelle des Staates sind, werden sich die Vorteile einer Freihandelszone
nicht sofort auszahlen, denn in der kurzen Frist werden sich die Zolleinnahmen zunächst erheblich reduzieren.255 Solange die Einkünfte aus Zöllen eine wesentliche
Quelle der Staatseinnahmen bilden, erscheint eine Freihandelszone mit der EU daher
kurzfristig nicht sehr vielversprechend. Darüber hinaus sind auch die Kapazitäten
für Exporte Albaniens in die EU bislang begrenzt. So ist es bezeichnend für die
Konkurrenzfähigkeit albanischer Produkte und den geringen Entwicklungsstand
albanischer Berufsvereinigungen, dass z.B. albanische Geschäftsleute erst nach dem
Abschluss eines Freihandelsabkommens mit Mazedonien realisierten, dass sie noch
254 http://ec.europa.eu/enlargement/albania/eu_albania_relations_en.htm (Zugriff: 17.3.2007).
255 Interview mit einem Vertreter der Europäischen Kommission, am 24.1.2003 in Tirana.
200
nicht einmal mit makedonischen Produkten konkurrieren konnten.256 Daher ist ungewiss, inwieweit der albanische Exportsektor von den Vorteilen einer Freihandelszone mit der EU profitieren wird.
Zweitens war die Glaubwürdigkeit von negativen Sanktionen durch die EU vor
allem nach Verhandlungsbeginn Anfang 2003 nicht sehr hoch. So zeigte die Analyse, dass die Nicht-Einhaltung der Verpflichtungen gegenüber der EU bzw. die mangelnden Reformfortschritte kurzfristig keine spürbaren Nachteile für Albanien
brachten. So zog die EU trotz der geringen Fortschritte in den Jahren 2003 und 2004
keine starken Sanktionen in Betracht, wie z.B. den Abbruch der Verhandlungen oder
die Verweigerung der Hilfsgelder. Die EU unternahm sogar weitere Integrationsschritte, indem sie mit Albanien (wie mit anderen Ländern der Region) im Juni 2004
eine Europäische Partnerschaft und im Dezember 2005 eine revidierte Europäische
Partnerschaft abschloss. Angesichts der Situation in der Region, besonders nach den
Gewaltausschreitungen im März 2004 und dem anvisierten Beginn der Verhandlungen über den zukünftigen Status des Kosovo 2006, war die EU gewillt, den „Preis“
für Albaniens Bereitschaft zu bezahlen, weiterhin eine positive Rolle zur Absicherung der Stabilität auf dem Balkan zu spielen. Damit bildete das Angebot der Annäherungsschritte durch die EU ein Mittel zur Sicherstellung von Stabilität in der Region und nicht der Integration Albaniens an sich.
Drittens müssen die Kosten der Normanpassung der albanischen Regierungselite
betrachtet werden. Geht man davon aus, dass sie politische Akteure mit kurzfristigen
Interessen sind, kann man annehmen, dass es für sie nicht erstrebenswert war, die
hohen Kosten (sowohl materielle wie auch „Machtkosten“) zu tragen, die mit einer
Anpassung an die EU-Normen verbunden sind. Darüber hinaus wird die Umsetzung
des SAA und damit die Realisierung der anvisierten Vorteile eines solchen Abkommens mehrere Jahre dauern. Laut Art. 6 des SAA besteht eine Übergangszeit von
maximal zehn Jahren, die in zwei aufeinanderfolgende Stadien unterteilt ist (vgl.
Council of the European Union 2006 b). Außerdem wurde eine Überprüfungsklausel
in das Abkommen eingebaut. So sollen fünf Jahre nach Inkrafttreten des SAA Albaniens Reformfortschritte erneut überprüft und dann entschieden werden, „whether
this progress has been sufficient for the passage into the second stage in order to
achieve full Association. It shall also decide on any specific provisions deemed
necessary to govern the second stage“ (vgl. Council of the European Union 2006 b).
Der SAA-Rat, der mit dem Abkommen etabliert wurde, soll darüber hinaus regelmäßig die Entwicklungen Albaniens in Hinblick auf rechtliche, administrative, institutionelle und wirtschaftliche Reformen überprüfen.
Als Ausgleich für die Anpassungskosten und Verluste durch die Öffnung des albanischen Marktes gegenüber den EU-Staaten wurden allerdings zusätzliche finanzielle Mittel eingeplant, wenn man die indikative Planung für die Periode 2008–
2010 betrachtet. Das MIP für diesen Zeitraum sieht eine sukzessive Erhöhung der
Finanzmittel von 54,3 Mio. EUR im Jahr 2008 auf 82,7 Mio. EUR im Jahr 2010 vor
256 Interview mit dem Leiter einer albanischen NRO, am 17.1.2003 in Tirana.
201
(vgl. European Commission o.J. d).257 Im Vergleich dazu betrug die Unterstützung
unter dem CARDS-Programm 2001–2006 zwischen 37,5 Mio. EUR (2001) und 63,5
Mio. EUR (2004).
Angesichts der proeuropäischen Rhetorik der albanische Regierung, die im Widerspruch steht zu ihrem mangelnden Handeln in Bezug auf die von der EU verlangten Reformen, stellt sich die Frage, welchen Stellenwert die Reformen für die albanische politische Elite hatte und inwieweit sie am Fortschritt der Reformen interessiert war.
Betrachtete man vor allem die Jahre 2003 und 2004, so wird deutlich, dass die politische Eliten in Albanien in diesen Jahren in größere Machtkämpfe involviert waren. So kam es jeweils im Vorfeld der Lokalwahlen 2003 zwischen der SP-
Regierung und der von der DP angeführten Opposition zu starken ideologischen
Auseinandersetzungen. Daneben hatte ein interner Machtkampf um die Parteiführung in der SP zwischen dem Ministerpräsidenten Fatos Nano (damaliger Parteivorsitzender) und Ilir Meta (früherer stellvertretender Ministerpräsident) negative Effekte auf die politische Stabilität des Landes. Er führte dazu, dass Ilir Meta die Regierung und die SP verließ und im September 2004 seine eigene Partei, die
Sozialistische Bewegung für Integration, gründete. Im Vorfeld der Parlamentswahlen im Juli 2005 verschärfte sich wiederum die Polarisierung in der albanischen
Innenpolitik. Angesichts dieser von innenpolitischen Machtspielen besetzten Agenda waren die Anforderungen der EU nicht mehr der Mittelpunkt der Aufmerksamkeit der albanischen Elite. Vielmehr stand der Kampf um den Besitz des Staates als
Ganzes im Sinne des „winner-takes-all“-Spiels im Vordergrund des Machtinteresses.
Wenn man die nicht abbrechenden Vorwürfe gegenüber hochrangigen Vertretern
der SP-Regierung und der öffentlichen Verwaltung in Bezug auf Korruption, Betrug
und die Involvierung in illegale Geschäfte Ernst nimmt, erscheint der von der internationalen Gemeinschaft immer wieder beschworene „fehlende politische Wille“ für
Reformen nichts anderes als ein Mangel an gemeinsamen „Interessen“ zwischen der
EU und der albanischen regierenden Elite. Es kann angenommen werden, dass Teile
der albanischen politischen (Regierungs-)Elite immer noch mehr von einer Situation
profitierten, in der viele Bereiche des staatlichen Handelns unkontrolliert und unreguliert sind (z.B. bei der Ausstellung von Lizenzen, dem illegalen Handel, Schmuggel etc.), als von einem Zustand der Transparenz und der Regulierung des staatlichen Handelns, wie ihn die EU fordert. Da es fast unmöglich ist, verlässliche Zahlen
zu erhalten, ob und in welchem Ausmaß Teile der Regierung bzw. Staatsbeamte in
illegale Aktivitäten involviert sind, ist diese Annahme allerdings schwer zu beweisen. Jedoch zeigen Einschätzungen, wie sie sich beispielsweise im Korruptionsindex
von Transparency International niederschlagen, das große Ausmaß an Korruption.258
257 http://ec.europa.eu/enlargement/pdf/countries/ipa_miff_081106_en.pdf (Zugriff: 2.4.2007).
258 Im Jahr 2006 lag Albanien auf Platz 111 von 163 des Corruption Perception Index (CPI) von
Transparency International mit einer Note von 2,6 auf einer Skala von 10 (keine Korruption)
202
Insgesamt zeigten die SAA-Verhandlungen in hohem Maße das Dilemma der EU
und die Grenzen der Konditionalität. Das Dilemma bestand darin, dass die EU, um
den politischen Druck zu erhöhen und eine Steigerung der Reformbemühungen zu
erreichen, der Handlungslogik der Konditionalität entsprechend entweder die positiven Anreize hätte erhöhen oder zu negativen Sanktionen hätte greifen müssen. Für
größere positive Anreize standen der EU nur wenige Instrumente zur Verfügung,
z.B. eine Intensivierung der Beziehungen durch die Verleihung des EU-Kandidatenstatus. Ein Versuch in diese Richtung war das Angebot der Europäischen Partnerschaften, die allerdings mit zusätzlichen Anforderungen an die Region verbunden
waren. Negative Sanktionen hätten darin bestehen können, die Verhandlungen ganz
abzubrechen oder die finanzielle Unterstützung für Albanien zu stoppen. Ein Aussetzen der finanziellen Hilfe hätte bedeutet, dass gerade die Mittel, die Albanien
dazu befähigen sollten, die Reformen durchzuführen, nicht mehr zur Verfügung
gestanden hätten. Eine wesentliche Schwierigkeit der EU im Prozess der Verhandlungen lag aber vor allem darin, dass Reformen nur stückchenweise und nur nach
spezieller Aufforderung der EU aufgenommen wurden (z.B. Kampf gegen den Menschenhandel). Ein Abbruch der Verhandlungen wäre angesichts von einigen wenigen Reformbemühungen der Albaner eine in den Augen der EU zu starke Reaktion
gewesen. Die negativen Sanktionen hätten außerdem zu kontraproduktiven Entwicklungen führen können, z.B. zu einer Rückkehr zur Instabilität bzw. zum Kontrollverlust der EU über die Entwicklungen in Albanien. Ein „Aussetzen“ der Verhandlungen und ein Aufschieben des Abschlusses des SAA erschien daher als die beste
Möglichkeit, Druck auszuüben.
Die Entscheidung der EU, die SAA-Verhandlungen nach den Parlamentswahlen
von 2005 abzuschließen, kann vor allem als politisches Signal gewertet werden.
Albanien wurde dafür belohnt, dass es zu einem friedlichen Machtwechsel gekommen war und durch den Sieg der Oppositionspartei DP keine politische Krise ausgelöst wurde. Die EU war besonders an der Bewahrung der Stabilität in der Region
interessiert und wollte daher keinen Schritt unternehmen, der diese riskiert hätte.
Das Dilemma, dass positive Anreize und negative Sanktionen zu keiner adäquaten
Normanpassung führten und die Beziehung zwischen der EU und Albanien vielmehr
unter dem Gesichtspunkt der Wahrung der Stabilität und der Minimierung des Krisenrisikos gestaltet wurde, zeigt die Dysfunktionalität der Konditionalität im Fall
von „scheinheiligen Demokratisierern“.
Im ersten Teil des Kapitels wurde der politische Dialog der EU mit Albanien im
Rahmen der Vorbereitungen für ein SAA sowie der Verlauf der Verhandlungen
analysiert. Im zweiten Teil des Kapitels wird im Folgenden das zweite Instrument
der EU, die Unterstützungsprojekte, untersucht. Dabei stehen zwei für die Demokratisierung zentrale Bereiche der EU-Unterstützung, die Reform der öffentlichen Verwaltung und die Förderung der Zivilgesellschaft, im Vordergrund.
bis 0 (hohe Korruption) (vgl. Transparency International 2006). 2004 lag Albanien auf Platz
108 von 145 mit einer Note von 2,5 (vgl. Transparency International 2004).
203
4.3.2. Die Instrumente der Integration II: Die Förderprogramme der EU im
Bereich der Verwaltungsreform
Die Reform der öffentlichen Verwaltung entwickelte sich gegen Ende der 1990er
Jahre zu einem der wichtigsten Schwerpunkte der Unterstützungsmaßnahmen der
EU in Albanien. Obwohl es bereits vor dem Krisenjahr 1997 EU-Hilfe für die Reform der öffentlichen Verwaltung gab, wurde diese nach 1997 sowohl finanziell
aufgestockt als auch neu konzipiert. Seit der Durchführbarkeitsstudie der Kommission über die Verhandlungen eines SAA aus dem Jahr 1999 wurde die Reform der
öffentlichen Verwaltung auch innerhalb der Fortschrittsberichterstattung der Kommission analysiert. Mit dem Beginn des CARDS-Programms im Jahr 2001 wurden
die Förderprogramme der europäischen Kommission im Bereich der Verwaltungsreform nach den Zielen ausgerichtet, die im Rahmen der Vorbereitung und Durchführung der SAA von Bedeutung waren. Besonders nach der Eröffnung der Verhandlungen über ein SAA im Jahr 2003 rückte die Verwaltungsreform ins Zentrum der
Aufmerksamkeit, da ihr Funktionieren als wichtige Voraussetzung für die Umsetzung der Verpflichtungen unter dem SAA gesehen wurde.
Im Folgenden werden die Programme vorgestellt, die die EU zur Unterstützung
der öffentlichen Verwaltungsreform zwischen 1994 und 2003 durchgeführt hat. Der
Schwerpunkt liegt auf der Analyse der Ziele und der Umsetzung der Unterstützungsprogramme nach dem Krisenjahr 1997, weil die öffentliche Verwaltungsreform in dieser Zeit eine größere Bedeutung gewann. Einbezogen werden in erster
Linie die PHARE-Programme, die sich bis Anfang 2003 in der Umsetzung befanden.259 Die Untersuchung konzentriert sich im engeren Sinne auf die Reform der
zentralen Verwaltung. Dazu zählt die Entwicklung eines gesetzlichen Rahmens für
die öffentliche Verwaltung sowie zwei Institutionen, die mit der Reform und Kontrolle der öffentlichen Verwaltung beauftragt waren, die Abteilung für öffentliche
Verwaltung (AÖV) und die Kommission für öffentliche Verwaltung (KÖV).260
Schließlich werden Schlussfolgerungen gezogen, wie das Engagement der EU in
diesem Sektor einzuschätzen ist und welche Ergebnisse das Engagement der EU im
Bereich der Verwaltungsreform erzielen konnte.
4.3.2.1. Die Programme der EU zur Unterstützung der Verwaltungsreform
(1994–1997)
Die Reform der öffentlichen Verwaltung hatte neben der Reform des Finanz-, Energie- und Bildungssektors nach Beginn der Transformation in Albanien eine hohe
259 Die Unterstützung unter dem CARDS-Programm begann de facto erst im Jahr 2003. Damit
können die Ergebnisse hier nicht einbezogen werden, da die empirische Untersuchung in Albanien nur den Zeitraum bis 2003 umfasst.
260 Auf andere Bereiche der Administration, wie z.B. die Zollverwaltung, den Rechnungshof, die
Polizei, die von der EU auch unter dem Titel „Reform der öffentlichen Verwaltung“ unterstützt wurden, wird hingegen nicht eingegangen.
Chapter Preview
References
Zusammenfassung
Im Schnittfeld von Transformations- und Integrationsforschung bietet die Arbeit eine detaillierte Auseinandersetzung mit den Einflussmöglichkeiten europäischer Institutionen auf die Demokratisierung in Südosteuropa. Analysiert wird die Demokratisierungshilfe von EU, OSZE und Europarat am wenig untersuchten Fall des „scheinheiligen Demokratisierers“ Albanien. Scheinheilige Demokratisierer stellen die Demokratisierungsbemühungen europäischer Organisationen in Südosteuropa vor große Herausforderungen. Wegen der prekären Sicherheitslage weisen sie einen erhöhten Stabilisierungsbedarf auf und begrenzten dadurch die Wirkung des Engagements der europäischen Akteure. In Auseinandersetzung mit den Forschungsansätzen der Internationalen Sozialisierung, der Europäisierung und der Konditionalität leistet die Arbeit einen Beitrag zur Debatte über die Rolle externer Akteure und untersucht die Wirkungszusammenhänge zwischen der internationalen und nationalen Dimension der Demokratisierung von Transformationsländern. Die Ergebnisse der Studie werfen einen kritischen Blick auf die EU-Konditionalität und zeigen die Notwendigkeit einer neuen Integrationsstrategie für die Länder Südosteuropas auf.