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entstand ein großer Spielraum für die externen Akteure, eine wichtige Rolle für die
Entwicklung des Landes einzunehmen.
Albanische Experten gehen davon aus, dass der Einfluss der internationalen Organisationen in Albanien größer ist als in anderen Ländern auf dem Balkan.191 Das
hat zum einen mit dem Fehlen einer demokratischen Tradition in Albanien zu tun,
zum anderen mit den Konflikten zwischen den sich feindlich gegenüberstehenden
politischen Parteien in der albanischen Politik und dem Zusammenbruch der staatlichen Institutionen im Jahr 1997. Daher waren politische Mediatoren, wie vor allem
die OSZE nach 1997, von besonderer Bedeutung. Zusätzlich weist Daan Everts,
früherer OSZE-Botschafter in Albanien, auf die Bedeutung der Kosovo-Krise für die
internationale Wahrnehmung Albaniens hin. Die Ereignisse im Kosovo „setzten
aufgrund ihrer immensen politischen, humanitären und wirtschaftlichen Folgen
Albaniens noch immer zerbrechliche Demokratie und Infrastruktur ganz erheblichem Druck aus. Sie bescherten Albanien jedoch auch ein neues Verhältnis zur
internationalen Staatengemeinschaft und zu den internationalen Institutionen, mit
dem es vor der Krise nicht hatte rechnen können und das es sich nicht hätte träumen
lassen“ (Everts 1999: 309).
3.2.6. Zwischenfazit
In diesem Kapitel wurden die historischen, politischen, wirtschaftlichen und sozialen Kontextvariablen des albanischen Transformationsprozesses untersucht. Sie
stellen den „Handlungskorridor“ dar, in dem sich die externen Akteure mit ihrer
Unterstützung für den Demokratisierungsprozess Albaniens bewegten. Die Untersuchung orientierte sich an der analytischen Unterscheidung in die drei Phasen des
Transformationsprozesses, die Liberalisierung, die Institutionalisierung und die
Konsolidierung.
Außerdem wurden im Detail die fünf „Arenen“ (vgl. Stepan/Linz 1996), die für
eine Konsolidierung der Demokratie miteinander interagieren müssen, betrachtet:
die politische Gesellschaft, der Rechtsstaat, die Staatsbürokratie, die Zivilgesellschaft und die ökonomische Gesellschaft, d.h. die soziale und wirtschaftliche Entwicklung. Dabei standen die strukturellen Probleme des Transformationsprozesses
Albaniens im Vordergrund, die im Zusammenhang mit den Demokratisierungsbemühungen der externen Akteure von besonderer Relevanz sind.
Die Untersuchung der historischen Rahmenbedingungen zeigte, dass Albanien
nach der Unabhängigkeit vom Osmanischen Reich 1912 nur über äußerst beschränkte vorautokratische Demokratieerfahrungen in einer kurzen Zeit zwischen 1920 und
1924 verfügte. Unter dem totalitären Regime von Enver Hoxha 1944–1985 (danach
191 Interviews mit dem Leiter eines albanischen Forschungsinstituts und dem Leiter einer albanischen NRO im Medienbereich, am 21.1.2003 bzw. am 22.1.2003 in Tirana.
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unter Ramiz Alia bis 1990) war Albanien von einem zentralisierten politischen System und starker Isolation gegenüber dem Ausland geprägt.
In der Liberalisierungsphase, die nach dem Tod Enver Hoxhas 1985 einsetzte,
wurden von der kommunistischen Elite vor allem zwischen 1990 und 1991 Reformbemühungen und eine leichte Öffnung des Landes unternommen, die die angespannte Situation aber grundsätzlich nicht verbessern konnte. Zu den systeminternen Ursachen des Zusammenbruchs des totalitären Systems in Albanien 1990/1991 zählen
vor allem eine Legitimitätskrise aufgrund erheblicher Strukturprobleme im wirtschaftlichen, sozialen und politischen Bereich. Als externe Ursache muss der Dominoeffekt gesehen werden, der durch den Zusammenbruch der kommunistischen
Regime in Osteuropa nach 1989 und vor allem durch den Niedergang des Ceauscescu-Regimes in Rumänien ausgelöst wurde.
Die Phase der Institutionalisierung setzte mit dem Kontroll- und Machtverlust
der alten kommunistischen Elite bei den zweiten pluralistischen Parlamentswahlen
vom März 1992 ein, als die exkommunistische Partei der Arbeit Albaniens durch
einen politischen Erdrutschsieg der Oppositionsbewegung unter der Führung der
Demokratischen Partei (DP) die Regierungsverantwortung verlor. Die Institutionalisierung der Demokratie in Albanien war von mehreren Rückschlägen charakterisiert
und fand ihren vorläufigen Endpunkt 1998 in der endgültigen Verabschiedung einer
modernen, an europäischen Standards und Normen orientierten Verfassung.
Unter der Regierung der Demokratischen Partei, die zwischen 1992 und 1997 an
der Macht war, wurden eine Reihe von wirtschaftlichen und politischen Reformen
eingeleitet. Ein nachhaltiger Reformprozess konnte jedoch nicht etabliert werden.
Dies wurde vor allem nach dem Zusammenbruch der Pyramidenspiele Anfang 1997
deutlich, der eine Staatskrise und bürgerkriegsähnliche Zustände auslöste. Sie offenbarten die schweren Mängel des vorangegangenen Reformprozesses.
Die politische und wirtschaftliche Krise von 1997 markierte – nach den gefälschten Wahlen von 1996 und der zunehmend autoritären Politik Berishas – den Höhepunkt der Rückschläge des Demokratisierungsprozesses in Albanien und führte
dazu, dass die Reformbemühungen von Neuem beginnen mussten. Die Verabschiedung der Verfassung von 1998 beendete die Zeit der Unsicherheit im Hinblick auf
die verfassungsmäßig abgesicherten Normen und Strukturen, von der das politische
Verhalten in der Zeit zwischen 1992 und 1998 geprägt war. Die Phase der Demokratisierung kann aber auch nach der Verabschiedung der Verfassung von 1998 noch
nicht als abgeschlossen gelten. Zwar hat Albanien mit der Verfassung erhebliche
Fortschritte bei der Etablierung des institutionellen und legislativen Rahmens für
eine funktionierende Demokratie gemacht; sie kann aber noch nicht als konsolidiert
gelten.
Die Konsolidierung der Demokratie wurde vor allem auch deshalb erschwert,
weil die Zeit nach 1997/1998 trotz einer langsamen Rückkehr zur „Normalität“ und
Stabilisierung von weiteren Krisen und strukturellen Problemen gekennzeichnet
war, die Hindernisse auf dem Weg zu einer demokratischen Konsolidierung darstellten. Das zeigte die Untersuchung der fünf „Arenen der Konsolidierung“. Sie erlaubte einen analytischen Zugriff auf die Demokratisierungsproblematik und machte
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eine systematische Beurteilung des Prozesses der Institutionalisierung der Demokratie in Albanien möglich.
Die Untersuchung der ineinandergreifenden „Arenen der Konsolidierung“ zeigte,
dass Albanien nach 1997 immer noch von einem schwachen Staat und einer schwachen Gesellschaft charakterisiert ist. So ist die politische Gesellschaft in Albanien
von einer starken Elitenpolarisierung gekennzeichnet, die den politischen Konsens
über grundlegende Reformen erschwerte. Der Anspruch der jeweils herrschenden
Partei auf den gesamten Staat im Sinne des „winner-takes-all“ und die fehlende
Differenzierung zwischen der Regierung und dem Staat ging mit einer mangelnden
Anerkennung institutionalisierter Verfahren der politischen Auseinandersetzung
einher. Das zeigte sich vor allem an den wiederholten, mehrmonatigen Parlamentsboykotten in den Jahren 1996, 1997–1999 und 2001–2002 durch die jeweilige große
Oppositionspartei, die nach jeder Parlamentswahl wegen der Nichtanerkennung der
Wahlergebnisse folgten. Neben einer schwachen Legislative war die Exekutive
wegen innerparteilicher Machtkämpfe von personeller Diskontinuität gekennzeichnet. Ein häufiger Personalwechsel im Amt des Ministerpräsidenten und im Kabinett
führte zu wiederholter politischer Instabilität und einem Nachlassen des Reformprozesses. Deutlichstes Kennzeichnen der mangelnden demokratischen Konsolidierung
bildeten außerdem die Wahlen, die trotz Wahlreformen umstritten waren und von
der internationalen Gemeinschaft nur teilweise als frei und fair bezeichnet wurden.
Ein Charakteristikum des schwachen Staats in Albanien ist darüber hinaus die öffentliche Verwaltung sowie das Rechts- und Justizsystem, die noch erhebliche Probleme aufweisen. Die Schwäche des Staates zeigt sich dabei in seiner mangelnden
Fähigkeit, Gesetze umzusetzen bzw. ihnen Geltung zu verschaffen, Steuern einzunehmen und die Bürger mit grundlegenden öffentlichen Dienstleistungen zu versorgen bzw. die Teilhabe der Bevölkerung am öffentlichen Leben sicherzustellen. Die
strukturellen Defizite liegen vor allem in einer schlechten Infrastruktur, fehlendem
bzw. schlecht ausgebildetem Personal und einer unzureichenden Vergütung. Neben
der immer noch weit verbreiteten Korruption ist darüber hinaus die hohe politische
Beeinflussung der Administration (u.a. bei der Besetzung von Stellen) problematisch. Die größte Schwierigkeit für die Konsolidierung des Rechtsstaats liegt in der
mangelnden Umsetzung des bestehenden gesetzlichen Rahmens.
Wie deutlich wurde, ist auch die Zivilgesellschaft in Albanien immer noch im
Entstehen begriffen. Bisher hat sich eine spezifische Variante von Zivilgesellschaft
herausgebildet. Sie besteht im Wesentlichen aus einem besonders seit 1999 wachsenden NRO-Sektor, der stark von der internationalen Gemeinschaft gefördert wird
und in vielen Fällen attraktiver Arbeitgeber bzw. „Parkmöglichkeit“ für ehemalige
Politiker ist. Andere Formen der zivilgesellschaftlichen Organisationen, wie z.B.
Bürgerinitiativen, Interessensverbände und Gewerkschaften, existieren hingegen nur
in einem geringen Ausmaß.
Neben der noch unterentwickelten Zivilgesellschaft weist auch die ökonomische
Gesellschaft strukturelle Probleme auf. Obwohl das Land über ein anhaltendes hohes Wirtschaftswachstum und eine junge Bevölkerung verfügt, gehört das Pro-Kopf-
Einkommen (trotz steigender Tendenz) immer noch zu einem der niedrigsten in
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Europa. Die Wirtschaft Albaniens ist von einer starken Abhängigkeit von außen
(bzgl. des Handels, der finanziellen Unterstützung etc.) charakterisiert. Armut, eine
hohe Arbeitslosigkeit und fehlende Perspektiven in weiten Teil der Bevölkerung
sorgen für eine anhaltende temporäre und permanente Arbeitsmigration, die mit
einem „brain drain“ verbunden ist. Schließlich gefährdet die organisierte Kriminalität, die Vorwürfen zufolge eng mit der Politik verflochten ist, die Stabilität des Landes und untergräbt den Übergang in eine formale Marktwirtschaft. Insgesamt wurde
damit deutlich, dass schwierige Voraussetzungen und Kontextbedingungen für eine
Unterstützung der Demokratisierung in Albanien von außen herrschen.
Chapter Preview
References
Zusammenfassung
Im Schnittfeld von Transformations- und Integrationsforschung bietet die Arbeit eine detaillierte Auseinandersetzung mit den Einflussmöglichkeiten europäischer Institutionen auf die Demokratisierung in Südosteuropa. Analysiert wird die Demokratisierungshilfe von EU, OSZE und Europarat am wenig untersuchten Fall des „scheinheiligen Demokratisierers“ Albanien. Scheinheilige Demokratisierer stellen die Demokratisierungsbemühungen europäischer Organisationen in Südosteuropa vor große Herausforderungen. Wegen der prekären Sicherheitslage weisen sie einen erhöhten Stabilisierungsbedarf auf und begrenzten dadurch die Wirkung des Engagements der europäischen Akteure. In Auseinandersetzung mit den Forschungsansätzen der Internationalen Sozialisierung, der Europäisierung und der Konditionalität leistet die Arbeit einen Beitrag zur Debatte über die Rolle externer Akteure und untersucht die Wirkungszusammenhänge zwischen der internationalen und nationalen Dimension der Demokratisierung von Transformationsländern. Die Ergebnisse der Studie werfen einen kritischen Blick auf die EU-Konditionalität und zeigen die Notwendigkeit einer neuen Integrationsstrategie für die Länder Südosteuropas auf.