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3.2.5. Die internationale Unterstützung der Transformation in Albanien
Seit Beginn des Transformationsprozesse 1991 engagiert sich in Albanien eine gro-
ße Zahl von europäischen und internationalen Organisationen (u.a. UNDP, IWF,
Weltbank, EBRD, EIB, Europarat, EU, OSZE) und bilateralen Gebern (USA, Japan,
Norwegen sowie mehrere EU-Staaten, wie u.a. Dänemark, Deutschland, Niederlande), um das Land bei der Stabilisierung, dem Wiederaufbau und seinen wirtschaftlichen und politischen Reformen zu unterstützen.188 Albanien trat bereits 1991 dem
IWF und der Weltbank bei. In demselben Jahr wurde das Land in die OSZE aufgenommen. Außerdem erhielt Albanien Zugang zu den PHARE-Programmen der EU.
1992 schloss das Land ein Handels- und Kooperationsabkommen mit der EU ab.
1995 erfolgte die Aufnahme in den Europarat.
Während sich die Weltbank, die EBRD, der IWF und die EIB im Wesentlichen
auf den Wiederaufbau und die Unterstützung der wirtschaftlichen und sozialen
Transformation konzentrierten, stand im Zentrum der Aktivitäten von OSZE und des
Europarats die Demokratisierung. Die EU nimmt eine mittlere Position ein. Sie
leistete sowohl einen Beitrag zum Wiederaufbau und zur wirtschaftlichen Transformation als auch zum Aufbau demokratischer Institutionen. Wie bereits deutlich
wurde, war und ist Albanien in hohem Maße von der internationalen Unterstützung
abhängig.
Die Rolle der internationalen Organisationen kann in die zwei Phasen vor und
nach 1997 unterteilt werden. Nach Meinung von albanischen Experten änderte sich
der Umfang der Unterstützung durch die internationale Gemeinschaft signifikant
nach 1997.189 Während sie zwischen 1991 und 1997 eine unterstützende Rolle beim
Wiederaufbau und der (vor allem wirtschaftlichen) Transformation spielten, gewannen sie nach 1997 für die Innenpolitik Albaniens eine wesentlich größere Bedeutung.
Dadurch entstand eine „Kultur der Abhängigkeit“ der albanischen Akteure von
außen. Der Leiter einer albanischen NRO im Medienbereich geht sogar so weit,
Albanien in der Zeit zwischen 1996 und 1999 als ein „Schattenprotektorat“ der internationalen Gemeinschaft zu bezeichnen.190 So hat sich seiner Meinung nach das
Hotel „Europapark“ der österreichischen Hotelkette Rogner, das zu den ersten Vier-
Sterne-Hotels am zentralen Boulevard Tiranas gehörte und in dem die meisten internationalen Missionen Unterkunft fanden, zu einem Machtzentrum der internationalen Gemeinschaft in Albanien entwickelt. Da die albanische politische Elite in dieser
Zeit im Wesentlichen nicht in der Lage gewesen sei, das Land selbst zu führen,
188 Eine genaue Übersicht über das Engagement der multi- und bilateralen Gebern, die geförderten Sektoren und Regionen in Albanien bietet eine Studie der Verfasserin aus dem Jahr 2000,
siehe Annex II.
189 Interviews mit dem Leiter eines albanischen Forschungsinstituts und dem Leiter einer albanischen NRO im Medienbereich, am 21.1.2003 bzw. am 22.1.2003 in Tirana.
190 Interview mit dem Leiter einer albanischen NRO im Medienbereich, am 22.1.2003 in Tirana.
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entstand ein großer Spielraum für die externen Akteure, eine wichtige Rolle für die
Entwicklung des Landes einzunehmen.
Albanische Experten gehen davon aus, dass der Einfluss der internationalen Organisationen in Albanien größer ist als in anderen Ländern auf dem Balkan.191 Das
hat zum einen mit dem Fehlen einer demokratischen Tradition in Albanien zu tun,
zum anderen mit den Konflikten zwischen den sich feindlich gegenüberstehenden
politischen Parteien in der albanischen Politik und dem Zusammenbruch der staatlichen Institutionen im Jahr 1997. Daher waren politische Mediatoren, wie vor allem
die OSZE nach 1997, von besonderer Bedeutung. Zusätzlich weist Daan Everts,
früherer OSZE-Botschafter in Albanien, auf die Bedeutung der Kosovo-Krise für die
internationale Wahrnehmung Albaniens hin. Die Ereignisse im Kosovo „setzten
aufgrund ihrer immensen politischen, humanitären und wirtschaftlichen Folgen
Albaniens noch immer zerbrechliche Demokratie und Infrastruktur ganz erheblichem Druck aus. Sie bescherten Albanien jedoch auch ein neues Verhältnis zur
internationalen Staatengemeinschaft und zu den internationalen Institutionen, mit
dem es vor der Krise nicht hatte rechnen können und das es sich nicht hätte träumen
lassen“ (Everts 1999: 309).
3.2.6. Zwischenfazit
In diesem Kapitel wurden die historischen, politischen, wirtschaftlichen und sozialen Kontextvariablen des albanischen Transformationsprozesses untersucht. Sie
stellen den „Handlungskorridor“ dar, in dem sich die externen Akteure mit ihrer
Unterstützung für den Demokratisierungsprozess Albaniens bewegten. Die Untersuchung orientierte sich an der analytischen Unterscheidung in die drei Phasen des
Transformationsprozesses, die Liberalisierung, die Institutionalisierung und die
Konsolidierung.
Außerdem wurden im Detail die fünf „Arenen“ (vgl. Stepan/Linz 1996), die für
eine Konsolidierung der Demokratie miteinander interagieren müssen, betrachtet:
die politische Gesellschaft, der Rechtsstaat, die Staatsbürokratie, die Zivilgesellschaft und die ökonomische Gesellschaft, d.h. die soziale und wirtschaftliche Entwicklung. Dabei standen die strukturellen Probleme des Transformationsprozesses
Albaniens im Vordergrund, die im Zusammenhang mit den Demokratisierungsbemühungen der externen Akteure von besonderer Relevanz sind.
Die Untersuchung der historischen Rahmenbedingungen zeigte, dass Albanien
nach der Unabhängigkeit vom Osmanischen Reich 1912 nur über äußerst beschränkte vorautokratische Demokratieerfahrungen in einer kurzen Zeit zwischen 1920 und
1924 verfügte. Unter dem totalitären Regime von Enver Hoxha 1944–1985 (danach
191 Interviews mit dem Leiter eines albanischen Forschungsinstituts und dem Leiter einer albanischen NRO im Medienbereich, am 21.1.2003 bzw. am 22.1.2003 in Tirana.
Chapter Preview
References
Zusammenfassung
Im Schnittfeld von Transformations- und Integrationsforschung bietet die Arbeit eine detaillierte Auseinandersetzung mit den Einflussmöglichkeiten europäischer Institutionen auf die Demokratisierung in Südosteuropa. Analysiert wird die Demokratisierungshilfe von EU, OSZE und Europarat am wenig untersuchten Fall des „scheinheiligen Demokratisierers“ Albanien. Scheinheilige Demokratisierer stellen die Demokratisierungsbemühungen europäischer Organisationen in Südosteuropa vor große Herausforderungen. Wegen der prekären Sicherheitslage weisen sie einen erhöhten Stabilisierungsbedarf auf und begrenzten dadurch die Wirkung des Engagements der europäischen Akteure. In Auseinandersetzung mit den Forschungsansätzen der Internationalen Sozialisierung, der Europäisierung und der Konditionalität leistet die Arbeit einen Beitrag zur Debatte über die Rolle externer Akteure und untersucht die Wirkungszusammenhänge zwischen der internationalen und nationalen Dimension der Demokratisierung von Transformationsländern. Die Ergebnisse der Studie werfen einen kritischen Blick auf die EU-Konditionalität und zeigen die Notwendigkeit einer neuen Integrationsstrategie für die Länder Südosteuropas auf.