124
Partei, „um die Lage im Inland zu stabilisieren und um Wirtschaftshilfe des Auslandes zu erhalten“ (Schmidt-Neke 2001: 769).
Die Opposition, d.h. in erster Linie die Demokratische Partei, erkannte das Wahlergebnis vom März 1991 wegen Unregelmäßigkeiten nicht an. In der unmittelbaren
Nachwahlperiode verschärften sich daraufhin die gesellschaftlichen Unruhen (vgl.
Merkel 1999). Demonstrationen und Streiks der neu gegründeten unabhängigen
Gewerkschaften sowie zunehmendes Chaos und Anarchie auf den Straßen zwang
die Regierung, einen gemeinsamen Lösungsweg mit der Opposition zu suchen. Fatos Nano trat zurück und eine „Regierung der nationalen Einheit“ aus der PAA, DP,
RP, SDP und der AP unter dem ehemaligen Minister Ylli Bufi wurde gebildet.
Schließlich fanden im März 1992 die zweiten pluralistischen Wahlen statt.
Betrachtet man das Ende des totalitären Systems in Albanien in Hinblick auf die
Art und Weise der Ablösung des alten Regimes, so kann man von einer Mischung
aus zwei verschiedenen Modi sprechen: Zum einen war der Übergang vom Versuch
der kommunistischen Elite unter Führung Alias, dem „Erben“ Hoxhas, gekennzeichnet, den Systemwechsel so lange wie möglich zu kontrollieren und zu steuern.
Zum anderen kann von einem „von unten erzwungenen Systemwechsel“ gesprochen
werden, bei dem die Massenproteste der Bevölkerung ab 1990 die Regierung unter
Alia zwangen, ein pluralistisches Parteiensystem zuzulassen (vgl. ebd.). Trotz der
Einführung eines pluralistischen Parteiensystems wurde der „von der alten Regimeelite gelenkte Systemwechsel“ fortgesetzt. Durch die Wiederwahl der PAA bei den
ersten Wahlen 1991 setzte sich die alte Regimeelite zumindest für einige Monate bis
zu den Neuwahlen 1992 durch und hielt ihr langjähriges politisches Monopol aufrecht.
3.2.3. Der lange Weg der Institutionalisierung: Der Aufbau der Demokratie mit
Rückschlägen (1992–1998)
Vom Beginn der Demokratisierungsphase spricht die Transformationsforschung,
„wenn die Kontrolle der politischen Entscheidungen den alten autoritären Herrschaftseliten entgleitet und demokratischen Verfahren überantwortet wird“ (Merkel
1999: 137). In Albanien musste die alte kommunistische Elite der Partei der Arbeit
Albaniens bei den zweiten pluralistischen Parlamentswahlen vom März 1992 einen
entscheidenden Kontroll- und Machtverlust durch den politischen Erdrutschsieg der
Oppositionsbewegung hinnehmen (vgl. USAID 2000).
125
Tabelle 19: Parlamentswahlen 1991 und 1992 (Stimmenanteil in Prozent/Sitze)
Partei 1991 1992
in % Sitze in % Sitze
Sozialistische Partei (SP)* 56,2 169 25,7 38
Demokratische Partei (DP) 38,7 75 62,1 92
Republikanische Partei (RP) 1,5 0 3,1 1
Sozialdemokratische Partei (SDP) – – 4,4 7
Partei Union für die Menschenrechte/
Omonia** (PUM) 0,7 5 2,9 2
Agrarpartei (AP) 0,1 0 0,6 0
Sonstige 1 – –
Parlamentssitze gesamt 250 140
Quelle: Schmidt-Neke 2002.
* bei den Wahlen 1991: Partei der Arbeit Albaniens (PPSH); ** bei den Wahlen 1991: Omonia
Die Demokratische Partei (DP) unter Sali Berisha gewann mit 62,1 Prozent der
Stimmen (1991: 38,7 Prozent). Die in Sozialistische Partei (SP) umbenannte Partei
der Arbeit Albaniens erhielt nur 25,7 Prozent der Stimmen (1991: 56,2 Prozent).134
Ramiz Alia (SP) trat daraufhin als Staatspräsident zurück und Sali Berisha wurde zu
seinem Nachfolger gewählt.
Damit begann eine neue Phase im Transformationsprozess Albaniens: die Phase
der Institutionalisierung der Demokratie. Übernimmt man das Kriterium der Transformationsforschung und bestimmt das (zumindest „symbolische“) Ende der Phase
der Institutionalisierung der Demokratie mit der Verabschiedung der endgültigen
demokratischen Verfassung, so dauerte diese Phase in Albanien bis 1998 ca. sieben
Jahre (vgl. Merkel 1999). Da die Verabschiedung einer endgültigen Verfassung
schleppend verlief, verzögerte sich die Institutionalisierung der Demokratie in Albanien. Vor allem die Krise von 1997 sorgte für einen schweren Rückschlag für die
Demokratisierung und den Staatsaufbau.
Im Folgenden wird der Aufbau der demokratischen Institutionen und die Einführung marktwirtschaftlicher Reformen von der DP-Regierung zwischen 1992–1997
betrachtet. Danach wird die Staatskrise von 1997 und ihre Ursachen und Wirkungen
beleuchtet.
134 Die Umbenennung erfolgte im Juni 1991. Außerdem änderte die Partei auf ihrem 10. Parteikongress die Statuten, das Programm und die Führung der Partei. „The changes were just
cosmetics and the conservative-nostalgic won“ (Luarasi 1997: 11).
126
3.2.3.1. Der Aufbau demokratischer Institutionen und der Marktwirtschaft
Die aus der intellektuellen Oppositionsbewegung hervorgegangene DP unter Staatspräsident Sali Berisha leitete nach ihrem Wahlsieg 1992 eine Reihe von Reformen
ein, die auf die Etablierung einer Marktwirtschaft und demokratischer Institutionen
sowie die Integration Albaniens in die europäischen Strukturen und internationalen
Organisationen abzielten (vgl. Krech 1997).135
Noch unter der Führung Alias wurde am 29. April 1991 als provisorische Übergangsverfassung das „Gesetz über die wichtigsten Verfassungsbestimmungen“ beschlossen. Damit wurde die Verfassung von 1976 außer Kraft gesetzt. Das Gesetz
legte die Umwandlung Albaniens in eine parlamentarische Republik fest.136 Gleichzeitig wurde der Präsident mit weitreichenden exekutiven und legislativen Vollmachten ausgestattet. „Despite its limitations, the provisional Constitution signalled
a significant break from the country’s inflexible Stalinist past“ (Pettifer/Vickers
1999: 63). Die DP beschloss nach ihrem Wahlsieg im Jahr 1992 eine Reihe von
Zusätzen zum „Gesetz über die wichtigsten Verfassungsbestimmungen“, um die
neuen Spielregeln des politischen Systems zu ihren Gunsten hin zu gestalten. Ziel
war die Erweiterung der Befugnisse des Präsidenten und damit eine erhebliche Stärkung der Macht von Sali Berisha (vgl. Pano 1997).
Während sich Berisha in den ersten zwei Jahren seiner Amtszeit nach 1992 wegen seiner Reformen einer breiten Unterstützung im Inland und Ausland erfreuen
konnte, entwickelte er nach 1994 einen zunehmend autoritären Führungsstil. Anzeichen dafür waren Verstöße gegen Menschenrechte und grundlegende politische
Freiheiten, die Verletzung demokratischer Normen und der Versuch, 1994 die endgültige Verfassung ohne Einbindung des Parlaments zu verabschieden (vgl. ebd.).
Bei der Vorbereitung der Verfassung kam es zu hochgradig polarisierten Auseinandersetzungen, die die Inhalte des Entwurfes sowie das Verfahren seiner Erstellung betrafen (vgl. Schmidt-Neke 2002).137 Sie führten zu einer zunehmenden politischen Instabilität. Die endgültige Fassung des Verfassungsentwurfs wurde schließlich im September 1994 fertiggestellt, ohne die Vorwürfe der Opposition zu
berücksichtigen. Ein dreimonatiger Parlamentsboykott der Opposition (SP) führte
dazu, dass die DP-Regierung am 30. September 1994 die zur Annahme nötige Zweidrittel-Mehrheit des Parlaments nicht erringen konnte. Auch der Versuch Berishas,
das Parlament zu umgehen und die Verfassung 1995 per Referendum annehmen zu
135 Für die Integration Albaniens in die internationale Struktur vgl. Kapitel 3.2.5.
136 Weitere Elemente umfassten die Festschreibung des politischen Pluralismus, die Garantie der
Menschen- und Bürgerrechte, die Religionsfreiheit, die Entpolitisierung des Militärs, der Polizei, des diplomatischen Corps und der Justiz sowie die Anerkennung der Religionsfreiheit
und des Rechts auf Eigentum (auch für Ausländer).
137 Dabei warf die Opposition der DP eine Verschleppung bei der Vorbereitung des Verfassungsentwurfes vor und bezichtigte sie, in der Verfassung eine extensive Machtdelegation an
den Präsidenten festschreiben zu wollen.
127
lassen, scheiterte.138 1996 wurden wegen der Parlamentswahlen in demselben Jahr
keine weiteren Schritte zur Entwicklung einer endgültigen Verfassung unternommen, u.a. deshalb, weil sich die Regierung und die Opposition nicht auf die Zusammensetzung einer neuen Kommission einigen konnten.
Da Berishas Position und die Wiederwahl der demokratischen Partei bei den Parlamentswahlen von 1996 gefährdet schien, beschloss die DP-Regierung eine Änderung des Wahlgesetzes, die auf eine Stärkung der Position der DP abzielte.139 Bei
den Wahlen stellten internationale Wahlbeobachter vom Büro für Demokratische
Institutionen und Menschenrechte (Office for Democratic Institutions and Human
Rights, ODIHR) erhebliche Irregularitäten und Manipulationen fest.140 Daraufhin
wurde die Wahl in 17 Wahlkreisen wiederholt. Die DP ging schließlich mit einer
Mehrheit von 55,5 Prozent aus den Wahlen hervor und erlangte damit 87,1 Prozent
der Sitze, während die größte Oppositionspartei SP mit 20,4 Prozent der Stimmen
nur 7,1 Prozent der Sitze erringen konnte. „Berisha (…) gained virtually absolute
control over all branches of government“ (USIP 2005: 56).
Die von internationalen Beobachtern als „unfair“ bezeichnete Parlamentswahl
trug zu einer Umkehr im Demokratisierungsprozess des Landes bei (vgl. Greco
1998). Die Versuche der SP, die Gültigkeit der Wahlen anzufechten, scheiterten an
ihrer im Vergleich zur DP geringen Einflussmöglichkeit. Sie entschied sich daher,
das neu gewählte Parlament zu boykottieren (vgl. Pano 1997; Schmidt-Neke 2002).
Erst die Stabilisierung nach dem Krisenjahr 1997, in dem der Zusammenbruch
der Pyramidenspiele zu einer politischen und wirtschaftlichen Krise und zu bürgerkriegsähnlichen Unruhen geführt hatte, ermöglichte 1998 die Verabschiedung der
endgültigen Verfassung. Sie wurde am 22. November 1998 durch ein Referendum
mit 93,5 Prozent der Stimmen angenommen – bei einer Beteiligung von 50,6 Prozent der Bevölkerung (vgl. Schmidt-Neke 2002). Damit wurde das Grundgerüst für
die zentralen politischen Institutionen gelegt. Die Verfassung, die am 28. November
1998 in Kraft trat, entspricht nach Angaben der OSZE den westlichen liberaldemokratischen Grundsätzen und widmet sich u.a. den Grund-, Menschen- und
Bürgerrechten (Art. 1–58) sowie den „sozialen Staatszielen“ (Art. 59). Auch die
Grundzüge des Wahlrechts (eine Kombination aus Verhältnis- und absolutem Mehrheitswahlrecht mit einer Sperrklausel von 2,5 Prozent), das in der Vergangenheit vor
jeder Wahl geändert worden war, wurden in der Verfassung festgeschrieben (Art.
138 Bei einer Beteiligung von 84,4 Prozent der Bevölkerung wurde sie mit einer Mehrheit von
53,9 Prozent der Stimmen im November 1995 abgelehnt (vgl. Pano 1997).
139 Die Anzahl der direkt gewählten Abgeordneten wurde von 100 auf 115 angehoben, was die
DP begünstigte.
140 So war u.a. die Zusammensetzung der Wahlkommission, in der die DP überrepräsentiert war,
umstritten. Schließlich verzögerte Berisha, der als Präsident für die Festsetzung des Wahltermins verantwortlich war, die Bekanntgabe des Termins, so dass den anderen Parteien nur eine
sehr geringe Vorbereitungszeit blieb (vgl. Pano 1997).
128
64). Schließlich wurden die Befugnisse des Präsidenten erheblich zugunsten des
Ministerpräsidenten und der Regierung beschnitten (Art. 95).141
Im Bereich der Wirtschaft setzte die DP-Regierung zu Beginn der 1990er Jahre
mit Unterstützung des IWF und anderer internationaler Organisationen ein äußerst
restriktives Reformprogramm um, das u.a. Maßnahmen zur Fiskal- und Geldmengenkontrolle kombiniert mit umfassenden Reformen des Preis- und Wechselkurssystems beinhaltete (Horn/Kuši? 2001: 54). Auch die Privatisierung wurde schnell
vorangetrieben, so dass bereits 1995 der Anteil des Privatsektors am BIP bei 60
Prozent lag (vgl. EBRD 2004). Das entsprach dem damaligen Privatisierungsstand
Polens oder Ungarns. „The Albanian reform could be characterized as quick and
liberal (…) The dominant philosophy was the less state, the better“ (Kume/Llaci
2000: 109). Mit diesem Programm konnte zwar die Inflation von 31 Prozent im Jahr
1993 auf 6 Prozent im Jahr 1996 gebracht werden, der Schock für die gesamte Wirtschaft war jedoch sehr stark. So fiel zwischen 1990 und 1994 die Industrieproduktion um mehr als 70 Prozent, das BIP um 35 Prozent und die Reallöhne um 30 Prozent (ebd.).
Obwohl Albanien als eine „Erfolgsgeschichte“ von der internationalen Gemeinschaft gefeiert wurde, konnte ein nachhaltiger Reformprozess nicht etabliert werden
(vgl. Biberaj 1998; Kume/Llaci 2000). „In fact, apparent economic success depended in large part on remittances from the workforce living abroad, large-scale
smuggling and money laundering“ (Kume/Llaci 2000: 110). Trotz der Verbesserung
der makroökonomischen Daten blieb Albanien mit einem Pro-Kopf-Einkommen von
675 USD im Jahr 1995 das ärmste Land Europas.
3.2.3.2. Die Staatskrise von 1997: Die zweite „Stunde Null“ des
Transformationsprozesses
Zusammen mit der Entlegitimierung des neuen demokratischen Systems durch den
Wahlbetrug wurden 1996 auch grundlegende Schwächen und Unzulänglichkeit des
albanischen Wirtschaftswachstums sichtbar, „most importantly its dependence on
unregulated financial activities and its links to criminal activities such as crossborder smuggling“ (Greco 1998: 2). Bereits seit Beginn der Transformation hatte
sich ein informeller Markt für Geldgeschäfte entwickelt. Ein sehr großer Teil der
Bevölkerung legte seine Ersparnisse dabei in sog. „Pyramidengesellschaften“ ein,
Finanzanlagegesellschaften, die ihre Anleger mit einer Verzinsung von 4 bis 20
Prozent im Monat anlockten (vgl. Horn/Kuši? 2001). Trotz Warnungen von IWF
und Weltbank vor den mit den Pyramidenspielen verbundenen Risiken und den
mangelhaften Reformen des Bankensektors ignorierte die Regierung Berisha deren
Ratschläge (vgl. Greco 1998, Vaughan-Whitehead 1999).
141 Die Verfassung wurde unter Beteiligung der Zivilgesellschaft und der internationalen Gemeinschaft (u.a. der OSZE) entworfen. Sie wurde von der OSZE überarbeitet und kommentiert, bevor sie 1998 verabschiedet wurde (vgl. USAID 2002).
129
Der simultane Zusammenbruch einer Reihe von Pyramidenspielen zwischen Dezember 1996 und Januar 1997 löste schließlich eine tiefgreifende institutionelle,
wirtschaftliche und politische Krise aus, die mit bürgerkriegsähnlichen Unruhen und
dem Zusammenbruch der staatlichen Institutionen und der legitimen Autorität der
zentralen Regierung einherging (vgl. Greco 1998). In kurzer Zeit führte das weitverbreitete Chaos und die Anarchie zu einem Anstieg an kriminellen Aktivitäten, zur
Zerstörung von öffentlichem und privatem Eigentum und zu einem Engpass an Lebensmitteln (vgl. USIP 2005).142 Mehrere Militärbasen und Polizeistationen wurden
gestürmt und Waffen und Munition entwendet.143 Mitte Februar befanden sich viele
Gebiete vor allem im Süden des Landes unter der Kontrolle von Rebellen- oder
kriminellen Gruppen (vgl. Greco 1998). Es fanden Massenproteste und Demonstrationen gegen Präsident Berisha und seine Regierung statt, „which were accused of
having close relationship with the pyramid companies and of having benefited from
their support during the election campaign of the previous year“ (Greco 1998: 2).
Auch das Vertrauen ausländischer Investoren war gebrochen, was sich u.a. an einem
50prozentigen Rückgang der ausländischen Direktinvestitionen und einer Abwertung der albanischen Währung zeigte (vgl. Horn/Kuši? 2001). Da die albanische
Polizei und die Streitkräfte nicht in der Lage waren, die Aufstände der Bevölkerung
zu stoppen, wurde schließlich unter dem Codenamen „Operation Alba“ eine multinationale Schutztruppe (Multinational Protection Force, MPF) nach Albanien entsandt, die vom Sicherheitsrat der Vereinten Nationen (VN) in der Resolution 1101
vom 28. März 1997 autorisiert worden war.144 Ziel war es vor allem, die Sicherheit
für die internationalen und regionalen Organisationen zu gewährleisten, die Albanien mit humanitärer Hilfe unterstützten.
Vaughan-Whitehead, der die Krise von 1997 ausführlich analysiert, kommt zu
dem Schluss, dass der Zusammenbruch der Pyramidenspiele als „katalytisches Ereignis“ interpretiert werden muss, hinter dem sich eine Reihe von negativen ökonomischen, sozialen und politischen Entwicklungen verbargen, die in den Jahren des
„Aufbruchs“ in Albanien (auch von den internationalen Gebern) ignoriert worden
waren (vgl. Vaughan-Whitehead 1999). Dazu zählt er die folgenden Aspekte: Die
Wirtschaft war von einem fragilen ökonomischen Wachstum gekennzeichnet, das
durch den Zusammenbruch der industriellen Produktion charakterisiert war.145
142 1.800 Menschen wurden in Folge des Zusammenbruchs der öffentlichen Ordnung durch
Kriminelle, in lokalen Streitigkeiten, Blutfehden und durch Unfälle mit Gewehren getötet
(vgl. USIP 2005).
143 Dabei wurden mehr als 700.000 leichte Waffen gestohlen, die teilweise später während der
Krisen im Kosovo und Mazedonien wieder auftauchten.
144 Die „Operation Alba“ wurde von einer „Multinationalen Schutztruppe“ aus zehn europäischen Ländern unter der Führung Italiens getragen, die sich bildete, nachdem alle anderen in
Frage kommenden Organisationen (NATO, Western European Union) entschieden hatten,
sich nicht an einer militärischen Operation in Albanien zu beteiligen.
145 Der scheinbar unaufhaltsam „steigende Stern“ Albaniens, der sich in robusten Fundamentaldaten der Wirtschaft widerzuspiegeln schien, machte auch die internationale Gemeinschaft
lange Zeit blind für die darunter liegenden Instabilitäten (vgl. Vaughan-Whitehead 1999).
130
Der erst im Entstehen begriffene Dienstleistungssektor bot keinen Ersatz für die
fehlende industrielle Basis. Der Privatsektor war ineffizient und zog keine ausländischen Direktinvestitionen an. Das Bankensystem war nicht in der Lage, seine Rolle
als finanzieller Intermediär wahrzunehmen. Im sozialen Bereich sind Gründe für die
Krise vor allem in der steigenden Arbeitslosigkeit, den fallenden Reallöhnen und
dem sinkenden Lebensstandard breiter Bevölkerungsschichten zu sehen. Darüber
hinaus war das politische System durch eine fragile öffentliche Autorität und schwache Institutionen (in Bezug auf die öffentliche Ordnung, die Verwaltung etc.) gekennzeichnet (vgl. Kajsiu et al. 2002). Das Vertrauen der Bevölkerung in den Staat
und seine Institutionen war in höchstem Maße beschädigt, denn Berisha und die DP-
Regierung wurden von der Bevölkerung dafür verantwortlich gemacht, dem Blühen
der Pyramidenspiele tatenlos und ohne Regulierung zugesehen zu haben.
Auch die internationale Gemeinschaft musste erkennen, dass sie die politischen
und wirtschaftlichen Entwicklungen in Albanien zu positiv eingeschätzt hatte und
auf die Krise nicht vorbereitet war. Angesichts der bürgerkriegsähnlichen Zustände
im Jahr 1997 sprach der damalige Leiter der OSZE-Präsenz in Albanien von einem
„Mangel an effektiver Generalprävention im Umkreis der europäischen Sicherheitsstrukturen – im Sinne des Nichtvorhandenseins einer detailliert ausgeformten Konfliktverhütungsmaschinerie“ (Grubmayr 1997: 9).
Die Erfolge und Reformbemühungen der demokratischen Partei erscheinen in
diesem Licht als fragwürdig, da die Staatskrise von 1997 zu einem herben Rückschlag beim Aufbau der Marktwirtschaft und der demokratischen Institutionen führte. Das Jahr 1997 markierte die zweite „Stunde Null“ des Transformationsprozesses
Albaniens. In den Jahren danach musste das politische und wirtschaftliche System in
Albanien neu etabliert werden.
3.2.4. Die Rückkehr zur Stabilität und die Fortsetzung der Demokratisierung
nach 1997
Die folgende Analyse der Zeit nach 1997 orientiert sich an dem im Theorieteil vorgestellten Konzept der fünf Arenen von Linz/Stepan, die für eine Konsolidierung
einer Demokratie miteinander interagieren müssen: die politische Gesellschaft, der
Rechtsstaat, die Staatsbürokratie, die Zivilgesellschaft und die ökonomische Gesellschaft, d.h. die soziale und wirtschaftliche Entwicklung (vgl. Linz/Stepan 1996). Die
Unterscheidung erlaubt einen analytischen Zugriff auf die Demokratisierungsproblematik in Albanien und macht eine systematische Beurteilung des Prozesses der
Institutionalisierung und Konsolidierung nach 1997 möglich. Im Folgenden sollen
daher die strukturellen Probleme des Transformationsprozesses Albaniens nach
1997 im Vordergrund stehen, die im Zusammenhang mit den Demokratisierungsbemühungen der externen Akteure von besonderer Relevanz sind.
Chapter Preview
References
Zusammenfassung
Im Schnittfeld von Transformations- und Integrationsforschung bietet die Arbeit eine detaillierte Auseinandersetzung mit den Einflussmöglichkeiten europäischer Institutionen auf die Demokratisierung in Südosteuropa. Analysiert wird die Demokratisierungshilfe von EU, OSZE und Europarat am wenig untersuchten Fall des „scheinheiligen Demokratisierers“ Albanien. Scheinheilige Demokratisierer stellen die Demokratisierungsbemühungen europäischer Organisationen in Südosteuropa vor große Herausforderungen. Wegen der prekären Sicherheitslage weisen sie einen erhöhten Stabilisierungsbedarf auf und begrenzten dadurch die Wirkung des Engagements der europäischen Akteure. In Auseinandersetzung mit den Forschungsansätzen der Internationalen Sozialisierung, der Europäisierung und der Konditionalität leistet die Arbeit einen Beitrag zur Debatte über die Rolle externer Akteure und untersucht die Wirkungszusammenhänge zwischen der internationalen und nationalen Dimension der Demokratisierung von Transformationsländern. Die Ergebnisse der Studie werfen einen kritischen Blick auf die EU-Konditionalität und zeigen die Notwendigkeit einer neuen Integrationsstrategie für die Länder Südosteuropas auf.