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dem die kommunistische Partei alle Sphären des Handelns dominierte und die Gesellschaft durch ein System aus Geheimpolizei, Gefängnissen und Arbeitslagern,
Zwangsarbeit, internem Exil und wiederkehrenden Parteisäuberungen kontrollierte
(vgl. ebd.). Weiterhin limitierte Hoxha die Außenbeziehungen des Landes und
machte es damit zur isoliertesten Nation Europas. Eine an Autarkie orientierte Industriepolitik nach dem Motto „den Sozialismus aus eigener Kraft aufbauen“ wurde
zur wichtigsten Orientierung der Wirtschaft, die Muço zufolge von einer „stalinistischen Praxis“ geprägt war (Muço 1997: 9). Außenpolitisch lehnte sich Albanien
zwischen 1944 und 1948 an Jugoslawien an. Danach bestanden zunächst noch
freundschaftliche Beziehungen zur Sowjetunion, bis es 1961 zum Bruch mit den
Ländern des Rats für gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGW) kam. An die Stelle der
Sowjetunion trat China, von dem sich Albanien allerdings 1978 vollständig abwandte. Im Jahr 1976 war jegliche Form des Kapitalimports verboten worden (vgl. Wildermuth 1995). Damit fehlten dem Land bis zu Beginn der 1990er Jahre ausländische Devisen für wichtige produktive Investitionen. „Zu geringe Deviseneinnahmen
und die begrenzten finanziellen Möglichkeiten zur Finanzierung eines hohen Handelsbilanzdefizits hatten zur wirtschaftlichen Stagnation und anschließend zum Zusammenbruch der Wirtschaft beigetragen“ (Horn/Kuši? 2001: 50).
Nach mehr als 40 Jahren Herrschaft unter Enver Hoxha kann die wirtschaftliche
und soziale Ausgangsposition des Landes zu Beginn der 1990er Jahre als sehr
schwierig beurteilt werden: die Infrastruktur war veraltet, die geringe Produktivität
der Landwirtschaft führte zu Lebensmittelknappheit in den letzten Jahren der Herrschaft Enver Hoxhas, 80 Prozent der Landwirtschaft war kollektiviert und rund 66
Prozent der Bevölkerung lebte aufgrund der stark reglementierten Migration, die der
Vermeidung der Abwanderung in die Städte diente, auf dem Land (vgl. Muço 1997).
Politisch gesehen war Albanien zu Beginn der 1990er Jahre das einzige Land, das
„außerhalb aller Entwicklungen stand, die durch den 1975 in Gang gesetzten ‚Helsinki-Prozess‘ das internationale Beziehungsmuster auf dem Kontinent wesentlich
verändert haben“ (Reuter-Hendrichs 1990: 75).131
3.2.2. Die Phase der Liberalisierung und das Ende des autokratischen Systems in
Albanien (1986–1992)
Erst der langjährige Gefolgsmann und Nachfolger Hoxhas, Ramiz Alia, verfolgte
eine langsame Öffnung des Landes. Er unternahm zwischen 1986 und 1990 einige
131 Der „Helsinki-Prozess“ hat einen wichtigen Beitrag zur Überwindung des Ost-West-
Gegensatzes geleistet. In Helsinki legten in der Zeit der Blockkonfrontation 35 Staats- und
Regierungschefs in einem multilateralen Verhandlungsprozess Prinzipien für den Umgang
der Teilnehmerstaaten untereinander fest. Sicherheit sollte durch Zusammenarbeit in den drei
„Körben“ (der politisch-militärischen Sicherheit, der Wirtschaft sowie humanitärer Fragen)
erreicht werden. Mit der Schlussakte von Helsinki von 1975 wurde die Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) ins Leben gerufen (vgl. CSCE 1975).
122
Reformversuche, u.a. die Einführung von Lohnanreizen, die Vergrößerung des Anteils an privatem Landeigentum. Auch begann er die außenpolitische Öffnung, die
im wesentlich dazu diente, dringend notwendige technische und finanzielle Hilfe aus
dem Ausland zu erhalten, um die Wirtschaft zu modernisieren. Alia entwickelte aber
kein durchdachtes Reformprogramm und seine Reformversuche blieben bescheiden
(vgl. Pano 1997). Sein primäres Ziel war es, das bestehende sozialistische System,
besonders das politische Monopol der kommunistischen Partei, zu schützen und
sicherzustellen, dass die politische Führung den Reformprozess und das Ausmaß der
Veränderung bestimmen würde. So existierte bis 1989 keine organisierte Opposition
oder eine Dissidentenbewegung in Albanien (vgl. ebd.). Erst eine leichte Liberalisierung der Pressekontrolle Ende der 1980er Jahre führte schließlich dazu, dass sich
führende Intellektuelle öffentlich mit den sozialen und politischen Fragen Albaniens
auseinandersetzen konnten (vgl. Pettifer/Vickers 1999). Die Reformbemühungen
von Alia wurden vor allem von Studenten und Intellektuellen stark befürwortet, sie
waren aber mit dem Umfang und der Geschwindigkeit der Veränderungen nicht
zufrieden.
Starke Auswirkungen auf Albanien hatte schließlich der Niedergang des Regimes
von Nicholai Ceauscescus in Rumänien Ende 1989. Er bewegte Alia dazu, seine
Reformbemühungen zu beschleunigen. Vor allem im Bereich der Wirtschaft und der
Justiz wurden Veränderungen vorgenommen, u.a. eine Dezentralisierung von ökonomischer Planung und Management, die Entwicklung eines Privatsektors im Einzelhandel, die Rücknahme von Preiskontrollen von Gütern, die nicht zu den Grundbedürfnissen gehörten; im Bereich des Rechts wurde u.a. die Erlangung von Pässen
und Ausreiseerlaubnissen liberalisiert (ebd.). Nur in der Politik weigerte sich Alia
noch im Jahr 1990, vom Machtmonopol der kommunistischen Partei abzurücken
und einen politischen Pluralismus zuzulassen. Diese Haltung untergrub zunehmend
seine Glaubwürdigkeit als Reformer bei den Intellektuellen, Studierenden und jungen Arbeitern, die die Vorhut einer sich entwickelnden oppositionellen Bewegung
bildeten. Ramiz Alia versuchte lange, den Reformprozess zu steuern und den Wechsel zu kontrollieren. Obwohl er zwischen Januar und Juli 1990 weitere Reformschritte unternommen hatte, machte sich in der Bevölkerung immer größere Unzufriedenheit breit. Denn außer formaldemokratischen Institutionen und Verfahren
waren kaum tiefgreifende politische und wirtschaftliche Reformen durchgeführt
worden.
Das Ende des autokratischen Regimes wurde im Sommer 1990 durch Proteste der
Bevölkerung eingeleitet. Die massive Flucht von mehreren Tausend Albanern in die
ausländischen Botschaften in Tirana sowie nach Italien und Griechenland übte erheblichen Druck auf die Führung aus.132 Insgesamt verließen in dieser Zeit – nach
Verhandlungen zwischen der albanischen Regierung und der internationalen Ge-
132 Im Juli 1990 flohen 5.000 Albaner u.a. in die deutsche, italienische und französische Botschaft in Tirana und ersuchten politisches Asyl. Am 8. Juli 1990 befanden sich allein 3.200
Albaner auf dem Gelände der deutschen Botschaft in Tirana.
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meinschaft – ca. 25.000 Albaner das Land in Richtung Italien, Deutschland, Frankreich und andere Länder (vgl. UNDP 2000).
Weitreichende Veränderungen des politischen Systems wurden Ende 1990 vor allem von einer kleinen Gruppe von etablierten Intellektuellen formuliert, die von der
Liberalisierung der Medienkontrolle profitierten und Menschenrechtsverletzungen
anprangerten. Sie forderten umfangreiche demokratische Reformen, den Übergang
zur Marktwirtschaft und ein Ende der außenpolitischen Isolation (vgl. Pano 1997).
Unterstützt wurden sie durch massive Studentenproteste, die sich gegen Ende 1990
verschärften. Der Druck wurde schließlich so groß, dass Alia den Forderungen der
oppositionellen Bewegung nachgeben musste. „(T)he PLA allowed a new party to
be formed as a first concession to a multi-party system, believing that it would be
led by trusted ex-communists such as Berisha (…)“ (Vickers/Pettifer 1999: 36).133
Sali Berisha, der führende Kardiologe Albaniens und Leibarzt Enver Hoxhas, hatte
zu jener Zeit in der politischen Elite den Ruf eines kommunistischen Hardliners, der
die Ideologie Hoxhas ernst nahm und nicht nur aus Karrieregründen der Arbeiterpartei, deren Mitglied er 12 Jahre lang war, beigetreten war. Er war von Alia ausgesucht worden, um mit den Studierenden zu verhandeln. „But in fact he had been
acting in association with a group of senior opposition intellectuals who were to be
the founding fathers of the Democratic Party“ (ebd.).
Die Demokratische Partei (DP) wurde am 12. Dezember 1990 in Tirana als erste
Partei neben der Partei der Arbeit Albaniens (PAA) gegründet. An die Spitze der
Partei traten der Ökonom Gramoz Pashko und Sali Berisha, beide bisherige Mitglieder der Partei der Arbeit Albaniens, der Archäologe Neritan Ceka sowie einer der
Führer der Studentenproteste, Azem Hajdari. Es folgte die Gründung von vier weiteren Oppositionsparteien, der Republikanischen Partei (RP), der Sozialdemokratischen Partei (SDP), der Union für die Menschenrechte (Omonia) und der Agrarpartei (AP) (vgl. Schmidt-Neke 2001).
Ende März 1991 fanden die ersten pluralistischen Wahlen in Albanien statt, die
aber zu keinem politischen Machtwechsel führten. Die Arbeiterpartei Albaniens
gewann unter Führung Alias mit 56 Prozent der Stimmen und erhielt im Parlament
67,6 Prozent der Sitze. Fatos Nano, ein 39-jähriger Ökonom, der eine reformistische
Gruppe innerhalb der PAA vertrat, wurde Ministerpräsident (vgl. Pettifer/Vickers
1999). Während die Demokratische Partei in den Städten bis zu 63 Prozent der
Stimmen erhalten hatte, war die Vorherrschaft der PAA vor allem in den ländlichen
Gebieten ungebrochen, da dort kaum alternative, nichtstaatliche Informationsquellen
existierten (vgl. Pano 1997). Der Sieg versetzte die alte Elite weiterhin in die Lage,
den Staatsapparat, die Medien und die wichtigsten ökonomischen Ressourcen des
Landes zu kontrollieren. Mit ihrer Zweidrittel-Mehrheit im Parlament wäre die Arbeiterpartei Albaniens zwar in der Lage gewesen, die provisorische Übergangsverfassung allein zu verabschieden, sie suchte aber den Konsens der Demokratischen
133 PLA ist die Abkürzung für Party of Labour Albania.
124
Partei, „um die Lage im Inland zu stabilisieren und um Wirtschaftshilfe des Auslandes zu erhalten“ (Schmidt-Neke 2001: 769).
Die Opposition, d.h. in erster Linie die Demokratische Partei, erkannte das Wahlergebnis vom März 1991 wegen Unregelmäßigkeiten nicht an. In der unmittelbaren
Nachwahlperiode verschärften sich daraufhin die gesellschaftlichen Unruhen (vgl.
Merkel 1999). Demonstrationen und Streiks der neu gegründeten unabhängigen
Gewerkschaften sowie zunehmendes Chaos und Anarchie auf den Straßen zwang
die Regierung, einen gemeinsamen Lösungsweg mit der Opposition zu suchen. Fatos Nano trat zurück und eine „Regierung der nationalen Einheit“ aus der PAA, DP,
RP, SDP und der AP unter dem ehemaligen Minister Ylli Bufi wurde gebildet.
Schließlich fanden im März 1992 die zweiten pluralistischen Wahlen statt.
Betrachtet man das Ende des totalitären Systems in Albanien in Hinblick auf die
Art und Weise der Ablösung des alten Regimes, so kann man von einer Mischung
aus zwei verschiedenen Modi sprechen: Zum einen war der Übergang vom Versuch
der kommunistischen Elite unter Führung Alias, dem „Erben“ Hoxhas, gekennzeichnet, den Systemwechsel so lange wie möglich zu kontrollieren und zu steuern.
Zum anderen kann von einem „von unten erzwungenen Systemwechsel“ gesprochen
werden, bei dem die Massenproteste der Bevölkerung ab 1990 die Regierung unter
Alia zwangen, ein pluralistisches Parteiensystem zuzulassen (vgl. ebd.). Trotz der
Einführung eines pluralistischen Parteiensystems wurde der „von der alten Regimeelite gelenkte Systemwechsel“ fortgesetzt. Durch die Wiederwahl der PAA bei den
ersten Wahlen 1991 setzte sich die alte Regimeelite zumindest für einige Monate bis
zu den Neuwahlen 1992 durch und hielt ihr langjähriges politisches Monopol aufrecht.
3.2.3. Der lange Weg der Institutionalisierung: Der Aufbau der Demokratie mit
Rückschlägen (1992–1998)
Vom Beginn der Demokratisierungsphase spricht die Transformationsforschung,
„wenn die Kontrolle der politischen Entscheidungen den alten autoritären Herrschaftseliten entgleitet und demokratischen Verfahren überantwortet wird“ (Merkel
1999: 137). In Albanien musste die alte kommunistische Elite der Partei der Arbeit
Albaniens bei den zweiten pluralistischen Parlamentswahlen vom März 1992 einen
entscheidenden Kontroll- und Machtverlust durch den politischen Erdrutschsieg der
Oppositionsbewegung hinnehmen (vgl. USAID 2000).
Chapter Preview
References
Zusammenfassung
Im Schnittfeld von Transformations- und Integrationsforschung bietet die Arbeit eine detaillierte Auseinandersetzung mit den Einflussmöglichkeiten europäischer Institutionen auf die Demokratisierung in Südosteuropa. Analysiert wird die Demokratisierungshilfe von EU, OSZE und Europarat am wenig untersuchten Fall des „scheinheiligen Demokratisierers“ Albanien. Scheinheilige Demokratisierer stellen die Demokratisierungsbemühungen europäischer Organisationen in Südosteuropa vor große Herausforderungen. Wegen der prekären Sicherheitslage weisen sie einen erhöhten Stabilisierungsbedarf auf und begrenzten dadurch die Wirkung des Engagements der europäischen Akteure. In Auseinandersetzung mit den Forschungsansätzen der Internationalen Sozialisierung, der Europäisierung und der Konditionalität leistet die Arbeit einen Beitrag zur Debatte über die Rolle externer Akteure und untersucht die Wirkungszusammenhänge zwischen der internationalen und nationalen Dimension der Demokratisierung von Transformationsländern. Die Ergebnisse der Studie werfen einen kritischen Blick auf die EU-Konditionalität und zeigen die Notwendigkeit einer neuen Integrationsstrategie für die Länder Südosteuropas auf.