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1. Einleitung
Die vorliegende Arbeit untersucht die Rolle externer Akteure im Demokratisierungsprozess Südosteuropas am Beispiel Albaniens. Angesichts der immer noch
fragilen demokratischen Entwicklung in Albanien mehr als fünfzehn Jahre nach
Beginn der Transformation, die stark von außen unterstützt wurde, stellt sich die
Frage, welchen Beitrag externe Akteure zur Demokratisierung Albaniens geleistet
haben. Dieser Frage soll hier am Beispiel der drei wichtigsten europäischen multilateralen Organisationen, die sich in Südosteuropa für die Demokratisierung engagieren – der EU, der OSZE und dem Europarat –, nachgegangen werden.1 Besondere
Berücksichtigung findet in der Untersuchung die EU. Sie ist im Verlauf der 1990er
Jahre der zentrale externe Akteur in der Region und Albanien geworden.
Die Arbeit versteht sich als ein Beitrag zur Forschungsdebatte über die Rolle externer Akteure und die Wirkungszusammenhänge zwischen der internationalen und
nationalen Dimension bei der Demokratisierung und Konsolidierung von Transformationsländern, insbesondere in Südosteuropa.2 Diese Region umfasst Länder wie
Albanien, die als „scheinheilige Demokratisierer“ bezeichnet werden können.3 Sie
sind dadurch charakterisiert, dass sie Veränderungen in Richtung einer Anpassung
an demokratische Prinzipien und Normen in erster Linie auf einer rhetorischen und
formalen Ebene vollziehen, während die Implementierung der internationalen Normen im Sinne einer Verhaltensänderung nicht voranschreitet. Mit der rhetorischen
bzw. formalen Anpassung an internationale Standards versuchen diese Länder, sich
gegenüber der internationalen Gemeinschaft Legitimität zu verschaffen und teilzuhaben an der Unterstützung, die ihnen international angeboten wird. Sie stellen daher eine Herausforderung für die externen Akteure dar (vgl. Kubicek 2003).
Durch die empirische Untersuchung Albaniens soll ein besseres Verständnis ermöglicht werden, wie und unter welchen Bedingungen externe Akteure einen Beitrag zur Demokratisierung von „scheinheiligen Demokratisierern“ leisten. Ziel ist es
daher, am Beispiel Albaniens einen kritischen, über den konkreten Einzelfall hi-
1 In dieser Arbeit bezieht sich die Bezeichnung „Südosteuropa“ auf die Staaten des ehemaligen
Jugoslawien, auf Albanien, Bulgarien, Rumänien und die Türkei.
2 Zur Definition von Demokratisierung und Konsolidierung vgl. Kapitel 2.1.
3 In der Literatur hat sich für den „Typus“ von Transformationsländern in Ost-, Südosteuropa
und der östlichen „neuen Nachbarschaft“ der EU, deren Demokratisierung von außen unterstützt wird, aber nur zögerlich voranschreitet, der Begriff des „widerwilligen Demokratisierers“ entwickelt (vgl. u.a. Kubicek 2003, Schimmelfennig 2004). Hier wird allerdings die Bezeichnung „scheinheilig“ vorgezogen. Sie ist besser geeignet, aufzuzeigen, dass es sich in
diesen Fällen in erster Linie um eine rhetorische und formale Anpassung der Elite an internationale Normen handelt, die mit einem geringen Grad der Internalisierung von internationalen
Normen verbunden ist und sich nicht ausreichend in einer Umsetzung dieser Normen niederschlägt.
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nausgehenden Blick auf das Engagement der europäischen Organisationen in Südosteuropa zu werfen. Außerdem zielt die Arbeit mit einer induktiven Herangehensweise darauf ab, Denkanstöße für die Weiterentwicklung der bisherigen theoretischen Ansätze zu geben, die sich mit der Frage der Rolle externer Akteure im Demokratisierungsprozess Südosteuropas beschäftigen.
Der Untersuchungszeitraum der vorliegenden Arbeit erstreckt sich vom Beginn
der Transformation in Albanien im Jahr 1991 bis zu den Parlamentswahlen von
2005. Besondere Berücksichtigung findet die Phase nach den bürgerkriegsähnlichen
Zuständen und dem Zusammenbruch der staatlichen Institutionen im Jahr 1997, die
durch den Kollaps der „Pyramidenspiele“ ausgelöst wurden, bis zum Beginn der
Verhandlungen über ein Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen (SAA) mit
der Europäischen Union Anfang 2003.4 Damit steht vor allem die Phase der Institutionalisierung der Demokratie im Vordergrund der Untersuchung. Darüber hinaus
wird ein kurzer Ausblick bis ins Jahr 2006 unternommen, in dem das SAA unterzeichnet wurde.
Das den Analyserahmen abschließende Jahr 2005 war in vielerlei Hinsicht ein
wichtiges Jahr für Südosteuropa, besonders für den „Westlichen Balkan“.5 Es gibt
Anlass für einen Rückblick auf die Transformationsprozesse in der Region. Zehn
Jahre nach Abschluss des Friedensabkommens von Dayton (1995) beschloss der
VN-Sicherheitsrat die Aufnahme von Verhandlungen über den zukünftigen Status
des Kosovo. Außerdem begann die EU Beitrittsverhandlungen mit Kroatien, verlieh
Mazedonien den Status als EU-Kandidat und stellte Albanien den Abschluss des
SAA in Aussicht. Diese wichtigen Entscheidungen markieren den Beginn einer
neuen Phase des Engagements der EU in den Ländern des Westlichen Balkan. Nach
dem Versagen des EU-Krisenmanagements Anfang der 1990er Jahre im Zusammenhang mit der Auflösung Jugoslawiens und mehr als einem Jahrzehnt der Stabilisierungsbemühungen der europäischen Organisationen auf dem Balkan, ist nun die
Erweiterung der EU um die Länder Südosteuropas auf der Tagesordnung angekommen.
4 Pyramidenspiele können folgendermaßen charakterisiert werden: „In a typical pyramid
scheme, a fund or company attracts investors by offering them very high returns; these returns are paid to the first investors out of the funds received from those who invest later. The
scheme is insolvent—liabilities exceed assets—from the day it opens for business. However,
it flourishes initially, as news about the high returns spreads and more investors are drawn in“
(Jarvis 2000: 47).
5 Der „Westliche Balkan“ ist eine von der EU entwickelte Bezeichnung für die „Unterregion“
Südosteuropas, zu der die Länder Albanien, Bosnien-Herzegowina, Kroatien, Mazedonien,
Serbien und Montenegro zählen. Da die EU mit dem Stabilisierungs- und Assoziierungsprozess einen eigenen politischen Annäherungsrahmen für diese Unterregion entwickelte, wird
im Rahmen dieser Arbeit diese Bezeichnung benutzt.
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Die internationale Unterstützung von Demokratisierungsprozessen
Das Engagement der europäischen Organisationen in Ost- und Südosteuropa ist Teil
der internationalen Unterstützung von Demokratisierungsprozessen, die seit dem
Zusammenbruch autoritärer Regime in Osteuropa Ende der 1980er Jahre zunehmend
an Bedeutung gewann.6 Mit dem Ende des Ost-Westkonflikts ist es zu einer Neuausrichtung der Transferleistungen der internationalen Organisationen und bilateraler
Entwicklungsinstitutionen gekommen, mit der auch von staatlicher Seite stärker die
aktive Förderung von Demokratisierung durch sog. Positivmaßnahmen verfolgt
wurde.7 Die Gründe für die gestiegene Bedeutung der Demokratisierungshilfe liegen
vor allem in außen-, sicherheits- und wirtschaftspolitischen Interessen und dem als
positiv vermuteten Zusammenhang zwischen Demokratie und Entwicklung sowie
Frieden (vgl. Mair 1997). Die externe Unterstützung von Demokratisierungsprozessen fand ihre Entsprechung in der Ausarbeitung eines neuen Paradigmas in der Entwicklungspolitik, dem sog. „Post-Washington Consensus“, der positiven politischen
Rahmenbedingungen eine besondere Bedeutung für die sozioökonomische Entwicklung einräumt.8 Dieser Perspektive zufolge wirken sich Elemente demokratischer
Systeme, wie z.B. ihre größere politische Legitimität sowie ihre schnelle Identifizierung von Fehlentwicklungen, ihre Transparenz und Offenheit, positiv auf die Reformfähigkeit eines Staates aus.
In den ersten fünfzehn Jahren nach dem Ende des Kalten Krieges widmeten sich
die europäischen Organisationen vor allem der Annäherung und Integration der
Länder Mittel- und Osteuropas in die europäischen Strukturen. Die vom Zusammenbruch der Sowjetunion ausgelösten Transformationsprozesse in den Ländern
Mittel- und Osteuropas stellten die Ordnungskompetenz der europäischen Organisationen vor neue Herausforderungen. Die EU, die OSZE und der Europarat spielten
eine maßgebliche Rolle bei der Gestaltung des Übergangs zur Demokratie und zu
einer liberalen Marktwirtschaft in diesen Ländern durch den Transfer internationaler
Normen, die finanzielle Unterstützung und das Angebot der Mitgliedschaft. Während die OSZE und der Europarat auf diese Herausforderung mit der relativ zügigen
Aufnahme der Länder Mittel- und Osteuropas reagierten, stellte die EU für eine
6 In dieser Arbeit wird nicht der eher in der Entwicklungspolitik benutzte Begriff der „Demokratieförderung“ verwendet, weil er sehr programmatisch ist. Da der Ansatz dieser Arbeit induktiv ist, soll das Engagement der externen Akteure nicht von vornherein „klassifiziert“
werden.
7 Die internationale Demokratieförderung zählt zu den wenigen Bereichen der Auslandshilfe
internationaler Organisationen und bilateraler Entwicklungsinstitutionen, deren Mittel weiterhin wachsen. Nichtregierungsorganisationen (NROs) waren in diesem Bereich schon seit Ende der 1980er Jahre aktiv (vgl. Mair 1997).
8 Der Paradigmenwechsel in der Entwicklungspolitik wurde durch den Weltbank-Bericht
„From Crisis to Sustainable Growth“ (1989) eingeleitet. Dort wurde erstmals ein direkter Bezug hergestellt zwischen Entwicklung und „Good Governance“. Ausgehend von dieser Analyse wurden Kriterienkataloge entwickelt, die auch Demokratisierung als eine wesentliche
Rahmenbedingung für die Wirksamkeit von Entwicklungshilfe definierten (vgl. Mair 1997).
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Mitgliedschaft zahlreiche Bedingungen. Zu den wichtigsten zählten die Kopenhagener Kriterien, die die osteuropäischen EU-Kandidaten während eines mehrjährigen
Anpassungs- und Überprüfungsprozesses durch die EU erfüllen mussten. Dieser
Prozess begann 1993, als den assoziierten Ländern Mittel- und Osteuropas auf dem
EU-Gipfel von Kopenhagen der EU-Beitritt angeboten wurde, und dauerte bis zur
Aufnahme dieser Staaten im Jahr 2004 insgesamt mehr als zehn Jahre.9
Die spezifische Transformationsproblematik auf dem Balkan
Nimmt man das Ziel des EU-Beitritts als Kriterium, so ist die Transformation in den
Ländern Mittel- und Osteuropas damit „erfolgreich“ verlaufen. Demgegenüber waren und sind die Transformationsprozesse in den Ländern des Westlichen Balkans
langwierig und von Rückschlägen gekennzeichnet. Die wirtschaftlichen, sozialen
und politischen Rahmenbedingungen erweisen sich für eine von außen geleistete
Unterstützung der Demokratisierung in Südosteuropa insgesamt sehr viel schwieriger als in Mittel- und Osteuropa. Der Mangel an einer effizienten und autonomen
Staatsverwaltung, einer unabhängigen Justiz und anderen modernen staatlichen
Institutionen, ein niedriges wirtschaftliches Entwicklungsniveau, die Intensität
ethnopolitischer Konflikte, organisierte Kriminalität und eine fehlende zivilgesellschaftliche Tradition zählen immer noch zu den wesentlichen Problemfaktoren der
Transformation in Südosteuropa. Sie sind Charakteristika eines schwachen Staates
und einer schwachen Gesellschaft und stellen die größten Herausforderungen für die
Demokratisierung in der Region dar (vgl. van Meurs 2002). Seit dem Beginn der
Transformation auf dem Balkan Anfang der 1990er Jahre verzögerte die Auflösung
Jugoslawiens und die mit den staatlichen Neugründungen einhergehenden kriegerischen Auseinandersetzungen erheblich eine Annäherung an westeuropäische Standards. Die anhaltende Instabilität in der Region in den 1990er Jahren machte deutlich, welches sicherheitspolitische Risiko für Europa besteht, sollte die Region sich
selbst überlassen bleiben.
Angesichts der krisenhaften Entwicklung engagierten sich die europäischen Organisationen im letzten Jahrzehnt zunehmend im Krisenmanagement, in der Konfliktprävention, bei der Unterstützung der Transformationsprozesse und des Wiederaufbaus in Südosteuropa. Die Unterstützung von Demokratie und Marktwirtschaft
wurde dabei als ein wichtiger Beitrag zur Stabilisierung der Region gesehen.
Ein schlaglichtartiger Blick auf einige zentrale Entwicklungen während der letzten Jahre zeigt die große Bedeutung, die dem Engagement externer Akteure zur
Bewältigung der Krisen in der Region zukommt. Seit dem Dayton-Abkommen von
1995 überwacht in Bosnien-Herzegowina ein Hoher Repräsentant der internationalen Gemeinschaft, der mit umfangreichen Machtbefugnissen ausgestattet ist, die
Durchführung der zivilen Aspekte dieses Abkommens. Der Kosovo wurde nach den
9 Schlussfolgerungen des Vorsitzes des Europäischen Rats von Kopenhagen, 21.–22. Juni 1993
bzw. 12.–13. Dezember 2002.
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kriegerischen Auseinandersetzungen und der NATO-Intervention in den Jahren
1998/1999 unter die Hoheit der Interimsverwaltungsmission der Vereinten Nationen
(UNMIK) gestellt. Erneute Unruhen im März 2004 verdeutlichten, dass trotz umfangreicher internationaler Präsenz (u.a. KFOR) immer noch eine hohe sicherheitspolitische Brisanz in der ungelösten Statusfrage des Kosovo liegt. In Kroatien und
Serbien-Montenegro eröffnete erst im Jahr 2000 die Ablösung der Führer Franjo
Tudjman und Slobodan Miloševic mit ihren semi-autoritären Herrschaftspraktiken
eine Annäherung an die westliche Gemeinschaft und den Zugang zu umfangreicher
finanzieller Unterstützung.10 Zuvor war die demokratische Konsolidierung durch
Demokratiedefizite in den Bereichen Staatlichkeit, politische Partizipation und
Rechtsstaatlichkeit blockiert gewesen. Der Transformationsprozess in Mazedonien
erlitt im Jahr 2001 einen herben Rückschlag, als die ethnopolitischen Gegensätze
das Land fast an den Rand des Bürgerkriegs brachten. Die internationale Gemeinschaft setzt seitdem, u.a. durch die Umsetzung des Rahmenabkommens zur Konfliktbeilegung, das im August 2001 in Ohrid verabschiedet wurde, ihre Bemühungen
zur Unterstützung des Transformationsprozesses fort. Unklar ist allerdings – von
„Erfolgsfällen“ wie Kroatien abgesehen – wie sich die Länder des Westlichen Balkan auf ihrem Weg zu Gesellschaften, die nach demokratischen und nach marktwirtschaftlichen Prinzipien organisiert sind, weiter entwickeln werden.11
Der externen Unterstützung für den Aufbau demokratischer Institutionen und der
Konsolidierung der demokratischen Systeme in Südosteuropa durch die europäischen Organisationen kommt daher – ähnlich wie im Fall der Transformationsländer
Mittel- und Osteuropas – eine besondere Bedeutung zu. Den Herausforderungen in
der Region begegneten die europäischen Organisationen in den letzten Jahren mit
der Entwicklung neuer Strategien und Instrumente zur Stabilisierung und Demokratisierung des Westlichen Balkans. Dazu zählen u.a. Handels- und Kooperationsabkommen und die jüngsten Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen der EU, der
Stabilitätspakt für Südosteuropa sowie das Angebot des Beitritts zur OSZE und zum
Europarat. Vor allem die EU wurde Ende der 1990er Jahre zum zentralen Bezugspunkt und Anker der Region. Angesichts der Entscheidung des Europäischen Rats in
Feira im Juni 2000, die Länder des Westlichen Balkans, die am Stabilisierungs- und
Assoziierungsprozess der EU teilnehmen, zu „potentiellen Kandidaten“ für eine EU-
Mitgliedschaft zu erklären, stellt sich die zentrale Frage, wie eine Integration der
Länder des Westlichen Balkans in die europäischen Strukturen gestaltet werden
kann.
10 Der demokratische Wandel in Kroatien wurde Anfang 2000 vollzogen. In Serbien setzten sich
die demokratischen Kräfte bei den Wahlen am 24. September 2000 gegen Miloševic durch. In
beiden Staaten verdoppelte sich die finanzielle Unterstützung durch die EU von 1999 zu 2000
(vgl. European Commission o.J.c).
11 Kroatien stellt aufgrund seines schnellen Aufholprozesses eine bemerkenswerte Ausnahme
dar.
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1.1. Die Auswahl des Fallbeispiels
Albanien hatte als ärmstes Land Europas zu Beginn der Transformation die schwierigsten Ausgangsbedingungen für die Demokratisierung in Südosteuropa und war
innerhalb der letzten fünfzehn Jahre am meisten auf externe finanzielle und technische Hilfe angewiesen. Nach mehr als vierzig Jahren der Isolation unter dem totalitären Regime Enver Hoxhas stand das Land zu Beginn der Transformation Anfang
der 1990er Jahre kurz vor dem wirtschaftlichen Kollaps. Nach dem Tod Hoxhas im
Jahr 1985 hatte die langsame Öffnung des Landes in Richtung Westen unter seinem
Nachfolger Ramiz Alia zwischen 1986 bis 1990 den politischen Zusammenbruch
des Regimes nicht verhindern können. Nach dem Chaos der „ersten Stunde“ in den
Jahren 1990/1991, das von starken Flüchtlingsströmen ins Ausland gekennzeichnet
war, kam es mit den zweiten pluralistischen Wahlen im März 1992 zu einem
Machtwechsel, der die Herrschaft der kommunistischen Partei der Arbeit Albaniens
beendete.12 Der neue Präsident Sali Berisha verfolgte eine schnelle Öffnung des
Landes Richtung Westen und ein umfassendes Reformprogramm. Die Nachhaltigkeit seiner Reformen muss jedoch angesichts der Staatskrise im Jahr 1997, die durch
den Zusammenbruch von Pyramidenspielen ausgelöst wurden, in Frage gestellt
werden. Wiederkehrende innenpolitische Krisen, wie z.B. die in der Folge der Ermordung des Oppositionspolitikers Hajdari im Jahr 1998, und regionale Krisen, wie
die Kosovo-Krise in den Jahren 1998/1999, haben den Transformationsprozess des
politischen und wirtschaftlichen Systems erheblich belastet. Der radikale Systemwechsel von einem totalitären Regime zu einem an den Regeln der Demokratie und
der Marktwirtschaft orientierten politischen System innerhalb der letzten fünfzehn
Jahre war daher von schweren Rückschlägen geprägt. Nur durch die massive externe
Unterstützung der europäischen und internationalen Organisationen konnte eine
Stabilisierung des Landes erreicht werden.13 Albanien kann daher als ein besonders
„harter“ Fall der Außenunterstützung bezeichnet werden. Die Frage nach dem Beitrag internationaler Akteure zur Institutionenbildung und Demokratisierung Albaniens gewinnt in diesem Zusammenhang ein besonderes Gewicht.
Im Gegensatz zu den Ländern Ex-Jugoslawiens hat Albanien im Verlauf der
1990er Jahre weder seine Souveränität verloren noch wurden seine Grenzen verändert. Damit lässt sich die Interaktion zwischen innenpolitischen und externen Akteuren und das Einwirken externer Einflüsse leichter studieren als in anderen Fällen
Südosteuropas (z.B. Bosnien-Herzegowina, Kosovo), in denen es zu einer internationalen Intervention bzw. einer extern induzierten Demokratisierung (wie z.B. durch
ein „UN-Protektorat“) gekommen ist. In letzteren Fällen verschwimmt die Unterscheidung zwischen innenpolitischem Handeln und den Auswirkungen der externen
Akteure.
12 Zu einer detaillierteren Darstellung des Endes des autokratischen Regimes, siehe Kapitel 3.2.
13 Neben den drei europäischen Organisationen waren vor allem der IWF, die Weltbank, UNDP
und UNHCR engagiert. Dazu kommen bilaterale Unterstützungen, z.B. durch die USA und
einzelne EU-Mitgliedsstaaten.
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Darüber hinaus nimmt Albanien angrenzend an die EU-Länder Italien und Griechenland eine wichtige geostrategische Position innerhalb des westlichen Balkans
ein. Als „Mutterland der Albaner“ zwischen den ehemaligen jugoslawischen (Teil-)
Staaten bzw. Provinzen (Mazedonien, Montenegro, Kosovo) mit hoher albanischer
Bevölkerung kommt Albanien zudem eine zentrale stabilisierende Rolle in dieser
Krisenregion zu (u.a. für die Lösung der „großalbanischen Frage“).
Schließlich weist Albanien, trotz seiner spezifischen Ausgangslage nach mehr als
vierzig Jahren der Isolation, strukturelle Gemeinsamkeiten mit anderen Staaten Südosteuropas (z.B. Bosnien-Herzegowina, Montenegro) und der „neuen Nachbarschaft“ Europas (wie z.B. Moldawien, Ukraine, Georgien, Armenien) auf. Sie zeigen
sich u.a. in einem im Vergleich zu den osteuropäischen Ländern wesentlich niedrigeren Entwicklungsstadium, schwachen politischen Institutionen, hoher Korruption,
einer geringeren Erfahrung mit der Demokratie vor dem Beginn der Transformation
und Rückschlägen auf dem Weg der Demokratisierung.
Daher ist das Fallbeispiel Albanien als „scheinheiliger Demokratisierer“ besonders geeignet, über die Einzelfallstudie hinaus Aufschluss über die Demokratisierungschancen von Ländern „am Rande Europas“ zu geben, die von einem schwachen Staat und einer schwachen Gesellschaft gekennzeichnet sind.
1.2. Der Forschungsstand
Die Transformationsforschung hat sich innerhalb der letzten fünfzehn Jahre schwerpunktmäßig mit dem Übergang der Staaten Mittel- und Osteuropas zur Demokratie
beschäftigt. Dabei wurde seit Beginn der 1990er Jahre auch zunehmend die „internationale Dimension der Demokratisierung“ berücksichtigt. Nur selten wurde der Fokus der Untersuchungen auf Südosteuropa gelegt. Auch die Frage nach der Rolle
externer Akteure in den Demokratisierungsprozessen Südosteuropas wurde bisher
nur in wenigen Untersuchungen analysiert (vgl. Meurs 2003). Dies, obwohl die
strukturellen Unterschiede zu Osteuropa und die von Rückschlägen und ethnischen
Auseinandersetzungen gekennzeichneten Transformationsprozesse in Südosteuropa
eine besondere Aufmerksamkeit für die Rolle externer Akteure legitimieren.14 Albanien wurde in diesem Themenkomplex als Fallbeispiel stark vernachlässigt.
Im Folgenden wird erstens ein kurzer Überblick über den Forschungsstand zu Albanien und zweitens zur Rolle externer Akteure im Demokratisierungsprozess, mit
speziellem Bezug auf die Transformationsprozesse Osteuropas, gegeben. Beide
Aspekte werden in späteren Kapiteln (Kapitel 2 und 3.2) ausführlicher behandelt.
14 So gibt es nur wenige vergleichende Studien, die die gesamte Region mit einbezogen haben.
Ausnahmen bilden u.a. die Sammelbände von Dawisha/Parrott (1997) und Pridham/Gallagher
(2000).
Chapter Preview
References
Zusammenfassung
Im Schnittfeld von Transformations- und Integrationsforschung bietet die Arbeit eine detaillierte Auseinandersetzung mit den Einflussmöglichkeiten europäischer Institutionen auf die Demokratisierung in Südosteuropa. Analysiert wird die Demokratisierungshilfe von EU, OSZE und Europarat am wenig untersuchten Fall des „scheinheiligen Demokratisierers“ Albanien. Scheinheilige Demokratisierer stellen die Demokratisierungsbemühungen europäischer Organisationen in Südosteuropa vor große Herausforderungen. Wegen der prekären Sicherheitslage weisen sie einen erhöhten Stabilisierungsbedarf auf und begrenzten dadurch die Wirkung des Engagements der europäischen Akteure. In Auseinandersetzung mit den Forschungsansätzen der Internationalen Sozialisierung, der Europäisierung und der Konditionalität leistet die Arbeit einen Beitrag zur Debatte über die Rolle externer Akteure und untersucht die Wirkungszusammenhänge zwischen der internationalen und nationalen Dimension der Demokratisierung von Transformationsländern. Die Ergebnisse der Studie werfen einen kritischen Blick auf die EU-Konditionalität und zeigen die Notwendigkeit einer neuen Integrationsstrategie für die Länder Südosteuropas auf.