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C. Der maßgebliche Zeitpunkt für den Fristbeginn nach
§§ 134 I InsO, 4 I AnfG
Ein weiterer Grund dafür, dass der BGH bei Vorliegen eines widerruflichen Bezugsrechts auf die Versicherungssumme abgestellt hat, liegt darin begründet, dass
er bei der Berechnung der vierjährigen Anfechtungsfrist den Zeitpunkt des Eintritts des Versicherungsfalls und nicht den Zeitpunkt der Benennung des Dritten
als für den Fristbeginn maßgebend erachtet hat. Andernfalls wäre in manchen
Fällen – wenn die Benennung außerhalb der Vierjahresfrist stattgefunden hätte –
die (anfechtungsrechtliche) Rückgewähr der Versicherungssumme wegen Fristablaufs ausgeschlossen. Gestützt hat er seine Entscheidung darauf, dass der Dritte
erst mit Eintritt des Versicherungs- bzw. Todesfalls eine »insolvenzfeste« Rechtsposition erwerbe. Vorher sei § 140 III InsO nicht anwendbar. Diese vom jeweiligen Verfahren losgelöste Feststellung lässt sich ohne weiteres auch auf die Fristberechnung im Rahmen der §§ 2325 III, 1375 III BGB übertragen. Das gilt insbesondere deswegen, weil die Frist in allen drei Fällen in demselben Zeitpunkt
zu laufen beginnt. § 2325 III BGB knüpft an den Eintritt des Leistungserfolgs1457,
§§ 134 InsO, 4 AnfG an den Eintritt der rechtlichen Wirkungen der anfechtbaren
Rechtshandlung (§§ 140 I InsO, 8 I AnfG) und § 1375 II BGB an den Zeitpunkt
der Vollendung der Vermögensminderung an1458. Jedes Mal muss die Zuwendung
ihren endgültigen Abschluss gefunden haben. Innerhalb der anderen erb- und familienrechtlichen Anrechnungs- und Ausgleichungsvorschriften spielt diese Tatsache mangels entsprechender Fristenregelung keine Rolle. Es darf jedoch nicht
vergessen werden, dass der BGH ausdrücklich festgestellt hat, dass dann etwas
anderes gelte, wenn der Dritte schon vor dem in § 134 InsO normierten Vierjahreszeitraum eine gesicherte Rechtsstellung erlangt habe, weil die unentgeltliche
Zuwendung dann nicht als innerhalb der gesetzlichen Frist erworben anzusehen
sei. Diese Aussage, die sich – aufgrund des sofortigen Rechtserwerbs des unwiderruflich Begünstigten – offensichtlich auf das unwiderrufliche Bezugsrecht bezieht, lässt jedoch offen, was in diesen Fällen konkret gelten soll. Es liegt indes
die Annahme nicht fern, dass der BGH für den Fall, dass der Anspruch auf die
Versicherungsleistung außerhalb der gesetzlichen Vierjahresfrist erworben
wurde, sekundär doch die innerhalb des kritischen Zeitraums erbrachten Prämienzahlungen zugrunde legen wird. Da es sich auch insoweit um eine verfahrensunabhängige Feststellung handelt, wäre eine Übertragung der Argumentation
auf die erb- und familienrechtlichen Anrechnungs- und Ausgleichungsverfahren
möglich. Dies gilt zumindest in Bezug auf die Pflichtteilsergänzung gemäß
§ 2325 BGB und hinsichtlich der familienrechtlichen Ausgleichsergänzung gemäß § 1375 BGB, weil es nur dort – jeweils normiert in den Abs. 3 – zum Ausschluss der Durchführung der Ergänzungsverfahren wegen Fristablaufs kommen
kann.
1457 MünchKomm/BGB-Lange, § 2325 Rn. 37.
1458 Staudinger-Thiele (2000), § 1375 Rn. 36; Baumeister, FamGb, § 1375 Rn. 42.
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D. Interessenbewertung
Zuletzt ist das Augenmerk auf die Feststellung zu richten, dass eine Auslegung
der Anfechtungstatbestände im Hinblick auf die grundsätzlichen Wertungen des
Insolvenzrechts nicht unter Berücksichtigung der sozialen Schutzwürdigkeit des
unterhalts- oder versorgungsberechtigten Empfängers vorzunehmen sei, da sich
der Gesetzgeber im Rahmen der lnsO durch die Beseitigung der früher bestehende Vorzugsrechte (§§ 59 I Nr. 3, 61 I Nr. 1-5 KO) ausdrücklich gegen eine Privilegierung entschieden und das Interesse der Gläubigergesamtheit generell für
vorrangig angesehen habe.
Der BGH hat sich hier ausdrücklich dafür entschieden, schutzwürdige Interessen Dritter, die zum Versicherungsnehmer in einer unterhalts- oder versorgungsrechtlich relevanten Beziehung stehen, zum Zweck der umfassenden Befriedigung der Gläubiger innerhalb des Anfechtungsrechts unbeachtet zu lassen.
Der den Gläubigern insoweit eindeutig eingeräumte Vorrang wird besonders
deutlich, wenn man die Auswirkungen dieser Entscheidung näher betrachtet.
Unmittelbare Folge dieser »gläubigerfreundlichen« Entscheidung ist nämlich,
dass die Gläubiger des Versicherungsnehmers eine sehr viel umfassendere Befriedigungsmöglichkeit erhalten. Mit Hilfe der Anfechtung haben sie die Chance,
dass die gesamte Versicherungssumme und nicht nur die innerhalb der kritischen
Anfechtungsfristen gezahlten Prämien wieder in die Insolvenzmasse zurück
gelangen bzw. dass die Zwangsvollstreckung in diesen wertmäßig bedeutenderen
Vermögensgegenstand wieder möglich wird. Für die Bezugsberechtigten bringt
dies indes den Nachteil mit sich, dass sie die Versicherungsforderung bzw. summe lediglich unter dem Vorbehalt der Nichtausübung des Anfechtungsrechts
erwerben1459.
Diejenigen Versicherungsnehmer, die ihre Hinterbliebenen vor einem Zugriff
ihrer Gläubiger schützen wollen, werden daher in Zukunft dazu gezwungen sein,
das Bezugsrecht als ein unwiderrufliches auszugestalten und auf die wirtschaftliche Nutzbarkeit der Lebensversicherung für eigene Zwecke bis zum Eintritt des
Versicherungsfalls zu verzichten. Hasse1460 hält diese Konsequenz auch im Hinblick auf das Interesse des unwiderruflich Bezugsberechtigten für unbillig, da
auch diesem daran gelegen sein kann, dass der Versicherungsnehmer zu Lebzeiten die Möglichkeit behält, die Lebensversicherung für sich wirtschaftlich zu nutzen und damit eine vorübergehende finanzielle Notlage zu überbrücken. Bei der
Einräumung eines unwiderruflichen Bezugsrechts besteht zumindest die Chance,
dass die vierjährige Anfechtungsfrist der §§ 134 I InsO, 4 I AnfG in manchen Fällen abgelaufen sein wird. Im Vergleich zur früheren Rechtslage, bei der ein
anfänglich und widerruflich Bezugsberechtigter lediglich eine Inanspruchnahme
auf die innerhalb der Anfechtungsfrist bezahlten Prämien befürchten musste, ist
die rechtliche Position eines widerruflich Bezugsberechtigten durch die Ände-
1459 Huber, NZI 2004, 82.
1460 Hasse, VersR 2004, 962.
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References
Zusammenfassung
Mit welchem Wert sind Lebensversicherungen anzusetzen, wenn sie in erb- oder familienrechtlichen Ausgleichungs- oder Anrechnungsregelungen zu berücksichtigen sind: Mit der Versicherungssumme? Mit der Summe der erbrachten Prämienzahlungen? Mit dem Rückkaufswert? In Rechtsprechung und Literatur ist ein einheitliches Vorgehen bislang nicht erkennbar.
Die vorliegende Arbeit untersucht diese Frage auch unter Berücksichtigung der im Jahr 2003 auf dem Gebiet des Insolvenzrechts erfolgten Rechtsprechungsänderung des Bundesgerichtshofes differenziert anhand der Vielzahl an Funktionen, die eine Lebensversicherung erfüllen kann.