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B. Gleichbehandlung von anfänglichem und nachträglichem Bezugsrecht
In der Entscheidung vom 23.10.2003 wurde ferner die Differenzierung zwischen
anfänglicher und nachträglicher Bezugsrechtseinräumung mit dem Argument
aufgegeben, dass in beiden Fällen eine mittelbare Zuwendung des Versicherungsanspruchs aus dem Vermögen des Versicherungsnehmers vorliege. Die Prämien
seien weiterhin notwendige Voraussetzung für die Begründung des Versicherungsanspruchs und Mittel für die Zuwendung der Versicherungssumme1456. Eine
Unterscheidung sei auch deshalb nicht erforderlich, weil der widerruflich Bezugsberechtigte unabhängig vom Zeitpunkt der Einräumung erst mit Eintritt des
Versicherungsfalls einen rechtlich gesicherten Anspruch auf die Versicherungssumme erwerbe.
Hierbei handelt es sich um eine von den Besonderheiten eines jeden Verfahrens
losgelöste Feststellung, die sich – bei Vorliegen eines widerruflichen Bezugsrechts – ohne weiteres auch auf die erb- und familienrechtlichen Anrechnungsund Ausgleichungsverfahren übertragen ließe. Zu beachten ist jedoch, dass sich
die Entscheidung des BGH ausschließlich auf ein widerrufliches Bezugsrecht
bezogen hat.
Betrachtet man das Argument näher, dass die Prämien sowohl bei einem
anfänglichen, als auch bei einem nachträglichen Bezugsrecht lediglich Voraussetzung und Mittel für die »eigentliche« Zuwendung seien, so ist nicht ersichtlich, warum dies nicht auch für die Einräumung eines unwiderruflichen Bezugsrechts gelten soll. Denn auch in diesem Fall dienen die Beitragszahlungen ausschließlich der Begründung bzw. der Erhöhung des Werts des Anspruchs auf die
Versicherungsleistung. Mit dem Unterschied allerdings, dass diese mit den Prämien »erkauften« Vorteile dem unwiderruflich Bezugsberechtigten bereits mit
dem Wirksamwerden der Bezugsrechtseinräumung (§ 13 II ALB 86) zugute kommen, weil er bereits in diesem Zeitpunkt Inhaber des Vollrechts ist, während dies
bei einem widerruflichen Bezugsberechtigten erst mit Eintritt des Versicherungs-
/ Todesfalls der Fall ist.
Wegen des im Hinblick auf den Zeitpunkt des Rechtserwerbs bestehenden
Unterschieds zwischen einem widerruflichen und einem unwiderruflichen
Bezugsrecht, kann jedoch nicht ausgeschlossen werden, dass der BGH bei einem
bereits bei Vertragsschluss eingeräumten unwiderruflichen Bezugsrecht anders
entscheiden und hier statt auf die Versicherungssumme auf die innerhalb des
Anfechtungszeitraums erbrachten Prämien abstellen wird.
1456 BGHZ 156, 350 ff. = NJW 2004, 214 ff. = ZIP 2003, 2307 ff. = VersR 2004, 93ff.
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C. Der maßgebliche Zeitpunkt für den Fristbeginn nach
§§ 134 I InsO, 4 I AnfG
Ein weiterer Grund dafür, dass der BGH bei Vorliegen eines widerruflichen Bezugsrechts auf die Versicherungssumme abgestellt hat, liegt darin begründet, dass
er bei der Berechnung der vierjährigen Anfechtungsfrist den Zeitpunkt des Eintritts des Versicherungsfalls und nicht den Zeitpunkt der Benennung des Dritten
als für den Fristbeginn maßgebend erachtet hat. Andernfalls wäre in manchen
Fällen – wenn die Benennung außerhalb der Vierjahresfrist stattgefunden hätte –
die (anfechtungsrechtliche) Rückgewähr der Versicherungssumme wegen Fristablaufs ausgeschlossen. Gestützt hat er seine Entscheidung darauf, dass der Dritte
erst mit Eintritt des Versicherungs- bzw. Todesfalls eine »insolvenzfeste« Rechtsposition erwerbe. Vorher sei § 140 III InsO nicht anwendbar. Diese vom jeweiligen Verfahren losgelöste Feststellung lässt sich ohne weiteres auch auf die Fristberechnung im Rahmen der §§ 2325 III, 1375 III BGB übertragen. Das gilt insbesondere deswegen, weil die Frist in allen drei Fällen in demselben Zeitpunkt
zu laufen beginnt. § 2325 III BGB knüpft an den Eintritt des Leistungserfolgs1457,
§§ 134 InsO, 4 AnfG an den Eintritt der rechtlichen Wirkungen der anfechtbaren
Rechtshandlung (§§ 140 I InsO, 8 I AnfG) und § 1375 II BGB an den Zeitpunkt
der Vollendung der Vermögensminderung an1458. Jedes Mal muss die Zuwendung
ihren endgültigen Abschluss gefunden haben. Innerhalb der anderen erb- und familienrechtlichen Anrechnungs- und Ausgleichungsvorschriften spielt diese Tatsache mangels entsprechender Fristenregelung keine Rolle. Es darf jedoch nicht
vergessen werden, dass der BGH ausdrücklich festgestellt hat, dass dann etwas
anderes gelte, wenn der Dritte schon vor dem in § 134 InsO normierten Vierjahreszeitraum eine gesicherte Rechtsstellung erlangt habe, weil die unentgeltliche
Zuwendung dann nicht als innerhalb der gesetzlichen Frist erworben anzusehen
sei. Diese Aussage, die sich – aufgrund des sofortigen Rechtserwerbs des unwiderruflich Begünstigten – offensichtlich auf das unwiderrufliche Bezugsrecht bezieht, lässt jedoch offen, was in diesen Fällen konkret gelten soll. Es liegt indes
die Annahme nicht fern, dass der BGH für den Fall, dass der Anspruch auf die
Versicherungsleistung außerhalb der gesetzlichen Vierjahresfrist erworben
wurde, sekundär doch die innerhalb des kritischen Zeitraums erbrachten Prämienzahlungen zugrunde legen wird. Da es sich auch insoweit um eine verfahrensunabhängige Feststellung handelt, wäre eine Übertragung der Argumentation
auf die erb- und familienrechtlichen Anrechnungs- und Ausgleichungsverfahren
möglich. Dies gilt zumindest in Bezug auf die Pflichtteilsergänzung gemäß
§ 2325 BGB und hinsichtlich der familienrechtlichen Ausgleichsergänzung gemäß § 1375 BGB, weil es nur dort – jeweils normiert in den Abs. 3 – zum Ausschluss der Durchführung der Ergänzungsverfahren wegen Fristablaufs kommen
kann.
1457 MünchKomm/BGB-Lange, § 2325 Rn. 37.
1458 Staudinger-Thiele (2000), § 1375 Rn. 36; Baumeister, FamGb, § 1375 Rn. 42.
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References
Zusammenfassung
Mit welchem Wert sind Lebensversicherungen anzusetzen, wenn sie in erb- oder familienrechtlichen Ausgleichungs- oder Anrechnungsregelungen zu berücksichtigen sind: Mit der Versicherungssumme? Mit der Summe der erbrachten Prämienzahlungen? Mit dem Rückkaufswert? In Rechtsprechung und Literatur ist ein einheitliches Vorgehen bislang nicht erkennbar.
Die vorliegende Arbeit untersucht diese Frage auch unter Berücksichtigung der im Jahr 2003 auf dem Gebiet des Insolvenzrechts erfolgten Rechtsprechungsänderung des Bundesgerichtshofes differenziert anhand der Vielzahl an Funktionen, die eine Lebensversicherung erfüllen kann.