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G. Die familienrechtliche Anrechnung (§ 1380 BGB) und das
Anfechtungsverfahren
I. Gegenüberstellung
1. Anwendungsbereich / Rechtsfolge
Unter den Zuwendungsbegriff des § 1380 BGB fällt jedes unentgeltliche Rechtsgeschäft, durch das der eine Ehegatte dem anderen Ehegatten aus seinem Vermögen einen Vermögensvorteil zukommen Iässt1442. Sog. privilegierte Vermögensgegenstände nennt § 1380 BGB nicht. Insbesondere werden auch die sog. »unbenannten Zuwendungen« und Schenkungen unter Ehegatten von § 1380 BGB erfasst.
Eine in diesem Zusammenhang zu beachtende Besonderheit besteht darin, dass
eine Anrechnung nur bei entsprechender Anrechnungsbestimmung des zuwendenden Ehegatten stattfindet. Vom Vorliegen einer solchen Anrechnungsbestimmung kann gemäß § 1380 I 2 BGB im Zweifel ausgegangen werden, wenn der
Wert der Zuwendung den Wert von Gelegenheitsgeschenken übersteigt, die nach
den Lebensverhältnissen der Ehegatten üblich sind.
Auch im Rahmen des Anfechtungsrechts ist hinsichtlich des geringwertigen
Gelegenheitsgeschenks ein objektiver Maßstab anzulegen. Entscheidend ist die
allgemeine Verkehrsauffassung im Hinblick darauf, ob das Geschenk in Anbetracht des Anlasses und der Beziehung des Schuldners zum Zuwendungsempfänger als üblich angesehen werden kann1443.
§ 1380 BGB gewährt weder einen Zahlungs- oder Herausgabeanspruch, noch
einen Anspruch auf Duldung der Zwangsvollstreckung in den Zuwendungsgegenstand. Die Vorschrift bewirkt eine rein rechnerische Berücksichtigung des zugewandten Vermögensgegenstands bei der Berechnung des Zugewinnausgleichsanspruchs des ausgleichsberechtigten Ehegatten.
2. Die Interessenbewertung / Die Fristenregelung
Die Interessen der Beteiligten werden vollkommen unterschiedlich bewertet. So
werden bei § 1380 BGB die Interessen des in einer Lebensversicherung Begünstigten, anders als im Anfechtungsrecht, nicht von vorrangigen Interessen anderer
Beteiligter verdrängt. Eine §§ 134 I InsO, 4 I AnfG entsprechende Fristenregelung kennt § 1380 BGB nicht.
1442 MünchKomm/BGB-Koch, § 1380 Rn. 10; Staudinger-Thiele (2000), § 1380 Rn. 5.
1443 MünchKomm/InsO-Kirchhof § 134 Rn. 48.
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3. Der Anrechnungspflichtige
Die Anrechnungspflicht trifft den begünstigten Ehegatten, der Gläubiger eine
Ausgleichsforderung gemäß § 1378 I BGB geworden und zugleich Empfänger
des von seinem Ehegatten zugewandten Vermögensgegenstands ist.
4. Der Normzweck
Entsprechend der erbrechtlichen Anrechnungsbestimmung des § 2315 BGB, an
die sich § 1380 BGB anlehnt1444, will auch die güterrechtliche Anrechnungsbestimmung eine Doppelbegünstigung des Zuwendungsempfängers am Vermögen
seines Ehegatten verhindern1445. § 1380 BGB liegt der Gedanke zugrunde, dass
derjenige, der seinem Ehegatten während des Güterstands etwas zuwendet, diese
Leistung in der Regel mit Blick auf eine künftige Zugewinnausgleichsforderung
erbringt1446 und die Zuwendung daher später, wenn tatsächlich ein Zugewinnausgleich stattfindet, auch berücksichtigt werden soll. Andernfalls würde der Zuwendungsempfänger am Zugewinn des Zuwendenden »zweifach« teilhaben1447 einmal über den Vorempfang und einmal über den Zugewinnausgleich. Dementsprechend zielt § 1380 BGB – wie auch das Anfechtungsrecht – darauf ab, den Zuwendungsempfänger so zu stellen, als sei es zu der Zuwendung erst gar nicht gekommen und als befinde sich der Zuwendungsgegenstand noch im Vermögen des
Zuwendenden1448.
5. Der Bewertungsstichtag
Der für die Wertbestimmung maßgebliche Zeitpunkt ist der Zeitpunkt der Zuwendung (§ 1380 II 2 BGB), wobei auch hier – wie bei § 2315 II BGB1449 – der Zeitpunkt entscheidend ist, in dem der Rechtserwerb des Begünstigten tatsächlich
stattfindet1450. Im Rahmen des Anfechtungsrechts kommt es dagegen auf den Wert
des Gegenstands im Zeitpunkt der tatsächlichen Rückgewähr bzw. – bei einem
Anfechtungsprozess – auf den Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung in
der Tatsacheninstanz an1451.
1444 Staudinger-Thiele (2000), § 1380 Rn. 2.
1445 Johannsen/Henrich/Jaeger, § 1380 Rn. 1; BGB-RGRK-Finke, § 1380 Rn. 1; Staudinger-
Thiele (2000), § 1380 Rn. 1, 2.
1446 Johannsen/Henrich/Jaeger, a.a.O.
1447 Staudinger-Thiele (2000), § 1380 Rn. 2; Sorgel/Lange, § 1380 Rn. 2.
1448 Johannsen/Henrich/Jaeger, § 1380 Rn. 3.
1449 Erman-Heckelmann, § 1380 Rn. 7.
1450 Staudinger-Haas (1998), § 2315 Rn. 45; BGHZ 65, 75 ff.
1451 Gottwald/Huber, Insolvenzrechts-Handbuch, § 52 Rn. 11.
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II. Schlussfolgerung
Eine Übereinstimmung ist insoweit zu verzeichnen, als auch bei § 1380 I 2 BGB
von »Gelegenheitsgeschenken« die Rede ist und es auch hier auf einen objektiven
Maßstab ankommt. Anders als im Rahmen der Anfechtung wegen unentgeltlicher
Leistung kommt es indes nicht auf die Geringwertigkeit des Gelegenheitsgeschenks an (§§ 134 II InsO, 4 II AnfG).
Eine weitere Gemeinsamkeit besteht hinsichtlich des Normzwecks. Auch bei
der Anfechtung wegen »unentgeltlicher Leistung‘ sollen die Gläubiger so gestellt
werden, als sei die anfechtbare Rechtshandlung nicht vorgenommen worden.
Zudem richtet sich sowohl der anfechtungsrechtliche Rückgewähranspruch, als
auch die Anrechnungspflicht des § 1380 BGB stets gegen den Zuwendungsempfänger.
Dem stehen jedoch folgende wesentliche Unterschiede gegenüber: zum einen
liegen beiden Verfahren unterschiedliche Bewertungsstichtage zugrunde. Zum
anderen divergieren die Rechtsfolgen der Vorschriften. Darüber hinaus werden
die Interessen der Beteiligten innerhalb der beiden Verfahren völlig anders
gewertet. Der schwerwiegendste Unterschied besteht jedoch darin, dass die
Anrechnungsvorschriften – anders als die Anfechtungsvorschriften – wegen der
Möglichkeit eine Anrechnungsbestimmung zur Disposition des zuwendenden
Ehegatten stehen. Aus diesem Grund ist eine Übertragung der innerhalb des
Anfechtungsverfahrens getroffenen Wertungen auf das Anrechnungsverfahren
nach § 1380 BGB nicht möglich.
H. Fazit
Es bleibt festzuhalten, dass zwar wesentliche Übereinstimmungen zwischen den
dargestellten erb- und familienrechtlichen Anrechnungs- und Ausgleichungsverfahren, nicht jedoch zwischen diesen Verfahren und dem insolvenz- bzw. außerinsolvenzrechtlichen Anfechtungsverfahren bestehen.
Besonders auffällig ist, dass der Anwendungsbereich der §§ 134 InsO, 4 AnfG
im Vergleich zu den erb- und familienrechtlichen Anrechnungs- und Ausgleichungsverfahren sehr weit gefasst ist. Privilegierte Zuwendungsgegenstände, die
im Rahmen dieser Verfahren bereits von vornherein nicht auszugleichen oder
anzurechnen sind, unterliegen in der Regel weiterhin der Anfechtung. Dies gilt
z.B. für die Pflicht- und Anstandsschenkungen. Zu berücksichtigen ist in diesem
Zusammenhang darüber hinaus, dass die Geringwertigkeit der Zuwendung, die
bei §§ 134 II InsO, 4 II AnfG für die Privilegierung einer Zuwendung entscheidend ist, in keiner anderen der dargestellten erb- und familienrechtlichen Ausgleichungs- und Anrechnungsverfahren von Bedeutung ist. Bei den Anrechnungs- und Ausgleichungsverfahren des Erb- und Familienrechts werden die
Zuwendungen, mit denen einer sittlichen Pflicht nachgekommen wird bzw. mit
denen ein »sozialer« Zweck verfolgt wird – unabhängig von ihrem Umfang – pri-
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References
Zusammenfassung
Mit welchem Wert sind Lebensversicherungen anzusetzen, wenn sie in erb- oder familienrechtlichen Ausgleichungs- oder Anrechnungsregelungen zu berücksichtigen sind: Mit der Versicherungssumme? Mit der Summe der erbrachten Prämienzahlungen? Mit dem Rückkaufswert? In Rechtsprechung und Literatur ist ein einheitliches Vorgehen bislang nicht erkennbar.
Die vorliegende Arbeit untersucht diese Frage auch unter Berücksichtigung der im Jahr 2003 auf dem Gebiet des Insolvenzrechts erfolgten Rechtsprechungsänderung des Bundesgerichtshofes differenziert anhand der Vielzahl an Funktionen, die eine Lebensversicherung erfüllen kann.