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Dieselben Maßstäbe legte die höchstrichterliche Rechtsprechung auch bei
einem Wechsel in der Person des Bezugsberechtigten an. Da der neue Bezugsberechtigte im Zweifel in die Rechtsstellung des alten Bezugsberechtigten eintrete1081, sei darauf abzustellen, ob das ursprüngliche Bezugsrecht anfänglich oder
erst nachträglich eingeräumt worden sei. Je nach dem, sei Gegenstand der
Anfechtung die Versicherungsforderung bzw. die Versicherungssumme (bei
nachträglicher Einräumung des Bezugsrechts) oder aber die im Rahmen der
Anfechtungsfrist geleisteten Prämienzahlungen (bei anfänglicher Bezugsrechtseinräumung)1082.
B. Neue Rechtsprechung
Mit seinem Urteil vom 23.10.2003 hat sich der BGH1083 von der bis dahin von der
Rechtsprechung vertretenen Auffassung abgewandt und sich einer bislang nur in
der Literatur vertretenen Ansicht1084 angeschlossen.
Dem vom BGH entschiedenen Fall lag folgender Sachverhalt zugrunde:
Der Versicherungsnehmer einer Lebensversicherung hatte zunächst zugunsten
seiner Ehefrau ein unwiderrufliches Bezugsrecht eingeräumt. Später verzichtete
diese auf die Begünstigung, woraufhin der Versicherungsnehmer ein widerrufliches Bezugsrecht zugunsten seiner Schwester für den Fall seines vorzeitigen Todes einräumte. Drei Monate vor Eröffnung des lnsolvenzverfahrens über sein Vermögen widerrief er jedoch diese Bezugsrechtseinräumung und setzte, nachdem er
die Versicherungsforderung zuvor sicherheitshalber an einen seiner Gläubiger abgetreten hatte, wieder – nun aber nur widerruflich – seine Ehefrau als Bezugsberechtigte ein. Nach Eintritt des Todesfalls verlangte der Nachlassverwalter von
der Ehefrau nach erfolgter lnsolvenzanfechtung den Teil der Versicherungssumme, der zur Befriedigung der Sicherungsinteressen des Sicherungsnehmers
nicht erforderlich war.
1081 RGZ 24, 337 ff.
1082 RGZ 24, 337 ff.
1083 BGHZ 156, 350, 354 ff. = ZIP 2003, 2307, 2309 f. = VersR 2004, 93, 94 f. = NJW 2004,
214 ff.
1084 Prölss/Martin-Kollhosser VVG, § 13 ALB 86 Rn. 43, 45 f.; Reinicke/Reinicke NJW 56,
1053; Heilmann, VersR 1972, 997; Thiele, Lebensversicherung und Nachlassgläubiger,
1963, S. 26 ff., 39, 110 f., 114.; Elfring, Drittwirkungen der Lebensversicherung, 2003,
146, 152; Bruck/Möller/Winter, Anm. H 221, H 224 ff., H 228, H 237; Hoffmann, AcP
158 (1959/1960), 178, 189; Lind/Stegmann, ZInsO 2004, 415; Westhelle/Miksch, ZIP
2003, 2054, 2057 f.; BK-Schwintowski, VVG, § 166 Rn. 41 f., 50; Jaeger-Henckel, KO,
§ 32 Rn. 41 f.; Josef, ArchBürgR 42 (1916), 319, 327 f.; Müller-Feldhammer NZI 2001,
343, 349; FK-Dauernheim, § 134 Rn. 23, 25; MünchKomm/InsO-Kirchof, § 134 Rn. 16;
Thiel, ZIP 2002, 1232, 1234 ff; Koenig, Die Drittbegünstigung in der Kapitallebensversicherung, 1998, S. 131 f.
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Der BGH hat entschieden, dass die Ehefrau zur Rückgewähr des Anspruchs auf
die Versicherungssumme verpflichtet sei.
Dies hat er wie folgt begründet:
1) Aufgrund des mit Eintritt des Versicherungsfalls unmittelbar und direkt aus
dem Vermögen des Versicherers erfolgenden Erwerbs des Anspruchs auf die Versicherungsleistung durch den (widerruflich) Bezugsberechtigten einer Lebensversicherung liege im Verhältnis Versicherungsnehmer/Bezugsberechtigter eine
mittelbare Zuwendung der Versicherungssumme unter Einschaltung der Versicherungsgesellschaft als Mittelsperson vor.
2) Eine mittelbare Zuwendung müsse anfechtungsrechtlich wie eine unmittelbare
Zuwendung behandelt werden, nämlich so, als habe die Versicherungsgesellschaft an den Versicherungsnehmer und dieser an den Dritten geleistet (Gleichbehandlung von unmittelbarer und mittelbarer Zuwendung). Der Gegenstand des
anfechtungsrechtlichen Rückgewähranspruchs sei deshalb die bei Fälligkeit des
Anspruchs vom Versicherer zu erbringende Leistung und nicht die Gesamtsumme
der erbrachten Prämien, mit denen der Versicherungsnehmer diese Leistung erkauft habe. Die Prämienzahlung sei lediglich zwingende Voraussetzung für die
Begründung des Anspruchs.
Dies gelte sowohl für den Fall der anfänglichen Einräumung, als auch für den
Fall der nachträglichen Einräumung eines widerruflichen Bezugsrechts, weil die
Entrichtung der Prämien in beiden Fällen nur zwingende Voraussetzung für die
Begründung des Anspruchs auf die Versicherungssumme und bloßes Mittel für
die Zuwendung sei und weil der widerruflich Bezugsberechtigte stets erst mit
Eintritt des Versicherungsfalls einen rechtlich gesicherten Anspruch erhalte
Etwas anderes gelte, wenn der Dritte schon vor dem in § 134 lnsO normierten
Vierjahreszeitraum eine gesicherte Rechtsstellung erlangt habe, weil die unentgeltliche Zuwendung dann nicht als innerhalb der gesetzlichen Frist erworben
anzusehen sei.
3) Bei der Fristberechnung nach § 140 lnsO komme es auf den Eintritt der rechtlichen Wirkungen der anfechtbaren Rechtshandlung, d.h. auf den Zeitpunkt, in
dem die Gläubigerbenachteiligung bewirkt wird, an. Bei einem widerruflichen
Bezugsrecht sei demzufolge auf den Eintritt des Versicherungsfalls abzustellen,
da der Dritte erst in diesem Zeitpunkt eine »insolvenzfeste« Rechtsposition erwerbe. § 140 III lnsO sei nicht anwendbar, da der widerruflich Bezugsberechtigte
vor Eintritt dieses Zeitpunkts keine gesicherte Rechtsposition erworben habe.
4) Eine Auslegung der Anfechtungstatbestände unter Berücksichtigung der sozialen Schutzwürdigkeit des unterhalts- oder versorgungsberechtigten Empfängers
sei im Hinblick auf die grundsätzlichen Wertungen des Insolvenzrechts nicht vorzunehmen da sich der Gesetzgeber im Rahmen der lnsO durch die Beseitigung der
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früher bestehende Vorzugsrechte (§§ 59 I Nr. 3, 61 I Nr. 1-5 KO) ausdrücklich gegen eine Privilegierung entschieden und das Interesse der Gläubigergesamtheit
generell für vorrangig angesehen habe.
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References
Zusammenfassung
Mit welchem Wert sind Lebensversicherungen anzusetzen, wenn sie in erb- oder familienrechtlichen Ausgleichungs- oder Anrechnungsregelungen zu berücksichtigen sind: Mit der Versicherungssumme? Mit der Summe der erbrachten Prämienzahlungen? Mit dem Rückkaufswert? In Rechtsprechung und Literatur ist ein einheitliches Vorgehen bislang nicht erkennbar.
Die vorliegende Arbeit untersucht diese Frage auch unter Berücksichtigung der im Jahr 2003 auf dem Gebiet des Insolvenzrechts erfolgten Rechtsprechungsänderung des Bundesgerichtshofes differenziert anhand der Vielzahl an Funktionen, die eine Lebensversicherung erfüllen kann.