128
lung der Eigenkapitalkosten von öffentlichen Unternehmen ist von Position 3 auszugehen.227
De facto haben viele staatliche Eigentümer öffentlicher Unternehmen lange Zeit
auf die Einforderung einer risikoäquivalenten Eigenkapitalverzinsung verzichtet
("Soft Budget Constraint"). Unter dem Zwang knapper öffentlicher Haushalte hat
hier jedoch ein Umdenken eingesetzt, das die öffentlichen Unternehmen zunehmend
dazu zwingt, auch die Eigenkapitalkosten bei ihren Entscheidungen zu berücksichtigen (vgl. Bertero/Rondi 2000).228 Eine nicht zu unterschätzende Rolle spielt hierbei
die Europäische Kommission, die jüngst die Bekämpfung wettbewerbsverzerrender
staatlicher Beihilfen verschärft hat.229 Bei der Implementierung der Beihilfekontrolle
geht die Kommission davon aus, dass auch bei öffentlichen Unternehmen von einer
Eigenkapitalverzinsung auszugehen ist, wie sie Investoren auf dem Kapitalmarkt
von vergleichbaren privaten Unternehmen fordern würden.230 In konkreten Beihilfeverfahren verwendet die Kommission das Capital Asset Pricing Model (CAPM) zur
Ermittlung risikoäquivalenter Eigenkapitalkosten (vgl. Friederiszick/Tröge 2006).
7.2.3 Mengengerüst
Abschreibungen und Zinskosten determinieren maßgeblich die Investitionspolitik
und damit die Zusammensetzung der in einem Unternehmen eingesetzten Kapitalgüter (Mengengerüst). Grundlage für die entscheidungsorientierte Ermittlung des
Mengengerüsts ist die langfristige Strategie des Netzbetreibers. Diese Strategie ist
der Ausgangspunkt für Entscheidungen sowohl über die Veränderung des Umfangs
der eingesetzten Kapitalgüter (Investition und Desinvestition) als auch die Disaggregation des vorhandenen Kapitalstocks als Voraussetzung für ein entscheidungsorientiertes Asset Management. Dabei ist bei neuen und bereits bestehenden
Netzteilen nach einheitlichen Prinzipien vorzugehen (vgl. Abschnitt 6.2).
In Kapitel 6 wurde betont, dass es sich bei der Gestaltung des Mengengerüsts um
eine unternehmerische Aufgabe handelt. Es wurde insbesondere argumentiert, dass
dieser originär unternehmerische Charakter auch dann erhalten werden sollte, wenn
ein Netzbetreiber Marktmacht hat und reguliert wird (vgl. Abschnitt 6.3). Sofern
öffentliche Unternehmen reguliert werden, unterliegen auch sie der Gefahr einer
227 Position 3 ist als Referenzpunkt bei vergleichbaren Investitionen zu verstehen. Gegebenenfalls sind Modifikationen notwendig, um eine Vergleichbarkeit herzustellen. Grout (2003) hat
das konzeptionelle Vorgehen im Kontext von so genannten Public Private Partnerships demonstriert; zur Implementierung in der Praxis vgl. Partnerships Victoria (2003).
228 Zur Ressourcenverschwendung bei Missachtung der tatsächlichen Zinskosten vgl. auch
Jenkins (1985).
229 Vgl. das von der Europäischen Kommission am 07.06.2005 vorgelegte Konsultationspapier
'Aktionsplan staatliche Beihilfen: Weniger und besser ausgerichtete staatliche Beihilfen –
Roadmap zur Reform des Beihilferechts 2005-2009', KOM(2005) 107 endg.
230 Zu dieser im EU-Beihilferecht 'Prinzip eines marktwirtschaftlich handelnden Investors' genannten Variante von Position 3 vgl. Storr (2001: S. 314-317).
129
regulatorischen Einflussnahme auf die unternehmerische Investitionspolitik durch
diskretionäre Interventionen. Bei öffentlichen Unternehmen kommt jedoch als zusätzliches Unsicherheitsmoment die Gefahr hinzu, dass der staatliche Eigentümer
diskretionär Einfluss auf die Investitionspolitik nimmt und sich dabei weniger von
wirtschaftlichen Interessen als von politischen Gesichtspunkten leiten lässt.231
Eine längerfristige Prognose politischer Einflussnahmen auf die Steuerung öffentlicher Unternehmen ist nicht möglich. Diskretionäre politische Interventionen sind
häufig verteilungspolitisch motiviert (vgl. Megginson 2005: S. 41). Nicht nur das
Gewicht der einzelnen Interessengruppen im politischen Prozess ist laufenden
Schwankungen unterworfen. Auch die Vorstellungen darüber und die Wahrnehmung davon, welche Interessengruppen von bestimmten Unternehmensaktivitäten
besonders begünstigt oder benachteiligt werden, können sich unter Umständen rasch
ändern. Vor diesem Hintergrund ist die Verfolgung einer glaubwürdigen langfristigen Investitionsstrategie für die Geschäftsführung eines öffentlichen Unternehmens
deutlich erschwert.
Politische Einflussnahmen des staatlichen Eigners auf die Investitionspolitik bergen nicht nur die Gefahr von Fehlinvestitionen in neue Netzteile. Sie erschweren
auch die Bewertung bereits bestehender Netzteile und des Gesamtunternehmens,
denn diese Bewertungen beruhen notwendigerweise auf Annahmen über die zukünftige Unternehmensstrategie. Für private Investoren ist die Schlüssigkeit und Glaubwürdigkeit der langfristigen Unternehmensstrategie eine zentrale Determinante bei
der Einschätzung des Unternehmenswerts. Bei börsennotierten Unternehmen würde
diese Einschätzung – neben anderen Faktoren – im Aktienpreis ihren Niederschlag
finden. Bei öffentlichen Unternehmen steht dieses externe Preissignal der Unternehmensführung in aller Regel nicht zur Verfügung. Umso wichtiger sind dann
realistische Annahmen über die weitere Entwicklung des Mengengerüsts in der
Kostenrechnung.
7.3 Konsequenzen für die Preise öffentlicher Unternehmen
Bereits im Jahr 1975 hat sich der Wissenschaftliche Beirat beim Bundesministerium
für Wirtschaft mit dem Zusammenhang zwischen den Kosten und den Preisen öffentlicher Unternehmen auseinandergesetzt. Anlass waren die steigenden Defizite
der damaligen Deutschen Bundesbahn, der Deutschen Bundespost und der kommunalen Nahverkehrsbetriebe. Der Beirat hat empfohlen, dass öffentliche Unternehmen
grundsätzlich kostendeckend arbeiten sollten. Die gängigen verteilungs- oder stabilitätspolitisch motivierten Rechtfertigungen von Defiziten seien allesamt nicht überzeugend. Zur Verfolgung verteilungspolitischer Ziele sei die Steuerpolitik das geeignetere Instrument, zur Verfolgung stabilitätspolitischer Ziele die Geldpolitik. Die
zunehmenden Störungen des für die Marktwirtschaft konstitutiven Preismechanis-
231 Vickers/Yarrow (1988) nennen es das "problem of political discretion" (S. 139).
Chapter Preview
References
Zusammenfassung
Für die in liberalisierten Netzindustrien aktiven Unternehmen sind Kosteninformationen insbesondere bei Preis- und Investitionsentscheidungen von zentraler Bedeutung. Darüber hinaus interessieren sich in zunehmendem Maße die wirtschaftspolitischen Entscheidungsträger für die Kosten der Netze, vor allem bei der Regulierung von Marktmacht und der Bestellung defizitärer Netzleistungen. Dies erfordert eine auf anerkannten ökonomischen Prinzipien basierende entscheidungsorientierte Kostenermittlung, die durchgängig und konsistent in allen Netzbereichen – seien sie nun wettbewerblich, reguliert oder subventioniert – anwendbar ist. Die vorliegende Habilitationsschrift will hierfür eine systematische methodische Grundlage legen.
Im Mittelpunkt steht die disaggregierte Ermittlung der Kapitalkosten. Es wird aufgezeigt, dass das Deprival value-Konzept bei der Kapitalkostenermittlung eine zentrale Rolle spielt. Darauf aufbauend wird ein analytischer Rahmen entwickelt, der das Zusammenspiel von Regulierung und Subventionierung (z.B. bei defizitären Eisenbahninfrastrukturen) normativ begründen kann.