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Nutzen in einer anderen Verwendungsrichtung (Second hand-Preis als Indikator)
erforderlich. Die Plausibilität der Ergebnisse dieser Vergleiche kann nur sinnvoll
geprüft werden, wenn die Perspektive des Unternehmens ("Value to the owner") eingenommen wird (vgl. Kapitel 4).
6.3.2 Accounting Separation
Im Regulierungskontext bezeichnet der Begriff Accounting Separation die getrennte
Rechnungsführung für regulierte und unregulierte Leistungen. Typischerweise bieten regulierte Netzbetreiber auch Leistungen an, die nicht der Marktmachtregulierung unterliegen (vgl. Abschnitt 5.3.4). Durch getrennte Rechnungsführung soll
verhindert werden, dass die von der Regulierungsbehörde eingesetzten Instrumente
zur Disziplinierung der Marktmacht im regulierten Leistungsbereich durch interne
Quersubventionen an den unregulierten Leistungsbereich ausgehebelt bzw. umgangen werden. Auf EU-Ebene gibt es regulatorische Verpflichtungen zu Accounting
Separation z.B. in der Richtlinie 2002/19/EG (Telekommunikation) sowie den
Richtlinien 2003/54/EG (Elektrizität) und 2003/55/EG (Erdgas) mit entsprechenden
Artikeln über "Verpflichtung zur getrennten Buchführung" bzw. "Entflechtung der
Rechnungslegung".204
Accounting Separation hat in der US-amerikanischen Regulierungspraxis eine
lange Tradition. Hierfür waren vor allem drei Gründe maßgeblich. Erstens, obwohl
vor der Liberalisierung die Netzindustrien durch eine End-zu-end-Regulierung gekennzeichnet waren, gab es auch unregulierte Leistungsbereiche. So haben z.B.
einige Strom- und Gasversorgungsunternehmen auch Haushaltsgeräte verkauft.
Diese so genannten Non-Utility Businesses unterlagen nicht der Regulierung. Durch
Accounting Separation sollten Gewinntransfers in die unregulierten Leistungsbereiche verhindert bzw. aufgedeckt werden. Zweitens ist zu berücksichtigen, dass vor
der Liberalisierung die Regulierung von Preisniveau und Preisstruktur vorherrschend war. Dies erforderte nicht nur eine getrennte Rechnungsführung für regulierte und unregulierte Leistungen, sondern auch eine getrennte Rechnungsführung für
die unterschiedlichen Teilleistungen innerhalb des regulierten Leistungsbereichs als
Grundlage einer kostenbasierten Regulierung der Preisstruktur (vgl. Phillips 1993:
S. 217 f.). Drittens, erforderte das Nebeneinander unterschiedlicher Regulierungsbehörden für den zwischenstaatlichen und den innerstaatlichen Telekommunikations-
204 Richtlinie 2002/19/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 7. März 2002 über
den Zugang zu elektronischen Kommunikationsnetzen und zugehörigen Einrichtungen sowie
deren Zusammenschaltung (Zugangsrichtlinie), Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften
L 108 vom 24.4.2002, S. 7-20; Richtlinie 2003/54/EG des Europäischen Parlaments und des
Rates vom 26. Juni 2003 über gemeinsame Vorschriften für den Elektrizitätsbinnenmarkt und
zur Aufhebung der Richtlinie 96/92/EG, Amtsblatt der Europäischen Union L 176 vom
15.7.2003, S. 37-55; Richtlinie 2003/55/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom
26. Juni 2003 über gemeinsame Vorschriften für den Erdgasbinnenmarkt und zur Aufhebung
der Richtlinie 98/30/EG, Amtsblatt der Europäischen Union L 176 vom 15.7.2003, S. 57-78.
116
verkehr eine entsprechende Separierung von Kosten und Erlösen (vgl. Knieps 1985:
S. 62-65 und Phillips 1993: S. 225-227). Der Fokus von Accounting Separation lag
deshalb vor der Liberalisierung auf den horizontalen Schnittstellen zwischen unterschiedlichen Produktgruppen auf der Endleistungsebene.205
Im Zuge der Liberalisierung der Netzindustrien hat sich der Fokus von Accounting Separation verschoben. Zwar soll Accounting Separation auch nach der Liberalisierung immer noch verhindern, dass die Preisniveauregulierung des regulierten
Leistungsbereichs durch Quersubventionierung bzw. Gewinntransfers in den unregulierten Leistungsbereich umgangen wird. Das zentrale Ziel von Accounting Separation besteht aber nun darin, den diskriminierungsfreien Zugang zu den regulierungsbedürftigen Bereichen der Vorleistungsmärkte für Netzinfrastrukturkapazitäten
sicherzustellen (vgl. Cave/Martin 1994: S. 14). Nun stehen nicht mehr die horizontalen Schnittstellen auf der Endleistungsebene, sondern die vertikalen Schnittstellen
zwischen Vorleistungs- und Endkundenmärkten im Mittelpunkt des regulatorischen
Interesses. Hierfür ist die trennscharfe Definition der Schnittstelle zwischen wettbewerbsfähigen und regulierungsbedürftigen Netzbereichen zentral (vgl. Cave/Martin
1994: S. 18 und oben Abschnitt 2.3.1). Accounting Separation soll diese Schnittstelle in der Kosten- und Erlösermittlung widerspiegeln.206 Eine Preisniveauregulierung
des Vorleistungsmarktes allein würde die Anreize zur Diskriminierung von Wettbewerbern auf den Endkundenmärkten nicht beseitigen. Die beiden Instrumente Price
cap-Regulierung und Accounting Separation sind als Paket zu sehen (vgl. Brunekreeft 2003b: S. 38 f. und Knieps 2007: S. 174).
Accounting Separation erfordert eine verursachungsgerechte Zuordnung der Kosten zu unternehmerischen Entscheidungen im regulierten bzw. unregulierten Leistungsbereich. Die verursachungsgerechte Kostenermittlung setzt am Mengengerüst
an (vgl. Albach/Knieps 1997: S. 50-56). Da die Beschaffenheit der Kapitalgüter
(z.B. Irreversibilität) eine zentrale Rolle bei der Lokalisierung von monopolistischen
Bottlenecks entlang der Wertschöpfungskette spielt, ist das Mengengerüst der Kapitalkosten auch ein zentraler Ausgangspunkt für eine verursachungsgerechte Kostenzuordnung im Regulierungskontext. Es geht darum, die Menge N = {1, ..., n} der in
einem regulierten Unternehmen eingesetzten Kapitalgüter in eine Teilmenge
NSR ? , die zur Produktion der regulierungsbedürftigen Leistungen erforderlich ist,
und eine Teilmenge NSC ? , die zur Produktion der wettbewerbsfähigen Leistungen erforderlich ist, aufzuteilen. Je kleiner die Schnittmenge CR SS ? ist, desto
unproblematischer ist ceteris paribus die verursachungsgerechte Zuordnung der
Kapitalkosten.
205 Im Telekommunikationssektor in Deutschland spielte z.B. die Abgrenzung zwischen Ortsund Ferngesprächen bei der Preisbildung eine wichtige Rolle; im Postsektor die Abgrenzung
zwischen Brief- und Paketdienst. Im Eisenbahnsektor lag der Fokus auf der Abgrenzung zwischen Güterverkehr, Personenfernverkehr und Personennahverkehr.
206 Schon Faulhaber (1975) hat klar herausgearbeitet, dass es zur Aufdeckung von interner Subventionierung sowohl Kosten- als auch Erlösinformationen bedarf.
117
Bei der Beurteilung der Möglichkeiten und Grenzen von Accounting Separation
im Regulierungskontext ist zu berücksichtigen, dass durch Accounting Separation
nur diejenigen Formen von Diskriminierung offengelegt werden können, die im
Rechnungswesen abbildbar sind. Dazu gehören in erster Linie preisliche Diskriminierungen. Das Rechnungswesen ist dagegen kein geeignetes Instrument, um nichtpreisliche Diskriminierungen, z.B. durch punktuelle Verschlechterung der Produktqualität, offenzulegen (vgl. Cave 2006: S. 91 f.).207
Um eine Verlagerung der Diskriminierungsaktivitäten von der preislichen auf die
nicht-preisliche Angebotsdimension zu verhindern, wurden in der Regulierungspraxis unter dem Stichwort 'Entbündelung' auch weitergehende Formen der Separierung
erprobt.208 Die weitestgehende Entbündelungsform ist die vollständige eigentumsrechtliche Trennung (Ownership Separation).209 Eine demgegenüber schwächere
Entbündelungsform ist die gesellschaftsrechtliche Trennung (Corporate bzw. Legal
Separation), weil sie nur die juristische, nicht aber die wirtschaftliche Selbständigkeit erfordert (vgl. Cremer/Crémer/De Donder 2006). Eine noch schwächere Variante ist die funktionale Trennung von Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten im
Rahmen der Aufbau- und Ablauforganisation (Management bzw. Functional bzw.
Operational Separation) des regulierten Unternehmens. Hierzu zählt die Einrichtung
eines möglichst unabhängig und eigenverantwortlich agierenden Geschäftsbereichs
für die regulierten Leistungen (vgl. Cave 2006).210
Das zentrale ökonomische Argument für Accounting Separation (und gegen weitergehende Entbündelungsformen) ist der mögliche Verlust von Verbundvorteilen
(vgl. Cave/Martin 1994: S. 14 und Brunekreeft 2003b: S. 35). Aus diesem Grund
gibt es in der Regulierungsökonomie insbesondere gegenüber einer strikten eigentumsrechtlichen Separierung erhebliche Vorbehalte. Je größer die Verbundvorteile
sind, desto vorteilhafter ist – komparativ betrachtet – das Instrument der Accounting
207 Korrespondierend dazu gibt es bei der Price cap-Regulierung das Problem einer möglichen
Verschlechterung der Qualität (vgl. Kunz 2003: S. 66 f.). Auch hier handelt es sich um den
Versuch, die auf der Preisdimension liegende Regulierungsbeschränkung durch ein Ausweichen auf eine Nicht-Preis-Dimension (Qualität) zu umgehen.
208 Vgl. OECD (2002b: S. 5) zur nachfolgenden Klassifikation und Bezeichnung der verschiedenen Entbündelungsformen. Für einen Überblick über die derzeit in Deutschland geltenden regulatorischen Entbündelungsverpflichtungen vgl. Angenendt (2007). Zu den entsprechenden
Regelungen auf EU-Ebene vgl. Pernice (2006: S. 22-24).
209 Das wohl bekannteste Beispiel im Regulierungskontext ist die im Jahr 1982 staatlich erzwungene Aufspaltung des US-Telekommunikationsunternehmens AT&T (vgl. Noll/Owen 1994).
Sehr differenzierte eigentumsrechtliche Entflechtungen gab es auch im Zuge der Reform des
britischen Eisenbahnsektors (vgl. Yvrande-Billon/Ménard 2005).
210 Auch bei der letztgenannten Entbündelungsform ist das Mengengerüst der Kosten der zentrale Ansatzpunkt: "This involves consideration of what provisions are indispensable to the
achievement of the goal of eliminating non-price discrimination by operational separation.
The essence of the remedy is the creation of a uniform transaction boundary for internal and
external customers at which a 'bright line' test of equivalence can be performed. This will involve separation of an appropriate number of the physical inputs into the production process"
(Cave 2006: S. 100 f.).
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Separation, weil es den regulierten Unternehmen die größtmögliche Freiheit zur
Ausschöpfung vertikaler Verbundvorteile lässt.211
Freilich darf dabei nicht übersehen werden, dass Accounting Separation seinerseits gerade dann am schwierigsten umsetzbar ist, wenn eben diese Verbundvorteile
signifikant sind, denn Verbundvorteile verschärfen das Problem der Kostenallokation (vgl. Abschnitt 3.2.2).212 In diesen Fällen ist es besonders wichtig, dass – analog
zur Implementierung von Price cap-Regulierung – auch mit der Implementierung
von Accounting Separation eine Regulierungsbehörde beauftragt wird, die die Befugnis hat, nicht nur preislichen sondern auch nicht-preislichen Diskriminierungsvorwürfen fallweise nachzugehen und gegebenenfalls durch diskretionäre Maßnahmen zu unterbinden.213 Was bei der Preisniveauregulierung unbestritten ist, gilt auch
für die Verhinderung von Diskriminierungen: Es bedarf zu ihrer Umsetzung einer
Regulierungsbehörde. Mit einmaligen Entbündelungsmaßnahmen allein, z.B. der
gesetzlichen Verpflichtung zu Accounting Separation, ist es nicht getan.214
6.3.3 Fazit
Die Gestaltung des Mengengerüsts des eingesetzten Kapitals ist eine originär unternehmerische Aufgabe. Aufgrund der ausgeprägten Kapitalintensität ist in Netzindustrien eine langfristige, strategische Perspektive erforderlich. Dies betrifft sowohl
211 Die Notwendigkeit zur Definition einer transparenten Schnittstelle zwischen regulierungsbedürftigen und dazu komplementären wettbewerbsfähigen Netzbereichen besteht unabhängig
davon, welche Entbündelungsform letztendlich gewählt wird. Dass die Definition der Schnittstelle keine triviale Aufgabe ist und von der zugrundegelegten Netz- und Produktphilosophie
abhängt, zeigt die Kontroverse zwischen Kahn/Shew und Gabel/Kennet im Kontext der USamerikanischen Telekommunikationsregulierung (vgl. Knieps 2007: S. 36).
212 Erfolgreiche Unternehmen zeichnen sich typischerweise dadurch aus, dass sie Komplementaritäten innerhalb des Unternehmens besser ausnützen und dadurch mehr Synergien schaffen
und beherrschen (vgl. Milgrom/Roberts 1990). Die Ausnützung von Bündelungsvorteilen ist
letztlich der Grund dafür, dass die unternehmensinterne Allokation von Ressourcen kostengünstiger sein kann als die externen Allokation über Märkte. Das Gemeinkostenproblem ist
so gesehen untrennbar mit der Existenz effizienter Unternehmen verbunden (vgl. Schauenberg/Schmidt 1983: S. 262-265).
213 Die Arbeitsteilung zwischen Regulierungs- und Wettbewerbsbehörden bleibt davon unberührt. Der zentrale Unterschied zwischen der Implementierung sektorspezifischer Regulierung und der Anwendung des allgemeinen Wettbewerbsrechts besteht darin, dass im Regulierungskontext der grundsätzliche Eingriffsbedarf zur Verhinderung von Diskriminierungen bereits ex ante festgestellt wird, während die Wettbewerbsbehörde sowohl den Eingriffsbedarf
als auch den ggf. notwendigen Instrumenteneinsatz ex post und fallweise feststellt.
214 Inwieweit die Regulierungsbehörde tatsächlich in der Lage ist, Diskriminierungen fallweise
zu verhindern, hängt von ihren gesetzlich verankerten Kompetenzen (Regulierungsmandat)
ab. In Bezug auf Accounting Separation haben z.B. Burton/Kaserman/Mayo (2004) argumentiert, dass Regulierungsbehörden einen Anreiz zur Überschätzung von Gemein- und Verbundkosten haben, weil dies zusätzliche Umverteilungspotenziale eröffnet (Verschleierung
von interner Subventionierung).
Chapter Preview
References
Zusammenfassung
Für die in liberalisierten Netzindustrien aktiven Unternehmen sind Kosteninformationen insbesondere bei Preis- und Investitionsentscheidungen von zentraler Bedeutung. Darüber hinaus interessieren sich in zunehmendem Maße die wirtschaftspolitischen Entscheidungsträger für die Kosten der Netze, vor allem bei der Regulierung von Marktmacht und der Bestellung defizitärer Netzleistungen. Dies erfordert eine auf anerkannten ökonomischen Prinzipien basierende entscheidungsorientierte Kostenermittlung, die durchgängig und konsistent in allen Netzbereichen – seien sie nun wettbewerblich, reguliert oder subventioniert – anwendbar ist. Die vorliegende Habilitationsschrift will hierfür eine systematische methodische Grundlage legen.
Im Mittelpunkt steht die disaggregierte Ermittlung der Kapitalkosten. Es wird aufgezeigt, dass das Deprival value-Konzept bei der Kapitalkostenermittlung eine zentrale Rolle spielt. Darauf aufbauend wird ein analytischer Rahmen entwickelt, der das Zusammenspiel von Regulierung und Subventionierung (z.B. bei defizitären Eisenbahninfrastrukturen) normativ begründen kann.