84
sind in den Opportunitätskosten des eingesetzten Kapitals zu berücksichtigen (vgl.
Knieps 2007: S. 34).
Kapitaltheoretische Erfolgsneutralität: Es geht um die Prognose von Kosten, die
keine Gewinnbestandteile enthalten sollen. Das bedeutet, dass monopolistische
Überschussgewinne ausgeblendet bleiben sollen. Es bedeutet auch, dass nicht versucht wird, echte Unsicherheit im Sinne Knights bereits ex ante vollständig als Kosten berücksichtigen zu wollen. Wie bereits in Abschnitt 5.1.1 begründet, ist dieser
Versuch zum Scheitern verurteilt, weil die diesem Kostenfaktor zugrunde liegenden
Risiken ex ante nur relativ unpräzise erfasst werden können. Wenn etwas Unvorhersehbares eingetreten ist, dann sind damit einhergehende Kostenüber- oder Kostenunterdeckungen erst ex post präzise erfassbar.126 Diese können nur für zukünftige Entscheidungen relevant sein. Hieraus folgt die Notwendigkeit einer kontinuierlichen
Überprüfung der Planung. Ein Beispiel ist die Erhöhung des Fremdkapitalzinssatzes
als Folge einer unerwarteten Herabstufung der Kreditwürdigkeit durch eine Rating-
Agentur. Ein anderes Beispiel ist die Anpassung der Abschreibungspläne als Folge
einer unerwarteten technischen Erfindung (vgl. Knieps 2007: S. 23).127
5.2 Kapitalmarktorientierte Ermittlung der Zinskosten
5.2.1 Das Cost of capital-Konzept
Aus kapitalmarktorientierter Perspektive sind die Cost of capital der Referenzpunkt
zur Bestimmung der Vorteilhaftigkeit von Investitionen:
"[A]ny investment project and its concomitant financing plan must pass only the following
test: Will the project, as financed, raise the market value of the firm's shares? If so, it is worth
undertaking; if not, its return is less than the marginal cost of capital to the firm" (Modigliani/Miller 1958: S. 264).
Ausgehend von diesem Verwendungszweck128 haben Modigliani/Miller die Definition des Cost of capital-Konzepts maßgeblich geprägt (vgl. Modigliani/Miller 1958:
126 Kostenüberdeckungen lassen sich – analog zu den oben in Fußnote 122 bereits erwähnten
Innovationsrenten – als Informationsrenten interpretieren. Ihre Existenz ist Ausdruck der unvermeidbaren Subjektivität unternehmerischer Kostenermittlung.
127 Der Ansatz von Knight bekräftigt die Argumentation in Abschnitt 4.1.2 (Fußnote 92) in
Bezug auf das Problem der Doppelzählung bei Nichterfüllung unternehmerischer Erwartungen (Änderung der Abschreibungspläne versus Kompensation über Risikoprämie). Nach
Knight ist es nicht möglich, alle Eventualitäten ex ante in der Planung abzubilden. In dynamischen Entscheidungkontexten bleibt nur der Weg über offene Pläne.
128 "The core application of the cost of capital is in capital budgeting, which is the process by
which a company decides which projects to undertake. Capital budgeting involves the estimation of the market value of projects that have yet to be undertaken, and that do not have an
observable market value. This is because there is no market for would-be projects, and financial assets are not issued that provide claims to the future net cash flows from would-be projects" (Armitage 2005: S. 5).
85
S. 265-267). Grundlegend ist das ökonomische Opportunitätskostenprinzip. Die
Cost of capital sind die Opportunitätskosten einer Investition aus Sicht der Kapitalgeber. Ihre Höhe spiegelt die erwartete Rendite der nächstbesten Investitionsalternative wider (vgl. Armitage 2005: S. 4 f. und Grout 1995: S. 388). Die kapitalmarktorientierte Charakterisierung des Cost of capital-Konzepts kann in vier Schritte
unterteilt werden (vgl. Myers 1972: S. 63 f. und S. 88-90):
Erstens, unterschiedliche Unternehmen mit gleichartigen Risikocharakteristika
lassen sich zu homogenen Risikoklassen zusammenfassen.129 Wenn die Risiken
innerhalb einer Klasse identisch sind, müssen im Gleichgewicht auch die Renditeerwartungen der Kapitalgeber für alle Unternehmen, die derselben Risikoklasse
angehören, identisch sein. Für alle Unternehmen derselben Risikoklasse k wird sich
dann derselbe Erwartungswert )( krE herausbilden. Die Veränderung der Aktienkurse der einzelnen Unternehmen sind der Anpassungsmechanismus zur Nivellierung
der Renditeerwartungen innerhalb einer Risikoklasse.130
Zweitens, die erwartete Rendite )( krE spiegelt die Cost of capital der Risikoklasse k wider. Wenn ein Unternehmen der Risikoklasse k eine neue Investition plant,
deren Risikocharakteristika ebenfalls denen der Risikoklasse k entsprechen, dann ist
)( krE der relevante Referenzpunkt zur Beurteilung der Vorteilhaftigkeit dieser neuen Investition. Andernfalls wäre nicht gewährleistet, dass durch die neue Investition
der Marktwert des Unternehmens erhöht wird.131
Drittens, zwischen Aktienkursen, Dividenden und Cost of capital besteht im Kapitalmarktgleichgewicht ein eindeutiger Zusammenhang. Für jedes Unternehmen i
der Risikoklasse k lässt sich die erwartete Rendite )( krE durch folgende Gleichgewichtsbedingung charakterisieren:
)(1
)()( ,1,1
,
k
itit
it rE
PEDE
P + += ++ .
Dabei bezeichnet itP , den Aktienkurs (ex Dividende) des Unternehmens i am Ende
der Periode t, )( ,1 itDE + die erwartete Dividendenausschüttung in Periode t+1 und
)( ,1 itPE + den erwarteten Aktienkurs (ex Dividende) am Ende der Periode t+1. Wenn
)( krE im Zeitablauf konstant ist, vereinfacht sich der Zusammenhang zu
129 "We have, thus, an analogue to the familiar concept of the industry in which it is the commodity produced by the firms that is taken as homogenous" (Modigliani/Miller 1958: S. 266).
130 "The basic proposition underlying the cost of capital concept is that at any point in time
securities are so priced that all securities of equivalent risk (i.e., all securities in a "risk class")
offer the same expected rate of return" (Myers 1972: S. 65).
131 Würden die Risikocharakteristika der neuen Investition dagegen für sich genommen nicht der
Risikoklasse k sondern der Risikoklasse k+1 entsprechen, dann wären die Cost of capital der
Risikoklasse k+1 der relevante Referenzpunkt zur Beurteilung ihrer Vorteilhaftigkeit (vgl.
Myers 1972: S. 64 f.).
86
??= += 1 ,,0 )](1[ )(t tkiti rEDEP .
Wenn darüber hinaus auch die Dividendenzahlungen im Zeitablauf konstant sind,
handelt es sich bei der Dividendenzahlung um eine ewige Rente und der Aktienkurs
beträgt
)(
)(
k
i
i rE
DEP = für alle t.
Viertens, in den vorhergehenden drei Schritten wurde implizit von einer ausschließlichen Eigenkapitalfinanzierung ausgegangen. Für die Anwendbarkeit des Cost of
capital-Konzepts ist diese Annahme jedoch nicht entscheidend. Unabhängig davon,
ob die Voraussetzungen der von Modigliani/Miller (1958) erstmals formulierten und
später (1963) in Bezug auf die Steuern relativierten Irrelevanzthese132 nun gelten
oder nicht, ist bei einer teilweise fremdfinanzierten Unternehmung die Kapitalstruktur bei der Ermittlung der Cost of capital zu beachten. Es seien )( EKrE und
)( FKrE die erwarteten Eigen- bzw. Fremdkapitalrenditen sowie EK, FK und GK die
Marktwerte von Eigen-, Fremd- und Gesamtkapital. Der mit dem Fremdkapitalanteil
gewichtete durchschnittliche Zinskostensatz (Weighted Average Cost of Capital)
bestimmt sich dann – bei Vernachlässigung von Steuern – wie folgt (vgl. Modigliani/Miller 1958: S. 271 und Brealey/Myers 2003: S. 228):
GK
FKrE
GK
EKrEWACC FKEKSteuerohne )()( += .
Wenn von einem unternehmensspezifischen Steuersatz s auszugehen ist und ein
stilisiertes Steuersystem zugrundegelegt wird, das die Eigenkapital- gegenüber der
Fremdkapitalfinanzierung benachteiligt133, dann gilt für den Zinskostensatz nach
Steuern (vgl. Modigliani/Miller 1963: S. 439 und Brealey/Myers 2003: S. 525):134
)1()()( s
GK
FKrE
GK
EKrEWACC FKEKSteuermit ?+= .
In Theorie und Praxis gilt die Ermittlung der Komponente )( EKrE als der schwierigere Teil der WACC-Ermittlung, weil es sich bei der Eigenkapitalverzinsung um
eine Residualgröße handelt, deren zu erwartende Höhe – im Unterschied zu Fremd-
132 "[T]he average cost of capital to any firm is completely independent of its capital structure
and is equal to the capitalization rate of a pure equity stream of its class" (Modigliani/Miller
1958: S. 268 f., im Original kursiv).
133 Z.B. steuerliche Abzugsfähigkeit der Fremdkapitalzinsen als Betriebsausgabe versus Vollversteuerung der Eigenkapitalverzinsung auf Unternehmensebene.
134 Zur Berücksichtigung von Steuern im Kontext des deutschen Steuersystems vgl. Drukarczyk/Schüler (2003) und Pedell (2006: S. 186-191). Bei der Verwendung von WACC-Sätzen
nach Steuern im Regulierungskontext (vgl. Abschnitt 5.3.1) ist jedoch zu berücksichtigen,
dass angesichts der Komplexität des deutschen Steuersystems die externe Nachprüfbarkeit
der Zinskostenermittlung dadurch deutlich erschwert wird (vgl. Emmerich 2006: S. 144 f.).
87
kapitalzinsen – nicht durch vertragliche Vereinbarungen bereits ex ante determiniert
werden kann (vgl. Geginat et al. 2006: S. 18 und Rehkugler 2007: S. 286).
5.2.2 Kapitalmarktorientierte Ermittlung der Eigenkapitalkosten
In der betrieblichen Finanzierungslehre (Corporate Finance) werden diverse kapitalmarktorientierte Methoden zur Ermittlung der Eigenkapitalkosten diskutiert. Zu
den drei bekanntesten zählen die Dividend Discount-Methode, das Capital Asset
Pricing Model (CAPM) und die so genannten Mehrfaktorenmodelle.
Die Dividend Discount-Methode135 beruht auf dem oben in Abschnitt 5.2.1 dargestellten Zusammenhang zwischen Aktienkursen, erwarteten Dividenden und erwarteter Rendite. Das Grundprinzip dieser Methode lässt sich anhand des einfachsten
Falls mit konstanter Dividendenzahlung und konstanten Eigenkapitalkosten leicht
zeigen. Durch Umformung der oben dargestellten Formel für die ewige Rente (und
Verzicht auf die Indizes) ergibt sich:
P
DErE )()( = .
Der Erwartungswert der periodisch wiederkehrenden Dividendenzahlung wird geschätzt und zur aktuellen Börsennotierung des Eigenkapitals in Beziehung gesetzt.
Der Quotient kann als die von den Investoren implizit erwartete Eigenkapitalrendite
interpretiert werden. Wenn die Annahme einer periodisch konstanten Dividende
ersetzt wird durch die Annahme einer mit konstanter Rate g < r periodisch wachsenden Dividende ("Dividend Growth Model"), dann impliziert dies die Renditeerwartung
g
P
DErE += )()( .
Das zentrale Problem bei der Anwendung der Dividend Discount-Methode ist die
Schätzung der zukünftigen Dividenden (vgl. Armitage 2005: S. 264-272 und Brealey/Myers 2003: S. 64-70).
Ausgangspunkt des Capital Asset Pricing Models (CAPM) ist der von den Investoren auf den Kapitalmärkten erwartete Ertrag für alternative Investitionen vergleichbaren Risikos. Gemäß CAPM gilt im Kapitalmarktgleichgewicht für jedes
Unternehmen i:
])([)( fmifi rrErrE ?+= ? .
Der erwartete Ertrag )( irE des Wertpapiers i wird bestimmt durch die Summe aus
dem Ertrag einer risikofreien Anlage fr und dem Ergebnis einer Multiplikation der
135 Häufig auch DCF-Methode genannt; DCF steht für 'Discounted Cash Flow' (vgl. z.B. Myers
1972: S. 66).
Chapter Preview
References
Zusammenfassung
Für die in liberalisierten Netzindustrien aktiven Unternehmen sind Kosteninformationen insbesondere bei Preis- und Investitionsentscheidungen von zentraler Bedeutung. Darüber hinaus interessieren sich in zunehmendem Maße die wirtschaftspolitischen Entscheidungsträger für die Kosten der Netze, vor allem bei der Regulierung von Marktmacht und der Bestellung defizitärer Netzleistungen. Dies erfordert eine auf anerkannten ökonomischen Prinzipien basierende entscheidungsorientierte Kostenermittlung, die durchgängig und konsistent in allen Netzbereichen – seien sie nun wettbewerblich, reguliert oder subventioniert – anwendbar ist. Die vorliegende Habilitationsschrift will hierfür eine systematische methodische Grundlage legen.
Im Mittelpunkt steht die disaggregierte Ermittlung der Kapitalkosten. Es wird aufgezeigt, dass das Deprival value-Konzept bei der Kapitalkostenermittlung eine zentrale Rolle spielt. Darauf aufbauend wird ein analytischer Rahmen entwickelt, der das Zusammenspiel von Regulierung und Subventionierung (z.B. bei defizitären Eisenbahninfrastrukturen) normativ begründen kann.