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men, sei es aber unmöglich, die Aufmerksamkeit angesehener und verantwortungsbewusster Männer auf sich zu ziehen, weswegen sie auf ihren Ruf „keusch zu sein“
verzichteten und sich sexuell anböten, um männliche Gunst und Aufmerksamkeit zu
erringen. Hierdurch käme es zu einer Subkultur, die insbesondere sexuelle Vergehen
jedweder Art einschließe928. Eine weibliche Rauschgiftsüchtigen-Subkultur entstehe,
wenn Mädchen Probleme haben, tragfähige Beziehungen zu Männern aufzubauen,
bei Eintritt einer Isolierung von normaler, lockerer Mädchen-Jungen-Beziehung
sowie wenn Einsamkeit und ein Verlangen nach der Ehe mit einem beständigen
Mann bestehen929. Mädchen würden dann von anderen Mädchen oder Jungen solcher „schnellen Gemeinschaften“ an Rauschgifte herangeführt, müssten ihre Sucht
durch Prostitution finanzieren, was zu einer weiteren Isolierung von der Gesellschaft
führe, nach der sie sich eigentlich zurücksehnten930.
V. Herrschaftskritische Ansätze
Herrschaftskritische Ansätze bezweifeln die Möglichkeit, Wünschbarkeit, Zulässigkeit und Legitimität der Verwissenschaftlichung strafrechtlicher Sozialkontrolle931.
Das Augenmerk wird hier auf Mechanismen zwischen Strafe, Gesellschaft und kriminellem Abweichler sowie auf strukturelle Unterschiede und Spannungen, Interessen- und Klassengegensätze gelenkt. Als herrschaftskritische Ansätze, die sich für
die Erklärung der weiblichen Kriminalität heranziehen lassen, sind der materialistische oder neomarxistische Ansatz sowie der labeling approach zu nennen.
1. Materialistischer oder neomarxistischer Ansatz
Materialistische Kriminalitätstheorien sehen Delinquenz als Folge des Konflikts
unterschiedlicher Gesellschaftsgruppen, d.h. als Folge des Privilegierungssystems
der kapitalistischen Gesellschaft932. Marx argumentierte, dass Arbeitslosigkeit zu
Demoralisierung führe und diese wiederum zu Kriminalität933. Ferner bewirke die
unterschiedliche Verteilung von Wohlstand eine unterschiedliche Verteilung von
Macht934. Marx empfand Kriminalität als Kampf des isolierten Individuums gegen
die Sozialordnung935. Konsequenz aus diesen Überlegungen war der Umsturz oder
928 Cohen, Kriminelle Jugend, S. 33.
929 Cohen/Short in: Sack/König (Hrsg.), Kriminalsoziologie, S. 372 (392).
930 Cohen/Short in: Sack/König (Hrsg.), Kriminalsoziologie, S. 372 (393).
931 Kaiser, Kriminologie, S. 272, Rn. 1.
932 So etwa Brökling, Frauenkriminalität, S. 63; vgl. zusammenfassen Kaiser, Kriminologie, S.
182 f, Rn. 26 ff; Siegel, Criminology, S. 262 ff.
933 Volt/Bernard/Snipes, Theoretical Criminology, S. 252.
934 Volt/Bernard/Snipes, Theoretical Criminology. S. 252.
935 Volt/Bernard/Snipes, Theoretical Criminology, S. 252.
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zumindest die Veränderung des politisch-ökonomischen kapitalistischen Systems.
Gemäßigte Vertreter dieses Ansatzes konzentrierten sich hingegen auf die Reaktionen der Strafverfolgungsorgane, die es zu verbessern gelte936. Für die Kriminalität
der Frau wurde dieser Ansatz zur „Theorie der doppelten Unterdrückung“ weiterentwickelt: Hiernach werde die Frau ebenso wie der Mann zum einen durch die
Bedingungen kapitalistischer Lohnarbeit unterdrückt, im Gegensatz zum Mann
erfahre die Frau aber eine zusätzliche Unterdrückung, nämlich durch das männliche
Geschlecht937. Durch diese sozialen Rahmenbedingungen bzw. durch eine spezifische soziale Kontrolle und die größere Benachteiligung und Einschränkung von
Frauen durch das Patriarchat938, werde eine stärkere Passivität der Frau und Anpassung an die bestehenden Verhältnisse bewirkt, die zu Problemlösungsstrategien
führten939, die weniger Aktivität als Kriminalität erforderten. Diese Passivität sei
aber im Gegensatz zu der Passivität nach Schmitz940 aus der Arbeits- und Lebenssituation, d.h. den kapitalistischen und patriarchalischen Rahmenbedingungen, zu
erklären und nicht im Wesen der Frau angelegt941. Umstände, die zu diesen passiven,
angepassten und unauffälligen Bewältigungsstrategien führen, seien die geschlechtsspezifische Sozialisation942, die berufliche Benachteiligung943, die starke Bindung an
die häusliche Sphäre944 und die dadurch bewirkte Verinnerlichung der weiblichen
Rollenerwartung, die ein Eingreifen der Zwangsinstanzen weniger notwendig erscheinen lasse945.
2. Labeling Approach
Der Ursprung des labeling approach liegt im amerikanischen Schrifttum. Die Grundaussagen der amerikanischen Autoren wurden in Deutschland rezipiert, wobei sie
936 Volt/Bernard/Snipes, Theoretical Criminology, S. 258 f.
937 Dürkop/Hardtmann in: KJ 1974, S. 2190 (226); Brökling, Frauenkriminalität, S. 100; Möller,
H. in: Möller, H. (Hrsg.), Frauen legen Hand an, S. 11 (11); Gipser in: Gipser/Stein-Hilbers
(Hrsg.), Wenn Frauen aus der Rolle fallen, S. 169 (175); vgl. auch zusammenfassend:
Volt/Bernard/Snipes, Theoretical Criminology, S. 271 ff; Siegel, Criminology, S. 268 f.
938 Stein-Hilbers in: KrimJ 1978, S. 281 (281).
939 Gipser in: Gipser/Stein-Hilbers (Hrsg.), Wenn Frauen aus der Rolle fallen, S. 169 (195).
940 Schmitz, Die Kriminalität der Frau, S. 53 f.
941 Gipser/Stein-Hilbers in: Gipser/Stein-Hilbers (Hrsg.), Wenn Frauen aus der Rolle fallen,
S. 11 (11.)
942 Gipser/Stein-Hilbers in: Gipser/Stein-Hilbers (Hrsg.), Wenn Frauen aus der Rolle fallen,
S. 11 (21).
943 Gipser/Stein-Hilbers in: Gipser/Stein-Hilbers (Hrsg.), Wenn Frauen aus der Rolle fallen,
S. 11 (24).
944 Gipser/Stein-Hilbers in: Gipser/Stein-Hilbers (Hrsg.), Wenn Frauen aus der Rolle fallen,
S. 11 (32).
945 Gipser/Stein-Hilbers in: Gipser/Stein-Hilbers (Hrsg.), Wenn Frauen aus der Rolle fallen,
S. 11 (43).
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radikalisiert und zum Teil verfälscht wurden946. Der deutsche Etikettierungsansatz
lehnt die ätiologischen Ansätze ab, die versuchen, die Ursache für Kriminalität bei
dem delinquenten Individuum zu suchen. Der labeling approach geht entgegengesetzt davon aus, dass abweichendes Verhalten das Ergebnis von Zuschreibungsprozessen der Gesellschaft und der Strafverfolgungsorgane947 und deren Auswirkungen948 auf das Individuum sei949. Zwischen den beiden konträren kriminologischen
Perspektiven besteht folglich ein „Erklärungspatt“950.
Kriminalität wird vom labeling approach zum einen als gesellschaftliches Phänomen durch staatliche Strafverfolgung und zum anderen als individuelles Phänomen durch einen Zuschreibungsprozess erzeugt951. Daraus folge die Notwendigkeit
einer kriminologischen Instanzenforschung sowie die Untersuchung der Metaregeln
und der Prozesse der machtförmigen Aushandlung, die das formale rechtliche Regelwerk überformen952. Kriminalität und Kriminalisierung stünden somit in enger
Beziehung zueinander, welche verstärkt werde, je schwerer die begangenen Delikte
seien953. In Bezug auf die Frauenkriminalität bedeute dies, dass etwa die Frage des
geringen Frauenanteils an der Gesamtkriminalität nicht mit individuellen Besonderheiten der Gruppe „Frau“ oder deren gesellschaftlicher Lage zu beantworten sei,
sondern damit, dass zum Beispiel die Kontrollinstanzen anders tätig würden, als bei
der Gruppe „Mann“ bzw. sowohl die gesellschaftliche als auch die wissenschaftliche
Definition von Gewalt und Verbrechen bei Frauen anders ablaufe954. Zwar geht es in
den empirischen Arbeiten des labeling approaches vorwiegend um die schichtspezifischen Differenzierungen, dennoch wirkt sich das Erklärungspotential des labeling
approachs nach Bock auch bei geschlechtsspezifischen Differenzierungen aus955.
946 Vgl. dazu eingehend Schneider, H. in: MSchrKrim 99, S. 202 (202); auch: Bock, M. in: Dreier (Hrsg.), Rechtssoziologie am Ende des 20. Jahrhunderts, S. 115 (125); Schneider, H. in:
Requate (Hrsg.), Recht und Justiz im gesellschaftlichen Aufbruch (1960 – 1975), S. 275 (279
ff); Schwind, Kriminologie, S. 144 ff, Rn. 1 ff.
947 Vgl. hierzu Münster, Das Konzept des reintegrative shaming von John Braithwaite, S. 49 ff:
„unwiderrufliche zeremonielle Statusdegradierung“.
948 Vgl. hierzu Münster, Das Konzept des reintegrative shaming von John Braithwaite, S. 54 ff:
„sekundäre Devianz als Folge einer self-fulfilling prophecy“.
949 Vgl. hierzu v.a. Sack in: Sack/König (Hrsg.), Kriminalsoziologie, S. 431 ff; zusammenfassend zum Import US-amerikanischer Sozialwissenschaften: Schneider, H. in: Requate
(Hrsg.), Recht und Justiz im gesellschaftlichen Aufbruch (1960 – 1975), S. 275 (279 ff); vgl.
auch: Kaiser, Kriminologie, S. 274 ff, Rn. 8 ff; Bock, M., Kriminologie, S. 80 ff, Rn. 168 ff;
Schwind, Kriminologie, S. 139 ff, Rn. 1 ff; Göppinger, Kriminologie, S. 158 ff;
Volt/Bernard/Snipes, Theoretical Criminology, S. 212 ff.
950 Vgl. zur Auflösung des kriminologischen Erklärungspatts: Münster, Das Konzept des reintegrative shaming von John Braithwaite.
951 Albrecht, Kriminologie, S. 84 f.
952 Albrecht, Kriminologie, S. 84 f.
953 Hermann, Werte und Kriminalität, S. 238.
954 Popp in: Lamnek/Boatca (Hrsg.), Geschlecht, Gewalt, Gesellschaft, S. 195 (199 ff); vgl. Zur
Thematik auch Bock, M. in: Lamnek/Boatca (Hrsg.), S. 179 ff.
955 Vgl. (auch im Folgenden): Bock, M. in: Lamnek/Boatka (Hrsg.), Geschlecht, Gewalt, Gesellschaft, S. 179 (188).
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Denn geschlechtsspezifische Differenzierungen seien zum einen näher am emotionalen und biografischen Kern der Persönlichkeit angesiedelt als solche, die den sozialen Status betreffen. Bei Nichteinhalten von geschlechtsspezifischen Erwartungen
führe dies zu Enttäuschung derselben, verbunden mit einem bedeutenderem emotionalen Management. Zum anderen hätten geschlechtsbezogene Differenzierungen
und Diskriminierungen Rückhalt in den Grundlagen unserer Kultur und in sozialen
Bewegungen und Institutionen. Zuletzt fehle zu geschlechtsspezifischen Diskriminierungen eine wissenschaftliche Vergesellschaftung und zumindest eine Kenntnisnahme der Öffentlichkeit.
Es wird zum Teil vertreten, dass der größte Teil der Frauenkriminalität nicht
sichtbar sei. Die Kriminalstatistiken zeigten nur einen geringen Prozentsatz der
tatsächlichen weiblichen Kriminalität, die Kriminalität der Frau sei in Wirklichkeit
annähernd bzw. genauso hoch wie die des Mannes956. In diesem Zusammenhang
wird auch von der „maskierten Kriminalität“ der Frau gesprochen957. Die Straftaten
von Frauen seien zum einen leichter zu verbergen, da sie häufig im häuslichen Wirkungsbereich958 oder als Anstiftung von Männern959 begangen würden. Zum anderen
liege die zu geringe Verzeichnung im Hellfeld an der Selektion bzw. der selektiven
Wahrnehmung der Kontrollinstanzen, die Männer intensiver verfolgten als Frauen960. Die Verfolgungsinstanzen reagierten auf straffällige Frauen anders als auf
straffällige Männer, wozu mehrere Theorien vertreten werden961: Gegenüber Frauen
bestehe eine Art Ritterlichkeit oder Nachsichtigkeit der männlichen Strafverfolgungsorgane bzw. eine latente Geschlechterdifferenzierung generell bei der Fallwahrnehmung und –bearbeitung962, die verhindere, dass Frauen ebenso häufig angezeigt, entdeckt, verhaftet, überführt, angeklagt und verurteilt würden wie Männer.
Daher finde ein Großteil der weiblichen Kriminalität keinen Eingang in die Statistiken963. Außerdem würden Zuwiderhandlungen gegen die rollenstereotypen Erwartungen gegenüber Frauen von den Verfolgungsinstanzen nicht zur Kenntnis ge-
956 So etwa Karger/Sutterer, Referat: „Kriminelle Emanzipation der Frau? Ein Geschlechtervergleich anhand polizeilich registrierter und gerichtlich abgeurteilter Kriminalität im Längsschnitt“, zusammengefasst von Beck/Spieß in: MSchrKrim 1994, S. 93; Pollak, The Criminality of Women, S. 44 ff.
957 Pollak, The Criminality of Women, S. 1 ff; vgl. auch Siegel, Criminology, S. 90.
958 Vgl. Mansel in: Lamnek/Boatka (Hrsg.), Geschlecht, Gewalt, Gesellschaft, S. 384 (384).
959 Pollak, The Criminality of Women, S. 56; vgl. auch Mansel in: Lamnek/Boatka (Hrsg.),
Geschlecht, Gewalt, Gesellschaft, S. 384 (385).
960 Cremer, Untersuchungen zur Kriminalität der Frau, S. 149.
961 Vgl. Schneider, H.J. in: GS Kaufmann, S. 267 (281).
962 Maiwald/Scheid/Seyfarth-Konau in: ZRSoz 2003, S. 43 (67); a.A. Steffen in: Gipser/Stein-
Hilbers (Hrsg.), Wenn Frauen aus der Rolle fallen, S. 201 (215).
963 Pollak, The Criminality of Women, S. 4 und 150 f: „chivalry“, „leniency“ und „general
protective attitude“; ebenso Leder, Frauen- und Mädchenkriminalität, S. 83 f; anders Karger/Sutterer, Referat: „Kriminelle Emanzipation der Frau? Ein Geschlechtervergleich anhand
polizeilich registrierter und gerichtlich abgeurteilter Kriminalität im Längsschnitt“, zusammengefasst von Siegel, Criminology, S. 90; Beck/Spieß in: MSchrKrim 1994, S. 93; Stein-
Hilbers in: KrimJ 1978, S. 281 (290); Mansel in: Lamnek/Boatka (Hrsg.), Geschlecht, Gewalt, Gesellschaft, S. 384 (405).
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nommen964. So sollen Frauen, die sich dem Rollenstereotyp entsprechend reuig
zeigten oder weinten, bevorzugt behandelt werden; Frauen, die sich gegenüber den
Strafverfolgungsorganen nicht rollenkonform verhalten oder schwere, gewalttätige
„typisch männliche“ Delikte begangen haben, hingegen unverhältnismäßig hart965.
Bei nicht angepasstem Verhalten soll Frauen gegenüber ein geringerer strafrechtlicher Schutz wirksam werden, da bei weiblicher Rollendiskonformität eine schwerere
Bestrafung, eine extensivere Auslegung der Mordmerkmale und eine Einschränkung
der Notwehrrechte durch Strafgerichte erfolge966. Einen Hinweis hierauf ergebe
auch die mediale Darstellung von weiblichen Gewaltverbrechen, die Gewalthandlungen von Frauen als Grenzüberschreitung im Rahmen der Geschlechterordnung
zeigten, indem sie ihnen den rationalen Charakter absprächen, die Angeklagten
pathologisierten und die Taten verharmlosten967. Die Annahme, dass Frauenkriminalität nicht gefährlich sei, soll ferner zu einer „self-fulfilling-prophecy“ werden, das
heißt, Polizei, Staatsanwälte und Richter behandelten kriminelle Frauen mit der
Erwartungshaltung, dass ihr Verhalten nicht bedrohlich sei, obwohl das im Einzelfall nicht zutreffe968. Hierdurch sollen Frauen milder behandelt werden als es ihre
Straftaten eigentlich fordern würden. Nach der Emanzipationsthese wird eine solche
bevorzugende Behandlung von Frauen durch die weitere gesellschaftliche Angleichung der männlichen und weiblichen Positionen in Zukunft aufgegeben werden969.
Durch den verstärkten Eintritt von Frauen als Richterinnen, Staatsanwältinnen und
Polizistinnen in das System wird nach dieser These in Zukunft mehr aufgrund von
Fakten und weniger aufgrund von Emotionen gehandelt werden970. Es wird aber
auch vertreten, dass das Geschlecht in Zusammenhang mit der Strafverfolgung keinen relevanten direkten Einfluss auf das Kriminalisierungsergebnis hat971.
Die etikettierungstheoretischen Argumente werden aber auch zur Begründung der
Tatsache angeführt, dass die weibliche Kriminalität qualitativ und quantitativ hinter
der männlichen zurückbleibt. Auf der Ebene der primären Devianz sollen Frauen
aufgrund ihrer sozialen Stellung zeitlich und örtlich kaum Gelegenheiten haben,
Straftaten zu begehen. Werden sie straffällig, begegneten sie auf der Ebene der sekundären Devianz geschlechtsspezifischen Definitionen und Sanktionen972. Es wird
davon ausgegangen, dass die Frau zu Hause, am Arbeitsplatz und in der Öffentlichkeit einer zusätzlichen sozialen rollenkonformen Kontrolle ausgesetzt sei973. Diese
964 Leder, Frauen- und Mädchenkriminalität, S. 83 f.
965 Vgl. Stein-Hilbers in: KJ 1978, S. 281 (290).
966 Körner, Das soziale Machtgefälle zwischen Mann und Frau als gesellschaftlicher Hintergrund
der Kriminalisierung, S. 51 ff.
967 So Rüther, Vortrag, zusammenfassend: Quirling, in: KrimJ 2001 S. 132 (138).
968 Schneider, H.J. in: GS Kaufmann, S. 267 (283).
969 Adler, Sisters in Crime, S. 252.
970 Adler, Sisters in Crime, S. 252.
971 Hermann, Werte und Kriminalität, S. 238.
972 Heidensohn, Women and Crime, S. 196 ff; zusammenfassend: Brökling, Frauenkriminalität,
S. 59 f.
973 Heidensohn, Women and Crime, S. 174 ff.
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„private“ Kontrolle, die gegenüber Frauen stärker wirke als gegenüber Männern,
komme zur „öffentlichen“ strafrechtlichen Kontrolle hinzu, so dass Frauen sich
einer doppelten Überwachung gegenüber sähen974. Aus diesen Gründen würden
Frauen weniger straffällig.
VI. Mehrfaktorenansätze (multiple causation approach)
Aufgrund der Komplexität und Vielschichtigkeit des menschlichen Verhaltens und
dessen Ursachen wird immer wieder die Einseitigkeit der kriminologischen Erklärungsversuche bemängelt. Aufgrund der Tatsache, dass es keine einzelne Ursache
des Verbrechens gebe, könnten monokausale Erklärungsversuche immer nur einen
Ausschnitt von Delinquenz erklären und Korrelationen aufdecken, nie allerdings den
tatsächlichen Kausalzusammenhang zwischen einer möglichen Ursache und dem
Begehen einer Straftat feststellen975. Die Mehrfaktorenansätze versuchen, durch
Untersuchungen solche Merkmale und Verhaltensweisen herauszufiltern, die bei
Straftätern überproportional stark vertreten sind976.
Die Kriminalität der Frau wurde unter anderem von dem Ehepaar Glueck erforscht. Diese führten eine empirische Untersuchung mit 500 delinquenten Frauen
durch und analysierten hierbei deren körperliche und persönliche Merkmale, soziokulturelle Faktoren, wie Familienverhältnisse, Kindheit und Jugend, Sexualität und
Ehe, aber auch das Ausmaß des abweichenden Verhaltens. Sie gingen davon aus,
dass diese Faktoren in einer Kombination Kriminalität auslösen würden, wobei sie
annahmen, dass deren kriminogene Wirkung im Einzelnen kaum zu bestimmen
sei977. Das Ergebnis der Untersuchung war, dass ein belastetes emotionales Klima in
der Familie, mangelnde elterliche Überwachung, Weglaufen aus dem Elternhaus,
vorzeitiger Schulabgang, Herumstreunen, mehrfacher Lehrstellen- und Arbeitsplatzwechsel, Kontaktschwäche und häufiger Partnerwechsel bei Straftäterinnen
besonders oft festgestellt wurde978.
VII. Sonstige
Weitere Ansätze, die einen Beitrag zur Erklärung der Kriminalität der Frau leisten
können, sind die Routine Activity Approach und die Tübinger Jungtäter-Vergleichsuntersuchung.
974 Heidensohn, Women and Crime, S. 198.
975 Vgl. Bock, M., Kriminologie, S. 94, Rn. 200; Schwind, Kriminologie, S. 146, Rn. 20; Kaiser,
Kriminologie, S. 191 ff, Rn. 1 ff.
976 Bock, M., Kriminologie, S. 94, Rn. 201.
977 Glueck/Glueck, Five Hundred Delinquent Women, S. 64 ff; zusammenfassend: Brökling,
Frauenkriminalität, S. 32 ff.
978 Glueck/Glueck, zitiert nach Brökling, Frauenkriminalität, S. 33.
Chapter Preview
References
Zusammenfassung
Bisher wurde der Rolle der Frau als Täterin im makrokriminellen Gefüge des Dritten Reichs und den Ursachen für ihre Beteiligung an Menschenrechtsverletzungen, Genozid und anderen Gewalttaten in der Kriminologie und der Geschichtswissenschaft kaum Aufmerksamkeit geschenkt. Theorien beziehen sich bei ihren Erklärungsversuchen nahezu ausschließlich auf Männer als Täter.
Das Werk schließt diese Forschungslücke, indem es aus kriminologischer Perspektive der Frage nachgeht, warum sozial völlig unauffällige und angepasste Frauen zu Täterinnen von unmenschlichen, unmoralischen und ethisch verwerflichen Handlungen werden können, wie sie im „Dritten Reich“ geschahen.