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Befriedigungsaussichten der Gläubiger würden sich durch die Geschäftsfortführung
in der Regel verschlechtern. Daraus ergibt sich, dass nach englischem Verständnis
durch die Insolvenzantragspflicht im Fall der Überschuldung allenfalls die Gläubiger der zuziehenden Ltd. benachteiligt werden. Dagegen gewährt das englische
Recht der Ltd. als Unternehmung ihrer Gesellschafter im Fall der Überschuldung
keinen Schutz mehr.
Die Gläubiger einer Ltd. werden jedoch nicht unverhältnismäßig benachteiligt,
wenn durch § 64 Abs. 1 GmbHG ein Insolvenzantrag erzwungen wird, statt die
Überwindung der Überschuldung ohne Eröffnung eines Insolvenzverfahrens zu
ermöglichen, denn die Gläubiger haben trotz Verfahrenseröffnung die Möglichkeit,
ihre Interessen durchzusetzen. Zum einen können sie auf einen Insolvenzplan hinwirken und damit die Aufhebung des Insolvenzverfahrens erreichen, vgl. § 258
Abs. 1 InsO. Zum anderen können die Gläubiger gemäß § 213 InsO der Einstellung
des Insolvenzverfahrens zuzustimmen. Weil die Ltd. mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht aufgelöst ist und es daher nicht zu einem gesellschaftsrechtlichen Liquidationsverfahren kommt, kann die Ltd. trotz bestehender Überschuldung weiterhin bzw. wieder werbend tätig sein.777 Es ist aber gerechtfertigt,
dass zunächst ein Insolvenzverfahren eingeleitet werden muss, weil nur so eine
gerichtliche Feststellung der Überschuldung erreicht und durch die öffentlichen
Bekanntmachung der Eröffnung, Aufhebung bzw. Einstellung des Insolvenzverfahrens (vgl. § 30 Abs. 1, § 258 Abs. 2, § 215 Abs. 1 InsO) auch der Geschäftsverkehr geschützt wird.
IV. Zwischenergebnis
Aus dem Umstand, dass der director einer englischen Ltd. mit COMI in Deutschland
nach § 64 Abs. 1 GmbHG bei Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung unverzüglich die Eröffnung des Insolvenzverfahrens beantragen muss, folgt somit keine nicht
gerechtfertigte Beschränkung der Niederlassungsfreiheit.
§ 12. Gemeinschaftsrechtskonformität der Strafbewehrung
Die Gemeinschaftsrechtswidrigkeit des § 84 Abs. 1 Nr. 2 GmbHG könnte sich einerseits aus dem Tatbestand, andererseits aus den angedrohten Rechtsfolgen ergeben.
Beides ist im Ergebnis zu verneinen, so dass auch die Bestrafung des directors einer
englischen Ltd. mit COMI in Deutschland nach § 84 Abs. 1 Nr. 2 GmbHG nicht
gegen das Gemeinschaftsrecht verstößt.
777 Bei einer deutschen GmbH soll neben einem Beschluss der Gesellschafter über die Fortsetzung der mit dem Eröffnungsbeschluss aufgelösten Gesellschaft (§ 60 Abs. 1 Nr. 4 HS. 2
GmbHG) nach h.M. zumindest die Behebung der Überschuldung erforderlich sein, vgl.
Scholz/K. Schmidt, vor § 64 Rn. 89; GK-GmbHG/Ulmer, 8. Aufl., § 60 Rn. 86.
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References
Zusammenfassung
Nach noch herrschender Meinung kann der director einer englischen private company limited by shares (Ltd.) nicht wegen Insolvenzverschleppung nach § 84 Abs. 1 Nr. 2 GmbHG bestraft werden. Dem tritt der Autor entgegen und zeigt, dass mit dieser Strafvorschrift sehr wohl gegen gläubigergefährdendes Verhalten des directors einer Ltd. vorzugehen ist.
Denn die Auslegung des Begriffs „Geschäftsführer“ ergibt, dass dieser die Organe ausländischer Gesellschaften mit beschränkter Haftung einbezieht. Für die Organe solcher Gesellschaften besteht auch eine Insolvenzantragspflicht nach § 64 Abs. 1 GmbHG, weil diese Vorschrift dem Insolvenzrecht zuzuordnen und über Art. 4 Abs. 1 EuInsVO anwendbar ist.
Darauf aufbauend werden die Besonderheiten des § 84 Abs. 1 Nr. 2 GmbHG im Fall der Insolvenz einer Ltd. dargestellt, z.B. die Strafbarkeit nach der dissolution, die Begehung durch einen shadow director, die Aufstellung des Überschuldungsstatus und die Antragstellung im Ausland. Abschließend wird die Vereinbarkeit der Insolvenzantragspflicht und ihrer Strafbewehrung mit dem Recht der EG behandelt. Die gefundenen Ergebnisse sind im Wesentlichen auf § 15a Abs. 4 InsO n.F. übertragbar.