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erloschen ist. Da die Insolvenzverschleppung ein Dauerdelikt darstellt, ist § 84
Abs. 1 Nr. 2 GmbHG demnach gemäß §§ 3, 9 Abs. 1 Alt. 2 StGB anwendbar, wenn
sich der director während der Verletzung der Insolvenzantragspflicht in Deutschland
aufhält. Dieser Zeitraum beginnt, sobald der director schuldhaft mit der Antragstellung zögert, und endet mit Erlöschen der Insolvenzantragspflicht. Weshalb und
wie lange sich der director während dieser Zeit in Deutschland aufhält, ist unerheblich.
Fraglich ist, ob der director – unabhängig von seinem Aufenthaltsort – immer in
Deutschland „hätte handeln müssen“, weil er die Eröffnung des Insolvenzverfahrens
bei einem deutschen Gericht hätte beantragen müssen. Das wäre der Fall, würde die
gebotene Handlung nicht nur darin bestehen, den Insolvenzantrag in Richtung des
Gerichts in Bewegung zu setzen, sondern auch im Bewirken des Eingangs des Insolvenzantrags bei Gericht. Dafür spricht, dass der mit § 64 Abs. 1 GmbHG bezweckte
Schutz noch nicht erreicht ist, wenn sich der director des Insolvenzantrags entäußert,
sondern erst durch die vom Gericht angeordneten Sicherungsmaßnahmen bzw. die
Verfahrenseröffnung, also erst nach Eingang des Antrags. Dass es nicht darauf ankommt, wo der director den Insolvenzantrag auf den Weg bringt, zeigt sich ferner
daran, dass das Gesetz diesbezüglich keine Vorgaben macht, anders als z.B. § 269
Abs. 1 BGB in Bezug auf den Leistungsort bei Schuldverhältnissen, der für die
gebotene Handlung bei Verletzung der Unterhaltspflicht (§ 170 StGB) maßgeblich
ist.694 Daher liegt die gebotene Handlung auch in dem Bewirken des Eingangs bei
Gericht. Weil der director den Eingang des Insolvenzantrags bei einem – für die
Eröffnung eines Hauptinsolvenzverfahrens international ausschließlich zuständigen – deutschen Gericht bewirken muss, ist die nach § 84 Abs. 1 Nr. 2 GmbH strafbare Insolvenzverschleppung stets in Deutschland begangen und deutsches Strafrecht somit nach §§ 3, 9 Abs. 1 Alt. 2 StGB auf die Tat anwendbar.
II. Ort des Erfolgseintritts
Ort der Tat ist gemäß § 9 Abs. 1 Alt. 3 StGB auch der Ort, „an dem der zum Tatbestand gehörende Erfolg eingetreten ist“. Würde „der zum Tatbestand gehörende
Erfolg“ voraussetzen, dass ein auf der Tathandlung beruhender Schaden (zumindest
aber eine konkrete Gefährdung) Tatbestandsmerkmal des fraglichen Delikts ist, dann
wäre ein Erfolgsort bei § 84 Abs. 1 Nr. 2 GmbHG ausgeschlossen, weil die Insolvenzverschleppung nach § 84 Abs. 1 Nr. 2 GmbHG ein abstraktes Gefährdungsdelikt ist,695 Die Vorschrift setzt nämlich weder einen auf der Verletzung der Insol-
694 § 269 Abs. 1 BGB ist für die gebotene Handlung bei Verletzung der Unterhaltspflicht maßgeblich. Vgl. zu § 170b StGB a.F.: LG Frankfurt, NJW 1977, 508 (509); OLG Saarbrücken,
NJW 1975, 506 (507).
695 Allgemeine Ansicht, vgl. GK-GmbHG/Kohlmann, 8. Aufl., § 84 Rn. 35; Michalski/Dannecker, § 84 Rn. 13; Schmidt-Leithoff/Schaal, § 84 Rn. 7.
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venzantragspflicht beruhenden Vermögensschaden noch eine konkrete Vermögensgefährdung voraus.
Wie der „zum Tatbestand gehörende Erfolg“ auszulegen ist, ist umstritten.
Bis 1975 begründete § 3 Abs. 3 StGB a.F. einen Ort der Tat, wo „der Erfolg“ eintrat.
Nach Ansicht des BGH erforderte das einen tatbestandsmäßigen Erfolg.696 Die Antwort auf die schon damals umstrittene Frage, ob abstrakte Gefährdungsdelikte einen
solchen tatbestandsmäßigen Erfolg aufweisen,697 ließ der BGH offen.698 Zu § 9
Abs. 1 Alt. 3 StGB hat der BGH entschieden, dass „Erfolg“ nicht jede Auswirkung
der Tat meine, sondern nur solche Tatfolgen, „die für die Verwirklichung des
Deliktstatbestandes erheblich sind“.699 Jedenfalls der Eintritt einer objektiven Bedingung der Strafbarkeit und der Eintritt einer Gefährdung bei einem abstraktkonkreten Gefährdungsdelikt sollen als der „zum Tatbestand gehörende Erfolg“
einen Erfolgsort begründen.700 Dagegen steht zu rein abstrakten Gefährdungsdelikten eine Entscheidung noch aus.701
Eine in der Literatur vertretene Ansicht bejaht bei abstrakten Gefährdungsdelikten
einen Erfolgsort i.S.d. § 9 Abs. 1 Alt. 3 StGB.702 Dies soll der Ort sein, an dem eine
Gefährdung eintritt bzw. einzutreten droht. Bei der Insolvenzverschleppung würde
der Erfolgsort vom Aufenthalt der Gläubiger und – wegen der Gefährdung des Geschäftsverkehrs – vom Ort der Geschäftstätigkeit abhängen. Deutschland könnte
ferner deshalb Erfolgsort sein, weil beim zuständigen deutschen Insolvenzgericht
der Insolvenzantrag ausbleibt und darin der „zum Tatbestand gehörende Erfolg“ des
§ 84 Abs. 1 Nr. 2 GmbHG liegen könnte. Soweit ersichtlich, ist bislang aber nicht
von einer die Vollendung ausschließenden bzw. die Tat beendenden Handlung auf
einen Erfolg i.S.d. § 9 Abs. 1 Alt. 3 StGB geschlossen worden. Lediglich zu § 13
StGB („Erfolg ..., der zum Tatbestand eines Strafgesetzes gehört“) wird die Ansicht
vertreten, Erfolg sei bereits das tatbestandsmäßige Geschehen, das eine Strafbestimmung für die Vollendung voraussetzt.703
696 BGHSt 21, 45 (51).
697 Dafür: OLG Saarbrücken, NJW 1975, 506 (507); OLG Köln, NJW 1968, 954; dagegen:
Endemann, NJW 1966, 2381 (2382).
698 BGHSt 20, 45 (52): „Anders wird die Frage möglicherweise bei jenen Begehungsarten zu
beantworten sein, die durch die Absätze 2 der §§ 90a, 90b StGB unter Strafe gestellt sind,
z.B. bei der Werbung, die keinen Erfolg voraussetzt. Hier wird als Begehungsort (§ 3 Abs. 3
StGB) in der Regel nur der Ort in Betracht kommen, an dem der Täter gehandelt hat. Einer
abschließenden Prüfung dieser Frage bedarf es jedoch im vorliegenden Fall nicht.“
699 BGHSt 51, 29 (31).
700 BGHSt 42, 235 (242) bzw. BGHSt 46, 212 (220).
701 Vgl. BGHSt 46, 212 (221): „Ob bei rein abstrakten Gefährdungsdelikten ein Erfolgsort jedenfalls dann anzunehmen wäre, wenn die Gefahr sich realisiert hat, braucht der Senat nicht zu
entscheiden.“
702 LK-StGB/Werle/Jeßberger, § 9 Rn. 33; SK-StGB/Hoyer, 26. Lfg. (06/97), § 9 Rn. 7; Heinrichs, GA 1999, 72 (79 ff.); Hecker, ZStW 2003, 880 (886 ff.); Sieber, NJW 1999, 2065
(2070); Hörnle, NStZ 2001, 309 (310).
703 So S/S/Stree, § 13 Rn. 3, m.w.N; dagegen LK-StGB/Jescheck, 11. Aufl., § 13 Rn. 2, m.w.N.
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Die herrschende Meinung lehnt dagegen zu Recht den Ort, an dem eine Gefährdung eintritt oder einzutreten droht, als Erfolgsort des abstrakten Gefährdungsdelikts
ab.704 § 84 Abs. 1 Nr. 2 GmbHG hat demnach keinen Erfolgsort, und § 9 Abs. 1
Alt. 3 StGB begründet – neben dem Ort der gebotenen Handlung – keinen weiteren
Ort der Tat, aus dem sich die Anwendung des § 84 Abs. 1 Nr. 2 GmbHG auf den
director einer englischen Ltd. mit COMI in Deutschland ergeben könnte.
§ 10. Anwendbarkeit des § 84 Abs. 1 Nr. 2 GmbHG auf Auslandstaten
Eine Straftat kann zugleich im Inland und im Ausland begangen sein. Dass die Insolvenzverschleppung – wie dargestellt – stets in Deutschland begangen ist und sich
die Anwendbarkeit des § 84 Abs. 1 Nr. 2 GmbHG bereit aus §§ 3, 9 Abs. 1 Alt. 2
StGB ergibt, schließt daher nicht aus, die Anwendbarkeit des § 84 Abs. 1 Nr. 2
GmbHG auch auf § 7 StGB zu stützen.705 Fälle, in denen es auf die (zusätzliche)
Anwendbarkeit nach § 7 StGB ankommt, sind nicht ersichtlich.
§ 7 StGB enthält drei Kollisionsnormen, denen gemeinsam ist, dass die Tat im
Ausland begangen sein muss. Weil die Insolvenzverschleppung als Unterlassungsdelikt stets (auch) am Aufenthaltsort des Täters begangen ist, liegt eine von § 7
StGB vorausgesetzte Auslandstat jedenfalls vor, wenn der directors sich zur Tatzeit
im Ausland aufhält.
Nach § 7 Abs. 1 StGB ist deutsches Strafrecht gemäß dem passiven Personalitätsprinzip anwendbar, wenn die Tat gegen einen Deutschen begangen wird. Da die
Insolvenzverschleppung zumindest gegen alle bisherigen Gläubiger einer insolventen Gesellschaft begangen wird, kommt die Anwendung des § 84 Abs. 1 Nr. 2
GmbHG jedenfalls in Betracht, wenn einer der Gläubiger Deutscher ist.706 § 7 Abs. 2
Nr. 1 StGB, der auf dem aktiven Personalitätsprinzip beruht, sieht die Anwendbarkeit deutschen Strafrechts vor, wenn der Täter (hier: der director der insolventen
Ltd.) Deutscher war oder ist. § 7 Abs. 2 Nr. 2 StGB dehnt die Anwendbarkeit deutschen Strafrechts auf die Tat eines in Deutschland betroffenen ausländischen Täters
aus, macht sie jedoch davon abhängig, dass eine nach dem Auslieferungsgesetz zulässige Auslieferung nicht erfolgt, weil der Antrag nicht innerhalb angemessener
Frist gestellt oder abgelehnt wird oder die Auslieferung nicht ausführbar ist (Prinzip
der stellvertretenden Strafrechtspflege).
§ 7 StGB verlangt jedoch für alle Alternativen, dass „die Tat am Tatort mit Strafe
bedroht ist oder der Tatort keiner Strafgewalt unterliegt.“ Praktische Bedeutung hat
704 KG, NJW 1999, 3500 (3502); Hilgendorf, NJW 1997, 1873 (1876); Satzger, NStZ 1998, 112
(115 f.); ders., § 5 Rn. 23 f.; Oehler, Rn. 257; NK-StGB/Lemke, § 9 Rn. 18; LK-StGB/Gribbohm, 11. Aufl., § 9 Rn. 20; S/S/Eser, § 9 Rn. 6; Lackner/Kühl, § 9 Rn. 2; Tiedemann/Kindhäuser, NStZ 1988, 337 (346). Vgl. auch OLG München, StV 1991, 504 (505): kein Erfolgsort bei § 259 StGB als schlichtem Tätigkeitsdelikt.
705 Vgl. MK-StGB/Ambos, Vor §§ 3-7 Rn. 77.
706 Ob § 7 Abs. 1 StGB auch die Begehung gegen juristische Personen erfasst, ist umstritten.
Dafür S/S/Eser, § 7 Rn. 6; dagegen MK-StGB/Ambos, § 7 Rn. 23, m.w.N..
Chapter Preview
References
Zusammenfassung
Nach noch herrschender Meinung kann der director einer englischen private company limited by shares (Ltd.) nicht wegen Insolvenzverschleppung nach § 84 Abs. 1 Nr. 2 GmbHG bestraft werden. Dem tritt der Autor entgegen und zeigt, dass mit dieser Strafvorschrift sehr wohl gegen gläubigergefährdendes Verhalten des directors einer Ltd. vorzugehen ist.
Denn die Auslegung des Begriffs „Geschäftsführer“ ergibt, dass dieser die Organe ausländischer Gesellschaften mit beschränkter Haftung einbezieht. Für die Organe solcher Gesellschaften besteht auch eine Insolvenzantragspflicht nach § 64 Abs. 1 GmbHG, weil diese Vorschrift dem Insolvenzrecht zuzuordnen und über Art. 4 Abs. 1 EuInsVO anwendbar ist.
Darauf aufbauend werden die Besonderheiten des § 84 Abs. 1 Nr. 2 GmbHG im Fall der Insolvenz einer Ltd. dargestellt, z.B. die Strafbarkeit nach der dissolution, die Begehung durch einen shadow director, die Aufstellung des Überschuldungsstatus und die Antragstellung im Ausland. Abschließend wird die Vereinbarkeit der Insolvenzantragspflicht und ihrer Strafbewehrung mit dem Recht der EG behandelt. Die gefundenen Ergebnisse sind im Wesentlichen auf § 15a Abs. 4 InsO n.F. übertragbar.