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Teil 3. Anwendbarkeit des § 84 Abs. 1 Nr. 2 GmbHG nach
Internationalem Strafrecht
Die Strafbarkeit des directors einer englischen Ltd. mit COMI in Deutschland nach
§ 84 Abs. 1 Nr. 2 GmbHG setzt – neben der Verwirklichung der Tatbestandsmerkmale der Strafvorschrift – voraus, dass deutsches Strafrecht überhaupt anwendbar ist. Maßgeblich dafür sind die Vorschriften des deutschen Internationalen Strafrechts, mangels besonderer Vorschriften für die Insolvenzverschleppung die §§ 3-9
StGB. Als „deutsches Strafrecht“ müsste § 84 Abs. 1 Nr. 2 GmbHG durch eine der
einseitigen Kollisionsnormen (§§ 3, 5-7 StGB) auf die Insolvenzverschleppung des
directors für anwendbar erklärt werden. Weil die Insolvenzverschleppung nicht zu
den in §§ 5, 6 StGB aufgezählten Sachverhalten gehört, kann sich die Anwendbarkeit des § 84 Abs. 1 Nr. 2 GmbHG nur aus § 3 StGB (bei Inlandstaten) oder § 7
StGB (bei Auslandstaten) ergeben.
§ 9. Anwendbarkeit des § 84 Abs. 1 Nr. 2 GmbHG auf Inlandstaten
Nach § 3 StGB ist deutsches Strafrecht anwendbar auf „Taten, die im Inland begangen werden“. Diese Kollisionsnorm beruht auf dem Territorialitätsprinzip. Wo eine
Tat begangen wird, ergibt sich aus § 9 StGB („Ort der Tat“), der auf den Deliktscharakter Bezug nimmt.
I. Ort der gebotenen Handlung
Die Ansicht, die Insolvenzverschleppung werde durch aktives Tun begangen, weil
§ 64 Abs. 1 GmbHG die Fortführung der Gesellschaft untersage,691 wurde oben
bereits abgelehnt. Zu Recht betrachtet die ganz h.M. § 84 Abs. 1 Nr. 2 GmbHG als
echtes Unterlassungsdelikt.692 Als Unterlassungsdelikt wird die Insolvenzverschleppung gemäß § 9 Abs. 1 Alt. 2 StGB „an jedem Ort begangen, an dem der Täter [...]
hätte handeln müssen“.
Damit erfasst § 9 Abs. 1 Alt. 2 StGB jedenfalls den Aufenthaltsort des Täters zur
Tatzeit.693 Tatzeit ist nach § 8 StGB diejenige, „zu welcher der Täter [...] hätte handeln müssen.“ Handeln muss der director, solange die Insolvenzantragspflicht nicht
691 K. Schmidt, FS Rebmann, S. 433 (434).
692 BGHSt 14, 280 (281); 28, 371 (380); Scholz/Tiedemann, § 84 Rn. 13, m.w.N..
693 MK-StGB/Ambos/Ruegenberg, § 9 Rn. 14; NK-StGB/Lemke, § 9 Rn. 16; Fischer, § 9 Rn. 9;
LK-StGB/Werle/Jeßberger, § 9 Rn. 19; LK-StGB/Gribbohm, 11. Aufl., § 9 Rn. 17.
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erloschen ist. Da die Insolvenzverschleppung ein Dauerdelikt darstellt, ist § 84
Abs. 1 Nr. 2 GmbHG demnach gemäß §§ 3, 9 Abs. 1 Alt. 2 StGB anwendbar, wenn
sich der director während der Verletzung der Insolvenzantragspflicht in Deutschland
aufhält. Dieser Zeitraum beginnt, sobald der director schuldhaft mit der Antragstellung zögert, und endet mit Erlöschen der Insolvenzantragspflicht. Weshalb und
wie lange sich der director während dieser Zeit in Deutschland aufhält, ist unerheblich.
Fraglich ist, ob der director – unabhängig von seinem Aufenthaltsort – immer in
Deutschland „hätte handeln müssen“, weil er die Eröffnung des Insolvenzverfahrens
bei einem deutschen Gericht hätte beantragen müssen. Das wäre der Fall, würde die
gebotene Handlung nicht nur darin bestehen, den Insolvenzantrag in Richtung des
Gerichts in Bewegung zu setzen, sondern auch im Bewirken des Eingangs des Insolvenzantrags bei Gericht. Dafür spricht, dass der mit § 64 Abs. 1 GmbHG bezweckte
Schutz noch nicht erreicht ist, wenn sich der director des Insolvenzantrags entäußert,
sondern erst durch die vom Gericht angeordneten Sicherungsmaßnahmen bzw. die
Verfahrenseröffnung, also erst nach Eingang des Antrags. Dass es nicht darauf ankommt, wo der director den Insolvenzantrag auf den Weg bringt, zeigt sich ferner
daran, dass das Gesetz diesbezüglich keine Vorgaben macht, anders als z.B. § 269
Abs. 1 BGB in Bezug auf den Leistungsort bei Schuldverhältnissen, der für die
gebotene Handlung bei Verletzung der Unterhaltspflicht (§ 170 StGB) maßgeblich
ist.694 Daher liegt die gebotene Handlung auch in dem Bewirken des Eingangs bei
Gericht. Weil der director den Eingang des Insolvenzantrags bei einem – für die
Eröffnung eines Hauptinsolvenzverfahrens international ausschließlich zuständigen – deutschen Gericht bewirken muss, ist die nach § 84 Abs. 1 Nr. 2 GmbH strafbare Insolvenzverschleppung stets in Deutschland begangen und deutsches Strafrecht somit nach §§ 3, 9 Abs. 1 Alt. 2 StGB auf die Tat anwendbar.
II. Ort des Erfolgseintritts
Ort der Tat ist gemäß § 9 Abs. 1 Alt. 3 StGB auch der Ort, „an dem der zum Tatbestand gehörende Erfolg eingetreten ist“. Würde „der zum Tatbestand gehörende
Erfolg“ voraussetzen, dass ein auf der Tathandlung beruhender Schaden (zumindest
aber eine konkrete Gefährdung) Tatbestandsmerkmal des fraglichen Delikts ist, dann
wäre ein Erfolgsort bei § 84 Abs. 1 Nr. 2 GmbHG ausgeschlossen, weil die Insolvenzverschleppung nach § 84 Abs. 1 Nr. 2 GmbHG ein abstraktes Gefährdungsdelikt ist,695 Die Vorschrift setzt nämlich weder einen auf der Verletzung der Insol-
694 § 269 Abs. 1 BGB ist für die gebotene Handlung bei Verletzung der Unterhaltspflicht maßgeblich. Vgl. zu § 170b StGB a.F.: LG Frankfurt, NJW 1977, 508 (509); OLG Saarbrücken,
NJW 1975, 506 (507).
695 Allgemeine Ansicht, vgl. GK-GmbHG/Kohlmann, 8. Aufl., § 84 Rn. 35; Michalski/Dannecker, § 84 Rn. 13; Schmidt-Leithoff/Schaal, § 84 Rn. 7.
Chapter Preview
References
Zusammenfassung
Nach noch herrschender Meinung kann der director einer englischen private company limited by shares (Ltd.) nicht wegen Insolvenzverschleppung nach § 84 Abs. 1 Nr. 2 GmbHG bestraft werden. Dem tritt der Autor entgegen und zeigt, dass mit dieser Strafvorschrift sehr wohl gegen gläubigergefährdendes Verhalten des directors einer Ltd. vorzugehen ist.
Denn die Auslegung des Begriffs „Geschäftsführer“ ergibt, dass dieser die Organe ausländischer Gesellschaften mit beschränkter Haftung einbezieht. Für die Organe solcher Gesellschaften besteht auch eine Insolvenzantragspflicht nach § 64 Abs. 1 GmbHG, weil diese Vorschrift dem Insolvenzrecht zuzuordnen und über Art. 4 Abs. 1 EuInsVO anwendbar ist.
Darauf aufbauend werden die Besonderheiten des § 84 Abs. 1 Nr. 2 GmbHG im Fall der Insolvenz einer Ltd. dargestellt, z.B. die Strafbarkeit nach der dissolution, die Begehung durch einen shadow director, die Aufstellung des Überschuldungsstatus und die Antragstellung im Ausland. Abschließend wird die Vereinbarkeit der Insolvenzantragspflicht und ihrer Strafbewehrung mit dem Recht der EG behandelt. Die gefundenen Ergebnisse sind im Wesentlichen auf § 15a Abs. 4 InsO n.F. übertragbar.