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einem zulässigen Antrag anordnen.681 Die Alternative zu der Eröffnung des „falschen“ Verfahrens und dem Wiederaufleben der Insolvenzantragspflicht wäre also
die Abweisung des Insolvenzantrags als unzulässig, was ebenfalls das Wiederaufleben der Insolvenzantragspflicht zur Folge hätte.
Es ist jedoch zu berücksichtigen, dass die Eröffnung eines Partikular- oder Sekundärinsolvenzverfahrens mehr als nur unzureichende oder unrichtige Angaben des
directors voraussetzt. Ein Sekundärinsolvenzverfahren hätte nämlich schon deshalb
nicht eröffnet werden dürfen, weil dem director nach Art. 29 Buchst. a, b EuInsVO
i.V.m. § 354 Abs. 1 InsO das Antragsrecht fehlte. Dasselbe gilt für ein Partikularinsolvenzverfahren aufgrund von Art. 3 Abs. 4 Buchst. b EuInsVO, wofür ebenfalls
ein Gläubigerantrag hätte vorliegen müssen. Und auch ein Partikularinsolvenzverfahren nach Art. 3 Abs. 4 Buchst. a EuInsVO hätte das Gericht in der Regel nicht
eröffnen dürfen: Neben der irrtümlichen Annahme des COMI im Ausland hätte das
Gericht zu dem Ergebnis gelangen müssen, dass die Eröffnung eines Hauptinsolvenzverfahren am vermeintlichen ausländischen COMI rechtlich unmöglich
war. Das wird bei einer Ltd. als Kapitalgesellschaft die Ausnahme sein, z.B. wenn
sie im Ausland als Kleinunternehmerin oder als Inhaberin eines landwirtschaftlichen
Betriebs nicht insolvenzfähig ist.
Insgesamt überwiegt deshalb die Verantwortlichkeit des Gerichts für die Eröffnung des „falschen“ Verfahrens, so dass es unverhältnismäßig wäre, den director
erneut mit der Insolvenzantragspflicht zu belasten. Zudem ist fraglich, ob der director überhaupt einen weiteren Insolvenzantrag stellen könnte oder das Antragsrecht
nach Artt. 4, 28 EuInsVO i.V.m. § 80 Abs. 1 InsO bereits auf den Insolvenzverwalter
des Partikular- bzw. Sekundärinsolvenzverfahrens übergegangen ist.
§ 8. Strafbarkeit des directors bei fahrlässiger Verletzung der
Insolvenzantragspflicht
Neben der Verwirklichung der zuvor dargestellten objektiven Tatbestandsmerkmale
durch den director einer englischen Ltd. mit COMI in Deutschland setzt die Strafbarkeit nach § 84 Abs. 1 Nr. 2 GmbHG gemäß § 15 Abs. 1 StGB vorsätzliches Handeln des directors voraus. Jedoch ist nach § 84 Abs. 2 GmbHG auch die fahrlässige
Verletzung der Insolvenzantragspflicht strafbar.
Eine fahrlässige Verletzung der Insolvenzantragspflicht kann – wie dargestellt –
vorliegen, wenn der director irrtümlich annimmt, dass COMI der Ltd. liege im
Ausland. Der aufgrund dieses Irrtums im Ausland gestellte Insolvenzantrag schließt
die Strafbarkeit des directors nach § 84 Abs. 1 Nr. 2 GmbHG aus. Hätte er jedoch
681 Unklar BGHZ 153, 205 (208). Nach § 20 Abs. 1 S. 2, § 98 Abs. 2 Nr. 1, Abs. 3, § 100 Abs. 1
InsO könnte der director in Haft genommen werden, um Auskünfte zu erzwingen. Hätte der
director falsche Auskünfte erteilt und seine Angaben gemäß § 20 Abs. 1 S. 2, § 98 Abs. 1,
§ 100 Abs. 1 InsO an Eides statt versichert, würde ihm die Bestrafung nach §§ 156, 163 StGB
drohen.
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erkennen können und müssen, dass das COMI in Deutschland liegt und die Insolvenzantragspflicht daher durch die Antragstellung im Ausland tatsächlich nicht
erlischt, so kommt seine Strafbarkeit nach § 84 Abs. 2 GmbHG in Betracht.
Das ist allerdings nicht der typische Anwendungsbereich der fahrlässigen Insolvenzverschleppung nach § 84 Abs. 2 GmbHG. Der Tatbestand erfasst in erster Linie
Fälle, in denen sich hinsichtlich der Überschuldung zwar kein Vorsatz des Geschäftsführers nachweisen lässt, er aber die Überschuldung hätte erkennen können
und müssen.682 Die Fahrlässigkeitsstrafbarkeit setzt demnach eine (Sorgfalts-)Pflicht
des Geschäftsführers voraus, sich von der finanziellen Lage der Gesellschaft ein
Bild zu machen. Nach Auffassung des BGH ist der Geschäftsführer als „ordentlicher
Geschäftsleiter“ (vgl. § 43 Abs. 1 GmbHG) verpflichtet, die wirtschaftliche Lage des
Unternehmens laufend zu beobachten. Bei Anzeichen einer Krise müsse er sich
durch Aufstellung eines Vermögensstatus einen Überblick über den Vermögensstand
verschaffen und notfalls fachkundig beraten lassen.683 Über diese „Anforderungen,
die für den Geschäftsführer einer mit einem beschränkten Haftungsvermögen ausgestatteten Gesellschaft eigentlich selbstverständlich sind“,684 hinaus hat der Geschäftsführer für eine Organisation zu sorgen, die ihm die dafür erforderliche Übersicht über die wirtschaftliche und finanzielle Situation der Gesellschaft jederzeit
ermöglicht.685
Eine Pflicht dieses Inhalts ist eine Voraussetzung auch für die Strafbarkeit des directors einer englischen Ltd. mit COMI in Deutschland wegen fahrlässiger Insolvenzverschleppung nach § 84 Abs. 2 GmbHG. Es handelt sich um eine von der Insolvenzantragspflicht zu unterscheidende zivilrechtliche Sorgfaltspflicht. § 84 Abs. 2
GmbHG begründet diese Pflicht nicht, sondern setzt sie voraus. Sollte der director
einer englischen Ltd. mit COMI in Deutschland einer solchen Pflicht nicht
unterliegen, würde er sich nicht strafbar machen, wenn er hinsichtlich der Überschuldung ohne Vorsatz gehandelt hätte. Die entscheidende Frage ist also, ob der
director verpflichtet ist, bei Anzeichen einer Krise selbst oder durch Dritte einen
Überschuldungsstatus aufzustellen bzw. dies organisatorisch sicherzustellen.
Die Antwort hängt von der Qualifikation dieser Pflicht ab. Erforderlich ist sie nur
dort, wo die Überschuldung besondere Rechtsfolgen auslöst. Solche Rechtsfolgen
sind grundsätzlich dem Insolvenzrecht zuzuordnen. Das gilt auch für das englische
Recht.686 Gesellschaftsrechtliche Folgen der Überschuldung sind nämlich Ausnah-
682 Zur früheren Diskussion über die Strafbarkeit der fahrlässigen Konkursverschleppung bei der
Aktiengesellschaft vgl. Schubert/Hommelhoff, Aktienrechtsreform, S. 620 ff.
683 BGHZ 126, 181 (199), zur zivilrechtlichen Haftung wegen fahrlässiger Insolvenzverschleppung nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 64 Abs. 1 GmbHG. Vgl. auch BGHSt 15, 306 (311):
Pflicht zur Aufstellung eines Überschuldungsstatus, wenn sich aus der Bilanz eine Überschuldung ergibt.
684 BGHZ 126, 181 (199).
685 BGH, ZIP 1995, 560.
686 Vgl. die Bedeutung der balance sheet insolvency als Grund für ein compulsory winding up
(s. 123(2) IA 1986), ihre Bedeutung für die Rückabwicklung von transactions at an undervalue (ss. 238, 240(2) IA 1986) bzw. preferences (ss. 239, 240(2) IA 1986), für die Nichtig-
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men; das Gesellschaftsrecht stellt z.B. auf Verluste ab, die das Stammkapital angreifen und der Insolvenz vorausgehen. Wegen dieser Abhängigkeit vom Insolvenzrecht
ist auch die vom BGH angeführte Pflicht dem Insolvenzrecht zuzuordnen. Das gleiche Ergebnis läge vor, wenn von vornherein auf den engen Zusammenhang zwischen dieser Pflicht und der Insolvenzantragspflicht abzustellen wäre und deswegen
beide übereinstimmend zu qualifizieren wären. Die Sorgfaltspflicht richtet sich also
wie die Insolvenzantragspflicht nach dem COMI. Demnach ist der director einer
Ltd. mit COMI in Deutschland verpflichtet, bei Anzeichen einer Krise selbst oder
durch Dritte einen Überschuldungsstatus aufzustellen bzw. dies organisatorisch
sicherzustellen.687 Im Vergleich zum englischen Recht liegt darin für den director
kaum eine Verschärfung,688 denn auch nach englischem Recht muss der director auf
typische Krisenanzeichen hin prüfen, ob eine Liquidation im Zustand der Überschuldung (insolvent liquidation) noch vermeidbar ist.689 Das ist dem director auch
ohne weiteres möglich, wenn er – wie es s. 386(2)(b) CA 2006690 verlangt – die
Bücher (accounting records) so führt, dass sie ihm jederzeit einen Überblick über
die gegenwärtigen finanzielle Lage der Ltd. erlauben.
keit von floating charges (ss. 245 IA 1986) sowie als Voraussetzung der Haftung wegen
wrongful trading (s. 214 IA 1986). Darüber hinaus kann bei Überschuldung unter erleichterten Bedingungen ein Geschäftsführungsverbot ausgesprochen werden (disqualification for
unfitness, s. 6 CDDA 1986). Schließlich sind bei Überschuldung im Rahmen der fiduciary
duties die Interessen der Gläubiger zu berücksichtigen.
687 Hess/Hess, Anhang G Rn. 100.
688 So aber grundsätzlich Berner/Klöhn, ZIP 2007, 106 (112).
689 Keay, Company Liquidation, Rn. 11.124.
690 Bislang s. 221(1)(a) CA 1985.
Chapter Preview
References
Zusammenfassung
Nach noch herrschender Meinung kann der director einer englischen private company limited by shares (Ltd.) nicht wegen Insolvenzverschleppung nach § 84 Abs. 1 Nr. 2 GmbHG bestraft werden. Dem tritt der Autor entgegen und zeigt, dass mit dieser Strafvorschrift sehr wohl gegen gläubigergefährdendes Verhalten des directors einer Ltd. vorzugehen ist.
Denn die Auslegung des Begriffs „Geschäftsführer“ ergibt, dass dieser die Organe ausländischer Gesellschaften mit beschränkter Haftung einbezieht. Für die Organe solcher Gesellschaften besteht auch eine Insolvenzantragspflicht nach § 64 Abs. 1 GmbHG, weil diese Vorschrift dem Insolvenzrecht zuzuordnen und über Art. 4 Abs. 1 EuInsVO anwendbar ist.
Darauf aufbauend werden die Besonderheiten des § 84 Abs. 1 Nr. 2 GmbHG im Fall der Insolvenz einer Ltd. dargestellt, z.B. die Strafbarkeit nach der dissolution, die Begehung durch einen shadow director, die Aufstellung des Überschuldungsstatus und die Antragstellung im Ausland. Abschließend wird die Vereinbarkeit der Insolvenzantragspflicht und ihrer Strafbewehrung mit dem Recht der EG behandelt. Die gefundenen Ergebnisse sind im Wesentlichen auf § 15a Abs. 4 InsO n.F. übertragbar.