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standen ist, vgl. Art. 3 Abs. 4 Buchst. b EuInsVO. Dadurch wird den Schwierigkeiten Rechnung getragen, die die Ermittlung des COMI und ein Insolvenzantrag im
Ausland einem Gläubiger bereiten können.
II. Erlöschen der Antragspflicht durch Antragstellung
§ 64 Abs. 1 GmbHG verpflichtet zwar nicht ausdrücklich dazu, den Insolvenzantrag
bei einem deutschen Gericht zu stellen. Nur deutsche Gerichte sind aber zuständig
für die Eröffnung eines Hauptinsolvenzverfahrens, wenn eine Insolvenzantragspflicht nach § 64 Abs. 1 GmbHG besteht, denn die Anwendbarkeit des § 64 Abs. 1
GmbHG richtet sich wegen Art. 4 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1 EuInsVO nach der internationalen Zuständigkeit. Wenn also der director einer englischen Ltd. mit COMI in
Deutschland verpflichtet wäre, die Eröffnung eines Hauptinsolvenzverfahrens zu
beantragen und dabei die internationale Zuständigkeit zu wahren, dann müsste er
den Insolvenzantrag bei einem deutschen Gericht stellen. In der Rechtsprechung663
und Literatur664 wird jedoch die Ansicht vertreten, die Insolvenzantragspflicht aus
§ 64 Abs. 1 GmbHG könne auch durch einen Insolvenzantrag im Ausland erfüllt
werden. Wegen der insolvenzrechtlichen Qualifikation der Insolvenzantragspflicht
ist dieser Sicht entgegenzuhalten, dass sie die Abhängigkeit der Insolvenzantragspflicht vom COMI nicht beachtet oder ein Antrag bei einem unzuständigen Gericht
ausreichen lässt.
Neben dem verfahrensrechtlichen Argument, dass der Insolvenzantrag als prozessuale Erwirkungshandlung zulässig sein muss,665 spricht gegen die Erfüllungswirkung eines Insolvenzantrags im Ausland auch der Gläubigerschutz. Der director
könnte mit dem Antrag bei einem unzuständigen ausländischen Gericht gezielt Anordnungen zum Schutz der Masse und der Information des Geschäftsverkehrs verzögern.666 Selbst wenn der Antrag irrtümlich bei einem unzuständigen Gericht gestellt würde, wäre nicht derselbe Gläubigerschutz gewährleistet, den ein Antrag bei
663 AG Köln, ZIP 2005, 1566; AG Hamburg, ZIP 2006, 1105 (1107). Beide Entscheidungen
betreffen die Insolvenzantragspflicht des Geschäftsführers einer deutschen GmbH.
664 Pannen/Pannen, Art. 3 Rn. 80; Mock, NZI 2006, 24 (26); Smid, DZWIR 2006, 45 (49); Runkel/Spliedt, § 2 Rn. 17; Runkel/Pannen, § 16 Rn. 146; MK-BGB/Kindler, IntInsR, Rn. 115;
Paulus, FS Kreft, S. 469 (478); ders., Art. 29 Rn. 10 f.; Sabel, NZI 2004, 126 (127);
Vallender/Fuchs, ZIP 2004, 829 (833); Bittmann/Bittmann, § 33 Rn. 26 Fn. 53; B/H/Schulze-
Osterloh/Servatius, § 84 Rn. 29. Ablehnend Wagner, ZIP 2006 1934 (1941); Poertzgen,
S. 171.
665 MK-InsO/Schmahl, § 15 Rn. 115; Süß/Wachter/Kienle, § 3 Rn. 198; Hirte/Bücker/Mock/
Schildt, § 17 Rn. 93; Scholz/Tiedemann, § 84 Rn. 77; Schmidt-Leithoff/Schaal, § 84 Rn. 43;
Michalski/Dannecker, § 84 Rn. 87.
666 Gerade im Fall gezielter Antragstellung bei einem unzuständigen Gericht lehnt
MK-BGB/Kindler, IntInsR, Rn. 115, die Erfüllung der Insolvenzantragspflicht ab, „weil es
dann bereits an der Ernsthaftigkeit der Antragstellung fehlt“. Aber wer sich auf Kosten der
Gläubiger ein ihm und/oder der Gesellschaft günstiges Insolvenzrecht erschleichen will, dem
fehlt es nicht an der Ernsthaftigkeit.
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einem deutschen Gericht bewirken würde. Über die bloße Verzögerung durch die
Abweisung oder Verweisung an ein international zuständiges Gericht667 hinaus bestünde die Gefahr, dass das unzuständige Gericht das Verfahren eröffnet und die
§§ 21-23, 30-33 InsO gar nicht zur Anwendung kommen. Wäre die Insolvenzantragspflicht durch einen Antrag im Ausland erfüllt, würde sich der Zeitraum verlängern, in dem in Deutschland die Geschäfte fortgeführt werden können, ohne dass
Neugläubiger durch die zivil- und strafrechtliche Verantwortlichkeit des directors
für die Insolvenzverschleppung geschützt wären. Die EuInsVO gebietet nicht, derartige Abstriche beim Gläubigerschutz zu machen.668
Richtigerweise ist deshalb die Eröffnung des Insolvenzverfahrens bei einem international zuständigen Gericht zu beantragen.669 Der director einer englischen Ltd.
mit COMI in Deutschland erfüllt die Insolvenzantragspflicht des § 64 Abs. 1
GmbHG also nur durch einen Insolvenzantrag bei einem deutschen Gericht.
Eine andere Frage ist, welche strafrechtlichen Konsequenzen ein Irrtum des Antragspflichtigen über das COMI und infolgedessen über die internationale Zuständigkeit sowie die Erfüllungswirkung seines Insolvenzantrags hat.670 Der director irrt
sich dann darüber, dass die Antragspflicht trotz des im Ausland gestellten Antrags
fortbesteht. Ein Irrtum über das Bestehen der Insolvenzantragspflicht ist nach h.M.
ein Gebotsirrtum i.S.d. § 17 StGB,671 d.h., erst die Unvermeidbarkeit des Irrtums
schließt die Strafbarkeit wegen vorsätzlicher Insolvenzverschleppung nach § 84
Abs. 1 Nr. 2 GmbHG aus. Der Irrtum des directors besteht hier aber nicht darin, dass
er die Insolvenzantragspflicht als solche verkennt. Er meint, durch den Antrag im
Ausland die Insolvenzantragspflicht erfüllt zu haben, weil dort das COMI liege.
Würde das COMI tatsächlich im Ausland liegen, wäre durch die dortige Antragstellung die Insolvenzantragspflicht erfüllt worden und der director würde nicht
rechtswidrig handeln, wenn er es unterlässt, in Deutschland einen (weiteren) Insolvenzantrag zu stellen. Der director stellt sich also einen Umstand vor, der, wenn er
tatsächlich vorläge, die Rechtswidrigkeit seines Verhaltens entfallen ließe. Damit
sind die Voraussetzungen eines Erlaubnistatbestandsirrtums gegeben, der nach h.M.
in unmittelbarer oder entsprechender Anwendung des § 16 Abs. 1 StGB die Bestra-
667 Die Möglichkeit einer internationalen Verweisung bejahend AG Hamburg, ZIP 2006, 1105
(1107).
668 Wagner, ZIP 2006, 1934 (1939 f.).
669 MK-InsO/Schmahl, § 15 Rn. 115; Triebel/v. Hase/Melerski/v. Hase, Rn. 621; Süß/Wachter/
Kienle, § 3 Rn. 199; Eidenmüller, RabelsZ 2006, 474 (496); Sonnenbeger/Eidenmüller,
S. 469 (486); Wagner, ZIP 2006 1934 (1937); Bachner, S. 65; Renner, S. 192; im Ergebnis
ebenso Wilms, S. 131.
670 Für ausnahmsweise Erfüllungswirkung in diesem Fall Eidenmüller, RabelsZ 2006, 474 (496);
Mankowski, NZI 2006, 487; Triebel/v. Hase/Melerski/v. Hase, Rn. 621; Süß/Wachter/Kienle,
§ 3 Rn. 200; MK-InsO/Schmahl, § 15 Rn. 115: Erfüllungswirkung, wenn die (örtliche) Zuständigkeit ernstlich in Betracht kommt und das Verfahren an das zuständige Gericht verwiesen wird.
671 Scholz/Tiedemann, § 84 Rn. 99; Schmidt-Leithoff/Schaal, § 84 Rn. 55; GK-GmbHG/Kohlmann, 8. Aufl., § 84 Rn. 54; M-G/B/Bieneck, § 84 Rn. 22.
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fung wegen einer vorsätzlichen Tat ausschließt.672 Es bleibt die Strafbarkeit wegen
fahrlässiger Insolvenzverschleppung nach § 84 Abs. 2 GmbHG, wenn der director
erkennen kann, dass sich das COMI in Deutschland befindet.
III. Erlöschen der Antragspflicht durch Verfahrenseröffnung
Der director einer englischen Ltd. mit COMI in Deutschland muss den Insolvenzantrag bei einem für die Eröffnung des Hauptinsolvenzverfahrens international zuständigen deutschen Gericht jedoch nur so lange stellen, wie seine Insolvenzantragspflicht nicht erloschen ist. Die Pflicht erlischt jedenfalls mit der Eröffnung eines
Hauptinsolvenzverfahrens in Deutschland. Fraglich ist dagegen, welche Wirkung die
Eröffnung eines Insolvenzverfahrens im Ausland hat.
1. Eröffnung des Hauptinsolvenzverfahrens entgegen Art. 3 Abs. 1 EuInsVO
Ist trotz internationaler Unzuständigkeit im Ausland ein nach Art. 16 Abs. 1
EuInsVO anzuerkennendes Hauptinsolvenzverfahren über das Vermögen der Ltd.
eröffnet worden, dann ist ein weiterer Antrag des directors in Deutschland unzulässig, so dass eine Insolvenzantragspflicht für ihn nicht mehr bestehen kann.673 Die
Eröffnung eines Partikularinsolvenzverfahrens ist unzulässig, weil bereits ein
Hauptinsolvenzverfahren eröffnet worden ist. Einem zweiten Hauptinsolvenzverfahren steht die Sperrwirkung des Art. 16 Abs. 1 EuInsVO entgegen. Die Eröffnung eines Sekundärinsolvenzverfahrens kann in Deutschland durch den director
einer Ltd. nicht beantragt werden, weil ihm dazu das Antragsrecht fehlt.674 Dieses
hat nämlich in Art. 29 EuInsVO eine im Verhältnis zu Art. 4 Abs. 1 EuInsVO i.V.m.
§ 15 Abs. 1 InsO speziellere Regelung erfahren. Antragsberechtigt sind gemäß
Art. 29 Buchst. a EuInsVO lediglich der Verwalter des Hauptinsolvenzverfahrens
bzw. gemäß Art. 29 Buchst. b EuInsVO i.V.m. § 354 Abs. 1 InsO die Gläubiger. Der
director kann allerdings Gläubiger der Ltd. sein – insbesondere wegen seiner Gehaltsforderungen – und als Gläubiger die Eröffnung eines Sekundärinsolvenzverfahrens beantragen. Da mit der Insolvenzantragspflicht auch die Information des
Geschäftsverkehrs erreicht werden soll, besteht für eine „Sekundärantragspflicht“
auch kein Bedürfnis, denn nach Art. 22 Abs. 1 EuInsVO kann auf Antrag des Verwalters die Eröffnung des Hauptinsolvenzverfahrens in den Registern der Mitgliedstaaten bekannt gemacht werden. Die Mitgliedstaaten können nach Art. 22 Abs. 2
EuInsVO diese Bekanntmachung vorschreiben und den Verwalter zu den erforderlichen Maßnahmen verpflichten.
672 Vgl. BGH, NStZ 2002, 141 (142); 2001, 530; Fischer, § 16 Rn. 22, m.w.N.
673 Bachner, S. 64 f.; im Ergebnis auch Smid, InsR, § 38 Rn. 12.
674 So auch Schilling, S. 232; vgl. auch Poertzgen, S. 172; Oberhammer, ZInsO 2004, 761 (770).
Chapter Preview
References
Zusammenfassung
Nach noch herrschender Meinung kann der director einer englischen private company limited by shares (Ltd.) nicht wegen Insolvenzverschleppung nach § 84 Abs. 1 Nr. 2 GmbHG bestraft werden. Dem tritt der Autor entgegen und zeigt, dass mit dieser Strafvorschrift sehr wohl gegen gläubigergefährdendes Verhalten des directors einer Ltd. vorzugehen ist.
Denn die Auslegung des Begriffs „Geschäftsführer“ ergibt, dass dieser die Organe ausländischer Gesellschaften mit beschränkter Haftung einbezieht. Für die Organe solcher Gesellschaften besteht auch eine Insolvenzantragspflicht nach § 64 Abs. 1 GmbHG, weil diese Vorschrift dem Insolvenzrecht zuzuordnen und über Art. 4 Abs. 1 EuInsVO anwendbar ist.
Darauf aufbauend werden die Besonderheiten des § 84 Abs. 1 Nr. 2 GmbHG im Fall der Insolvenz einer Ltd. dargestellt, z.B. die Strafbarkeit nach der dissolution, die Begehung durch einen shadow director, die Aufstellung des Überschuldungsstatus und die Antragstellung im Ausland. Abschließend wird die Vereinbarkeit der Insolvenzantragspflicht und ihrer Strafbewehrung mit dem Recht der EG behandelt. Die gefundenen Ergebnisse sind im Wesentlichen auf § 15a Abs. 4 InsO n.F. übertragbar.