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Die Heranziehung der Vorschriften des englischen Bilanzrechts ist jedoch abzulehnen. Für den Liquiditätsstatus haben die Ansatz- und Bewertungsvorschriften des
Bilanzrechts ohnehin keine Bedeutung, weil sie sich nicht unmittelbar auf die Liquidität der Mittel und die Fälligkeit der Verbindlichkeiten auswirken. Zum Überschuldungsstatus wird zwar in der Literatur die Ansicht vertretenen, im Fall einer positiven Fortführungsprognose seien die Fortführungswerte aus der nach ausländischem
Recht erstellten Handelsbilanz abzuleiten,641 hier also aus einer nach englischem
Recht erstellten Bilanz. Nach der überzeugenden Gegenansicht haben aber die Bilanzierungsregeln des englischen Rechts selbst für die Fortführungswerte keine
Bedeutung,642 denn der Überschuldungsstatus ist keine Handelsbilanz,643 und mit
seiner Aufstellung werden andere Ziele verfolgt. Die Zahlungsunfähigkeit oder
Überschuldung einer Ltd. ist demnach unabhängig vom englischen Bilanzrecht nach
den Regeln des deutschen Insolvenzrechts zu ermitteln.644
III. Behandlung gesellschaftsrechtlicher Ansprüche
Die Definitionen in § 17 Abs. 2, § 19 Abs. 2 InsO unterscheiden nicht zwischen der
Insolvenz deutscher und ausländischer Gesellschaften. Allerdings können zum Vermögen einer ausländischen Gesellschaft Forderungen gehören, die sich unmittelbar
aus dem anwendbaren ausländischen Gesellschaftsrecht ergeben oder aus § 823
Abs. 2 BGB i.V.m. einem Schutzgesetz des anwendbaren ausländischen Rechts. In
Betracht kommen z.B. Ansprüche gegen den director wegen Verletzung seiner gegenüber der Ltd. bestehenden Pflichten oder Ansprüche gegen die Gesellschafter
wegen noch nicht erbrachter Einlagen. Umgekehrt bestehen keine Ansprüche z.B.
aus §§ 9a, 22, 24, 27, 35 GmbHG, weil diese Vorschriften nach Internationalem
Gesellschaftsrecht nicht anwendbar sind. Schließlich kann das englische Gesellschaftsrecht auch die Nichtigkeit bestimmter Vereinbarungen, z.B. über eine Abfindung für den director, zur Folge haben, so dass entsprechende Forderungen nicht in
Ansatz zu bringen sind.
IV. Behandlung insolvenzrechtlicher Ansprüche
Ähnlich umstritten wie die Qualifikation der Insolvenzantragspflicht ist die Qualifikation der Pflicht zur Erstattung von Zahlungen nach Insolvenzreife und die Qualifikation des Schadensersatzanspruchs wegen Verletzung der Insolvenzantragspflicht.
Davon betroffen sind Ansprüche aus § 64 Abs. 2 GmbHG und § 823 Abs. 2 BGB
i.V.m. § 64 Abs. 1 GmbHG. Für den Liquiditäts- bzw. Überschuldungsstatus haben
641 Eidenmüller/Rehberg, ZVerglRWiss 2006, 427 (445); Eidenmüller, RabelsZ 2006, 474 (494).
642 Holzer, ZVI 2005, 457 (466); wohl auch MK-BGB/Kindler, IntGes, Rn. 700.
643 BGH, NJW 2001, 1136; BGHZ 146, 264 (267 f).
644 Fritz/Hermann/Hermann, Rn. 265.
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diese Ansprüche – und damit auch der Streit – jedoch keine Bedeutung, weil derartige Forderungen gegen den Geschäftsführer weder im Überschuldungsstatus645 noch
im Liquiditätsstatus zu berücksichtigen sind.
Abweichungen könnten sich dagegen aus dem deutschen Eigenkapitalersatzrecht
ergeben, dessen Anwendbarkeit auf ausländische Gesellschaften heftig umstritten
ist. Rechtsfolgen der Einordnung einer Leistung als eigenkapitalersetzend sind das
Verbot der Rückgewähr der Leistung analog § 30 Abs. 1 GmbHG, der gesetzliche
Rangrücktritt des Rückforderungsanspruchs (§ 32a Abs. 1 GmbHG, § 39 Abs. 1
Nr. 5 InsO), der Anspruch der Gesellschaft nach Anfechtung einer (unzulässigen)
Rückgewähr aus §§ 143, 135 InsO sowie Ansprüche der Gesellschaft aus § 32b S. 1
und analog § 31 Abs. 1 GmbHG. Einige dieser Rechtsfolgen können sich auf den
Liquiditäts- und Überschuldungsstatus auswirken. Die Anwendbarkeit des Eigenkapitalersatzrechts würde die Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung bei einer
Ltd. aber keinesfalls vorverlegen, sondern hinausschieben. Daher würde auch die
Insolvenzantragspflicht nicht früher entstehen und die Gefahr der Strafbarkeit wegen
Insolvenzverschleppung wäre allenfalls geringer. Die Kehrseite dieses Vorteils für
den director wäre die Benachteiligung der Kapitalgeber, weil sie ihre eigenkapitalersetzenden Leistungen nur nachrangig zurückerhalten würden oder gar Rückgewähransprüchen ausgesetzt wären. Zudem würde dem director die Strafbarkeit
wegen Untreue bei Rückgewähr einer eigenkapitalersetzenden Leistung drohen.646
Allerdings gelangt die wohl überwiegende Meinung zur Unanwendbarkeit des
deutschen Eigenkapitalersatzrechts auf eine englische Ltd., so dass der director
dessen Vorteile in Hinblick auf die Strafbarkeit wegen Insolvenzverschleppung nicht
genießt. Das Eigenkapitalersatzrecht soll weder insgesamt gesellschaftsrechtlich647
noch insgesamt insolvenzrechtlich648 zu qualifizieren sein, sondern es sei zwischen
den Rechtsprechungsregeln (analoge Anwendung der §§ 30, 31 GmbHG) und den
Novellenregeln (§§ 32a, 32b GmbHG, § 39 Abs. 1 Nr. 5, § 135 InsO) zu unterscheiden. Erstere seien dem Gesellschaftsrecht zuzuordnen, letztere dem Insolvenzrecht.649 Einige Vertreter dieser Ansicht stehen jedoch auf dem Standpunkt, dass bei
645 So zu § 64 Abs. 2 GmbHG: GK-InsO/H.-F. Müller, § 19 Rn. 68; B/H/Schulze-Osterloh, § 64
Rn. 18; GK-GmbHG/Ulmer, 8. Aufl., vor § 63 Rn. 42. Zu dem vom Insolvenzverwalter als
Gesamtschaden gemäß § 92 InsO, § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 64 Abs. 1 GmbHG geltend zu
machenden Quotenschaden der Altgläubiger („massefremde Masse“): GK-InsO/H.-F. Müller,
§ 19 Rn. 62; Scholz/K. Schmidt, vor § 64 Rn. 23; abweichend Gottwald/Uhlenbruck, § 6
Rn. 38.
646 Vgl. dazu BGH, wistra 2006, 309 f.
647 So aber MK-AktG/Altmeppen, NLF, Kap. 4 Rn. 39; Scholz/Westermann, 10. Aufl., Einl.
Rn. 131, 133; für Österreich: Dommes/Eckert/Lembeck/Metzler, SWI 2005, 477 (484).
648 So Eisner, ZInsO 2005 20 (23); Röhricht, ZIP 2005, 509 (512); Wienberg/Sommer, NZI
2005, 353 (356); Paulus, ZIP 2002, 729 (734); Haas, NZI 2002, 457 (466); ders., NZI 2001,
1 (10).
649 Hirte/Bücker/Forsthoff/Schulz, § 16 Rn. 42 ff; Lutter/U. Huber, AuslGes, S. 131 (139,
143 ff.); Lanzius, S. 254 ff; Höfling, S. 300 f.; Schilling, S. 194 f.; U. Huber, FS Gerhardt,
S.397 (418); Fischer, ZIP 2004, 1477 (1480); Ulmer, NJW 2004, 1201 (1207); ders., KTS
2004, 291 (299 f.).
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den Novellenregeln die Feststellung des eigenkapitalersetzenden Charakters einer
Leistung als Vorfrage gesondert anzuknüpfen sei,650 und zwar gesellschaftsrechtlich.651 Träfe das zu, käme das deutsche Eigenkapitalersatzrecht – soweit es den
Liquiditäts- und Überschuldungsstatus betrifft – im Ergebnis nicht zur Anwendung,
weil das englische Recht keine Leistungen in Eigenkapital umqualifiziert.
V. Auswirkungen der Eröffnung eines Partikularinsolvenzverfahrens
Gemäß Art. 4 Abs. 2 S. 1 EuInsVO bestimmt das Recht des Staats der Verfahrenseröffnung, „unter welchen Voraussetzungen das Insolvenzverfahren eröffnet wird“.
Bei einer Verfahrenseröffnung in Deutschland sind demnach die Eröffnungsgründe
nach §§ 17-19 InsO maßgeblich. Daraus ergibt sich aber noch nicht, ob für Zahlungsunfähigkeit bzw. Überschuldung auf die weltweiten oder nur auf die
finanziellen Verhältnisse im Staat der Verfahrenseröffnung abzustellen ist.
Bei der Eröffnung eines in seiner Wirkung räumlich beschränkten Partikularinsolvenzverfahrens i.S.d. Art. 3 Abs. 4 EuInsVO richtet sich die Zahlungsunfähigkeit nach h.M. nur nach der Liquidität im Staat der Verfahrenseröffnung,652
während für den Überschuldungsstatus Vermögen und Verbindlichkeiten weltweit
gegenüberzustellen sind.653 Bei der Eröffnung eines Hauptinsolvenzverfahrens i.S.d.
Art. 3 Abs. 1 EuInsVO sind Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung immer weltweit zu bestimmen.654 Da § 64 Abs. 1 GmbHG auf die Eröffnung eines Hauptinsolvenzverfahrens gerichtet ist,655 müssen für den Liquiditäts- bzw. Überschul-
650 Dagegen Lutter/U. Huber, AuslGes, S. 131 (182); Hirte/Bücker/Forsthoff/Schulz, § 16
Rn. 47; MK-BGB/Kindler, IntGesR, Rn. 711; Pannen/Pannen/Riedemann, Art. 4 Rn. 93;
Römermann/Mincke, L Rn. 57; Lanzius, S. 257; für Österreich: Hirte/Bücker/Kalss/Adensamer, § 20 Rn. 103.
651 So GK-GmbHG/Behrens, Einl. B Rn. 86; Süß/Wachter/Kienle, § 3 Rn. 178; Hirte/Bücker/
Mock/Schildt, § 17 Rn. 115; Eidenmüller, RabelsZ 2006, 474 (491 f.); Eidenmüller/ Eidenmüller, § 9 Rn. 42; Schlichte, DB 2006, 1357 (1360); Paefgen, ZIP 2004, 2253 (2261); Riedemann, GmbHR 2004, 345 (349); Zimmer, NJW 2003, 3585 (3589); Schumann, DB 2004, 743
(748); H.-F. Müller, NZG 2003, 414 (417); Reinbach, S. 211.
652 MK BGB/Kindler, IntInsR, Rn. 190; BK-InsR/Pannen, 20. Lfg. (12/04), Art. 3 EuInsVO
Rn. 35, Paulus, Art. 3 Rn. 66; K/P/Kemper, 20. Lfg. (10/04), Art. 3 EuInsVO Rn. 36; Eidenmüller/Eidenmüller, § 9 Rn. 21; Ludwig, S. 232 i.V.m. S. 185; a.A. Adam, S. 62; HK-InsO/
Stephan, Art. 3 EuInsVO Rn. 23; MK-InsO/Reinhart, Art. 3 EuInsVO Rn. 11: Zahlungsunfähigkeit in der EG und dem Staat der Hauptniederlassung (in Anlehnung an BGH, NJW
1992, 624).
653 Gebauer/Wiedmann/Haubold, Kap. 30 Rn. 64; BK-InsR/Pannen, 20. Lfg. (12/04), Art. 3
EuInsVO Rn. 37; Pannen/Pannen, Art. 3 Rn. 133; MK-InsO/Reinhart, Art. 3 EuInsVO
Rn. 11; ebenso, aber kritisch Wimmer, ZIP 1998, 982 (986 f.); MK-BGB/Kindler, IntInsR,
Rn. 191; HK-InsO/Stephan, Art. 3 EuInsVO Rn. 23; K/P/Kemper, 20. Lfg. (10/04), Art. 3
EuInsVO Rn. 37. Für niederlassungsbezogene Ermittlung Paulus, Art. 3 Rn. 65; Ludwig,
S. 232 i.V.m. S. 188. Wieder anders Adam, S. 65.
654 Gottwald/Gottwald, § 130 Rn. 23.
655 So auch Ego, S. 318.
Chapter Preview
References
Zusammenfassung
Nach noch herrschender Meinung kann der director einer englischen private company limited by shares (Ltd.) nicht wegen Insolvenzverschleppung nach § 84 Abs. 1 Nr. 2 GmbHG bestraft werden. Dem tritt der Autor entgegen und zeigt, dass mit dieser Strafvorschrift sehr wohl gegen gläubigergefährdendes Verhalten des directors einer Ltd. vorzugehen ist.
Denn die Auslegung des Begriffs „Geschäftsführer“ ergibt, dass dieser die Organe ausländischer Gesellschaften mit beschränkter Haftung einbezieht. Für die Organe solcher Gesellschaften besteht auch eine Insolvenzantragspflicht nach § 64 Abs. 1 GmbHG, weil diese Vorschrift dem Insolvenzrecht zuzuordnen und über Art. 4 Abs. 1 EuInsVO anwendbar ist.
Darauf aufbauend werden die Besonderheiten des § 84 Abs. 1 Nr. 2 GmbHG im Fall der Insolvenz einer Ltd. dargestellt, z.B. die Strafbarkeit nach der dissolution, die Begehung durch einen shadow director, die Aufstellung des Überschuldungsstatus und die Antragstellung im Ausland. Abschließend wird die Vereinbarkeit der Insolvenzantragspflicht und ihrer Strafbewehrung mit dem Recht der EG behandelt. Die gefundenen Ergebnisse sind im Wesentlichen auf § 15a Abs. 4 InsO n.F. übertragbar.