145
Teil 2. Tatbestandsmerkmale des § 84 Abs. 1 Nr. 2 GmbHG bei
Insolvenz einer englischen Ltd. mit COMI in Deutschland
§ 4. Englische Ltd. als Gesellschaft mit beschränkter Haftung
§ 84 Abs. 1 Nr. 2 GmbHG erwähnt – anders als § 64 Abs. 1 GmbHG – die „Gesellschaft“ nicht. Der Tatbestand setzt dennoch eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung voraus. Dies ergibt sich zum einen aus dem in der Strafvorschrift genannten
„Geschäftsführer“, der im GmbHG als das Organ einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung zu verstehen ist. Zum anderen führt die Bezugnahme des § 84 Abs. 1
Nr. 2 auf § 64 Abs. 1 GmbHG dazu, dass der Straftatbestand eine „Gesellschaft“
i.S.d. § 64 Abs. 1 GmbHG voraussetzt.
I. Gesellschaft i.S.d. GmbHG
Nach der Systematik des GmbHG ist – wie dargelegt – eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung i.S.d. GmbHG grundsätzlich auch eine ausländische. Die englische private company limited by shares (Ltd.) ist eine ausländische Gesellschaft mit
beschränkter Haftung,512 sofern sie in Deutschland anerkannt wird. Mit der „Anerkennung“ ist gemeint, dass sie als Rechtsträger mit den nach englischem Recht erworbenen Wesensmerkmalen einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung behandelt
wird. Sie muss in Deutschland insbesondere rechtsfähig sein, und die Haftung für
Verbindlichkeiten muss sich grundsätzlich auf das Gesellschaftsvermögen beschränken. Ob das der Fall ist, ergibt sich aus dem anwendbaren Gesellschaftsrecht, das
anhand der Kollisionsnorm der Gründungstheorie zu ermitteln ist. Diese verweist
hinsichtlich einer nach englischem Recht gegründeten Ltd. auf das englische Sachrecht und (Gesamtverweisung!) auf das englische Kollisionsrecht. Das englische
Kollisionsrecht nimmt die Verweisung grundsätzlich an, so dass das englisches
Sachrecht für eine Ltd. in Deutschland Gesellschaftsstatut bzw. lex incorporationis /
512 Zur Ltd. als „Gesellschaft mit beschränkter Haftung“ i.S.d. §§ 13e, 13g HGB: BGH,
NJW 2007, 2328 (2328); OLG Hamm, GmbHR 2008, 545 (546); OLG Celle, DB 2007, 681;
Thüringer OLG, GmbHR 2006, 541; BayObLG, GmbHR 2005, 1363; OLG Celle, GmbHR
2005, 1303; OLG München, GmbHR 2005, 1302; KG, GmbHR 2004, 116; OLG des Landes
Sachsen-Anhalt, GmbHR 2003, 533; OLG Zweibrücken, GmbHR 2003, 530; OLG Oldenburg, GmbHR 2002, 29. Vgl. zu einer nach dem Recht der Isle of Man gegründeten Ltd.
Hanseatisches OLG Hamburg, ZIP 2007, 1108 (1113): „Die Rechtsform der Klägerin
„private company limited by shares“ ist eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung, deren
Anteile nicht öffentlich gehandelt werden und entspricht damit am ehesten der deutschen
GmbH.“
146
originis societatis ist. Es ist daher grundsätzlich anzuerkennen, wenn das englische
Recht einer Ltd. die Wesensmerkmale einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung
verleiht. Die Ltd. ist in Deutschland als solche rechtsfähig und insolvenzfähig.513
II. Versagung der Anerkennung bei Scheinauslandsgesellschaften
Der EuGH hat angedeutet, dass einer Scheinauslandsgesellschaft ausnahmsweise die
Anerkennung versagt werden könne, nämlich bei „Missbrauch“ oder „Betrügereien“.514 Welche Fälle damit gemeint sind, ist noch offen. Wird einer Ltd. aus diesen
Gründen die Anerkennung versagt, ist das anwendbare Gesellschaftsrecht anhand
der Kollisionsnorm der modifizierten Sitztheorie zu ermitteln. Nach dieser ist deutsches Gesellschaftsrecht anzuwenden, sofern der tatsächliche Verwaltungssitz der
Gesellschaft in Deutschland liegt. Weil die Gründungsvorschriften des GmbHG
nicht eingehalten sind, ist die vermeintliche Ltd. lediglich als GbR, oHG oder Einzelunternehmen zu behandeln. Folglich können auch die § 64 Abs. 1, § 84 Abs. 1
Nr. 2 GmbHG nicht verwirklicht sein. Allerdings sind die Gesellschafter unmittelbar
oder gemäß § 128 HGB der unbeschränkten persönlichen Haftung ausgesetzt. Aus
diesem Grund kann der Geschäftsführer einer Ltd., der nicht zugleich Gesellschafter
ist, bestrebt sein, sich auf Umstände zu berufen, die die Annahme von „Missbrauch“
oder „Betrügereien“ rechtfertigen, um so der Strafbarkeit nach § 84 Abs. 1 Nr. 2
GmbHG zu entgehen. Ob er damit Erfolg hat, ist eine Frage des Einzelfalls.
III. Zeitliche Grenzen der Rechtspersönlichkeit einer Ltd.
Damit eine Ltd. in Deutschland als ausländische GmbH anerkannt wird, muss sie
nach englischem Recht wirksam entstanden sein, also eigene Rechtspersönlichkeit
erlangt haben. Verliert sie diese Rechtspersönlichkeit wieder, liegt grundsätzlich
keine ausländische GmbH mehr vor, so dass der Tatbestand des § 84 Abs. 1 Nr. 2
GmbHG nicht mehr verwirklicht werden kann.
513 Zu Letzterem vgl. LG Duisburg, ZIP 2007, 926; AG Nürnberg, ZIP 2007, 83; AG Hamburg,
ZIP 2005, 2275; AG Saarbrücken, ZIP 2005, 2027; AG Duisburg, NZG 2003, 1167.
514 EuGH, Rs. C-212/97, Slg. 1999, I-1459, Rn. 24 ff. – Centros; EuGH, Rs. C-167/01,
Slg. 2002, I-9919, Rn. 136 – Inspire Art. Zu pauschal daher AG Saarbrücken, ZIP 2005,
2027, wonach der Missbrauch nicht vom Insolvenzgericht festzustellen ist, sondern im Rahmen einer Klage gegen die Gesellschafter.
Chapter Preview
References
Zusammenfassung
Nach noch herrschender Meinung kann der director einer englischen private company limited by shares (Ltd.) nicht wegen Insolvenzverschleppung nach § 84 Abs. 1 Nr. 2 GmbHG bestraft werden. Dem tritt der Autor entgegen und zeigt, dass mit dieser Strafvorschrift sehr wohl gegen gläubigergefährdendes Verhalten des directors einer Ltd. vorzugehen ist.
Denn die Auslegung des Begriffs „Geschäftsführer“ ergibt, dass dieser die Organe ausländischer Gesellschaften mit beschränkter Haftung einbezieht. Für die Organe solcher Gesellschaften besteht auch eine Insolvenzantragspflicht nach § 64 Abs. 1 GmbHG, weil diese Vorschrift dem Insolvenzrecht zuzuordnen und über Art. 4 Abs. 1 EuInsVO anwendbar ist.
Darauf aufbauend werden die Besonderheiten des § 84 Abs. 1 Nr. 2 GmbHG im Fall der Insolvenz einer Ltd. dargestellt, z.B. die Strafbarkeit nach der dissolution, die Begehung durch einen shadow director, die Aufstellung des Überschuldungsstatus und die Antragstellung im Ausland. Abschließend wird die Vereinbarkeit der Insolvenzantragspflicht und ihrer Strafbewehrung mit dem Recht der EG behandelt. Die gefundenen Ergebnisse sind im Wesentlichen auf § 15a Abs. 4 InsO n.F. übertragbar.