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Einleitung
Die ausschließlich oder ganz überwiegend in Deutschland tätige Gesellschaft in der
Rechtsform einer englischen private company limited by shares (Ltd.) ist heute fester Bestandteil des Wirtschaftslebens. Mit der Geschäftstätigkeit einer solchen Ltd.
gehen jedoch besondere Gefahren für die Gläubiger einher: Nach der neueren Rechtsprechung des BGH ist die Haftung für Verbindlichkeiten der Gesellschaft selbst
dann auf das Gesellschaftsvermögen beschränkt, wenn die Ltd. – was das englische
Recht zulässt – praktisch ohne Kapital gegründet worden ist.1 Dies gilt auch dann,
wenn entgegen §§ 13 Abs. 1 S. 1, 13d, 13e, 13g HGB in Deutschland keine Zweigniederlassung der Ltd. zur Eintragung in das Handelsregister angemeldet worden ist;
das Zwangsgeld nach § 14 HGB soll abschließend sein und eine Handelndenhaftung
analog § 11 Abs. 2 GmbHG ausscheiden.2 Mangels Eintragung in ein deutsches
Handelsregister und einer zumindest anfänglichen Kapitalausstattung fehlen bei
einer Ltd. dann zwei Schutzvorkehrungen, die der Gesetzgeber bei einer deutschen
GmbH angesichts der Haftungsbeschränkung des § 13 Abs. 2 GmbHG bislang für
unverzichtbar hält.
Allerdings wirkt sich das Fehlen derartiger Schutzvorkehrungen regelmäßig erst
dann zum Nachteil Dritter aus, wenn die Gesellschaft ihre fälligen Verbindlichkeiten
nicht mehr erfüllen kann oder ihr Vermögen nicht mehr zur Erfüllung sämtlicher
Verbindlichkeiten ausreicht, also sobald sie zahlungsunfähig oder überschuldet ist.
Bei einer deutschen GmbH werden Dritte bei Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung der Gesellschaft dadurch geschützt, dass der Geschäftsführer gemäß § 64
Abs. 1 GmbHG unverzüglich die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der GmbH zu beantragen hat. Die Verletzung dieser Pflicht ist nach § 84
Abs. 1 Nr. 2 GmbHG strafbar. Das wirft die Frage auf, ob auch bei einer Ltd. Derartiger Schutz gewährt wird. Es ist schon umstritten, ob überhaupt die Pflicht besteht,
bei Insolvenz einer Ltd. die Eröffnung des Insolvenzverfahrens zu beantragen. Die
ganz herrschende Meinung verneint jedenfalls die Strafbarkeit der Verletzung dieser
Pflicht nach deutschem Strafrecht.3
1 Vgl. BGH, NJW 2005, 1648 (1649).
2 Vgl. BGH, NJW 2005, 1648 (1649 f.).
3 W/J/Beck, S. 309 f.; Bittmann/Bittmann, Insolvenzstrafrecht, § 12 Rn. 346; ders., GmbHR
2007, 70 (75); ders., wistra 2007, 321; Volk/Böttger, § 18 Rn. 220; HambK-InsR/Borchardt,
§ 84 GmbHG Rn. 44; Buchmann, S. 219; Eidenmüller/Eidenmüller, § 9 Rn. 34; Eisner,
ZInsO 2005, 20 (22); Franke, wistra 2004, 436; Gernoth, S. 324; Gross/Schork, NZI 2006,
10 (14); Heckschen/Maul, Rn. 669; Heinz, § 17 Rn. 51; Hopt/Tzouganatos/Hirte, S. 3 (40);
Hirte/Bücker/Hirte, § 1 Rn. 74; Sandrock/Wetzler/Hoffmann, S. 227 (247 ff.); Holzer, ZVI
2005, 457 (464); Horn, NJW 2004, 893 (899); Lutter/U. Huber, AuslGes, S. 307 (343); Just,
Rn. 346; ders., ZIP 2006, 1251 (1252); Kienle, GmbHR 2007, 696 (697); W/J/Köhler, S. 340;
Krüger, ZInsO 2007, 861 (866); Landesregierung Schleswig-Holstein, Landtags-Drucksache
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Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht oder nicht rechtzeitig zu beantragen,
ist nach deutschem Recht nur bei Insolvenz bestimmter Rechtsträger strafbar: Außer
bei der Gesellschaft mit beschränkter Haftung (§ 84 Abs. 1 Nr. 2 GmbHG) ist dies
auch bei der Aktiengesellschaft (§ 401 Abs. 1 Nr. 2 AktG), der Kommanditgesellschaft auf Aktien (§ 408 i.V.m. § 401 Abs. 1 Nr. 2 AktG), der Europäischen
Gesellschaft (§ 53 Abs. 2 SEAG i.V.m. § 401 Abs. 1 Nr. 2 AktG bzw. § 53 Abs. 4
Nr. 2 SEAG), der Genossenschaft (§ 148 Abs. 1 Nr. 2 GenG), der Europäischen
Genossenschaft (§ 36 Abs. 1 SCEAG i.V.m. § 148 Abs. 1 Nr. 2 GenG) sowie unter
bestimmten Umständen bei Personengesellschaften (§ 130b Abs. 1 HGB, § 177a
S. 1 HGB, § 15 Abs. 1 EWIV-AusfG) der Fall. Wenn es nach deutschem Recht
strafbar sein sollte, die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen einer
Ltd. nicht oder nicht rechtzeitig zu beantragen, dann muss eine dieser rechtsformspezifischen Strafvorschriften einschlägig sein.
In der Literatur wird die Strafbarkeit nach § 84 Abs. 1 Nr. 2 GmbHG erörtert. Der
Grund dürfte sein, dass § 84 Abs. 1 Nr. 2 GmbHG die Verletzung der Insolvenzantragspflicht bei einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung unter Strafe stellt und
die englische Ltd. eine (ausländische) Gesellschaft mit beschränkter Haftung ist.4
Dagegen ist bei den anderen rechtsformspezifischen Straftatbeständen zumindest ein
Merkmal – Vorstand einer Aktiengesellschaft, Genossenschaft usw. – offensichtlich
nicht erfüllt. Daher wird im Folgenden ausschließlich die Strafbarkeit nach § 84
Abs. 1 Nr. 2 GmbHG behandelt.
Die Strafbarkeit nach § 84 Abs. 1 Nr. 2 GmbHG setzt voraus, dass sämtliche
Merkmale des gesetzlichen Tatbestands verwirklicht sind. Daher muss zunächst
geklärt werden, welche Tatbestandsmerkmale die Vorschrift aufweist. Fragen wirft
insoweit die Formulierung „entgegen § 64 Abs. 1“ auf. Es könnte sich um ein normatives Tatbestandsmerkmal handeln oder um eine Verweisung, durch die § 64
Abs. 1 GmbHG selbst Teil des gesetzlichen Tatbestands wird. Auf welche dieser
beiden Arten die Vorschriften miteinander verknüpft sind, könnte darüber entscheiden, inwieweit die Verwirklichung des Tatbestands vom Bestehen einer Insolvenzantragspflicht nach § 64 Abs. 1 GmbHG abhängt. Ob eine solche Insolvenzantrags-
16/943, S. 12; Lanzius, S. 245; Mellert/Verfürth, S. 272; Römermann/Mincke, L Rn. 50;
Hirte/Bücker/Mock/Schildt, § 17 Rn. 133; Mock/Westhoff, DZWIR 2004, 23 (27); Mößle,
S. 259; M-G/B/Müller-Gugenberger, § 23 Rn. 113; Niemeyer, S. 168; Reinbach, S. 229;
Römermann/Römermann/Röver, E Rn. 113; Rönnau, ZGR 2005, 832 (839); Schall, ZVI
2007, 236 (239); Schilling, DZWIR 2006, 143 (147); Schlösser, wistra 2006, 81 (84);
MK-InsO/Schmahl, § 15 Rn. 127; J. Schmidt, ZInsO 2006, 737 (739); B/H/Schulze-Osterloh/Servatius, § 84 Rn. 1 a.E.; Sp/W/Spahlinger/Wegen, Rn. 760; Spindler/Berner, RIW
2004, 7 (15); Pelz, Rn. 160; HambK-InsR/Undritz, Art. 4 EuInsVO Rn. 21; Ungan,
ZVerglRWiss 2005, 355 (367); Wachter, GmbHR 2003, 1254 (1257); ders., GmbHR 2004,
98 (101); Achenbach/Ransiek/Wegner, Kap. VII 2 Rn. 82; Weller, IPRax 2003, 207; Weyand,
PStR 2006, 146 (147); Wilms, S. 195; Zimmer, NJW 2003, 3583 (3590). Anders nur
MK-BGB/Kindler, IntGesR, Rn. 717.
4 BGH, NJW 2007, 2328 (2328): „Die Eintragung der Zweigniederlassung einer ausländischen
Gesellschaft mit beschränkter Haftung – zu der auch die Beteiligte als Private Limited
Company englischen Rechts gehört [...]“.
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pflicht bei einer englischen Ltd. besteht ist – wie bereits erwähnt – umstritten. Sollte
die Strafbarkeit nach § 84 Abs. 1 Nr. 2 GmbHG das Bestehen einer Insolvenzantragspflicht nach § 64 Abs. 1 GmbHG voraussetzen, müsste auf diese zivilrechtliche Frage eine Antwort gefunden werden. Daher wird im 1. Abschnitt des 1. Teils
der Arbeit die Bedeutung der Formulierung „entgegen § 64 Abs. 1“ für die Strafbarkeit nach § 84 Abs. 1 Nr. 2 GmbHG bei Insolvenz einer ausländischen Gesellschaft
behandelt. Als ausländische Gesellschaft wird im Folgenden eine Gesellschaft bezeichnet, die nach Maßgabe ausländischen Rechts gegründet worden ist.
Davon ist die Frage zu unterscheiden, ob die Strafbarkeit nach § 84 Abs. 1 Nr. 2
GmbHG ausscheidet, weil der Tatbestand – in der Alt. 1 – den „Geschäftsführer“
bzw. – in der Alt. 2 – den „Liquidator“ einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung
voraussetzt. Würde § 84 Abs. 1 Nr. 2 GmbHG nur den Geschäftsführer bzw. Liquidator einer deutschen Gesellschaft mit beschränkter Haftung erfassen, nicht aber den
einer ausländischen Gesellschaft mit beschränkter Haftung, wie der englischen Ltd.,
so würde der Tatbestand ausscheiden. Deshalb befasst sich der 2. Abschnitt des
1. Teils mit der Auslegung des Tatbestandsmerkmals „Geschäftsführer“.
Zeigt sich, dass weder die Formulierung „entgegen § 64 Abs. 1“ noch das Ergebnis der Auslegung des Tatbestandsmerkmals „Geschäftsführer“ der Strafbarkeit nach
§ 84 Abs. 1 Nr. 2 GmbHG bei Insolvenz einer ausländischen Gesellschaft mit beschränkter Haftung – insbesondere einer englischen Ltd. – entgegenstehen, so ist zu
klären, ob für die Verwirklichung der einzelnen Tatbestandsmerkmale des § 84
Abs. 1 Nr. 2 GmbHG bei einer englischen Ltd. – im Vergleich zu einer deutschen
GmbH – Besonderheiten gelten. Zum einen ist zu erörtern, ab und bis zu welchem
Zeitpunkt eine englische Ltd. überhaupt eine (ausländische) Gesellschaft mit beschränkter Haftung i.S.d. Strafvorschrift ist. Zum anderen stellt sich die Frage, wer
„Geschäftsführer“ einer englischen Ltd. ist. Ferner ist auf die Ermittlung der Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung bei einer englischen Ltd. einzugehen, d.h. auf
die Gründe, welche zum Entstehen der strafbewehrten Insolvenzantragspflicht führen. Erforderlich sind auch Ausführungen zum Erlöschen der Insolvenzantragspflicht, insbesondere dazu, in welchem Staat die Eröffnung des Insolvenzverfahrens
beantragt werden muss, um die Strafbarkeit nach § 84 Abs. 1 Nr. 2 GmbHG auszuschließen. Diese Fragen zur Verwirklichung der einzelnen Tatbestandsmerkmale des
§ 84 Abs. 1 Nr. 2 GmbHG bei Insolvenz einer englischen Ltd. sind Gegenstand des
2. Teils der Arbeit.
Neben der Verwirklichung des Tatbestands setzt die Strafbarkeit nach § 84 Abs. 1
Nr. 2 GmbHG voraus, dass diese Strafvorschrift nach Internationalem Strafrecht
anwendbar ist. Mangels einer besonderen Vorschrift zur Anwendbarkeit des § 84
Abs. 1 Nr. 2 GmbHG sind die §§ 3 ff. StGB heranzuziehen. In Betracht kommt die
Anwendbarkeit nach § 3 StGB und § 7 StGB. Jedenfalls ist zu klären, wo bei einer
Tat nach § 84 Abs. 1 Nr. 2 GmbHG der Ort der Tat i.S.d. § 9 Abs. 1 StGB liegt. Dem
widmet sich der 3. Teil der Arbeit.
Weil es sich bei einer englischen Ltd. um einen Rechtsträger aus dem
EG-Ausland handelt, ist die Erörterung der Vereinbarkeit der gefundenen Ergebnisse
mit dem (höherrangigen) Recht der Europäischen Gemeinschaft unumgänglich. Dies
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betrifft sowohl die Insolvenzantragspflicht aus § 64 Abs. 1 GmbHG als auch die
Strafbarkeit nach § 84 Abs. 1 Nr. 2 GmbHG. Damit beschäftigt sich der 4. Teil der
Arbeit, dem eine Zusammenfassung der Ergebnisse folgt.
Auf die Änderungen im Zusammenhang mit dem bis zum Erscheinen dieses
Werks in Kraft tretenden Gesetz zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur
Bekämpfung von Missbräuchen (MoMiG) wird in einem Nachtrag eingegangen.
Chapter Preview
References
Zusammenfassung
Nach noch herrschender Meinung kann der director einer englischen private company limited by shares (Ltd.) nicht wegen Insolvenzverschleppung nach § 84 Abs. 1 Nr. 2 GmbHG bestraft werden. Dem tritt der Autor entgegen und zeigt, dass mit dieser Strafvorschrift sehr wohl gegen gläubigergefährdendes Verhalten des directors einer Ltd. vorzugehen ist.
Denn die Auslegung des Begriffs „Geschäftsführer“ ergibt, dass dieser die Organe ausländischer Gesellschaften mit beschränkter Haftung einbezieht. Für die Organe solcher Gesellschaften besteht auch eine Insolvenzantragspflicht nach § 64 Abs. 1 GmbHG, weil diese Vorschrift dem Insolvenzrecht zuzuordnen und über Art. 4 Abs. 1 EuInsVO anwendbar ist.
Darauf aufbauend werden die Besonderheiten des § 84 Abs. 1 Nr. 2 GmbHG im Fall der Insolvenz einer Ltd. dargestellt, z.B. die Strafbarkeit nach der dissolution, die Begehung durch einen shadow director, die Aufstellung des Überschuldungsstatus und die Antragstellung im Ausland. Abschließend wird die Vereinbarkeit der Insolvenzantragspflicht und ihrer Strafbewehrung mit dem Recht der EG behandelt. Die gefundenen Ergebnisse sind im Wesentlichen auf § 15a Abs. 4 InsO n.F. übertragbar.