Schriftenreihe zum deutschen, europäischen und
internationalen Wirtschaftsstrafrecht
Herausgegeben von
Prof. Dr. Uwe Hellmann, Universität Potsdam
Prof. Dr. Christian Schröder,
Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg
Band 9
Udo Weiß
Strafbare Insolvenzverschleppung
durch den director einer Ltd.
Nomos
1. Auflage 2009
© Nomos Verlagsgesellschaft, Baden-Baden 2009. Printed in Germany. Alle Rechte,
auch die des Nachdrucks von Auszügen, der photomechanischen Wiedergabe und
der Übersetzung, vorbehalten. Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier.
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in
der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische
Daten sind im Internet über http://www.d-nb.de abrufbar.
Zugl.: Potsdam, Univ., Diss., 2008
ISBN 978-3-8329-4050-8
5
Vorwort
Die vorliegende Arbeit wurde im Wintersemester 2007/2008 unter dem Titel „Die
Strafbarkeit des directors einer englischen private company limited by shares nach
§ 84 Abs. 1 Nr. 2 GmbHG“ bei der Juristischen Fakultät der Universität Potsdam als
Dissertation eingereicht. Tag der Disputation war der 11.06.2008.
Der Arbeit liegt das am 01.07.2008 geltende Recht zugrunde. Bis zu diesem Tag
veröffentlichte Rechtsprechung und Literatur konnte berücksichtigt werden. Auf das
kurz zuvor vom Deutschen Bundestag beschlossene Gesetz zur Modernisierung des
GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen (MoMiG) wird in einem
Nachtrag eingegangen.
Mein Dank gilt Herrn Professor Dr. Uwe Hellmann, der nicht nur die Arbeit betreut
und das Erstgutachten erstellt, sondern durch seine Lehrveranstaltungen erst mein
Interesse am Wirtschaftsstrafrecht geweckt hat.
Zu Dank verpflichtet bin ich auch Herrn Professor Dr. Tilman Bezzenberger für die
zügige Erstellung des Zweitgutachtens.
Berlin, im Oktober 2008 Udo Weiß
7
Inhaltsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis 15
Einleitung 21
Teil 1.
Strafbarkeit nach § 84 Abs. 1 Nr. 2 GmbHG bei ausländischen Gesellschaften
Abschnitt 1.
Bezugnahme auf die Insolvenzantragspflicht aus § 64 Abs. 1 GmbHG
§ 1. Insolvenzantragspflicht als Voraussetzung des § 84 Abs. 1 Nr. 2 GmbHG 25
I. Strafbarkeitseinschränkende Wirkung des § 64 Abs. 1 GmbHG 25
II. Bedeutung der Nichtanwendbarkeit des § 64 Abs. 1 GmbHG 26
III. Anwendbarkeit des § 64 Abs. 1 GmbHG nach Internationalem Recht
als Voraussetzung der Strafbarkeit nach § 84 Abs. 1 Nr. 2 GmbHG 28
1. Bedeutung des Internationalen Rechts für den Straftatbestand 28
2. Bedeutung des Internationalen Rechts für normative
Tatbestandsmerkmale 30
3. Bedeutung des Internationalen Rechts für Blankettstrafvorschriften 32
a) Auffassung der Rechtsprechung 32
aa) BGH, Beschluss vom 26.07.1967 – 4 StR 38/67 32
bb) OLG Karlsruhe, Urteil vom 21.02.1985 – 4 Ss 1/85 33
b) Kritik und eigene Ansicht 35
4. Zwischenergebnis 38
§ 2. Anwendbarkeit des § 64 Abs. 1 GmbHG nach Internationalem Recht 38
I. Maßgebliche Kollisionsnorm 38
1. Grundlegendes zu allseitigen Kollisionsnormen 38
2. Die Kollisionsnorm des deutschen Internationalen
Gesellschaftsrechts 40
a) Die Kollisionsnorm nach der Gründungstheorie 40
b) Anknüpfungsmoment 42
c) Anknüpfungsgegenstand 43
aa) Maßgebliche Rechtsordnung für die Auslegung des
Anknüpfungsgegenstands 43
bb) Abstrakte Bestimmung der gesellschaftsrechtlichen
Sachverhalte 44
8
d) Unanwendbarkeit des § 64 Abs. 1 GmbHG bei
gesellschaftsrechtlicher Qualifikation 46
3. Die Kollisionsnorm des Internationalen Insolvenzrechts 46
a) Art. 4 EuInsVO als maßgebliche Kollisionsnorm 46
b) Anknüpfungsgegenstand des Art. 1 EuInsVO 47
aa) „Insolvenzverfahren und seine Wirkungen“ 47
bb) Auslegung des Anknüpfungsgegenstands 48
cc) Abstrakte Bestimmung der insolvenzrechtlichen Sachverhalte 51
c) Anknüpfungsmoment des Art. 4 Abs. 1 EuInsVO 52
aa) Anknüpfungsmoment nach Verfahrenseröffnung 53
bb) Anknüpfungsmoment vor Verfahrenseröffnung 54
cc) Anknüpfungsmoment vor Antragstellung 55
(1) Enger Wortlaut des Art. 4 Abs. 1 EuInsVO? 55
(2) Weites Verständnis des Anknüpfungsmoments des
Art. 4 Abs. 1 EuInsVO 56
(3) Internationale Zuständigkeit für die Eröffnung des
Hauptinsolvenzverfahrens 58
(a) Internationale Zuständigkeit der Gerichte am COMI 58
(b) Unterschiede zwischen COMI und tatsächlichem
Verwaltungssitz 59
(c) COMI bei Konzernen 60
(d) Änderung des COMI 61
(aa) Stellung des Insolvenzantrags als Grenze für
Zuständigkeitsänderungen 61
(bb) Beibehaltung des COMI bei Sitzverlegung 62
(cc) Beibehaltung des COMI bei Einstellung des
Geschäftsbetriebs 65
d) Anwendbarkeit des § 64 Abs. 1 GmbHG bei insolvenzrechtlicher
Qualifikation 67
4. Kollisionsrechtliche Sonderanknüpfung der Insolvenzantragspflicht 67
II. Qualifikation der Insolvenzantragspflicht des GmbH-Geschäftsführers 67
1. Überblick über den Meinungsstand 67
2. Vorgehensweise bei der Qualifikation der Insolvenzantragspflicht 69
3. Qualifikation der Insolvenzantragspflicht nach deutschem Recht 71
a) Sachrechtliche Einordnung der Insolvenzantragspflicht 71
aa) Bedeutung der Einordnung für die Qualifikation 71
bb) Entstehungsgeschichte der Insolvenzantragspflichten in
Deutschland 71
b) Zweck der Insolvenzantragspflicht des GmbH-Geschäftsführers 77
aa) Erhaltung des Gesellschaftsvermögens für die Gläubiger 77
bb) Schutz des Geschäftsverkehrs 78
cc) Schutz der Gesellschaft und der Gesellschafter 82
dd) Herbeiführung der Auflösung bzw. Beendigung der
Gesellschaft 83
9
ee) Ausgleich für die auf das Gesellschaftsvermögen
beschränkte Haftung 84
ff) Zwang zur Eigenkapitalausstattung bei Überschuldung 87
gg) Wahrung des Gesamtsystems gläubigerschützender
Vorschriften 88
c) Zwischenergebnis 89
4. Qualifikation der Insolvenzantragspflicht nach dem Recht der EG 89
5. Qualifikation der Insolvenzantragspflicht nach den Rechten der
Mitgliedstaaten der EG 90
a) Einzubeziehende Rechtsordnungen 90
aa) Belgien 90
bb) Bulgarien 91
cc) Estland 92
dd) Finnland 93
ee) Frankreich 93
ff) Griechenland 95
gg) Irland 96
hh) Italien 97
ii) Lettland 98
jj) Litauen 98
kk) Luxemburg 99
ll) Malta 100
mm) Niederlande 100
nn) Österreich 100
oo) Polen 103
pp) Portugal 104
qq) Rumänien 105
rr) Schweden 105
ss) Slowakei 105
tt) Slowenien 106
uu) Spanien 107
vv) Tschechien 108
ww) Ungarn 109
xx) Vereinigtes Königreich 110
(1) Verfahrensarten und Verfahrenseröffnung 110
(2) Insolvenzbezogene Pflichten des kodifizierten Rechts 112
(3) Insolvenzbezogene Pflichten des nichtkodifizierten
Rechts 114
yy) Zypern 116
b) Zusammenfassung und Schlussfolgerungen 117
6. Zwischenergebnis 119
10
Abschnitt 2.
„Geschäftsführer“ als Täter des § 84 Abs. 1 Nr. 2 GmbHG
§ 3. Begriff des „Geschäftsführers“ bei ausländischen Gesellschaften 120
I. Auslegung von Vorschriften bei Auslandssachverhalten 120
II. Grammatische Auslegung 121
1. Sprachliche Übereinstimmung 121
2. Wortsinn 122
III. Subjektiv-historische Auslegung 123
1. Vorschriften für ausländische Gesellschaften im GmbHG 124
2. Strafvorschriften des Aktienrechts 125
a) Anlehnung der Strafvorschriften des GmbHG an die des
Aktienrechts 125
b) Strafbarkeit der Organe ausländischer Aktiengesellschaften 126
IV. Objektiv-teleologische Auslegung 128
1. Schutz der Gläubiger und des Geschäftsverkehrs 128
2. Schutz der Gesellschaft und der Gesellschafter 129
V. Systematische Auslegung 130
1. Strafvorschriften anderer Gesetze 130
a) § 15 EWIVAG 131
b) § 53 SEAG 132
c) § 36 Abs. 1 SCEAG 134
d) Folgen für die Auslegung des § 84 Abs. 1 Nr. 2 GmbHG 134
2. Vorschriften des GmbHG 134
a) GmbHG als der deutschen GmbH vorbehaltenes Recht? 135
aa) § 35a Abs. 4 GmbHG 135
(1) GmbH ausländischen Rechts 136
(2) Sitz 137
(3) Zweigniederlassung 138
bb) § 79 Abs. 1 GmbHG 139
cc) Folgen für die Auslegung des § 84 Abs. 1 Nr. 2 GmbHG 140
b) Geltung der Vorschriften des GmbHG für ausländische
Gesellschaften unter Vorbehalt ausdrücklicher Anordnung? 140
c) Geltung des GmbHG grundsätzlich auch für ausländische
Gesellschaften 142
3. Innere Systematik 143
VI. Ergebnis zur Auslegung des Tatbestandsmerkmals „Geschäftsführer“ 144
Teil 2.
Tatbestandsmerkmale des § 84 Abs. 1 Nr. 2 GmbHG bei Insolvenz einer
englischen Ltd. mit COMI in Deutschland
§ 4. Englische Ltd. als Gesellschaft mit beschränkter Haftung 145
11
I. Gesellschaft i.S.d. GmbHG 145
II. Versagung der Anerkennung bei Scheinauslandsgesellschaften 146
III. Zeitliche Grenzen der Rechtspersönlichkeit einer Ltd. 146
1. Beginn der Rechtspersönlichkeit 147
a) Incorporation 147
b) Vorgesellschaft 147
2. Ende der Rechtspersönlichkeit 147
a) Dissolution 147
aa) Dissolution nach Insolvency Act 1986 148
bb) Dissolution nach Companies Act 1985 149
b) Sitzverlegung 150
c) Verlust der Rechtspersönlichkeit nach Abweisung mangels
Masse 150
d) Fortbestehen und Wiederaufleben der Ltd. nach dissolution 152
aa) Wiederaufleben der Ltd. nach englischem Recht 152
bb) Fortbestehen der Ltd. nach deutschem Recht 154
§ 5. Director als Täter des § 84 Abs. 1 Nr. 2 GmbHG 157
I. Geschäftsführerbegriff des GmbHG 157
II. Director als Geschäftsführer einer englischen Ltd. 158
1. Stellung des directors einer Ltd. 158
2. Bestellung und Abberufung 159
III. Geschäftsführereigenschaft bestimmter Formen von directors 160
1. Corporate director als Geschäftsführer 160
2. De facto und shadow director als Geschäftsführer 161
3. Managing, executive und non-executive director als
Geschäftsführer 163
4. Board of directors als vertretungsberechtigtes Organ 164
IV. Vertretungsberechtigtes Organ der Ltd. in besonderen Stadien 166
1. Vertretungsberechtigtes Organ nach dissolution 166
2. Vertretungsberechtigtes Organ während eines voluntary winding up 167
§ 6. Entstehen der Insolvenzantragspflicht des directors 168
I. Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung als Auslöser der
Insolvenzantragspflicht 168
II. Bedeutung des englischen Bilanzrechts für die Zahlungsunfähigkeit
und Überschuldung 168
III. Behandlung gesellschaftsrechtlicher Ansprüche 169
IV. Behandlung insolvenzrechtlicher Ansprüche 169
V. Auswirkungen der Eröffnung eines Partikularinsolvenzverfahrens 171
§ 7. Erlöschen der Insolvenzantragspflicht des directors 173
I. Verfahrensarten nach der EuInsVO 173
12
1. Hauptinsolvenzverfahren 173
2. Sekundärinsolvenzverfahren 174
3. Partikularinsolvenzverfahren 174
II. Erlöschen der Antragspflicht durch Antragstellung 175
III. Erlöschen der Antragspflicht durch Verfahrenseröffnung 177
1. Eröffnung des Hauptinsolvenzverfahrens entgegen Art. 3 Abs. 1
EuInsVO 177
2. Eröffnung eines Partikularinsolvenzverfahren entgegen Art. 3
Abs. 4 EuInsVO 178
IV. Wiederaufleben der Antragspflicht 179
§ 8. Strafbarkeit des directors bei fahrlässiger Verletzung der
Insolvenzantragspflicht 180
Teil 3.
Anwendbarkeit des § 84 Abs. 1 Nr. 2 GmbHG nach Internationalem
Strafrecht
§ 9. Anwendbarkeit des § 84 Abs. 1 Nr. 2 GmbHG auf Inlandstaten 183
I. Ort der gebotenen Handlung 183
II. Ort des Erfolgseintritts 184
§ 10. Anwendbarkeit des § 84 Abs. 1 Nr. 2 GmbHG auf Auslandstaten 186
Teil 4.
Gemeinschaftsrechtskonformität der Bestrafung des directors einer
englischen Ltd. mit COMI in Deutschland nach § 84 Abs. 1 Nr. 2 GmbHG
§ 11. Gemeinschaftsrechtskonformität der Insolvenzantragspflicht 188
I. Gegenstand der Niederlassungsfreiheit 188
II. Beschränkung der Niederlassungsfreiheit 191
III. Rechtfertigung der Beschränkung der Niederlassungsfreiheit 192
1. Rechtfertigungsbedürftigkeit insolvenzrechtlicher Beschränkungen 192
2. Fehlen einer diskriminierenden Wirkung 193
3. Zwingende Gründe des Allgemeininteresses 194
4. Geeignetheit 194
5. Erforderlichkeit 196
a) Mildere, gleich geeignete Maßnahmen 197
aa) Erforderlichkeit des Gläubigerschutzes bei Insolvenz 197
(1) Überschuldung 197
(2) Zahlungsunfähigkeit 198
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bb) Unzureichende Schutzwirkung des englischen Rechts 199
(1) Englisches Insolvenzrecht 200
(2) Englisches Gesellschaftsrecht 202
cc) Erforderlichkeit der gläubigerschützenden Wirkungen des
Insolvenzverfahrens 203
(1) Erhaltung des Gesellschaftsvermögens 203
(2) Information des Geschäftsverkehrs 203
(a) Selbstschutz des Geschäftsverkehrs 204
(b) Information durch die Ltd. 205
dd) Erforderlichkeit der Antragspflicht trotz Erleichterung von
Gläubigeranträgen 206
b) Verhältnismäßigkeit der Insolvenzantragspflicht 207
IV. Zwischenergebnis 209
§ 12. Gemeinschaftsrechtskonformität der Strafbewehrung 209
I. Tatbestand 210
II. Rechtsfolge 210
Zusammenfassung 212
Nachtrag 215
I. Insolvenzantragspflicht gemäß § 15a Abs. 1 InsO n.F. 215
II. Insolvenzantragspflicht des directors einer englischen Ltd. 216
III. Insolvenzantragspflicht bei Führungslosigkeit 216
IV. Strafbare Insolvenzverschleppung gemäß § 15a Abs. 4 InsO n.F. 217
Literaturverzeichnis 219
Chapter Preview
References
Zusammenfassung
Nach noch herrschender Meinung kann der director einer englischen private company limited by shares (Ltd.) nicht wegen Insolvenzverschleppung nach § 84 Abs. 1 Nr. 2 GmbHG bestraft werden. Dem tritt der Autor entgegen und zeigt, dass mit dieser Strafvorschrift sehr wohl gegen gläubigergefährdendes Verhalten des directors einer Ltd. vorzugehen ist.
Denn die Auslegung des Begriffs „Geschäftsführer“ ergibt, dass dieser die Organe ausländischer Gesellschaften mit beschränkter Haftung einbezieht. Für die Organe solcher Gesellschaften besteht auch eine Insolvenzantragspflicht nach § 64 Abs. 1 GmbHG, weil diese Vorschrift dem Insolvenzrecht zuzuordnen und über Art. 4 Abs. 1 EuInsVO anwendbar ist.
Darauf aufbauend werden die Besonderheiten des § 84 Abs. 1 Nr. 2 GmbHG im Fall der Insolvenz einer Ltd. dargestellt, z.B. die Strafbarkeit nach der dissolution, die Begehung durch einen shadow director, die Aufstellung des Überschuldungsstatus und die Antragstellung im Ausland. Abschließend wird die Vereinbarkeit der Insolvenzantragspflicht und ihrer Strafbewehrung mit dem Recht der EG behandelt. Die gefundenen Ergebnisse sind im Wesentlichen auf § 15a Abs. 4 InsO n.F. übertragbar.