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II. Folge einer Verwirkung gegenüber dem Verursacher für den Gesamtrechtsnachfolger
Wurde gerade dargestellt, dass die Eingriffsbefugnisse der Bodenschutzbehörde in
Ausnahmefällen verwirkt sein können, so ist als Nächstes zu fragen, ob es dem Gesamtrechtsnachfolger zugute kommt, wenn gegenüber seinem Rechtsvorgänger
Verwirkung eingetreten ist. Grundsätzlich wirkt ein die Verwirkung begründendes
Verhalten nicht gegenüber allen Sanierungsverantwortlichen, sondern nur gegenüber
der Person, der gegenüber das Umstandsmoment gesetzt wurde749. Es könnte zweifelhaft sein, ob ein Verhalten der Bodenschutzbehörde, das als Umstandsmoment zu
werten ist, einen Vermögenswert darstellt, der mit der Gesamtrechtsnachfolge auf
den Rechtsnachfolger übergeht. Zu dieser Frage würde man allerdings erst kommen,
wenn nicht die Auslegung des Bundes-Bodenschutzgesetzes ergeben würde, dass
der Gesamtrechtsnachfolger nicht mehr zur Sanierung verpflichtet ist, wenn gegen-
über seinem Rechtsvorgänger Verwirkung eingetreten ist. Die Einfügung des Gesamtrechtsnachfolgers in den Katalog der Sanierungspflichtigen von § 4 Abs. 3 S. 1
BBodSchG bezweckt ausweislich der Gesetzesmaterialien eine Stärkung des Verursacherprinzips750. Der Verursacher einer Altlast soll sich seiner Verantwortlichkeit
für die Sanierung der von ihm geschaffenen Altlast oder schädlichen Bodenveränderung nicht durch die Herbeiführung einer Gesamtrechtsnachfolge entziehen können.
Ist gegenüber dem Verursacher Verwirkung eingetreten, existiert keine Verantwortlichkeit mehr, der er sich durch eine Gesamtrechtsnachfolge entziehen könnte. Hieraus folgt, dass eine gegenüber dem Rechtsvorgänger eingetretene Verwirkung auch
gegenüber dem Rechtsnachfolger gilt751. Ansonsten würde man zu dem unstimmigen Ergebnis kommen, dass der Gesamtrechtsnachfolger auch ohne das Hinzutreten
sonstiger Umstände weitgehender für die Sanierung einer Altlast haftet als deren
Verursacher selbst752.
D) Haftungsausschluss wegen Vernachlässigung staatlicher Überwachungspflichten
Ein Schlagwort, das in diesem Zusammenhang immer wieder angesprochen wird, ist
der Haftungsausschluss wegen der Vernachlässigung staatlicher Überwachungspflichten. Angeknüpft wurde hierbei an einen Aufsatz von Kloepfer aus der Zeit vor
dem Bundes-Bodenschutzgesetz, der im Jahr 1987 veröffentlicht wurde. Kloepfer
diskutierte damals, ob ein behördliches Mitverschulden bei der Überwachung einer
Deponie die Verantwortlichkeit des Deponiebetreibers einschränke753. Überzeugend
749 Mutius/Nolte, DÖV 2000, 1 (5).
750 BT-Drs. 13/6701, S. 51.
751 Schwartmann/Vogelheim, ZEV 2001, 101 (104).
752 Ewers, S. 224 f.
753 Kloepfer, NuR 1987, 7 (12).
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legte er – im Einklang mit der zum Staatshaftungsrecht bestehenden Rechtsprechung754 – dar, dass staatliche Überwachungspflichten im öffentlichen Interesse
bestünden, aber nicht das Haftungsrisiko des Anlagenbetreibers verringern sollten.
Mängel bei der staatlichen Überwachung seien nur im Rahmen der Prüfung der
Zumutbarkeit des polizeilichen Einschreitens zu berücksichtigen. Auch wenn vereinzelte Äußerungen in der Literatur755 in eine andere Richtung deuten, hat Kloepfer
nicht die Entwicklung eines neuen Rechtsinstituts vorgeschlagen. Er stellte nur fest,
dass im Falle behördlichen Einschreitens dessen Zumutbarkeit zu prüfen sei, wobei
unter Umständen das staatliche Verhalten, das der angeordneten Maßnahme zu
Grunde liege, zu berücksichtigen sei. Die Vornahme einer umfassenden Interessenabwägung im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung ist aber nichts Neues. Die
übrige Literatur756 beschränkt sich daher auch darauf, das Problem der behördlichen
Überwachungspflichten anzusprechen und eine Eingrenzung mit dem Hinweis zu
verneinen, dass diese nur im öffentlichen, nicht aber im Interesse des Sanierungspflichtigen bestünden. Ernsthaft vertreten wird von niemandem im Schrifttum, dass
die Verletzung staatlicher Überwachungspflichten von vornherein die Inanspruchnahme des Sanierungsverantwortlichen hindere. So sieht es auch der Verwaltungsgerichtshof Mannheim, der mehrfach ausführte, dass es dem Sanierungsverantwortlichen nicht zugute komme, wenn die zuständige Behörde eine ordnungswidrige
Ablagerung von Abfällen nicht bemerke757, da Vorschriften, die Überwachungspflichten anordneten, nur dem Schutz der Allgemeinheit dienten und nicht die Sanierungsverantwortlichkeit begrenzen sollten758.
Auch nach dem Inkrafttreten des Bundes-Bodenschutzgesetzes ergeben sich keine
neuen Gesichtspunkte. Zwar wurde § 40 Abs. 1 S. 2 Krw/AbfG, der die Überwachung stillgelegter Deponien vorsah, durch Art. 2 Nr. 2 des Gesetzes zum Schutz
des Bodens gestrichen759. Nunmehr sieht aber § 15 Abs. 1 S. 1 BBodSchG die behördliche Überwachung von Altlasten und altlastenverdächtigen Flächen vor760.
Unter Berücksichtigung des in § 1 BBodSchG genannten Zwecks der Norm, der
alleine auf den Schutz der Bodenfunktion abstellt, kann hieraus keine behördliche
Pflicht zu Gunsten eines Sanierungspflichtigen abgeleitet werden. Es bleibt daher
festzuhalten, dass Mängel, die einer Behörde bei der Überwachung einer Altlast
oder deren Entstehung unterlaufen, nicht zu einem Ausschluss der Sanierungsverantwortlichkeit führen.
754 BGH, NJW 1965, 200.
755 Frenz, § 4 Abs. 3 Rn. 187, dort Fn. 476.
756 Hilger in Holzwarth/Radtke/Hilger/Bachmann, § 10 Rn. 25; Kunig in Kunig/
Schwermer/Versteyl, Anh. §§ 10, 10a Rn. 37.
757 VGH Mannheim, UPR 1999, 113 (114) = VBlBW 1998, 467. Sanierungspflichtig war allerdings nicht der Gesamtrechtsnachfolger des Verursachers, sondern der Eigentümer des kontaminierten Grundstücks. Siehe auch VGH Mannheim, ZUR 2002, 227 (229) mwN.
758 VGH Mannheim, ZUR 2002, 227 (229).
759 Bickel, BBodSchG, § 2 Rn. 35.
760 Vgl. Sparwasser/Engel/Voßkuhle, § 9 Rn. 174, S. 662.
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E) Behördliche Genehmigung
Zwei weitere Rechtsprobleme, die im Zusammenhang mit den Schlagworten „Verzicht“ und „Verwirkung“ immer wieder angesprochen werden, sind die des Vorliegens einer behördlichen Genehmigung oder einer behördlichen Duldung zum Zeitpunkt der Verursachung einer Altlast. Zunächst soll ein kurzer Überblick761 über die
Problematik gegeben werden, die durch eine behördliche Genehmigung im Bodenschutzrecht entsteht.
Die Auswirkungen der Existenz einer behördlichen Genehmigung auf die Verantwortlichkeit im Ordnungsrecht wurden schon vor dem Inkrafttreten des Bundes-
Bodenschutzgesetzes erörtert762. Diskutiert wurde, ob die Genehmigung eines Verhaltens durch eine Behörde zum Ausschluss der polizei- und ordnungsrechtlichen
Verantwortlichkeit für die durch dieses Verhalten hervorgerufenen Folgen führen
könne763. Maßgeblich geprägt wurde die Rechtsentwicklung durch zwei Gerichtsentscheidungen: eine des Preußischen Oberverwaltungsgerichts von 1927764 und eine
des Bundesverwaltungsgerichts aus dem Jahre 1977765. Das Preußische Oberverwaltungsgericht entschied, dass eine Firma, die Abwässer in einen Bach eingeleitet
hatte, nicht aufgrund der polizeilichen Generalklausel zur Reinigung des Baches
verpflichtet werden dürfe, wenn die Einleitung der Abwässer vorher in der Genehmigungsurkunde ausdrücklich gebilligt worden sei. Überschreite der Inhaber einer
Genehmigung nicht die vorgesehene Grenze, dürfe nicht unter Hinweis auf das allgemeine Polizeirecht gegen den Genehmigungsinhaber eingeschritten werden. Dies
sei anerkanntes Recht766. 50 Jahre später führte das Bundesverwaltungsgericht767 den
Ausdruck „Legalisierungswirkung von Genehmigungen“ in die Diskussion ein768.
Hierunter verstand es, dass in der Regel769 gegen eine immissionsschutzrechtlich
genehmigte Anlage nicht aufgrund der ordnungsbehördlichen Generalklausel vorgegangen werden dürfe. Denn die Erteilung einer Genehmigung sei praktisch sinnlos,
wenn der genehmigte Zustand später trotzdem als Störung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung angesehen und zum Anlass für behördliches Handeln genommen
werde770.
761 Umfassendere Untersuchungen haben vorgenommen: Hilger, Legalisierungswirkung; Roesler, Legalisierungswirkung; Schrader, Altlastensanierung, S. 139 ff.
762 Trurnit, VBlBW 2000, 261 (262) mwN; Kloepfer, NuR 1987, 7 (13), dort Fn. 64.
763 Schoeneck in Sanden/Schoeneck, § 10 Rn. 10.
764 PrOVGE 82, 351 (356 f.).
765 BVerwGE 55, 118 (121 f.).
766 PrOVGE 82, 351 (356 f.).
767 BVerwGE 55, 118 (121 f.).
768 Peine, JZ 1990, 201.
769 Das Bundesverwaltungsgericht legte sich nicht fest, welche Ausnahmen von diesem Grundsatz bestehen. Siehe BVerwGE 55, 118 (120).
770 BVerwGE 55, 118 (120 f.).
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References
Zusammenfassung
Nach dem Bundes-Bodenschutzgesetz droht dem Gesamtrechtsnachfolger des Verursachers einer Altlast eine Ewigkeitshaftung mit ruinösen finanziellen Folgen. Das Werk untersucht umfassend, inwiefern sich rechtliche Grenzen für die Inanspruchnahme des Gesamtrechtsnachfolgers aus Verfassungs-, Europa- und einfachem Recht ergeben. Die Anwendbarkeit von Haftungsbeschränkungen für Erben und für Gesamtrechtsnachfolger im Gesellschaftsrecht wird ebenso behandelt wie Haftungsbegrenzungen aus allgemeinen Rechtsinstituten, insbesondere Verjährung, Verzicht und Verwirkung sowie bei unzureichender staatlicher Überwachung oder im Fall der Insolvenz. Darüber hinaus bietet der Autor eine rechtspolitische Bewertung der dargestellten Rechtsprobleme und konkrete Vorschläge, wie diese durch den Gesetzgeber gelöst werden können.