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der angesichts der eröffneten Ausnahme in § 14 Abs. 2 Nr. 7 BRAO grundsätzlich
verhältnismäßig ist. Die mangelnde Anwendung des § 14 Abs. 2 Nr. 7 S. 1,
2. Halbsatz BRAO lässt an der grundrechtlich gebotenen Beachtung des Verhältnismäßigkeitsprinzips in der Praxis zweifeln.
Der Erhalt der Zulassung des Rechtsanwalts kann mit verschiedenen Maßnahmen
angestrebt werden. Die Aufstellung eines Insolvenzplans ist geeignet, die Gefährdung
der Interessen Rechtsuchender zu beseitigen. Alleine die Aufstellung des Plans muss
genügen, da ansonsten die Entstehung eines Teufelskreises droht. Es besteht nämlich
die Gefahr, den Erhalt der Zulassung als Bedingung für den Insolvenzplan zu machen
und umgekehrt die Aufstellung eines Insolvenzplans als Voraussetzung für den Erhalt
der Zulassung. Die Eingehung eines Anstellungsverhältnisses wäre die Alternative,
wobei die vom BGH aufgestellten engen Voraussetzungen erfüllt sein müssten.
Maßgeblicher Zeitpunkt für die Bewertung der Rechtmäßigkeit des Widerrufs ist
der Zeitpunkt der Entscheidung im Widerrufsverfahren, gegebenenfalls auf der
Grundlage einer letzten mündlichen Verhandlung (in einer Tatsacheninstanz).
Während des Insolvenzverfahrens kann der Rechtsanwalt ein Anstellungsverhältnis eingehen, um erneut zugelassen zu werden. Nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens kann der Rechtsanwalt in jedem Fall Antrag auf erneute Zulassung stellen.
§ 13 Verhältnis des Insolvenzverwalters zum Kanzleiabwickler
A. Befugnisse
I. Stellung nach dem Gesetz
1. Aufgaben des Kanzleiabwicklers
a.) Voraussetzungen und Wirkung der Bestellung
Ein Kanzleiabwickler kann gemäß § 55 Abs. 5 BRAO für die Kanzlei eines früheren
Rechtsanwalts bestellt werden, dessen Zulassung zur Rechtsanwaltschaft erloschen,
zurückgenommen oder widerrufen wurde. Ist die Zulassung des insolventen Rechtsanwalts also vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens oder während des laufenden
Insolvenzverfahrens widerrufen worden, so kann ein Kanzleiabwickler mit der Abwicklung der schwebenden Angelegenheiten (§ 55 Abs. 2 BRAO) betraut werden.
Gleiches gilt, wenn der Rechtsanwalt seine Kanzlei aufgegeben und seine Zulassung
zurückgegeben hat.
Die Wirkung der Bestellung zum Abwickler besteht in der Begründung einer öffentlich-rechtlichen Pflicht985 für den Abwickler, die Kanzlei des früheren Rechtsan-
985 Feuerich/Weyland-Feuerich, BRAO, § 55 Rn. 3.
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walts ordnungsgemäß abzuwickeln.986 Der Kanzleiabwickler hat also die rechtlichen
Interessen der Mandanten des ehemaligen Rechtsanwalts wahrzunehmen.987 Das Institut der Kanzleiabwicklung schützt damit in erster Linie die Interessen der Rechtssuchenden und die Sicherheit des Rechtsverkehrs.988 Mit seiner Bestellung tritt der
Kanzleiabwickler hinsichtlich der anwaltlichen Rechte und Pflichten, die der ehemalige Kanzleiinhaber aus eigenem Recht oder als Vertreter hatte989, an dessen Stelle,
§ 55 Abs. 2 S. 3 BRAO. Er ist aber nicht Vertreter des Rechtsanwalts, dessen Kanzlei
er abwickelt.990
b.) Abwicklung der schwebenden Angelegenheiten als Hauptaufgabe
Die Hauptaufgabe des Kanzleiabwicklers ist es, die schwebenden Angelegenheiten
der Praxis abzuwickeln, § 55 Abs. 2 BRAO.
Er hat also die laufenden Mandate weiterzubearbeiten und abzuschließen. Er kann
gemäß § 55 Abs. 2 S. 2 BRAO innerhalb der ersten sechs Monate (seine Tätigkeit ist
in der Regel auf ein Jahr begrenzt, § 55 Abs. 1 S. 4 BRAO) auch neue Mandate annehmen. Um seine Aufgaben wahrnehmen zu können, ist der Kanzleiabwickler berechtigt, die Kanzleiräume zu betreten, die zur Kanzlei gehörenden Gegenstände in
Besitz zu nehmen, herauszuverlangen und hierüber zu verfügen, §§ 55 Abs. 3 S. 1, 53
Abs. 10 S. 1 BRAO. Er ist berechtigt, die Honorarforderungen einzuziehen.
2. Aufgabe des Insolvenzverwalters
Der Insolvenzverwalter hat die Aufgabe, das Vermögen des Insolvenzschuldners zu
verwerten, um eine bestmögliche Befriedigung der Gläubiger zu erzielen. Mit der Er-
öffnung des Insolvenzverfahrens geht das Recht des Kanzleiinhabers, sein Vermögen
zu verwalten und über es zu verfügen, auf den Insolvenzverwalter über, § 80 Abs. 1
InsO. Gemäß § 148 Abs. 1 InsO ist der Insolvenzverwalter berechtigt, das gesamte
zur Insolvenzmasse gehörende Vermögen sofort in Besitz und Verwaltung zu nehmen.
Die Befugnisse des Insolvenzverwalters sind mithin auf das Vermögen des ehemaligen Rechtsanwalts beschränkt.
986 Kleine-Cosack, BRAO, § 55 Rn. 3.
987 Kleine-Cosack, BRAO, § 55 Rn. 1.
988 Feuerich/Weyland-Feuerich, BRAO, § 55 Rn. 2; Franke/Böhme, AnwBl 2004, 339.
989 BGH NJW 1981, 1740, 1741; Feuerich/Weyland-Feuerich, BRAO, § 55 Rn. 17; Simonsen/
Leverenz, BRAK-Mitt. 1995, 224, 225.
990 BGH NJW 1966, 1362.
268
3. Stellung der Amtsträger zueinander
a.) Grundsatz
Das Verhältnis von Kanzleiabwickler und Insolvenzverwalter zueinander wird bestimmt von den entsprechenden gesetzlichen Regelungen. Die Aufgabe des Kanzleiabwicklers, die laufenden Angelegenheiten fortzuführen, endet nicht mit der Insolvenzeröffnung, § 55 Abs. 2 S. 1 und 2 BRAO.991
Der Kanzleiabwickler nimmt gemäß § 55 Abs. 2 S. 3 BRAO die anwaltlichen Befugnisse des Insolvenzschuldners wahr. Er rückt dabei nicht in die Rechtsstellung als
Eigentümer oder Mieter der Praxisräume, Eigentümer der Praxiseinrichtung usw.
ein.992 Der Insolvenzverwalter wird auch nicht Rechtsnachfolger des ehemaligen
Rechtsanwalts.
Durch den Übergang der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis gemäß § 80
Abs. 1 InsO rückt der Insolvenzverwalter jedoch aus wirtschaftlicher Sicht in die
Rechtsstellung des früheren Praxisinhabers ein.993 Beide nehmen damit unterschiedliche Rechte des früheren Rechtsanwalts wahr. Der Insolvenzverwalter hat die Interessen aller Gläubiger zu wahren, während der Kanzleiabwickler im Interesse der
Rechtssicherheit laufende Mandate weiterzubearbeiten und abzuschließen hat.
Weder in der Bundesrechtsanwaltsordnung noch in der Insolvenzordnung findet
sich eine Regelung, die das Verhältnis von Kanzleiabwickler und Insolvenzverwalter
zueinander klarstellt. Beide Amtsträger handeln zudem unabhängig. Der Insolvenzverwalter darf gemäß § 53 Abs. 10 S. 2 und § 3 BRAO dem Kanzleiabwickler keine
Weisungen erteilen und seine Tätigkeit nicht beeinträchtigen. Der Kanzleiabwickler
hat das Berufsgeheimnis auch gegenüber dem Insolvenzverwalter zu wahren.994 Der
Kanzleiabwickler kann wiederum die Vermögensverwaltung des Insolvenzverwalters
nach § 80 Abs. 1 InsO nicht beeinflussen. Der Gesetzgeber hat also keinem Amtsträger einen Vorrang vor dem anderen eingeräumt.995
Deshalb muss bei den Befugnissen der beiden Amtsträger stets beachtet werden, ob
diese miteinander konkurrieren und wie dieses Konkurrenzverhältnis zu bewerten ist.
In der Praxis wird es am sinnvollsten sein, wenn der Insolvenzverwalter und der
Kanzleiabwickler sich absprechen und bei Bedarf gemeinsam nach einer für beide
Seiten tragbaren Lösung suchen.
991 Franke/Böhme, AnwBl 2004, 339.
992 Feuerich/Weyland-Feuerich, BRAO, § 55 Rn. 35.
993 Feuerich/Weyland-Feuerich, BRAO, § 55 Rn. 35; Simonsen/Leverenz, BRAK-Mitt. 1995,
224, 229f.
994 OLG Celle, BRAK-Mitt. 2002, 198, 199; Feuerich/Weyland-Feuerich, BRAO, § 55 Rn. 35 u.
37; Henssler/Prütting-Prütting/Schaich, BRAO, § 55 Rn. 25.
995 So auch OLG Rostock, ZVI 2004, 477, 478; Simonsen/Leverenz, BRAK-Mitt. 1995, 224, 229.
269
b.) Konkurrierende Befugnisse
An dieser Stelle sollen der Vergütungsanspruch und der Aufwendungsersatzanspruch
noch nicht behandelt werden. Diese Ansprüche des Kanzleiabwicklers werden später
gesondert erläutert.996
aa.) Das Betretungs-, Inbesitznahme- und Verfügungsrecht
Zunächst soll auf das Betretungs-, Inbesitznahme- und Verfügungsrecht des Kanzleiabwicklers eingegangen werden. Gemäß §§ 55 Abs. 3 S. 1, 53 Abs. 10 S. 1 BRAO ist
der Kanzleiabwickler berechtigt, die Kanzleiräume zu betreten und die zur Kanzlei
gehörenden Gegenstände einschließlich des der anwaltlichen Verwahrung unterliegenden Treugutes in Besitz zu nehmen, herauszuverlangen und hierüber zu verfügen.
§ 53 Abs. 10 BRAO stellt dem Kanzleiabwickler damit die notwendigen Mittel zur
Verfügung, um die schwebenden Angelegenheiten abzuwickeln. Das Recht des Kanzleiabwicklers ist daher auf die Nutzziehung beschränkt.
Gleichzeitig ist der Insolvenzverwalter berechtigt, das zur Insolvenzmasse gehörende Vermögen zu verwalten und über es zu verfügen. Der Insolvenzverwalter kann
also massezugehörige Gegenstände des ehemaligen Rechtsanwalts veräußern.997 Dabei muss der Insolvenzverwalter allerdings beachten, dass er die Mandantenunterlagen nur mit Einwilligung der Mandanten einsehen oder einem Dritten überlassen
darf.998
Das Betretungs-, Inbesitznahme- und Verfügungsrecht des Kanzleiabwicklers wird
dann beeinträchtigt, wenn ihm die zur Abwicklung der schwebenden Angelegenheiten notwendigen Gegenstände nicht mehr zur Verfügung stehen oder Vertragspartner
des früheren Rechtsanwalts keine Leistungen mehr erbringen (etwa weil der Insolvenzverwalter die entsprechenden Verträge beendet hat).999 Dem Kanzleiabwickler
bleibt dann nichts anderes übrig, als selbst zivilrechtliche Verträge abzuschließen, um
sich die Nutzziehung zu erhalten.1000 Die dabei entstehenden Kosten kann er im Wege
des Aufwendungsersatzes gemäß §§ 55 Abs. 3 S. 1, 53 Abs. 9 S. 2 BRAO i.V.m.
§ 670 BGB vom Insolvenzverwalter beanspruchen.1001
996 Siehe dazu unten, § 13 B., S. 273 ff.
997 a.A. Jaeger-Henckel, InsO, § 35 Rn. 18.
998 Siehe dazu oben, § 11 A., S. 227 ff.
999 So auch Franke/Böhme, AnwBl 2004, 339, 341.
1000 Franke/Böhme, AnwBl 2004, 339, 341.
1001 Feuerich/Weyland-Feuerich, BRAO, § 55 Rn. 36; Simonsen/Leverenz, BRAK-Mitt. 1995,
224, 226; Siehe auch unten, § 13 B., S. 273 ff.
270
bb.) Abgrenzung bestimmter Befugnisse
Ist das Insolvenzverfahren vor der Bestellung des Kanzleiabwicklers eröffnet worden,
so stellt sich das Problem, ob der Kanzleiabwickler auf die Konten, Anderkonten und
Bargelder der Kanzlei zugreifen kann. Dem Kanzleiabwickler stehen gemäß § 55
Abs. 2 S. 3 BRAO nur die anwaltlichen, keine sonstigen Befugnisse zu. Er hat daher
keinen Zugriff auf die vermögensrechtlichen Positionen des ehemaligen Rechtsanwalts. Die Konten, Anderkonten und Bargelder der Kanzlei stehen vielmehr unter der
Verfügungsbefugnis des Insolvenzverwalters. Dabei hat der Insolvenzverwalter bezüglich der für die Mandanten eingezogenen Fremdgelder die Zweckbindung der
Treuhand gegenüber den Mandanten zu beachten.1002
Wird das Insolvenzverfahren nach der Bestellung des Kanzleiabwicklers eröffnet,
ist fraglich, ob der Insolvenzverwalter die Handakten vom Kanzleiabwickler herausverlangen kann bzw. Einsicht nehmen darf. Die Mandantenunterlagen darf der Insolvenzverwalter nur mit Zustimmung der Mandanten einsehen. Deshalb kann er die
Herausgabe vom Kanzleiabwickler nur verlangen, wenn die Mandanten ihre Zustimmung erteilt haben.
cc.) Schlussfolgerungen für die allgemeine Abgrenzung der Befugnisse
Allgemein kann also bei der Abgrenzung der Befugnisse von Kanzleiabwickler und
Insolvenzverwalter danach differenziert werden, wie das Verhältnis vom Rechtsanwalt als Insolvenzschuldner zum Insolvenzverwalter ausgestaltet ist.1003 Schließlich
nimmt der Kanzleiabwickler gemäß § 55 Abs. 2 S. 3 BRAO die anwaltlichen Befugnisse des Rechtsanwalts wahr, während der Insolvenzverwalter gemäß § 80 Abs. 1
InsO die vermögensrechtlichen Befugnisse besitzt. Dem Kanzleiabwickler können
daher in vermögensrechtlicher Hinsicht nicht mehr Befugnisse zustehen als dem
Rechtsanwalt in einer Insolvenz verbleiben. Andererseits kann der Insolvenzverwalter
vom Kanzleiabwickler nicht mehr verlangen als vom Rechtsanwalt, hat also insbesondere das Berufsgeheimnis zu achten.
1002 Siehe auch BGH NZI 2005, 681, 682 f.: Der Kanzleiabwickler hat allerdings die Fremdgelder, die er während der Abwicklung für die Mandanten eingezogen hat, an diese auszukehren.
Kehrt er die Gelder an den Insolvenzverwalter aus, so gilt für diesen die Zweckbindung der
Treuhand; die Mandanten haben ein Aussonderungsrecht gemäß § 47 InsO.
1003 Simonsen/Leverenz, BRAK-Mitt. 1995, 224, 230.
271
II. Insbesondere: Veräußerung der Kanzlei
1. Zulässigkeit der Veräußerung durch den Insolvenzverwalter
Von großer Bedeutung für den Kanzleiabwickler und den Insolvenzverwalter ist die
Frage, ob der Insolvenzverwalter zur Veräußerung der Kanzlei berechtigt ist. Der
Streit darüber, ob die Kanzlei eines Rechtsanwalts in die Insolvenzmasse fällt, ist
weitgehend überholt.1004 Die heute herrschende Meinung folgert aus der - von der
Rechtsprechung anerkannten - Veräußerlichkeit der Praxis die Zugehörigkeit zur Insolvenzmasse und damit auch das Recht des Insolvenzverwalters, die Kanzlei zu ver-
äußern. Grundsätzlich kann der Insolvenzverwalter also die Anwaltskanzlei mit allen
ihren Einrichtungsgegenständen und Praxisunterlagen veräußern.1005 Dabei hat er allerdings die Zustimmung der Mandanten einzuholen, falls er die Handakten und Mandantenunterlagen veräußern will. Der Kanzleiabwickler kann die Veräußerung nicht
verhindern, da er durch seine Bestellung nicht Praxisinhaber geworden ist.1006 Anderer Ansicht nach wird zwar grundsätzlich die Veräußerbarkeit der Kanzlei bejaht1007,
die Veräußerung durch den Insolvenzverwalter im Falle der Abwicklung durch einen
Kanzleiabwickler jedoch abgelehnt1008. Hierfür wird als Begründung nur genannt,
dass die Befugnisse des Insolvenzverwalters durch den Kanzleiabwickler eingeschränkt werden. Wie im Folgenden gezeigt wird, sind die Folgen für den Kanzleiabwickler bei einer Veräußerung jedoch hinnehmbar. Im Hinblick auf das Ziel des Insolvenzverwalters, eine bestmögliche Befriedigung der Gläubiger zu erreichen, muss
eine Veräußerung auch bei gleichzeitiger Bestellung eines Kanzleiabwicklers möglich
sein. Schließlich ist die Kanzlei in der Regel der wertvollste Bestandteil des Vermögens des ehemaligen Rechtsanwalts. Eine gesetzliche Regelung, die eine Veräußerung
durch den Insolvenzverwalter untersagt, besteht nicht. Hätte der Gesetzgeber ein solches Verbot schaffen wollen, so hätte er im Zuge der Insolvenzrechtsreform die Insolvenzordnung bzw. die Bundesrechtsanwaltsordnung ändern können. Eine planwidrige
Regelungslücke für den Fall des Zusammentreffens von Kanzleiabwicklung und Insolvenzverfahren anzunehmen, erscheint nicht folgerichtig. Schließlich kann das Problem mit den vorhandenen gesetzlichen Regelungen gelöst werden. Deshalb ist der
Insolvenzverwalter als befugt anzusehen, die Kanzlei auch bei gleichzeitiger Bestellung eines Kanzleiabwicklers zu veräußern.
1004 Siehe dazu oben, § 4 B., S. 90 ff.
1005 So auch Feuerich/Weyland-Feuerich, BRAO, § 55 Rn. 38; Hennsler/Prütting-Prütting/
Schaich, BRAO, § 55 Rn. 24 u. 27; Franke/Böhme, AnwBl 2004, 339, 341.
1006 So auch Simonsen/Leverenz, BRAK-Mitt. 1995, 224, 230.
1007 Jaeger-Henckel, InsO, § 35 Rn. 14.
1008 Jaeger-Henckel, InsO, § 35 Rn. 18.
272
2. Differenzierung nach Qualifikation des Erwerbers
Dieses Ergebnis ist nicht anders zu bewerten, wenn man die Folgen betrachtet, die
sich für den Kanzleiabwickler bei Veräußerung der Kanzlei durch den Insolvenzverwalter ergeben. Mit der Veräußerung der Kanzlei wird zwar die Grundlage für die Tätigkeit des Kanzleiabwicklers berührt. Die Rechtfertigung hierfür richtet sich aber danach, ob der Erwerber selbst eine Anwaltszulassung besitzt oder nicht. Wenn die
Kanzlei von einem anderen Rechtsanwalt erworben wird, entfällt das Bedürfnis für einen Kanzleiabwickler.1009 Die Abwicklung ist in diesem Fall durch Widerruf der Bestellung (§ 55 Abs. 4 BRAO) zu beenden.1010 Veräußert der Insolvenzverwalter die
Kanzlei allerdings an eine – mangels Anwaltszulassung nach §§ 6-12 BRAO – zur
Fortführung ungeeignete Person, so berührt dies nicht die Rechte und Pflichten des
Kanzleiabwicklers. Nach dem Sinn und Zweck des § 55 BRAO, nämlich des Schutzes
der Interessen der Mandanten und der Sicherheit des Rechtsverkehrs, ist die Kanzleiabwicklung im Verhältnis zum Erwerber genauso fortzuführen wie gegenüber dem
Rechtsanwalt.1011
III. Insbesondere: Einziehung von Honorarforderungen
Zieht der Kanzleiabwickler im Rahmen seiner Tätigkeit Honorarforderungen ein, so
fallen diese Gelder nach § 35 InsO als Neuerwerb vollständig in die Insolvenzmasse,
wenn der Kanzleiabwickler seine Tätigkeit nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens
fortsetzt.1012 Der Anspruch des Insolvenzverwalters auf Herausgabe der eingezogenen
Honorarforderungen wird mit Beendigung der Abwicklungstätigkeit fällig.1013 Der
Kanzleiabwickler ist demzufolge nicht berechtigt, einen Überschuss an den ehemaligen Rechtsanwalt auszukehren, da nunmehr der Insolvenzverwalter das Vermögen
des ehemaligen Rechtsanwalts verwaltet.
1009 Simonsen/Leverenz, BRAK-Mitt. 1995, 224, 230.
1010 Feuerich/Weyland-Feuerich, BRAO, § 55 Rn. 38.
1011 So auch Simonsen/Leverenz, BRAK-Mitt. 1995, 224, 230.
1012 OLG Rostock, ZVI 2004, 477, 478; a.A. war die Vorinstanz: LG Rostock, NJW-RR 2002, 846
ff.
1013 OLG Rostock, ZVI 2004, 477, 479; LG Rostock, NJW-RR 2002, 846, 847 f.; Jaeger-Henckel,
InsO, § 35 Rn. 18.
273
B. Vergütung und Auslagen des Kanzleiabwicklers
I. Rechtsgrundlage
1. Vergütungsanspruch
Der Kanzleiabwickler hat gemäß §§ 55 Abs. 3 S. 1, 53 Abs. 10 S. 4 BRAO gegen den
früheren Rechtsanwalt einen Anspruch auf angemessene Vergütung. Die Höhe der
Vergütung wird im Falle fehlender Einigung von der Rechtsanwaltskammer festgesetzt, §§ 55 Abs. 3 S. 1, 53 Abs. 10 S. 5 BRAO. Ist die Frage der Vergütung geregelt,
ist der Kanzleiabwickler berechtigt, Vorschüsse zu entnehmen.1014
Ist über das Vermögen des früheren Rechtsanwalts das Insolvenzverfahren eröffnet, so ist der Vergütungsanspruch des Kanzleiabwicklers aus der Insolvenzmasse zu
berichtigen. Über die Zahlung eines Vorschusses muss der Kanzleiabwickler in diesem Fall mit dem Insolvenzverwalter verhandeln.
2. Aufwendungsersatzanspruch
Der Kanzleiabwickler hat weiterhin einen Anspruch auf Ersatz seiner Aufwendungen.
Gemäß §§ 55 Abs. 3 S. 1, 53 Abs. 9 S. 2 BRAO i.V.m. § 670 BGB besteht dieser Anspruch für alle Aufwendungen, die aus Sicht des Kanzleiabwicklers für die Abwicklertätigkeit erforderlich waren. Der Kanzleiabwickler kann zum Beispiel Ersatz der
Kosten für den Einsatz eigener Mitarbeiter verlangen.1015 Diese Kosten fallen nicht
unter den Vergütungsanspruch, wie die Systematik des Gesetzes zeigt.1016 Ansonsten
wäre der Verweis in § 53 Abs. 9 S. 2 BRAO auf § 670 BGB überflüssig. Die beiden
Sätze des § 53 BRAO erlangen zudem nur eine eigenständige Bedeutung, wenn die
Vergütung nicht als Oberbegriff zur Aufwendungserstattung verstanden wird.
Weiterhin fallen unter den Aufwendungsersatzanspruch solche Kosten, die dem
Kanzleiabwickler durch den Abschluss neuer Verträge entstanden sind, wenn zuvor
seine Rechte aus §§ 55 Abs. 3 S. 1, 53 Abs. 10 S. 1 BRAO durch den Insolvenzverwalter beeinträchtigt wurden und mit der Eingehung des neuen Vertrages die Folgen
der Rechtsbeeinträchtigung überwunden werden, diese also für die Kanzleiabwicklung erforderlich waren.1017
1014 Simonsen/Leverenz, BRAK-Mitt. 1996, 17.
1015 Simonsen/Leverenz, BRAK-Mitt. 1995, 224, 226.
1016 So auch BGH BRAK-Mitt. 1993, 46, 47; Simonsen/Leverenz, BRAK-Mitt. 1996, 17, 18.
1017 Franke/Böhme, AnwBl 2004, 339, 340; Simonsen/Leverenz, BRAK-Mitt. 1995, 224 226.
Chapter Preview
References
Zusammenfassung
Die Insolvenz des selbstständigen Rechtsanwalts zeichnet sich durch eine Kollision von insolvenz- und berufsrechtlichen Regelungen aus. Zuvorderst ist für den Rechtsanwalt in der Insolvenz der Erhalt seiner Zulassung von Bedeutung. Daneben stellen sich Fragen rund um die Verwertung, Freigabe oder Fortführung der Kanzlei, Sanierungsmöglichkeiten vor und in der Insolvenz, den Unterhalt des Rechtsanwalts im laufenden Insolvenzverfahren sowie den möglichen Schutz und Erhalt seiner Altersvorsorge. In berufsrechtlicher Hinsicht werden in dieser Arbeit neben Fragen rund um die Zulassung, wie Erhalt und Wiedererlangung der Zulassung, die Auswirkungen der Schweigepflicht des Rechtsanwalts im Insolvenzverfahren und das Verhältnis des Insolvenzverwalters zum Kanzleiabwickler untersucht. Dabei werden auch allgemeine Überlegungen zur Insolvenz des Selbstständigen und des Freiberuflers angestellt. Das Buch wendet sich insbesondere an Insolvenzrechtler und Rechtsanwälte.