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Eine Zustimmung des insolventen Rechtsanwalts zur Veräußerung ist nicht erforderlich. Seine Schweigepflicht schützt nur die Mandanten und wird bei erteilter Zustimmung und anschließender Einsichtnahme des Erwerbers in die Handakten nicht
verletzt. Außerdem ist die Kanzlei massezugehörig und unterliegt damit der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis des Insolvenzverwalters.
Die Gläubiger werden in der Gläubigerverammlung oder als Gläubigerausschuss
an der Veräußerung beteiligt.
Der Rechtsanwalt hat in dem gemäß § 97 Abs. 2 InsO vorgesehenen Umfang an
der Abwicklung mitzuwirken.
§ 9 Unterhalt des Insolvenzschuldners
A. Allgemeines
Dem vor und auch dem noch während des Insolvenzverfahrens selbstständig tätigen
Rechtsanwalt müssen Mittel zur Verfügung stehen, um den Unterhalt für sich und
seine Familie bestreiten zu können.
Die Insolvenzordnung trifft in § 100 InsO und in § 278 InsO Regelungen bezüglich
des Unterhalts. Die Regelung des § 278 InsO betrifft nur den Sonderfall des Unterhalts für den Schuldner und seine Familie bei Eigenverwaltung. Deshalb wird sie gesondert behandelt. Gemäß § 100 Abs. 1 InsO beschließt die Gläubigerversammlung
im eröffneten Insolvenzverfahren, ob und in welchem Umfang dem Schuldner und
seiner Familie Unterhalt aus der Insolvenzmasse gewährt werden soll. Betrachtet man
den Wortlaut („ob“) der Vorschrift, so liegt der Schluss nahe, dass der Schuldner einen Rechtsanspruch gegen die Insolvenzmasse auf Gewährung von Unterhalt nicht
hat. Die überwiegende Auffassung in der Literatur legt die Vorschrift deshalb mit
Verweis auf den Wortlaut so aus.679 Sie kann sich dabei auf die Gesetzesmaterialien
stützen. Im Regierungsentwurf zur Insolvenzordnung war ein Anspruch des Schuldners auf den notwendigen Unterhalt vorgesehen680, diesem Vorschlag ist der Rechtsausschuss jedoch nicht gefolgt. Vielmehr ist die Gewährung von Unterhalt nunmehr
ausdrücklich in das Ermessen der Gläubigerversammlung gestellt.
679 Braun-Kroth, § 100 Rn. 3; Breutigam/Blersch/Goetsch-Blersch, § 100 Rn. 3; FK-App, § 100
Rn. 2; HK-Eickmann, § 100 Rn. 1; KP-Lüke, § 100 Rn. 4; Mäusezahl, ZInsO 2000, 193, 195;
Grub, Kölner Schrift II, 671, 685; Vallender, FS-Metzeler, 21, 29.
680 Vgl. BT-Drucks. 12/2443, S. 143; § 114 RegE-InsO, abgedruckt bei Schmidt-Räntsch, Insolvenzordnung mit Einführungsgesetz, S. 790: (1) Dem Schuldner ist aus der Insolvenzmasse
der notwendige Unterhalt zu gewähren, soweit dieser nicht aus sonstigem Vermögen bestritten werden kann. Die gleiche Verpflichtung besteht gegenüber den minderjährigen unverheirateten Kindern des Schuldners, seinem Ehegatten, seinem früheren Ehegatten [...]. Die
Gläubigerversammlung kann eine weitergehende Unterstützung bewilligen. (2) Würde die
Gewährung von Unterhalt dazu führen, daß andere Massegläubiger nicht mehr voll befriedigt werden können, so sind die Unterhaltsleistungen an die Berechtigten zu gleichen Anteilen zu kürzen. [... ].
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Da die Gewährung von Unterhalt nach § 100 InsO im freien Ermessen der Gläubigerversammlung steht, stellt sich die Frage, ob der Schuldner aus einer anderen Vorschrift einen Anspruch auf Unterhalt herleiten kann bzw. sein Unterhalt durch andere
Regelungen gesichert wird.
Gemäß § 36 Abs. 1 S. 2 InsO gelten im Insolvenzverfahren auch viele der Pfändungsschutzvorschriften der ZPO für Arbeitseinkommen. Die Pfändungsschutzvorschriften der §§ 850a ff. ZPO, die ausdrücklich nur für Arbeitseinkommen bestehen,
gelten für Selbstständige allerdings nicht.681 Der selbstständige Rechtsanwalt verdient
mit seiner Tätigkeit jedoch auch seinen Unterhalt. Er kann sich möglicherweise auf
§ 850i ZPO berufen. Dies kann er jedoch nur dann, wenn er während des Insolvenzverfahrens seine selbstständige Tätigkeit fortsetzt.
B. Abgrenzung der Anspruchsgrundlagen
I. Notwendigkeit der Abgrenzung
Ist der Rechtsanwalt während des Insolvenzverfahrens selbstständig tätig, kommen
zwei Anspruchsgrundlagen bzw. Schutznormen für den Unterhalt in Betracht: § 36
Abs. 1 S. 2 InsO i.V.m. § 850i ZPO und § 100 InsO. Der wesentliche Unterschied besteht darin, dass im einen Fall dem Rechtsanwalt der unpfändbare Teil seiner Einkünfte belassen wird, im anderen Fall tatsächlich Unterhalt aus der Insolvenzmasse
geleistet wird. Nach Einstellung der selbstständigen Tätigkeit kann der Rechtsanwalt
nur Unterhalt aus der Insolvenzmasse gemäß § 100 InsO erhalten682, denn pfändbare
Einkünfte sind in diesem Fall nicht vorhanden. Eine pauschale Abgrenzung danach,
ob der Rechtsanwalt Arbeitnehmer (dann § 36 Abs. 1 S. 2 InsO i.V.m. §§ 850 ff.
ZPO) oder Selbstständiger (dann § 100 InsO) ist, kann im Hinblick auf den Verweis
des § 36 Abs. 1 S. 2 InsO auf § 850i ZPO nicht überzeugen.
Für den Fall der fortgeführten selbstständigen Tätigkeit sollen zunächst einmal die
beiden genannten Regelungen voneinander abgegrenzt werden.
II. Die Anwendungsbereiche
1. Anwendungsbereich des § 36 Abs. 1 S. 2 InsO i.V.m. § 850i ZPO
Nach § 850i ZPO ist dem Schuldner bei einer nicht wiederkehrend zahlbaren Vergütung für persönlich geleistete Arbeiten oder Dienste auf Antrag notwendiger Unterhalt
zu belassen. Als Vergleichsmaßstab dient ein Arbeitseinkommen aus laufendem Ar-
681 FK-Schumacher, § 36 Rn. 21.
682 So für den Schuldner allgemein: Smid-Smid, InsO, § 100 Rn. 3; Kohte, Kölner Schrift II, 781,
806.
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References
Zusammenfassung
Die Insolvenz des selbstständigen Rechtsanwalts zeichnet sich durch eine Kollision von insolvenz- und berufsrechtlichen Regelungen aus. Zuvorderst ist für den Rechtsanwalt in der Insolvenz der Erhalt seiner Zulassung von Bedeutung. Daneben stellen sich Fragen rund um die Verwertung, Freigabe oder Fortführung der Kanzlei, Sanierungsmöglichkeiten vor und in der Insolvenz, den Unterhalt des Rechtsanwalts im laufenden Insolvenzverfahren sowie den möglichen Schutz und Erhalt seiner Altersvorsorge. In berufsrechtlicher Hinsicht werden in dieser Arbeit neben Fragen rund um die Zulassung, wie Erhalt und Wiedererlangung der Zulassung, die Auswirkungen der Schweigepflicht des Rechtsanwalts im Insolvenzverfahren und das Verhältnis des Insolvenzverwalters zum Kanzleiabwickler untersucht. Dabei werden auch allgemeine Überlegungen zur Insolvenz des Selbstständigen und des Freiberuflers angestellt. Das Buch wendet sich insbesondere an Insolvenzrechtler und Rechtsanwälte.