114
Die Stilllegung des Betriebs stellt in der Praxis die Regel dar.400 Beschließt die
Gläubigerversammlung die Liquidation, hat der Insolvenzverwalter nach dem Berichtstermin das zur Insolvenzmasse gehörende Schuldnervermögen unverzüglich zu
verwerten (§ 159 InsO).401
Für eine Fortführung des Betriebs einer natürlichen Person ist die Vorlage eines Insolvenzplans nicht erforderlich, da die Regelungen über die Restschuldbefreiung an
die Stelle eines solchen Planes treten können.402
II. Fachliche Unabhängigkeit des Rechtsanwalts
Bei Fortführung einer Freiberuflerpraxis ergibt sich die Frage nach der fachlichen Unabhängigkeit des Freiberuflers. Ein Arzt zum Beispiel darf sich nicht den Weisungen
eines Nichtarztes unterstellen,403 also muss die Fortführung einer Arztpraxis in der Insolvenz derart organisiert werden, dass der Insolvenzverwalter auf die fachlichen Entscheidungen des Arztes keinen Einfluss nehmen kann.404 Dies kann erhebliche finanzielle Folgen für die Masse haben.405
Für den Rechtsanwalt stellt sich die Situation anders dar. § 1 Abs. 1 BORA normiert zwar die freie, selbstbestimmte und unreglementierte Berufsausübung durch
den Rechtsanwalt. Es wird aber als zulässig angesehen, wenn die Berufsausübung
durch den Insolvenzverwalter übernommen wird, sofern dieser über die erforderliche
Qualifikation verfügt.406 Praktisch bedeutsamer dürfte allerdings eine andere Vorgehensweise sein. Insolvenzverwalter und Rechtsanwalt sollten zusammenarbeiten407,
dabei aber die Aufgaben klar aufteilen. Der Insolvenzverwalter kann dem Rechtsanwalt die erforderlichen sachlichen Mittel und das Personal zur Verfügung stellen.
Gleichzeitig hält er sich aus fachlichen Fragen heraus.408 Damit kann die fachliche
Unabhängigkeit des Rechtsanwalts gewährleistet werden.
B. Fortführung durch den Insolvenzverwalter
Eine Fortführung der Kanzlei eines Rechtsanwalts eigenständig durch den Insolvenzverwalter wirft eine Reihe von Fragen auf. Zum einen muss der Insolvenzverwalter
die erforderliche Qualifikation besitzen. Der Insolvenzverwalter rückt nämlich nicht
400 Uhlenbruck-Uhlenbruck, InsO, § 157 Rn. 4.
401 Dazu näher unten, § 8, S. 172 f.
402 Henning, ZInsO 2004, 585, 592.
403 Vgl. § 2 Abs. 4 der Musterberufsordnung für Ärzte (MBO-Ä), 1997.
404 Siehe dazu: Graf/Wunsch, ZIP 2001, 1029, 1034.
405 Vallender, FS-Metzeler, 21, 29.
406 BFH ZIP 1994, 1283, 1285; Graf/Wunsch, ZIP 2001, 1029, 1034; Pape, EWiR 1994, 1003.
407 Graf/Wunsch, ZIP 2001, 1029, 1034 (für den Freiberufler allgemein); Vallender, FS-Metzeler, 21, 27 (für den Arzt).
408 Schick, NJW 1999, 2359, 2361 f.
115
automatisch in die Rechtsstellung des Rechtsanwalts ein.409 Zum anderen ist er auf
die Unterstützung durch den Schuldner angewiesen. Sodann ist zu überlegen, welche
Strategien der Insolvenzverwalter bei einem kooperationsunwilligen Schuldner anwenden kann.
I. Qualifikation
1. Rechtsanwaltszulassung als berufsrechtliche Qualifikation
Die Fortführung einer freiberuflichen Praxis durch den Insolvenzverwalter ist grundsätzlich nur möglich, wenn der Insolvenzverwalter die fachliche Qualifikation besitzt.410 Ohne die entsprechende berufsrechtliche Qualifikation ist der Insolvenzverwalter nicht berechtigt, die Praxis eines Freiberuflers fortzuführen.
2. Zustimmung der Mandanten Voraussetzung für die Fortführung
Aber auch wenn der Insolvenzverwalter Rechtsanwalt ist, so kann er nicht ohne weiteres selbst die Kanzlei als Rechtsanwalt fortführen.411 Da er – anders als der Kanzleiabwickler – mit seiner Bestellung nicht automatisch das Recht erhält, die anwaltlichen
Befugnisse des Rechtsanwalts wahrzunehmen, darf er die Mandate des Rechtsanwalts
nicht ohne Zustimmung der Mandanten fortführen. Wie bereits erläutert,412 kann der
Insolvenzverwalter nach der heutigen Rechtsprechung nur von Name, Anschrift,
Grund und Höhe der Forderung zulässigerweise Kenntnis nehmen. Darüber hinaus
gehende Informationen, die mit der Einsicht in die Mandantenakte verbunden sind,
kann der Insolvenzverwalter nur mit Zustimmung der Mandanten erhalten.413 Der
Bundesfinanzhof hat die Fortführung eines Mandats durch einen Rechtsanwalt, der
Konkursverwalter über das Vermögen eines Rechtsanwalts war, gebilligt.414 Der Insolvenzverwalter hat also die Mandanten zu befragen, ob sie mit einer Übernahme der
Akte durch ihn einverstanden sind. Erteilen die Mandanten ihre Zustimmung, kann
der Insolvenzverwalter das Mandat fortführen. Wird die Fortführung abgelehnt, kann
der Insolvenzverwalter nur die bisherigen Dienste abrechnen, eine weitere Einsichtnahme in die Mandantenunterlagen ist ihm nicht gestattet. Solange es keine gesetzliche Regelung über das Verhältnis des Rechtsanwalts zu seinem Insolvenzverwalter
409 BFH ZInsO 2003, 375 ff.; Schmittmann/Theurich/Brune-Schmittmann, Das insolvenzrechtliche Mandat, § 7 Rn. 3.
410 Uhlenbruck-Uhlenbruck, InsO, § 157 Rn. 10; Sinz/Wegener/Hefermehl, Verbraucherinsolvenz, S. 94; Vallender, FS-Metzeler, 21, 27 (für den Arzt).
411 Siehe dazu: Jaeger-Henckel, InsO, § 35 Rn. 16.
412 Siehe oben, § 4 C. II., S. 98.
413 Gottwald-Klopp/Kluth, § 26 Rn. 12 f.; Kesseler, PartG, S. 125; Kluth, NJW 2002, 186, 188;
Uhlenbruck, FS-Henckel, 877, 886.
414 BFH, ZIP 1994, 1283, 1284.
116
gibt, kann von diesem Ergebnis, das sich aus der Rechtsprechung zur Kanzleiveräußerung ergibt, nicht abgewichen werden.415 Der Insolvenzverwalter ist deshalb in der
Regel auf die Mitwirkung des Freiberuflers angewiesen.416 Es gilt, Qualifikation und
Berufsausübung wieder zusammenzuführen.417 Die Insolvenz eines Rechtsanwalts
kann deshalb nur eingeschränkt als Sonderfall betrachtet werden. Zum Insolvenzverwalter bestellt werden hauptsächlich Rechtsanwälte. Ist dies der Fall, besitzt der Insolvenzverwalter, der über das Vermögen des Rechtsanwalts bestellt wird, zwar die Qualifikation zur Fortführung der Kanzlei. Die Insolvenzgerichte könnten zudem als Insolvenzverwalter über das Vermögen eines Rechtsanwalts stets einen Rechtsanwalt
bestellen. Gemäß § 56 Abs. 1 InsO hat das Insolvenzgericht zum Insolvenzverwalter
eine Person zu bestellen, die für den jeweiligen Einzelfall geeignet, insbesondere geschäftskundig ist. Zwar kann die Auswahlverpflichtung des Insolvenzgerichts nicht
generell so ausgelegt werden, dass der Insolvenzverwalter die Voraussetzungen zur
Ausübung des jeweiligen Gewerbes haben muss. Im Falle eines Rechtsanwalts jedoch
kann die Voraussetzung der Geschäftskundigkeit durch Wahl eines Rechtsanwalts als
Insolvenzverwalter einfach erfüllt werden. Hinzu kommt, dass der Insolvenzverwalter, sofern er Rechtsanwalt ist, selbst die berufsrechtliche Qualifikation mitbringt. Es
kann also gut gewährleistet werden, dass der Insolvenzverwalter die nötigen Kenntnisse besitzt, um die Kanzlei fortführen zu können. Voraussetzung für die Fortführung
ist aber stets die Zustimmung der Mandanten.
3. Zweifel an der Berechtigung zur Fortführung
Die Berechtigung des Insolvenzverwalters zur Fortführung erscheint zweifelhaft,
wenn man bedenkt, dass die Mandanten Insolvenzgläubiger sind. Insofern bedeutet
die Entscheidung des Insolvenzverwalters, ein Mandat fortzuführen, Erfüllungswahl.
Deshalb wird zum Teil eine Berechtigung des Insolvenzverwalters zur Fortführung
abgelehnt.418 Dagegen spricht jedoch, dass die Kanzlei in der Regel den wesentlichen
Vermögenswert des Schuldners darstellt. Eine Verwertung der Kanzlei ist auf Grund
des geringen zu erwartenden Erlöses selten opportun. Zudem wird dem Rechtsanwalt
mit Schließung der Kanzlei regelmäßig seine Lebensgrundlage entzogen. Indem der
Insolvenzverwalter den Rechtsanwalt selbst die Mandate fortführen lässt, kann er diesem die Chance auf eine Fortsetzung seiner beruflichen Tätigkeit nach der Insolvenz
wahren. Gegen eine Betreuung der Mandate durch den Insolvenzverwalter selbst gibt
es bei erteilter Zustimmung der Mandanten keine durchgreifenden Bedenken. Vor
diesem Hintergrund kann das Recht zur Fortführung nicht an der Ausübung der Erfül-
415 So auch Kesseler, PartG, S. 125 f.
416 Uhlenbruck-Uhlenbruck, InsO, § 157 Rn. 10.
417 Uhlenbruck, FS-Henckel, 877, 890.
418 Jager-Henckel, InsO, § 35 Rn. 16; Uhlenbruck, FS-Henckel, 877, 889 (Fn. 48).
117
lungswahl durch den Insolvenzverwalter scheitern. Die Erfüllungswahl kann in diesem Fall als notwendiges Mittel der Fortführung angesehen werden.
4. Praktische Probleme bei der Fortführung durch den Insolvenzverwalter
Die Einholung der Zustimmung der Mandanten ist in der Regel sehr zeitaufwendig.
Außerdem bereitet die Fortführung durch den Insolvenzverwalter auch bei Zustimmung der Mandanten praktische Probleme. Der Insolvenzverwalter ist im Gegensatz
zum insolventen Rechtsanwalt nicht mit den Akten vertraut, es erfordert also einen
sehr hohen zeitlichen Einsatz des Insolvenzverwalters, die Kanzlei selbst fortzuführen. Schon aus diesem Grund sollte erwogen werden, den Rechtsanwalt bei der Fortführung der Kanzlei mitwirken zu lassen. Auf diese Weise behalten die Mandanten
auch den Rechtsanwalt ihres Vertrauens. Schließlich soll eine Fortführung, die auf
Dauer angelegt ist, zu einer Aufrechterhaltung des Mandantenstamms führen und die
Existenzgrundlage des Rechtsanwalts sichern.
II. Fortführung der Altmandate
Der Insolvenzverwalter, der auf Grund seiner vorhandenen berufsrechtlichen Qualifikation die Kanzlei des Rechtsanwalts fortführt, kann die vorhandenen Aufträge mit
Zustimmung der Mandanten weiterführen. Insofern steht ihm das Erfüllungswahlrecht nach § 103 InsO zu. Sind die Aufträge voraussichtlich gewinnbringend für die
Masse erfüllbar, so kann er den Mandanten um Zustimmung bzw. Vollmachterteilung
ersuchen.
III. Unterstützung durch den Schuldner
Eine Fortführung der Kanzlei macht auf Grund der genannten Probleme, die sich bei
einer eigenständigen Fortführung durch den Insolvenzverwalter ergeben, in der Regel
nur Sinn, wenn der Schuldner mitwirkt.419 Der Wert der Kanzlei ergibt sich weitgehend aus dem persönlichen (Vertrauens-)Verhältnis des Rechtsanwalts zu seinen
Mandanten. Im Hinblick auf die Mandantenakten und das Berufsgeheimnis wird die
Fortführung ohne Befragung der Mandanten als zulässig angesehen, wenn sie unter
Mitwirkung des Schuldners erfolgt.420
419 Hess/Röpke, NZI 2003, 233, 234; Schick, NJW 1990, 2359, 2360 ff.
420 Hess/Weis/Wienberg-Hess, § 158 Rn. 12; KP-Onusseit, § 157 Rn. 8; NR-Balthasar, § 158
Rn. 16.
118
1. Pflicht zur Mitwirkung, § 97 Abs. 2 InsO
Der Insolvenzverwalter kann den Schuldner im Rahmen von § 97 Abs. 2 InsO zur aktiven Mitwirkung verpflichten. § 97 Abs. 2 InsO bestimmt, dass der Schuldner den Insolvenzverwalter bei der Erfüllung von dessen Aufgaben zu unterstützen hat. Unterstützung im Sinne der Vorschrift heißt allerdings nur, dass der Schuldner vom Insolvenzverwalter zu einer punktuellen Mitarbeit verpflichtet werden kann. Grundsätzlich
hat der Schuldner den Insolvenzverwalter immer dann zu unterstützen, wo es zur Vermeidung wesentlicher Nachteile für die Masse notwendig wird.421
Die Mitwirkungspflichten des Schuldners gelten über § 22 Abs. 3 S. 3 InsO auch
schon im Eröffnungsverfahren. Der Insolvenzverwalter hat einen durchsetzbaren Anspruch auf derartige Mitwirkung durch den Schuldner.422
Ein Rechtsanwalt kann also im Rahmen des Insolvenzverfahrens zu all jenen
Handlungen verpflichtet werden, die jeden Schuldner treffen. So ist es dem Rechtsanwalt zuzumuten, den Insolvenzverwalter bei der Bereinigung der Ist-Masse zur Soll-
Masse zu unterstützen.423 Er ist auch zur Erteilung von Vollmachten zur Verwertung
von Auslandsvermögen verpflichtet.424 Im Rahmen der Fortführung der Kanzlei kann
der Insolvenzverwalter den Rechtsanwalt zur Mitwirkung bei der Mandantenbefragung bezüglich der Übernahme der Aufträge durch den Insolvenzverwalter verpflichten.
Zur Durchsetzung der Mitwirkungspflicht stehen die in § 98 InsO genannten Mittel
zur Verfügung. Diese reichen von der zwangsweisen Vorführung durch das Gericht
bis hin zur Inhaftierung des Schuldners, § 98 Abs. 2 InsO. Außerdem droht dem
Schuldner die Versagung der Restschuldbefreiung auf Antrag eines Gläubigers nach
§ 290 Abs. 1 Nr. 5 InsO bei Verweigerung der Mitwirkung.425
Neben den von § 97 Abs. 2 InsO erfassten allgemeinen Mitwirkungspflichten gibt
es noch eine Reihe in der Insolvenzordnung aufgezählter spezieller Mitwirkungspflichten, wie etwa die Erörterung von bestrittenen Forderungen im Prüfungstermin
gemäß § 176 S. 2 InsO.
2. Vergütungsanspruch
Diskutiert wird, ob der Rechtsanwalt einen Anspruch auf Vergütung seiner Tätigkeiten hat. Grundsätzlich ist der Schuldner verpflichtet, seine Mitwirkungspflichten ohne
besonderes Entgelt zu erfüllen.426 Teilweise wird ein Anspruch auf Vergütung des-
421 Grub, Kölner Schrift II, 671, 687; Vallender, FS-Metzeler, 21, 28.
422 Grub, Kölner Schrift II, 671, 688.
423 Uhlenbruck-Uhlenbruck, InsO, § 97 Rn. 14.
424 Pape/Uhlenbruck, Insolvenzrecht, S. 183.
425 Vgl. LG Cottbus, ZVI 2002, 218.
426 Uhlenbruck-Uhlenbruck, InsO, § 97 Rn. 16.
119
halb schlicht abgelehnt.427 Anderer Ansicht nach soll der Schuldner aus der Insolvenzmasse eine angemessene Vergütung erhalten, wenn die Mitwirkung zu einer
ständigen Mitarbeit bei der Verfahrensabwicklung wird, die eine berufliche Vollzeittätigkeit nicht mehr zulässt.428 Eine Vergütung ist in einem solchen Fall nur interessengerecht, denn der Rechtsanwalt würde ansonsten seinen Lebensunterhalt anderweitig verdienen und könnte die Belassung eines pfändungsfreien Betrags gemäß
§ 850i ZPO beantragen.429 Die Vergütung ist dann angemessen, wenn sie sich an den
Pfändungsfreigrenzen orientiert.
Die Frage nach einer Vergütung ergibt sich bei einem Rechtsanwalt tatsächlich nur
dann, wenn der Insolvenzverwalter die freiberufliche Praxis eigenständig fortführt. In
der Praxis viel häufiger wird der Fall sein, dass der Rechtsanwalt selbst die Kanzlei
fortführt. In diesem Fall wird der Rechtsanwalt Zahlungen gemäß § 295 Abs. 2 InsO
an die Insolvenzmasse leisten.430
3. Kritik
Die Mitwirkungspflicht des Schuldners wird teilweise heftig kritisiert. Die Mitwirkung durch den Schuldner stehe im Widerspruch zu einem seit mehr als 100 Jahren
umgesetzten System der Haftungsverwirklichung im Konkurs.431 Wurde im Rahmen
der Konkursordnung der Neubeginn des Schuldners außerhalb des Insolvenzverfahrens gefördert, sei der Schuldner nun in das Insolvenzverfahren eingebunden. Die Regelung des § 97 Abs. 2 InsO beinhalte eine subtile Art moderner „Knechtschaft“.432
Die Kritik verkennt die Reichweite des § 97 Abs. 2 InsO. Es wird – wie bereits dargestellt – nahezu einhellig vertreten, der Schuldner müsse seine Arbeitskraft nicht der
Insolvenzmasse zur Verfügung stellen.433 Folgt man dieser Auslegung der Vorschrift,
ergibt sich das oben Gesagte. Der Schuldner kann nur zu einer punktuellen Mitarbeit
verpflichtet werden. Nur auf eine eingeschränkte Mitarbeit des Schuldners hat der Insolvenzverwalter überhaupt einen Anspruch. Von einer „Knechtschaft“ des Schuldners kann demnach nicht gesprochen werden.
427 KP-Lüke, § 97 Rn. 17; Pape/Uhlenbruck, Insolvenzrecht, S. 184.
428 KP-Lüke, § 97 Rn. 17; Uhlenbruck-Uhlenbruck, InsO, § 97 Rn. 16; Uhlenbruck, Die GmbH
& Co. KG, S. 599; Henssler, Kölner Schrift II, 1283, 1301.
429 § 850i ZPO ist über § 36 Abs. 1 S. 2 InsO anwendbar.
430 Zu dieser Problematik siehe unten, § 6 D. III., S. 147 f.
431 Grub, Kölner Schrift II, 671, 688.
432 Gravenbrucher Kreis, ZIP 1990, 476, 478.
433 Siehe oben § 4 E. I. 1., S. 103 f.
120
IV. Strategien bei kooperationsunwilligem Schuldner
1. Allgemein mögliche Maßnahmen
Hat es der Insolvenzverwalter mit einem kooperationsunwilligen Schuldner zu tun, so
muss er eine Strategie entwickeln, wie er mit dem Schuldner verfahren möchte. Neben der Androhung und Anwendung der Zwangsmittel des § 98 InsO kann der Insolvenzverwalter auch andere Mittel einsetzen, um einem kooperationsunwilligen
Schuldner zu begegnen.
a.) Zeitnaher Verfahrensabschluss
Ein gutes Mittel zur Vermeidung von Schaden für die Insolvenzmasse ist ein zeitnaher Verfahrensabschluss. Kann der Zeitraum zwischen Eröffnung des Verfahrens und
Verfahrensabschluss kurz gehalten werden, ist dies der beste Weg zur Vermeidung
von Schaden durch den Schuldner.434 Für den Insolvenzverwalter ist es am besten,
wenn er nur für einen kurzen Zeitraum die Überwachung des Schuldners gewährleisten muss. Mit dem zeitnahen Verfahrensabschluss und dem Übergang in die Wohlverhaltensperiode kann der Insolvenzverwalter die Gefahr einer Haftung gering halten. In der Wohlverhaltensperiode sind die Haftungsgefahren für den Treuhänder
schließlich bei weitem nicht so hoch wie im laufenden Insolvenzverfahren.
b.) Überwachung des Schuldners durch fremden Rechtsanwalt
Ein anderer Weg ist es, einen fremden Rechtsanwalt zur Überwachung des Schuldners zu engagieren. Damit zeigt der Insolvenzverwalter zwar deutlich sein Misstrauen
gegenüber dem Schuldner, minimiert aber gleichzeitig sein Haftungsrisiko durch Erfüllung der Überwachungsfunktion.
2. Vorgehensweise bei vollständig unkooperativem und bedingt kooperativem
Schuldner
a.) Vollständig unkooperativer Schuldner
Ist der Schuldner überhaupt nicht zur Kooperation bereit, kann der Insolvenzverwalter
neben den in § 98 InsO aufgeführten Zwangsmitteln eine Freigabe der Praxis an den
Schuldner erwägen.435 Die Freigabe sollte dem Finanzamt, den Arbeitnehmern des
434 Sinz/Wegener/Hefermehl, Verbraucherinsolvenz, S. 103; Tetzlaff, ZVI 2004, 2.
435 Zur Freigabe näher unten, § 7, S. 161 f.
121
Schuldners und eventuell auch wichtigen Gläubigern des Schuldners mitgeteilt werden. Mit der Freigabe der Kanzlei kann der Insolvenzverwalter vermeiden, dass die
Fortführung der Kanzlei zu Lasten der Gläubiger und der Insolvenzmasse geht.
Gleichzeitig verringert er natürlich auch sein Haftungsrisiko. Die durch den Insolvenzverwalter informierten Gläubiger können entscheiden, ob sie ihre Geschäftsbeziehung mit dem Schuldner fortsetzen.
Da die Fortführung durch den unkooperativen Schuldner wahrscheinlich nicht zu
Leistungen des Schuldners an die Masse führt, kann der Insolvenzverwalter weitere
Maßnahmen ins Auge fassen. So kann er zum Beispiel diejenigen Gegenstände, die
nicht dem Pfändungsschutz des § 811 Nr. 5 ZPO unterfallen, dem Schuldner unter
Umständen wegnehmen436 bzw. von der Freigabe ausnehmen. Auf diese Weise können diese Gegenstände zugunsten der Masse verwertet werden.
b.) Bedingt kooperativer Schuldner
Handelt es sich um einen bedingt kooperativen Schuldner, kann der Insolvenzverwalter anstreben, dennoch Erträge in die Insolvenzmasse zu ziehen. Soll eine Freigabe
der Praxis nicht erfolgen, kann der Insolvenzverwalter versuchen, durch bestimmte
Maßnahmen den Schuldner zu einer teilweisen Kooperation zu bewegen. So kann er
den Schuldner zum Beispiel zur Rechnungslegung verpflichten. Zur Durchsetzung
der Rechnungslegungspflicht kann der Insolvenzverwalter die Zwangsmittel des § 98
InsO einsetzen. Außerdem sollte er mit dem Schuldner eine Vereinbarung treffen, in
der die Abführung von monatlichen Erträgen aus der selbstständigen Tätigkeit an die
Insolvenzmasse geregelt ist. Die Nichtvornahme der Freigabe beinhaltet allerdings
die Gefahr der Begründung von Masseverbindlichkeiten durch den Schuldner.437 Eine
Freigabe der Praxis an den Schuldner hat wiederum die oben zu a) aufgeführten Voraussetzungen und Konsequenzen.
C. Fortführung durch den Rechtsanwalt
Neben der Fortführung der freiberuflichen Praxis durch den Insolvenzverwalter unter Mitwirkung des Rechtsanwalts kommt auch die Fortführung durch den Rechtsanwalt selbst in Betracht. Eine Fortführung der Praxis durch den Schuldner kann von der
Gläubigerversammlung beschlossen werden.438 Andererseits kann aber auch der Insolvenzverwalter – ohne Beschluss der Gläubigerversammlung – der Fortführung
durch den Schuldner zustimmen.439
436 S. dazu oben, § 4. F., S. 106 f.
437 Es ist umstritten, ob der Schuldner Masseverbindlichkeiten begründen kann. Dazu unten, § 5
D. II., S. 128 f.
438 Uhlenbruck-Uhlenbruck, InsO, § 157 Rn. 10.
439 Uhlenbruck-Uhlenbruck, InsO, § 148 Rn. 31.
Chapter Preview
References
Zusammenfassung
Die Insolvenz des selbstständigen Rechtsanwalts zeichnet sich durch eine Kollision von insolvenz- und berufsrechtlichen Regelungen aus. Zuvorderst ist für den Rechtsanwalt in der Insolvenz der Erhalt seiner Zulassung von Bedeutung. Daneben stellen sich Fragen rund um die Verwertung, Freigabe oder Fortführung der Kanzlei, Sanierungsmöglichkeiten vor und in der Insolvenz, den Unterhalt des Rechtsanwalts im laufenden Insolvenzverfahren sowie den möglichen Schutz und Erhalt seiner Altersvorsorge. In berufsrechtlicher Hinsicht werden in dieser Arbeit neben Fragen rund um die Zulassung, wie Erhalt und Wiedererlangung der Zulassung, die Auswirkungen der Schweigepflicht des Rechtsanwalts im Insolvenzverfahren und das Verhältnis des Insolvenzverwalters zum Kanzleiabwickler untersucht. Dabei werden auch allgemeine Überlegungen zur Insolvenz des Selbstständigen und des Freiberuflers angestellt. Das Buch wendet sich insbesondere an Insolvenzrechtler und Rechtsanwälte.