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Insgesamt kann die hier vertretene Ansicht wie folgt zusammengefasst werden: Ist
der Schuldner gewillt, seine selbstständige Tätigkeit fortzusetzen, so sind ihm die
fortführungsnotwendigen Gegenstände zu belassen. Dabei muss im Einzelfall entschieden werden, welche Gegenstände der Schuldner behalten darf; eventuell muss
eine Austauschpfändung vorgenommen werden. Die Rechtsprechung zu § 811 Abs. 1
Nr. 5 ZPO ist dabei nicht uneingeschränkt ins Insolvenzverfahren übertragbar.
Den Gläubigern eines Rechtsanwalts ist mit der Bejahung der Unpfändbarkeit insofern gedient, als die Gegenstände, die verwertet werden könnten, in der Regel keine
hohen Erlöse bringen würden. Die Kanzlei des Rechtsanwalts hat für gewöhnlich als
wesentliche Werte nur die EDV-Ausstattung aufzuweisen. Eventuell existierende
teure Möbel (Büroausstattung) werden ohnehin nicht von § 811 Abs. 1 Nr. 5 ZPO geschützt. Die Gläubiger werden deshalb besser gestellt, wenn der Rechtsanwalt seine
Erwerbstätigkeit fortsetzt.
G. Zusammenfassung § 4
Mandantengelder sind nur dann massezugehörig, wenn kein Aussonderungsrecht, begründet durch die treuhänderische Bindung und Einzahlung auf ein Anderkonto, besteht. In der Regel sind die Mandantengelder damit insolvenzfrei. Die Kanzlei stellt in
der Regel den wesentlichen Vermögenswert des Rechtsanwalts dar und unterliegt
dem Insolvenzbeschlag. Die Honorarforderungen des Rechtsanwalts sind pfändbar
und unterfallen ebenfalls dem Insolvenzbeschlag. Aus dem Grundgedanken des § 807
ZPO ergibt sich, dass nur die wesentlichen Mandantendaten offenbart werden und die
Beschlagnahmefähigkeit nicht gegen die Verschwiegenheitspflicht des Rechtsanwalts
verstößt. Die Einkünfte des selbstständigen Rechtsanwalts fallen in vollem Umfang
gemäß § 35 2. Halbsatz InsO als Neuerwerb in die Insolvenzmasse. § 114 InsO findet
keine Anwendung auf Selbstständige. Der Rechtsanwalt ist nicht verpflichtet, seine
Arbeitskraft der Insolvenzmasse zur Verfügung zu stellen. Er ist lediglich zur punktuellen Mitwirkung verpflichtet. Der Pfändungsschutz über § 36 Abs. 1 InsO i.V.m.
§ 811 Nr. 5 ZPO hat zur Voraussetzung, dass der Rechtsanwalt Fortführungswillen
hat und die Gegenstände fortführungsnotwendig sind. Die Entscheidung über den
Schutz muss einzelfallbezogen getroffen werden. Im Insolvenzverfahren kann nicht
ohne weiteres auf die Rechtsprechung zur Einzelzwangsvollstreckung zurückgegriffen werden.
111
§ 5 Fortführung der Kanzlei
A. Fortführbarkeit der Kanzlei
I. Keine Pflicht zur Fortführung der Kanzlei
Die Fortführung der Kanzlei eines Rechtsanwalts ist unter Geltung der neuen Insolvenzordnung indirekt privilegiert. Indem der Neuerwerb gemäß § 35 InsO zur Insolvenzmasse gehört, kann die Insolvenzmasse durch die Einkünfte, die eine natürliche
Person mit ihrer Erwerbstätigkeit nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens erwirtschaftet, gemehrt werden. Dies kann für den Rechtsanwalt große Bedeutung dann haben, wenn er die Restschuldbefreiung beantragt hat. Er hat die Möglichkeit, nach
§ 287 Abs. 2 S. 1 InsO seine Einkünfte aus der Kanzlei für die Zeit von sechs Jahren
nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens an einen Treuhänder abzutreten, um Restschuldbefreiung zu erlangen.
In der Insolvenzordnung ist nicht ausdrücklich eine allgemeine Pflicht des Insolvenzverwalters zur Fortführung des Schuldnerunternehmens geregelt.
Allerdings regelt § 22 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 InsO die Pflicht des vorläufigen Insolvenzverwalters zur Fortführung des Schuldnerunternehmens bis zur Entscheidung über die
Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Eine Stilllegung durch den vorläufigen Insolvenzverwalter vor der Eröffnungsentscheidung kommt nach dieser Vorschrift nur in
Betracht, wenn das Insolvenzgericht dieser zwecks Vermeidung einer erheblichen
Verminderung des Vermögens zustimmt. Es besteht also im Eröffnungsverfahren eine
grundsätzliche Fortführungspflicht des Insolvenzverwalters.386
Im eröffneten Insolvenzverfahren ergibt sich bei einer Betrachtung von § 157 und
§ 158 InsO die Pflicht zur einstweiligen Fortführung durch den Insolvenzverwalter.387
§ 157 S. 1 InsO legt die Befugnis zur Entscheidung über den Fortgang des Verfahrens
nämlich in die Hände der Gläubigerversammlung. Daraus folgt die Pflicht des Insolvenzverwalters zur Fortführung des Schuldnerunternehmens bis zum Berichtstermin.388 Auch in § 158 Abs. 1 InsO wird die einstweilige Fortführungspflicht stillschweigend vorausgesetzt. Für die Stilllegung des Unternehmens vor dem Berichtstermin benötigt der Insolvenzverwalter nämlich die Zustimmung des Gläubigerausschusses.
386 Breutigam/Blersch/Goetsch-Blersch, § 22 Rn. 13; KP-Pape, § 22 Rn. 12; NR-Mönning, § 22
Rn. 71; Uhlenbruck, InsO, § 22 Rn. 23; Pohlmann, Befugnisse, Rn. 134 ff.; Vallender,
DZWIR 1999, 265, 270 f.
387 Gottwald-Klopp/Kluth, § 22 Rn. 45.
388 Uhlenbruck, InsO, § 159 Rn. 2.
Chapter Preview
References
Zusammenfassung
Die Insolvenz des selbstständigen Rechtsanwalts zeichnet sich durch eine Kollision von insolvenz- und berufsrechtlichen Regelungen aus. Zuvorderst ist für den Rechtsanwalt in der Insolvenz der Erhalt seiner Zulassung von Bedeutung. Daneben stellen sich Fragen rund um die Verwertung, Freigabe oder Fortführung der Kanzlei, Sanierungsmöglichkeiten vor und in der Insolvenz, den Unterhalt des Rechtsanwalts im laufenden Insolvenzverfahren sowie den möglichen Schutz und Erhalt seiner Altersvorsorge. In berufsrechtlicher Hinsicht werden in dieser Arbeit neben Fragen rund um die Zulassung, wie Erhalt und Wiedererlangung der Zulassung, die Auswirkungen der Schweigepflicht des Rechtsanwalts im Insolvenzverfahren und das Verhältnis des Insolvenzverwalters zum Kanzleiabwickler untersucht. Dabei werden auch allgemeine Überlegungen zur Insolvenz des Selbstständigen und des Freiberuflers angestellt. Das Buch wendet sich insbesondere an Insolvenzrechtler und Rechtsanwälte.