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die Fortführung der Kanzlei, der Einsatz der Arbeitskraft des Rechtsanwalts für die
Insolvenzmasse und die Problematik des Neuerwerbs.
C. Honorarforderungen des Rechtsanwalts
I. Beschlagnahmefähigkeit
Es ist umstritten, inwieweit Honorarforderungen von Angehörigen der freien Berufe,
die einer besonderen Schweigepflicht unterliegen, dem Insolvenzbeschlag unterliegen. Ein Rechtsanwalt unterliegt gemäß §§ 43 a BRAO, 203 Abs. 1 Nr. 3 StGB einer
Verschwiegenheitspflicht.
Anknüpfungspunkt für die Frage, ob die Honorarforderungen gemäß § 35 InsO zur
Insolvenzmasse zählen, ist § 851 Abs. 1 ZPO. Dieser Vorschrift zufolge sind Forderungen in Ermangelung besonderer Vorschriften nur insoweit der Pfändung unterworfen, als sie übertragbar sind. Die Pfändbarkeit einer Forderung richtet sich also nach
deren Abtretbarkeit.
Im Ergebnis fallen Honorarforderungen von Rechtsanwälten in den Insolvenzbeschlag.
1. Ansicht des Bundesgerichtshofs
Früher vertrat der BGH die Ansicht, eine Abtretung von Honorarforderungen von
Rechtsanwälten ohne die Zustimmung der Mandanten sei wegen Verstoßes gegen
§ 134 BGB i.V.m. § 203 Abs. 1 Nr. 3 StGB nichtig.312 Grund hierfür sei die den Zedenten treffende umfassende Informationspflicht nach § 402 BGB. Mit der Weitergabe der den Mandanten betreffenden Informationen an den Zessionar verstoße der
Rechtsanwalt gegen die gesetzlich normierte Verschwiegenheitspflicht. Der Abtretungsvertrag sei damit nichtig.
Eine Kehrtwende hat der BGH mit einer Entscheidung im Jahre 1999 vollzogen. Er
entschied, dass Honorarforderungen von Steuerberatern grundsätzlich pfändbar seien.
Die Honorarforderungen unterlägen damit zugleich auch dem Insolvenzbeschlag.313
Mandanten hätten zwar prinzipiell ein Interesse daran, die der beruflichen Schweigepflicht unterliegenden Daten auch im Insolvenzverfahren geschützt zu wissen. Die begrenzte Offenbarung von Daten, die zur Durchsetzung der Honorarforderung erforderlich seien, führe aber nicht zu einer übermäßigen Beeinträchtigung der Rechte des
Mandanten.
312 BGH NJW 1993, 1912; 1993, 1638; 1993, 2795; 1995, 2026; 1995, 2915.
313 BGHZ 141, 173, 176.
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Bei einer Pfändung könne der Gläubiger nur Informationen über den Namen und
die Anschrift des Drittschuldners, den Grund der Forderung und die Beweismittel
vom Schuldner über § 807 ZPO verlangen.314 Zudem bestehe ein grundlegender Unterschied zwischen Pfändungsverbot und Abtretungsverbot. Letzteres verbiete lediglich die schuldrechtliche Möglichkeit, eine Forderung abzutreten, wobei im Normalfall kein Gläubiger dazu „gezwungen“ sei. Demgegenüber entziehe ein Pfändungsverbot den unbeteiligten Gläubigern einen Teil der Haftungsmasse. Ein Pfändungsverbot
stelle damit eine Beschränkung des durch Art. 14 Abs. 1 GG geschützten Befriedigungsrechts der Gläubiger dar. Eine solche Einschränkung sei jedoch nur bei Vorliegen von überwiegenden oder zwingenden Gründen zulässig.315 Der BGH stellt sodann fest, eine übermäßige Beeinträchtigung der Rechte des Mandanten liege nicht
vor. Er kommt zu dem Schluss, dass Honorarforderungen von Steuerberatern dem Insolvenzbeschlag unterliegen. Die Frage, ob dies auch für andere der Schweigepflicht
unterliegende Berufszweige gilt, hat der BGH in dieser Entscheidung noch offen gelassen. Deshalb wird die Auffassung vertreten, diese Rechtsprechung sei nicht ohne
weiteres auf andere freie Berufe zu übertragen.316 Argument hierfür sei, dass die Abwägung von berufsrechtlichem Abtretungsverbot bzw. den strafrechtlichen Konsequenzen eines Verstoßes gegen die Verschwiegenheitspflicht (§ 203 Abs. 1 Nr. 3
StGB) und den schutzwürdigen Gläubigerinteressen im Einzelfall vorzunehmen sei.
Der BGH hat mittlerweile entschieden, dass Gebührenforderungen von Rechtsanwälten grundsätzlich pfändbar sind und zur Insolvenzmasse gehören.317 In dieser Entscheidung aus dem Jahre 2004 stellte der BGH außerdem klar, dass die Pfändbarkeit
von Honorarforderungen der Rechtsanwälte bereits in der Entscheidung bezüglich der
Steuerberater bejaht habe. Diese „Klarstellung“ ist nicht überraschend, da der BGH
bereits in dieser Entscheidung aus dem Jahre 1999 ausdrücklich auf § 49 b BRAO Bezug genommen hatte. Deshalb ist es aus Sicht der Rechtsprechung nicht mehr zu bezweifeln, dass Honorarforderungen der Rechtsanwälte pfändbar sind. Damit unterliegen sie auch dem Insolvenzbeschlag.
2. Literaturmeinung
Auch in der Literatur ist die Beschlagnahmefähigkeit von Honorarforderungen der
Freiberufler inzwischen überwiegend anerkannt.318 Ein Argument hierfür ist, dass der
Insolvenzverwalter nur die wesentlichen Daten der Mandanten erfährt, nämlich Namen, Adresse sowie Grund und Höhe der Forderung. Darüber hinausgehende Informationen benötigt der Insolvenzverwalter nicht.319 Das Geheimhaltungsbedürfnis der
314 BGHZ 141, 173, 178.
315 BGHZ 141, 173, 177.
316 Schörnig, InVo 1999, 297, 299.
317 BGH NZI 2004, 29; NZI 2004, 312; Siehe auch BGH ZVI 2003, 170 (Pfändbarkeit von Honoraransprüchen einer Psychologin).
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Mandanten ist deshalb trotz des Insolvenzbeschlags der Honorarforderung weiterhin
geschützt. Außerdem wäre es wirtschaftlich unbefriedigend, wenn die Honorarforderungen nicht vom Insolvenzbeschlag umfasst wären.320 Damit würde die Insolvenzmasse nämlich im Regelfall einen sehr geringen Umfang aufweisen.
3. Stellungnahme
Die zum Teil vertretene Auffassung, bei Honorarforderungen sei danach zu differenzieren, ob die Beauftragung des Rechtsanwalts an sich schon geheimhaltungsbedürftig sei321, kann nicht überzeugen. Das Argument, die Beauftragung eines spezialisierten Rechtsanwalts könnte an sich schon eine geheimhaltungsbedürftige Information
sein, ist nicht interessengerecht. Die Beauftragung eines Rechtsanwalts an sich lässt
keinen Rückschluss auf die persönlichen und finanziellen Schwierigkeiten des Mandanten zu.322 Zwar kann sich diese Auffassung darauf stützen, der BGH habe in seiner
Entscheidung zu Honorarforderungen von Steuerberatern auch auf eine Interessenabwägung abgestellt. Eine Interessenabwägung zu Lasten der Masse kann im Interesse
der bestmöglichen Gläubigerbefriedigung jedoch nicht überzeugen. Zudem hat der
BGH in einer seiner jüngsten Entscheidungen zur Pfändbarkeit von Honorarforderungen eines Rechtsanwalts auf eine Interessenabwägung nicht mehr abgestellt.323 Der
BGH hat in dieser Entscheidung klar gestellt, dass Honorarforderungen von Rechtsanwälten grundsätzlich pfändbar sind und zur Insolvenzmasse gehören.
Es ist zudem nur konsequent, neben der Kanzlei des Rechtsanwalts auch die Honorarforderungen in die Insolvenzmasse zu ziehen.
II. Vereinbarkeit mit Schweigepflicht324
Die Vereinbarkeit mit § 203 Abs. 1 Nr. 3 StGB folgt daraus, dass der Schuldner gemäß § 97 InsO zur Auskunft verpflichtet ist.325 Die Offenbarung ist nämlich nicht
strafbar, wenn der Geheimnisträger auf Grund einer gesetzlichen Vorschrift zur Of-
318 Musielak-Becker, ZPO, § 851 Rn. 2; Stein/Jonas-Brehm, ZPO, § 851 Rn. 9; Thomas/Putzo-
Putzo, ZPO, § 851 Rn. 2; Uhlenbruck-Uhlenbruck, InsO, § 35 Rn. 84; Schmittmann/Theurich/Brune-Schmittmann, Das insolvenzrechtliche Mandat, § 7 Rn. 46; Sinz/Wegener/Hefermehl, Verbraucherinsolvenz, S. 87; Würz-Bergmann, Die Abtretung von Honorarforderungen
schweigepflichtiger Gläubiger, S. 226 ff.; Berger, NJW 1995, 1584, 1589; Johlke, EWiR
1999, 857, 858; Vallender, NZI 2003, 530, 532.
319 BGHZ 141, 173, 178.
320 Uhlenbruck-Uhlenbruck, InsO, § 35 Rn. 84.
321 Schörnig, InVo1999, 297, 299.
322 Vgl. dazu LG Frankfurt AnwBl 1985, 258.
323 BGH NZI 2004, 29.
324 Dazu ausführlich unten, § 11, S. 227 ff.; insbesondere auch zum Sonderproblem der streitigen
Honorarforderung.
325 BGH NZI 2004, 29; AG Köln, NZI 2004, 155, 156.
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fenbarung verpflichtet ist. Ebenso verstößt die Offenbarung nicht gegen § 43a Abs. 2
BRAO, da die bloße Tatsache, dass ein Rechtsanwalt beauftragt wurde, nicht geheimhaltungsbedürftig ist.326
Der BGH hat zutreffend festgestellt, nur Name, Anschrift, Grund und Höhe der
Forderung sowie die Beweismittel müssten dem Insolvenzverwalter offenbart werden.327 Diese begrenzte Offenbarung von Daten führe nicht zu einer übermäßigen Beeinträchtigung der Rechte der Mandanten. Dies gelte für die Mandanten eines Steuerberaters ebenso wie für die Mandanten eines Rechtsanwalts. Bei anderer Betrachtungsweise wäre es dem Insolvenzverwalter nicht möglich, offene Forderungen des
Schuldners gegen dessen Mandanten geltend zu machen. Die Daten der Mandanten
werden dabei insofern geschützt, als nur die grundlegenden Informationen an den Insolvenzverwalter weiterzugeben sind.
Der BGH bezieht sich in seiner Entscheidung nicht ausdrücklich auf § 807 ZPO,
das gefundene Ergebnis lässt sich aber mit der Informationspflicht des Schuldners im
Rahmen des § 807 ZPO vergleichen.328 Das vom Schuldner gemäß § 807 Abs. 1 ZPO
zu erstellende Vermögensverzeichnis muss im Bezug auf die Forderungen die Namen
des Drittschuldners nebst zustellfähiger Adresse sowie Gegenstand und Grund der
Forderung, ferner Beweismittel enthalten329. Das entspricht den Angaben, die der
Rechtsanwalt gegenüber dem Insolvenzverwalter nach der Rechtsprechung des BGH
machen soll. Die Fälle sind insofern vergleichbar, als ein Gläubiger bzw. der Insolvenzverwalter für die Gläubiger des Insolvenzverfahrens als Dritter Informationen
über eine Forderung erhalten will. § 807 ZPO muss allerdings nicht analog angewendet werden, da es sich um die unverzichtbaren Daten für die Rechtsverfolgung handelt. Die Notwendigkeit der Offenbarung dieser Daten ergibt sich schon aus der Natur
der Sache. Der Vergleich mit § 807 ZPO zeigt, dass auch an anderer Stelle die Offenbarung der Daten, die der BGH für zulässig erachtet, auch vom Gesetzgeber als zulässig und notwendig erachtet wird. § 807 ZPO gilt im Rahmen der berufsrechtlichen
Schweigepflicht als gesetzlich normierte Ausnahme im Sinne des § 2 Abs. 3
BORA.330 Zieht man also den Grundgedanken des § 807 ZPO im Verhältnis vom
Rechtsanwalt zu seinem Insolvenzverwalter heran, so kann darin eine gesetzlich geregelte Ausnahme der gerechtfertigten Durchbrechung der Verschwiegenheitspflicht
gesehen werden.
326 Vgl. ausführlich § 11, S. 227 f., insbesondere A. I. 3., S. 228 f.
327 BGHZ 141, 173, 178.
328 § 807 Abs. 1 ZPO lautet: „Der Schuldner ist nach Erteilung des Auftrags nach § 900 Abs. 1
verpflichtet, ein Verzeichnis seines Vermögens vorzulegen und für seine Forderungen den
Grund und die Beweismittel zu bezeichnen, wenn…“
329 Stein/Jonas-Münzberg, ZPO, § 807 Rn. 33.
330 Henssler/Prütting-Eylmann, BRAO, § 43a Rn. 77.
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D. Neuerwerb
I. Umfang
1. Einführung
Der Neuerwerb wird gemäß § 35 Alt. 2 InsO ebenfalls vom Insolvenzbeschlag erfasst.
§ 1 KO normierte, dass zur Masse nur dasjenige Vermögen zählt, das dem Schuldner
bei Konkurseröffnung gehört. Damit war der Neuerwerb konkursfrei. Der Schuldner
sollte mit Hilfe seines Neuerwerbs eine neue wirtschaftliche Existenz aufbauen können.
Der Gesetzgeber der InsO hatte eine andere Vorstellung, wie dem Schuldner nach
dem Insolvenzverfahren ein Neuanfang ermöglicht werden sollte. Das Restschuldbefreiungsverfahren biete dem Schuldner eine tragfähige Grundlage für einen wirtschaftlichen Neubeginn. Der Schuldner erhalte damit die Möglichkeit, sich von der
Nachhaftung zu befreien. Deshalb müsse der Neuerwerb dem Insolvenzbeschlag unterliegen.331 Außerdem habe die Konkursfreiheit des Neuerwerbs im früheren Recht
eine Sonderstellung im Vergleich zu anderen internationalen Rechtsordnungen bedeutet.332
Die Einbeziehung des Neuerwerbs wird von Teilen der Literatur heftig kritisiert.333
Auf die Kritik und die besonderen Probleme bei der Fortführung der freiberuflichen
Praxis sowie die Stellung der Neugläubiger soll an dieser Stelle noch nicht näher eingegangen werden.334
2. Umfang
Der Neuerwerb umfasst alles, was der Schuldner nach Verfahrenseröffnung erwirbt.
In die Insolvenzmasse fällt davon nur das Neuvermögen, das der Pfändung unterliegt.335 Sachvermögen, das der Schuldner während des Verfahrens erbt, geschenkt
bekommt, im Lotto gewinnt oder auf andere Weise erlangt, fällt in die Insolvenzmasse.336 Dazu gehören auch diejenigen Gegenstände, die der Schuldner mit Mitteln
seines unpfändbaren Arbeitseinkommens erworben hat. Dies gilt nur dann nicht,
wenn der neu erworbene Gegenstand selbst nach § 36 Abs. 1 InsO nicht der Pfändung
unterliegt.337 Hinzu kommen das Arbeitseinkommen und sonstige laufende Bezüge,
331 BT-Drucks. 12/2443, S. 122.
332 BT-Drucks. 12/2443, S. 122.
333 KP-Holzer, § 35 Rn. 36; Häsemeyer, Insolvenzrecht, Rn. 9.02; Dieckmann, Insolvenzrecht
im Umbruch, 127 ff.; Grub, Kölner Schrift II, 671, 674 ff; Smid, FS-Rolland, 355, 365.
334 Siehe dazu näher in §§ 5 und 6, S. 111 ff.
335 Uhlenbruck-Uhlenbruck, InsO, § 35 Rn. 36; Runkel, FS-Uhlenbruck, 315, 318 ff.
336 Uhlenbruck-Berscheid, InsO, § 114 Rn. 4.
337 MüKo-Lwowski, InsO, § 35 Rn. 45; Uhlenbruck-Uhlenbruck, InsO, § 35 Rn. 40.
Chapter Preview
References
Zusammenfassung
Die Insolvenz des selbstständigen Rechtsanwalts zeichnet sich durch eine Kollision von insolvenz- und berufsrechtlichen Regelungen aus. Zuvorderst ist für den Rechtsanwalt in der Insolvenz der Erhalt seiner Zulassung von Bedeutung. Daneben stellen sich Fragen rund um die Verwertung, Freigabe oder Fortführung der Kanzlei, Sanierungsmöglichkeiten vor und in der Insolvenz, den Unterhalt des Rechtsanwalts im laufenden Insolvenzverfahren sowie den möglichen Schutz und Erhalt seiner Altersvorsorge. In berufsrechtlicher Hinsicht werden in dieser Arbeit neben Fragen rund um die Zulassung, wie Erhalt und Wiedererlangung der Zulassung, die Auswirkungen der Schweigepflicht des Rechtsanwalts im Insolvenzverfahren und das Verhältnis des Insolvenzverwalters zum Kanzleiabwickler untersucht. Dabei werden auch allgemeine Überlegungen zur Insolvenz des Selbstständigen und des Freiberuflers angestellt. Das Buch wendet sich insbesondere an Insolvenzrechtler und Rechtsanwälte.