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F. § 265 b StGB
Die durch das Erste Gesetz zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität (1.
WiKG)557 eingeführte Vorschrift ist als abstraktes Gefährdungsdelikt ausgestaltet
und im Vorfeld des Betruges gem. § 263 StGB angesiedelt.558 Sinn und Zweck dieser Vorschrift ist der Schutz des Vermögens des Kreditgebers, aber auch der Funktionalität der Kreditwirtschaft.559 Die Verursachung eines Irrtums, eine Kreditgewährung oder der Eintritt eines Schadens sind zur Tatbestandserfüllung nicht notwendig.560 Ausreichend ist hingegen bereits die Antragsstellung auf Kredit für einen Betrieb oder ein Unternehmen unter wahrheitswidriger Angabe der wirtschaftlichen
Verhältnisse des potentiellen Kreditnehmers. Kreditnehmer und Kreditgeber können
nur ein Betrieb oder ein Unternehmen sein. Auf Privatkredite ist § 265 b StGB nicht
anwendbar. Dies gilt ebenso für Kreditvergabe an erst zu gründende Unternehmen,
zum Zeitpunkt der Antragstellung muss das Unternehmen – mit Ausnahme des Falles, dass es vorgetäuscht wird – bereits existieren.561
Täter kann jedermann sein, solange er im Zusammenhang mit einem Kreditantrag
für einen Betrieb oder ein Unternehmen handelt.562 Insoweit kommt auch ein Limited-director als Täter in Betracht, ohne dass eine Anwendung der Zurechnungsnorm
gem. § 14 StGB erforderlich wäre. Unter einen sogenannten Betriebskredit nach §
265 b III Nr. 2 StGB fallen nicht lediglich Gelddarlehen, sondern auch sog. Warenund Lieferantenkredite.563
Fraglich ist, ob § 265 b StGB ein korporativ wirkender Charakter zugeschrieben
werden kann. Als Anknüpfungspunkt kommt das Merkmal in Betracht, dass Kreditnehmer und -geber nur ein Betrieb oder ein Unternehmen sein können. In § 265 b III
Nr. 1 StGB sind Betriebe und Unternehmen legaldefiniert als solche, die „unabhängig von ihrem Gegenstand [...] nach Art und Umfang einen in kaufmännischer Weise eingerichteten Geschäftsbetrieb erfordern.“ Unter einem Betrieb oder Unternehmen ist dabei „jede nicht nur vorübergehende, vielmehr auf eine gewisse Dauer angelegte Organisation mit dem Zweck der Hervorbringung von Gütern oder Erbringung von Leistungen materieller oder immaterieller Art“564 zu verstehen. Eine Einschränkung erfährt diese doch recht weite Begrifflichkeit durch das Erfordernis eines in kaufmännischer Weise eingerichteten Geschäftsbetriebes. Dabei stellt die Le-
557 Vom 29. Juli 1976, BGBl. I, S. 2034.
558 Wessels / Hillenkamp, StR BT/II, Rn. 694; Nack, in: Müller-Gugenberger / Bieneck, Wirtschaftsstrafrecht, § 50 Rn. 89.
559 Schüppen, Systematik und Auslegung des Bilanzstrafrechts, S. 108 ff.; LK-Tiedemann, §
265 b Rn. 9 m.w.N.
560 LK-Tiedemann, § 265 b Rn. 12; Nack, in: Müller-Gugenberger/Bieneck, Wirtschaftsstrafrecht, § 50 Rn. 89.
561 BayObLG NStZ 1990, 439.
562 LK-Tiedemann, § 265 b Rn. 24, 96 m.w.N.; Nack, in: Müller-Gugenberger / Bieneck, Wirtschaftsstrafrecht, § 50 Rn. 105; Fischer, § 265 b Rn., 37.
563 LK-Tiedemann, § 265 b Rn. 38, 45 f.; S / S-Lenckner / Perron, § 265 b Rn. 11 ff.
564 LK-Tiedemann, § 265 b Rn. 31; S / S-Lenckner / Perron, § 265 b Rn. 6 ff.
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galdefinition nicht darauf ab, ob ein kaufmännisch eingerichteter Geschäftsbetrieb
tatsächlich vorliegt, sondern nur darauf, dass ein solcher erforderlich ist.565 Anhaltspunkte für eine Erforderlichkeit eines kaufmännischen Geschäftsbetriebes sind Kriterien wie Umsatzhöhe, Zahl der Beschäftigten, Größe der Betriebsstätte, Umfang
der Produktion oder Leistungen und der Geschäftsbeziehungen.566 Entscheidend dabei ist das insoweit entstehende Gesamtbild.567
Fraglich ist, ob der Verweis auf einen kaufmännisch eingerichteten Geschäftsbetrieb (vgl. § 1 II HGB) ausreicht für eine gesellschaftsrechtliche Einordnung in dem
Sinne, dass statt deutschen Gesellschaftsrechts dasjenige des Gründungsstaates anzuwenden ist. Die Tatsache, dass § 265 b StGB allein die unwahrheitsgemäße Angabe über die wirtschaftliche Lage eines Betriebes oder eines Unternehmens ausreichen lässt, soweit dessen Art und Umfang einen in kaufmännischer Weise eingerichteten Geschäftsbetrieb erfordert, reicht nicht für eine korporative Wirkung aus.
Schließlich ist die Beurteilung, ob ein kaufmännisch eingerichteter Geschäftsbetrieb
erforderlich ist oder nicht, nach einer nach operativen Grundsätzen konkretisierten
Verkehrsauffassung vorzunehmen.568 Eine Anknüpfung an die Struktur oder die
Haftungsverfassung einer Gesellschaft fehlt.
Es handelt sich damit mangels Akzessorietät zum Gesellschaftsrecht nicht um ein
Problem des Gesellschaftsrechts des Gründungsstaates. § 265 b StGB ist damit als
neutrale Strafvorschrift zu qualifizieren, die im Rahmen der Anwendung der
„Keck“-Grundsätze keine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit darstellt. Einer
Anwendbarkeit der Strafvorschrift des § 265 b StGB auf einen director einer in
Deutschland domizilierten Limited steht somit nichts entgegen.
G. § 264 a StGB
Der Straftatbestand des Kapitalanlagebetruges, der im Jahr 1986 ins Strafgesetzbuch eingeführt wurde,569 ist gleichzeitig Ergänzung und Gegenstück der Vorschrift
des § 265 b StGB. Beide Tatbestände schützen das Vermögen und die Funktionsfähigkeit des Kapitalmarktes.570 Wohingegen der Anwendungsbereich des § 265 b
StGB auf Kredite und damit Fremdkapital des Unternehmens eröffnet ist, bezieht
sich die Strafnorm des § 264 a StGB auf das vom Unternehmen eingeworbende Eigenkapital.571
565 LK-Tiedemann, § 265 b Rn. 33; S / S-Lenckner / Perron, § 265 b Rn. 10.
566 LK-Tiedemann, § 265 b Rn. 33.
567 LK-Tiedemann, § 265 b Rn. 33; S / S-Lenckner / Perron, § 265 b Rn. 10.
568 LK-Tiedemann, § 265 b Rn. 33.
569 Zweites Gesetz zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität vom 15. Mai 1986 (2. WiKG –
BGBl. I, S. 721).
570 LK-Tiedemann, § 265 b Rn. 9 und § 264 a Rn. 3; S / S-Lenckner / Perron, § 264 a Rn. 1.
571 LK-Tiedemann, § 264 a Rn. 3.
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References
Zusammenfassung
Das Werk befasst sich mit Fragen zur möglichen Strafbarkeit des directors einer englischen Limited nach deutschem Strafrecht und damit mit einem ebenso aktuellen wie vielschichtigen Problem, dessen praktische Relevanz und Zukunftsorientierung nicht genug betont werden kann. Anstoß der Überlegungen sind die Urteile des EuGH in den Rechtssachen „Centros“, „Überseering“ und „Inspire Art“, in denen die Bedeutung der Niederlassungsfreiheit insbesondere in Bezug auf die inländische Anerkennung von sog. Scheinauslandsgesellschaften behandelt werden. Die Autorin analysiert die Auswirkungen dieser viel beachteten Rechtsprechung auf das deutsche Strafrecht. Im Zuge dessen werden ausgewählte deutsche Strafnormen auf ihre Relevanz im Lichte der EuGH-Rechtsprechung näher untersucht. Ferner gibt sie einen Überblick über die Haftungsmöglichkeiten eines directors einer Limited nach englischem Gesellschaftsrecht und untersucht intensiv verschiedene Haftungsvorschriften nach englischem Strafrecht. Schließlich geht das Buch auf die Reform des GmbH-Gesetzes ein und schließt mit einer Stellungnahme zu den relevanten geplanten Änderungen.