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nicht – gemessen am Maßstab des Gründungsrechts – in den Bereich der Niederlassungsfreiheit eingegriffen wird.
II. § 266 a i.V.m. § 14 StGB
Von der Rechtsprechung des EuGH zur Niederlassungsfreiheit könnte ferner die
Strafnorm des § 266 a StGB erfasst sein. Darin wird das Vorenthalten oder Veruntreuen von Beiträgen des Arbeitnehmers (§ 266 a I StGB) und seit 01.08.2004 infolge einer Gesetzesänderung549 auch des Arbeitgebers (§ 266 a II StGB) zur Sozialversicherung durch den Arbeitgeber unter Strafe gestellt. Sinn und Zweck der Abs. I
und II der Strafnorm ist es, die Erfüllung des sozialrechtlichen Beitragsanspruchs zu
sichern.550 § 266 a III StGB schützt ausschließlich das Vermögen des betroffenen
Arbeitnehmers.551
Dabei tritt in der Praxis die Frage nach einer Strafbarkeit des Arbeitgebers wegen
der Vorenthaltung von Beiträgen zur Sozial- und Arbeitslosenversicherung oftmals
in Zusammenhang mit einer drohenden bzw. bereits eingetretenen Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung des Unternehmens auf, und nicht selten steht auch eine
Strafbarkeit nach Insolvenzstrafrecht gem. §§ 283 ff. StGB im Raume.552
Geschäftsleiter sind von der Strafnorm nicht direkt erfasst, da sich § 266 a I StGB
an den Arbeitgeber richtet, und dieser in der Regel die Gesellschaft selbst und nicht
der Geschäftsleiter ist. Eine Strafbarkeit kommt jedoch über die Organ- und Vertreterhaftungsnorm des § 14 StGB in Betracht. Dabei ist grundsätzlich eine Zurechnung gem. § 14 I Nr. 1 StGB denkbar.553
Ein korporativer Bezug des Straftatbestandes gem. § 266 a StGB selbst ist nicht
ersichtlich, er setzt keinerlei gesellschaftsrechtliche Komponenten voraus, schließlich können nicht nur Gesellschaften als Arbeitgeber auftreten. Damit ergeben sich
zunächst keine Bedenken hinsichtlich seiner Anwendbarkeit. Jedoch ist zu beachten,
dass für eine Strafbarkeit des Geschäftsleiters einer Gesellschaft als Arbeitgeber
gem. § 266 a I StGB eine Heranziehung der Organ- und Vertreterhaftung gem. § 14
StGB notwendig ist. Diese knüpftjedoch an das die Gesellschaft regelnde Gründungsrecht an und hat damit korporative Wirkung.
Ob eine Anwendung der §§ 266 a i.V.m. 14 StGB auf einen Limited-director ohne Verstoß gegen die Niederlassungsfreiheit möglich ist, richtet sich mithin nach
dem Gründungsrecht.554
549 Art. 2 des Gesetzes zur Intensivierung der Bekämpfung der Schwarzarbeit v. 23.07.2004
(BGBl. I 1842).
550 Stein, DStR 1998, 1055, 1057; S / S – Lenckner / Perron, § 266a Rn. 2; Fischer, § 266a Rn.
2.
551 S / S-Lenckner / Perron, § 266 a Rn. 2; Fischer, § 266 a Rn. 2.
552 Rönnau, wistra 1997, 13 m.w.N.
553 Vgl. Kapitel „Relevante Deutsche Strafnormen“ unter B. I.
554 Siehe Kapitel „Gründungsrecht als Maßstab“ unter A. II. 5. g).
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III. § 288 i.V.m. § 14 StGB
Die Vorschrift des § 288 StGB stellt das Vereiteln der Zwangsvollstreckung unter
Strafe, um letztlich das Gläubigervermögen zu schützen, indem dem Gläubiger die
Befriedigung seiner Forderung aus dem Vermögen des Schuldners im Wege der
Zwangsvollstreckung gesichert wird.555 Der Schutz der Gläubiger durch § 283 I Nr.
1 StGB wird durch § 288 StGB auf die Einzelvollstreckung ausgedehnt. Gem. § 288
StGB ist derjenige strafbar, der bei einer ihm drohenden Zwangsvollstreckung in der
Absicht, die Befriedigung des Gläubigers zu vereiteln, Bestandteile seines Vermögens veräußert oder beiseite schafft.
Eine Gesellschaftsrechtsakzessorietät des § 288 StGB ist nicht ersichtlich, allerdings ist tauglicher Täter i.S.d. § 288 StGB nach dem Wortlaut („bei einer ihm drohenden Zwangsvollstreckung“) allein der Vollstreckungsschuldner. Wenn ein Geschäftsleiter einer Gesellschaft die Tathandlung begeht, jedoch nicht er selbst, sondern die Gesellschaft Vollstreckungsschulder ist, kommt eine Strafbarkeit des Geschäftsleiters gem. § 288 i.V.m. § 14 StGB in Betracht.556
Hinsichtlich einer Gesellschaftsrechtsakzessorietät weist zwar § 288 StGB selbst
keinerlei korporative Wirkung auf, jedoch ist diese durch Erweiterung des Adressatenrahmens gem. § 14 StGB und die darin enthaltene Anknüpfung an die Vertreterstruktur innerhalb einer Gesellschaft gegeben. Insoweit richtet sich auch die Frage
nach der Anwendbarkeit der §§ 288 i.V.m. 14 StGB auf einen director einer in
Deutschland domizilierenden Limited ohne die Niederlassungsfreiheit zu beschränken, nach dem englischen Recht als Gründungsrecht.
IV. Fazit
Die Sonderdelikte der §§ 266, 266 a, 288 StGB, bei denen für eine Strafbarkeit
des directors einer Limited eine Anwendung der Organ- und Vertreterhaftung gem.
§ 14 StGB erforderlich ist, sind aufgrund der damit gegebenen Gesellschaftsrechtsakzessorietät hinsichtlich einer Beschränkung der Niederlassungsfreiheit am englischen Recht als Gründungsrecht zu messen.
555 BGHST 16, 330, 334; LK-Schünemann, § 288 Rn. 2; MüKo-Maier, § 288 Rn. 1.
556 LK-Schünemann, § 288 Rn. 37 f; MüKo-Maier, § 288 Rn. 37 f.
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References
Zusammenfassung
Das Werk befasst sich mit Fragen zur möglichen Strafbarkeit des directors einer englischen Limited nach deutschem Strafrecht und damit mit einem ebenso aktuellen wie vielschichtigen Problem, dessen praktische Relevanz und Zukunftsorientierung nicht genug betont werden kann. Anstoß der Überlegungen sind die Urteile des EuGH in den Rechtssachen „Centros“, „Überseering“ und „Inspire Art“, in denen die Bedeutung der Niederlassungsfreiheit insbesondere in Bezug auf die inländische Anerkennung von sog. Scheinauslandsgesellschaften behandelt werden. Die Autorin analysiert die Auswirkungen dieser viel beachteten Rechtsprechung auf das deutsche Strafrecht. Im Zuge dessen werden ausgewählte deutsche Strafnormen auf ihre Relevanz im Lichte der EuGH-Rechtsprechung näher untersucht. Ferner gibt sie einen Überblick über die Haftungsmöglichkeiten eines directors einer Limited nach englischem Gesellschaftsrecht und untersucht intensiv verschiedene Haftungsvorschriften nach englischem Strafrecht. Schließlich geht das Buch auf die Reform des GmbH-Gesetzes ein und schließt mit einer Stellungnahme zu den relevanten geplanten Änderungen.