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Relevante deutsche Strafnormen
An ausgesuchten relevanten Straftatbeständen soll im Folgenden insbesondere im
Hinblick auf eine Gesellschaftsrechtsakzessorietät die Auswirkung dieser Rechtsprechung des EuGH auf die Strafbarkeit des directors einer Limited untersucht
werden. Ausgehend von der – banalen – Erkenntnis, dass ein director einer Limited
sich wie jedermann im Rahmen der ganzen Palette der deutschen Strafrechtsvorschriften strafbar machen kann, wurde die Auswahl der zu untersuchenden Vorschriften danach getroffen, welche Straftatbestände zum einen spezifisch mit der
Funktion als Leitungsorgan einer Kapitalgesellschaft im Zusammenhang stehen und
welche Vorschriften zum anderen – soweit ersichtlich – die größte praktische Relevanz aufweisen. Die praktische Relevanz von Strafnormen, die an eine Krise der
Gesellschaft, Insolvenzreife bzw. Liquiditätsprobleme im weiteren Sinne anknüpfen
mag ihren Ursprung darin haben, dass Limited-Neugründungen mit Verwaltungssitz
in Deutschland von einer extrem hohen Frühsterblichkeit gekennzeichnet sind. So
liegt der Marktanteil erfolgreich gebliebener Gründungen bei unter fünf Prozent.159
A. Strafnormen des GmbHG
Bekanntlich finden sich Strafnormen nicht nur im Strafgesetzbuch, sondern auch
in Spezialgesetzen wie etwa dem GmbH-Gesetz. Der gesellschaftsrechtliche Bezug
dieser Sanktionsnormen steht schon aufgrund der Verortung nahe.
I. § 84 I Nr. 2 i.V.m. § 64 I GmbHG (Insolvenzverschleppung)
Als erstes Beispiel für die zum Teil einschneidenden Rechtsfolgen der Rechtsprechung des EuGH zur Niederlassungsfreiheit im Hinblick auf die Anwendung deutscher Strafvorschriften auf die Geschäftsleiter einer englischen Limited mit Verwaltungssitz in Deutschland kann man die Insolvenzverschleppung gem. § 84 I Nr. 2
i.V.m. § 64 I GmbHG heranziehen. Insbesondere mangels Mindestkapitalerfordernisses und der damit einhergehenden Möglichkeit, eine Limited mit einem Stammkapital in Höhe von nur einem penny gründen zu können160, erscheint die Frage nach
159 Niemeier, ZIP 2006, 2237, 2244, 2250.
160 Rehm, in: Eidenmüller, Ausländische Kapitalgesellschaften im deutschen Recht, § 10 Rn.
35; Gross / Schorck, NZI 2006, 10, 12.
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einer Strafbarkeit des Geschäftsleiters einer Limited nach dem Insolvenzantragsdelikt gem. §§ 64 I, 84 I Nr. 2 GmbHG von nicht unbeträchtlicher Brisanz.
Die Vorschrift dient dem Schutz der Interessen der Gesellschafter und der Gesellschaftsgläubiger an einer wirtschaftlich gesunden Gesellschaft.161 § 84 I Nr. 2
GmbHG stellt das Unterlassen des Geschäftsführers, die Eröffnung des Insolvenzverfahrens zu beantragen, wenn die Gesellschaft zahlungsunfähig oder überschuldet
ist, unter Strafe. Es handelt sich dabei um ein echtes Unterlassungsdelikt.162
Bei tatbestandsmäßiger Handlung des Geschäftsleiters einer in Deutschland domizilierenden englischen Limited gem. §§ 84 I Nr. 2, 64 I GmbHG stellt sich bei der
im Raume stehenden Strafbarkeit des Geschäftsleiters (directors) durch Insolvenzverschleppung die Frage der Subsumtion des directors unter den Begriff des „Geschäftsführers“.
1. Abgrenzung Auslegung / Analogie
Problematisch ist dabei, dass sich die Normen der Insolvenzverschleppung ihrem
Wortlaut nach ausdrücklich an den bestimmten Personenkreis der „Geschäftsführer“
wenden und sich damit die Frage aufdrängt, ob der Anwendungsbereich auch auf
den director einer Limited erstreckt werden kann, ohne dass dies gegen das sich aus
dem Gesetzlichkeitsprinzip gem. Art. 103 II GG, § 1 StGB ergebende Verbot der
strafbegründenden Analogie verstößt. Denn im Strafrecht ist eine analoge Gesetzesanwendung zum Nachteil des Angeklagten grundsätzlich gem. § 1 StGB unzulässig.
In der Vorschrift des Art. 103 II GG ist verfassungsrechtlich festgeschrieben, dass
eine Tat nur bestraft werden kann, wenn die Strafbarkeit des Handelns oder Unterlassens bereits vor Begehung der Tat gesetzlich ausdrücklich bestimmt war.
Mit diesem für das Strafrecht essentiellen Grundsatz, der auch als Formel nullum
crimen sine lege163 bekannt ist und ebenso in Art. 7 I S. 1 der EMRK Ausdruck findet, wird auch das Verbot, ein Strafgesetz auf einen Fall anzuwenden, der nicht vom
Gesetzeswortlaut gedeckt ist, vermittelt. Dieser Grundsatz, der bereits im Jahre 1871
im Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich zu finden war, hat nach einer Unterbrechung in der Zeit des Nationalsozialismus seit 1945 wieder inGestalt der § 1 StGB,
Art. 103 II GG seinen Platz.164 Dieser Verfassungssatz dient dem Bürger als Garant
der Rechtssicherheit und als Schutz vor einer willkürlichen Strafjustiz.165 Ein Verhalten kann danach noch so strafwürdig und gemeinschädlich sein – wenn der Gesetzgeber zum Tatzeitpunkt das betreffende Verhalten nicht ausdrücklich mit Strafe
161 Vgl. BGH NJW 1982, 1952, 1954.
162 Erbs / Kohlhaas-Schaal, § 84 Rn. 3.
163 Statt aller: Roxin, StR AT/I, § 5 Rn. 2.
164 Fuhrmann, Tröndle-FS, S. 139, 145.
165 Gübel, Die Auswirkungen der faktischen Betrachtungsweise auf die strafrechtliche Haftung
faktischer GmbH-Geschäftsführer, S. 89.
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bedroht hat, so hat eine strafrechtliche Sanktion außer Betracht zu bleiben.166 Ein
Verstoß gegen diesen Grundsatz kann mittels einer Verfassungsbeschwerde167 gerügt werden.
Um die Reichweite des sich aus Art. 103 II GG, § 1 StGB ergebenden Verbotes
der strafbegründenden Analogie im Strafrecht im Einzelnen erfassen zu können, bedarf es daher einer Abgrenzung zwischen den Begriffen Analogie und Auslegung.
Die Grenzen zwischen zulässiger Auslegung und verbotener Analogie sind flie-
ßend und bedeuten nicht selten eine Gratwanderung.168 Während die Auslegung den
Sinngehalt und die Bedeutung eines bestimmten Begriffs oder einer Regelung zu
ergründen sucht, wird im Wege einer Analogie ein Rechtssatz über den abgesteckten
Rahmen hinaus auf einen im Gesetz nicht geregelten, ähnlichen Fall ausgedehnt.169
Anhand der Auslegung soll der „objektivierte Wille“ des Gesetzgebers ergründet
werden,170 Ziel der Analogie hingegen ist die Neuschöpfung einer Rechtsnorm, um
Gesetzeslücken zu schließen.171 Eine solche Neuschöpfung widerspricht jedoch dem
Grundsatz des Art. 103 II GG, da diese zum Zeitpunkt der Tatbegehung gesetzlich
nicht bestimmt war.
2. Auslegung des Geschäftsführerbegriffs
Zu untersuchen ist nun, ob eine Subsumtion des directors unter den Begriff des
„Geschäftsführers“ i.S.d. § 84 I Nr. 2 i.V.m. § 64 I GmbHG noch eine zulässige
Auslegung darstellt oder bereits unter das Analogieverbot gem. § 1 StGB, Art. 103
II GG fällt. Die Grenze der zulässigen strafrechtlichen Auslegung bildet als Folge
des Bestimmtheitsgrundsatzes der Wortlaut,172 und nicht der hinter der auszulegenden Norm stehende Sinn und Zweck.173 Andernfalls würde die ohnehin teils schwere
Grenzziehung zwischen Auslegung und analoger Anwendung in unzulässiger Weise
verwässert.
166 Roxin, StR AT/I, § 5 Rn. 2.
167 Art. 93 I Nr. 4 aGG i.V.m. §§ 90 I, 13 Nr. 8 a BVerfGG
168 vgl. BVerfGE 8, 274, 307; BVerfGE 82, 6, 11 ff; Fuhrmann, Tröndle-FS, S. 139, 146;
Maurach / Zipf, StR AT/I § 9 Rn. 24; Wessels / Beulke, StR AT, Rn. 56.
169 BVerfGE 82, 6, 11ff; Roxin, StR AT/I, § 5 Rn. 8; Wessels / Beulke, StR AT, Rn. 52, 56.
170 BVerfGE 8, 274, 307; BGHSt 17, 21, 23; Fuhrmann, Tröndle-FS, S. 139, 146 m.w.N.
171 Wessels / Beulke, StR AT, Rn. 56.
172 BVerfGE 71, 108, 115; BVerfGE 87, 209, 224; Pieroth / Schlink, Staatsrecht II, Rn. 1093;
Hoffmann, in: Sandrock / Wetzler, Deutsches Gesellschaftsrecht im Wettbewerb der
Rechtsordnungen, S. 249 m.w.N.
173 vgl. Maurach / Zipf, StR AT/I, § 9 Rn. 21, 24; Jakobs, StR AT, Abschn.4 Rn.35 f. m.w.N.
50
a) Wortlaut
Auf den ersten Blick ist man geneigt, allein schon aufgrund des Wortlauts einer
Subsumtion des directors unter den Geschäftsführerbegriff im Wege der Auslegung
eindeutig eine Absage zu erteilen.174 Jedoch ist noch nicht gesagt, dass mit dem Begriff „Geschäftsführer“ in § 84 I Nr. 2 StGB automatisch der enge gesellschaftsrechtliche Geschäftsführerbegriff i.S.d. § 35 I GmbHG gemeint ist. Danach ist ein Geschäftsführer der gesetzliche Vertreter einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung
(GmbH). Ein director einer englischen Limited wäre nach diesem gesellschaftsrechtlichen Verständnis damit kein „Geschäftsführer“.
Es besteht allgemein überwiegend Einigkeit über die Loslösung des Strafrechts
von der zivilrechtlichen Begriffsbildung.175 Der Ansatz, die zu schützenden Rechtsgüter fänden sich in den anderen Rechtsgebieten und die Aufgabe des Strafrechts sei
auf das Hinzufügen von Strafe beschränkt, ist so jedenfalls nicht (mehr) gültig.176
Das Verhältnis des Strafrechts zu anderen Rechtsgebieten ist vielmehr nicht durch
Akzessorietät, sondern durch Eigenständigkeit gekennzeichnet.177 So ist im Strafrecht für die Bezeichnung „Mensch“ bereits der Beginn der Geburt, im Zivilrecht
dagegen erst die Vollendung der Geburt maßgebend. Dies bedeutet jedoch nicht,
dass sich nicht im Einzelfall die strafrechtliche Auslegung auf den in einem anderen
Rechtsgebiet maßgebenden Sprachgebrauch stützen kann. So richtet sich die
„Fremdheit“ einer Sache i.S.d. § 242 StGB bekanntlich nach den zivilrechtlichen
Vorschriften gem. §§ 929 ff. BGB. Nach Gross / Schorck ist für eine Kongruenz
zum Wortlaut lediglich erforderlich, dass der allgemeine Wortsinn in Abgrenzung
zum rechtlich besetzten Wortlaut die vorgenommene Auslegung noch deckt.178
In diesem Zusammenhang ist zu untersuchen, ob die von der Rechtsprechung
entwickelte Auslegung des Tatbestandsmerkmals „Geschäftsführer“ im Zusammenhang mit nicht oder fehlerhaft bestellten Geschäftsführern für die untersuchte Problematik zu einer abweichenden Beurteilung führt: Auch dort dreht es sich um die
Auslegung von im Gesellschaftsrecht befindlichen Strafnormen. Im Ergebnis legte
der BGH den Geschäftsführerbegriff recht weit aus und bejahte die Möglichkeit einer Strafbarkeit „faktischer Organe“ wegen Insolvenzverschleppung.179 Danach ist
Geschäftsführer auch derjenige, der entweder gar nicht oder fehlerhaft bestellt wur-
174 So auch Eidenmüller, in: Eidenmüller, Ausländische Kapitalgesellschaften im deutschen
Recht, § 9 Rn. 34; Spindler / Berner, RIW 2004, 7, 13, Schumann, DB 2004, 743, 746;
Rönnau, ZGR 2005, 832, 839; MüKo-Kindler, Int.GesR, Rn. 534; offenlassend Zimmer,
NJW 2003, 3585, 3590.
175 Cornils, Die Fremdrechtsanwendung im Strafrecht, S.8 m.w.N; Gross / Schorck, NZI 2006,
10, 12.
176 Cornils, Die Fremdrechtsanwendung im Strafrecht, S. 8 m.w.N.
177 Cornils, Die Fremdrechtsanwendung im Strafrecht, S. 8; Wessels / Beulke, StR AT, Rn. 58.
178 Gross / Schorck, NZI 2006, 10, 12.
179 BGHSt 21, 101; 31, 118.
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de, und im Einverständnis der Gesellschafter die Stellung eines Geschäftsführers einer GmbH tatsächlich einnimmt.180
Auch wenn durch diese extensive Auslegung des Geschäftsführerbegriffs ein gro-
ßes Schlupfloch im Gesetz geschlossen werden konnte, so kann – allgemein gesprochen – allein das auf das kriminalpolitische Ergebnis ausgerichtete Denken das gewünschte Ergebnis bekanntermaßen nicht rechtfertigen. So wurde schon bei der Figur des „faktischen Geschäftsführers“ teilweise vertreten, dass ein de facto Geschäftsführer nicht vom Wortlaut des § 84 I Nr. 2 GmbHG erfasst werde und eine
dessen ungeachtete Anwendung der Vorschrift eine mit Art. 103 II GG und
§ 1 StGB unvereinbare und damit unzulässige Analogie darstelle.181 Ob die Rechtsprechung zum faktischen Geschäftsführer im Ergebnis bereits eine unzulässige Analogie darstellt, kann für die zu untersuchende Frage offen bleiben. Eine Anwendung auf den director einer Limited würde jedenfalls die Grenzen der zulässigen
Auslegung aus einem weiteren Grund sprengen, wie im Folgenden belegt wird.
Bei der Figur des „faktischen Geschäftsführers“ geht es bei der Frage der Anwendbarkeit von Strafnormen im GmbH-Gesetz stets um die Gesellschaftsform der
GmbH. Es werden die Einflussmöglichkeiten eines GmbH-Geschäftsführers mit der
eines fehlerhaft oder gar nicht bestellten „Geschäftsführers“ einer GmbH verglichen.
Vorliegend ist die Situation jedoch anders, da sich bereits die konkreten Gesellschaftsformen – GmbH und Limited – unterscheiden. Zwar stellt die Limited ebenso
wie die GmbH eine juristische Person dar, die erst durch natürliche Personen, insbesondere den director, handlungsfähig ist.182 Dies allein kann jedoch insbesondere
vor dem Hintergrund des das deutsche Gesellschaftsrecht prägenden Prinzips des
numerus clausus der Gesellschaftsformen nicht ausreichen, anhand der Überlegungen zum „faktischen Geschäftsführer“ eine Anwendbarkeit des § 84 I Nr. 2 GmbHG
auf den director zu begründen. Bei der Frage der Strafbarkeit des directors geht es
eben nicht um das Problem der fehlerhaften oder gänzlich unterbliebenen Bestellung
zum director,183 sondern um die Anwendbarkeit von Vorschriften, die für eine andere Gesellschaftsform als die der Limited konzipiert worden sind.
180 Gübel, Die Auswirkungen der faktischen Betrachtungsweise auf die strafrechtliche Haftung
faktischer GmbH-Geschäftsführer, S. 79; Schmidt, Gesellschaftsrecht, S. 419; Hoffmann,
in: Sandrock / Wetzler, Deutsches Gesellschaftsrecht im Wettbewerb der Rechtsordnungen,
S. 250.
181 Vgl. Hoffmann, in: Sandrock / Wetzler, Deutsches Gesellschaftsrecht im Wettbewerb der
Rechtsordnungen, S. 250 m.w.N.; L / H-Lutter / Kleindiek, § 84 Rn. 5; B / H-Schulze-
Osterloh / Servatius, § 84 Rn. 17, 30.
182 Gross / Schorck, NZI 2006, 10, 12.
183 Diese Problematik ist im englischen Recht bekannt unter dem Stichwort „de facto director“
bzw. „shadow director“, vgl. Sec. 251 CA 2006.
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b) Systematik
Bei der systematischen Methode, die die grammatische Auslegung ergänzt, wird
der Sinn der Vorschrift aus der Stellung im Systemzusammenhang abgeleitet.184 Das
Strafrecht verfährt auch im Zusammenhang mit aus anderen Rechtsbereichen vorgeprägten Elementen teilweise autonom durch eigene Begriffsauslegung.185 Die Anordnung der Strafnorm des § 84 I Nr. 2 GmbHG im GmbH-Gesetz deutet allerdings
auf eine Akzessorietät der Vorschrift zum Gesellschaftsrecht hin. Eine solche ist anzunehmen, wenn die strafrechtliche Vorschrift unter Verzicht auf die selbständige
Normierung einzelner Anwendungsbereiche die Berücksichtigung bestimmter
Rechtsbegriffe oder ganzer Vorschriften aus anderen Rechtsgebieten voraussetzt oder auf diese ausdrücklich verweist.186 In der Norm des § 84 I Nr. 2 GmbHG findet
sich indes ein solch ausdrücklicher Verweis auf die gesellschaftsrechtliche Vorschrift des § 64 I GmbHG. Es handelt sich insoweit um einen blankettartigen Tatbestand, der sich aus der blankettartigen Norm des § 84 I Nr. 2 GmbHG und der dort
genannten Ausfüllungsvorschrift des § 64 I GmbHG zusammensetzt.187 Insbesondere in Anbetracht des deutschen numerus clausus der Gesellschaftsformen liegt mithin eine Begrenzung des Anwendungsbereichs auf den GmbH-Geschäftsführer nahe.188 Der Meinung von Gross / Schorck, im Wege der Auslegung auf den allgemeinen Wortsinn abstellen zu können189, kann gerade bei einer Akzessorietät einer
Strafvorschrift wie vorliegend nicht gefolgt werden.
c) Sinn und Zweck
Auch die teleologische Auslegung vermag keine Anwendbarkeit des § 84 I Nr. 2
GmbHG auf den director zu begründen: Zwar liegt der Sinn und Zweck der Vorschrift insbesondere darin, die Geschäftsleiter im Interesse des Gläubigerschutzes
durch Inaussichtstellen von Strafe davon abzuhalten, bei Überschuldung oder Zahlungsunfähigkeit entgegen § 64 I GmbHG keinen Insolvenzantrag zu stellen.190 Insofern liegt es nahe, dass der Gesetzgeber, hätte er bei Schaffung des § 84 I Nr. 2
GmbHG die aktuelle Problematik um die EU-Gesellschaften im Inland gekannt, den
184 Maurach / Zipf, StR AT, § 9 Rn. 17; Jescheck / Weigend, StR AT, S. 154 ff.
185 Bruns, Die Befreiung des Strafrechts vom zivilistischen Denken, S. 51 ff.; Cornils, Die
Fremdrechtsanwendung im Strafrecht, S. 9.
186 Cornils, Die Fremdrechtsanwendung im Strafrecht, S. 10.
187 Erbs / Kohlhaas-Schaal, § 84 Rn. 3, 9; B / H-Schulze-Osterloh / Servatius, 84 Rn. 5
188 Spindler / Berner, RIW 2004, 7, 15.
189 Gross / Schorck, NZI 2006, 10, 12 wollen insofern auf den allgemeinen Sprachgebrauch
und der oftmals verwendeten Übersetzung des Begriffs „director“ als Geschäftsführer zurückgreifen; vgl. Darstellung oben unter Punkt aa. Wortlaut.
190 Hoffmann, in: Sandrock / Wetzler, Deutsches Gesellschaftsrecht im Wettbewerb der
Rechtsordnungen, S. 249; B / H-Schulze-Osterloh / Servatius, § 84 Rn. 23.
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director einer Limited, der gegen die Insolvenzantragspflicht verstößt, vom Wortlaut
her ausdrücklich erfasst hätte.191
Diese Überlegungen vom Ergebnis her helfen jedoch nicht, die Grenze der Auslegung, den Wortlaut, zu überwinden. Die neben „Direktor“ oder „Leitendes Organ“
gebräuchliche Übersetzung des Wortes „director“ ins Deutsche als „Geschäftsführer“ kann ebenfalls über die Grenzen des Wortlautes nicht hinwegtäuschen. So ist
der Begriff „Geschäftsführer“ übersetzungstechnisch nichts weiter als ein der Verständlichkeit dienendes Etikett und kein Terminus Technicus.192
Der Argumentation, bei einem director handele es sich um einen Geschäftsführer
einer GmbH, da sowohl bei der Limited, als auch bei der GmbH die Risiken des Geschäfts grundsätzlich allein das Gesellschaftsvermögen treffen,193 ist entgegenzuhalten, dass eine solche Interpretation im Widerspruch zu dem im deutschen Gesellschaftsrecht essentiellen Prinzip des numerus clausus der Gesellschaftsformen steht
und damit abzulehnen ist.194 Im Übrigen betrifft auch bei der Aktiengesellschaft das
Haftungsrisiko lediglich das Gesellschaftsvermögen, für die § 84 I Nr.2 GmbHG evident nicht einschlägig ist.
Gegen eine Anwendbarkeit des § 84 GmbHG auf den director spricht weiterhin
der Gedanke der Rechtssicherheit. Hierbei ist zu beachten, dass es sich bei der Vorschrift des § 84 GmbHG um ein echtes Unterlassungsdelikt und ein abstraktes Gefährdungsdelikt handelt.195 Gerade dann, wenn aus dem bloßen Unterlassen bereits
eine strafrechtliche Sanktion droht, ist für den „faktischen Geschäftsführer“ ebenso
wie für den director einer Limited unabdingbar wichtig, dass aus dem Gesetz klar
hervorgeht, an welche Unterlassung von welcher Person sich welche Sanktion anknüpft.196 Dies wäre bei einer Anwendung des Geschäftsführerbegriffs auf den director jedoch nicht der Fall. Diese Situation wird dadurch verschärft, dass für eine
Strafbarkeit eine konkrete Gefährdung oder gar ein Schaden nicht erforderlich ist.
Eine Auslegung der Vorschrift nach § 84 Nr. 2 GmbHG nach faktischen Grundsätzen über den vom Gesetzgeber geregelten Bereich hinaus verbietet sich demgemäß.
Eine direkte Anwendung des § 84 I Nr. 2 GmbHG auf den director einer Limited
im Wege der Auslegung ist damit nicht möglich.197
191 So auch Gross / Schork, NZI 2006, 10, 13.
192 Kasolowsky, in: Hirte / Bücker, Grenzüberschreitende Gesellschaften, § 4 Rn. 3; Schlösser,
wistra 2006, 81, 84.
193 Gross / Schorck, NZI 2006, 10, 12f.
194 Nach Kasolowsky, in: Hirte / Bücker, Grenzüberschreitende Gesellschaften, § 4 Rn. 3 ist
die englische Limited eher mit einer kleinen Aktiengesellschaft als einer deutschen GmbH
vergleichbar.
195 Hachenburg-Kohlmann, § 84 Rn. 9; L / H-Lutter / Kleindiek, § 84 Rn. 1.
196 Vgl. Hachenburg-Kohlmann, § 84 Rn. 19.
197 Ebenso Zimmer, NJW 2003, 3585, 3590; Wachter, GmbHR 2003, 1254, 1257; Spindler /
Berner RIW 2004, 7, 15; Eidenmüller, in: Eidenmüller, Ausländische Kapitalgesellschaften
im deutschen Recht, § 9 Rn. 34; Wachter, GmbHR 2004, 88, 101; Rönnau, ZGR 2005, 832,
839 f.; Schlösser, wistra 2006, 81, 84.
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3. Analogie
Es bleibt noch die Möglichkeit einer analogen Anwendung. Eine solche scheitert
jedoch an dem Verbot der strafbegründenden Analogie:198 Nach Art. 103 II GG kann
eine Tat nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit vor Tatbegehung gesetzlich bestimmt war. Das strafrechtliche Analogieverbot wird aus dem strengen Gesetzmä-
ßigkeitsgebot hergeleitet.199 Gesetzeslücken sind durch den Gesetzgeber und nicht
durch die Judikative zu schließen. Eine Analogie scheidet damit aus.
4. Substitution
Aus den gleichen Gründen fällt auch eine Anwendung der § 84 I Nr. 2 StGB
i.V.m. § 64 I GmbHG im Wege der Substitution schwer. Diese aus dem Internationalen Privatrecht bekannte Rechtsfigur kommt zur Anwendung, wenn ein Tatbestandsmerkmal einer inländischen Rechtsnorm lediglich nach fremdem, kollisionsrechtlich berufenem Recht verwirklicht ist.200 In einer solchen Konstellation stellt
sich die Frage, ob das nach fremdem Recht vorliegende Tatbestandsmerkmal das an
sich gemeinte inländische Tatbestandsmerkmal ersetzen darf.201
In einem ersten Schritt ist zu erforschen, ob die inländische Sachnorm nach ihrem
Sinn und Zweck eine Substitution ausnahmsweise ausschließt.202 Schließlich setzt
eine Substitution voraus, dass eine Gleichwertigkeit der beiden Tatbestandsmerkmale gegeben ist, wobei eine Übereinstimmung der wesentlichen Merkmale als ausreichend gesehen wird.203 Da sowohl der Geschäftsführer einer GmbH als auch der director einer Limited eine geschäftsleitende Funktion für eine juristische Person aus-
üben, deren Haftung auf das Gesellschaftsvermögen beschränkt ist, kann eine
Gleichwertigkeit in dem Sinne wohl angenommen werden. Eine Übertragung dieser
Rechtsfigur auf die Materie des Strafrechts ist jedoch insofern Bedenken ausgesetzt,
als sie in erster Linie für das und im Internationalen Privatrecht entwickelt wurde
und im Privatrecht der Grundsatz nulla poena sine lege naturgemäß nicht existiert.
Die Substitution des Tatbestandsmerkmals „Geschäftsführer“ durch „director“ würde im Ergebnis aufgrund der methodischen Ähnlichkeit der Substitution zur Analo-
198 Spindler / Berner, RIW 2004, 7,15; Eidenmüller, in: Eidenmüller, Ausländische Kapitalgesellschaften im deutschen Recht, § 9 Rn. 34; Hoffmann, in: Sandrock / Wetzler, Deutsches
Gesellschaftsrecht im Wettbewerb der Rechtsordnungen, S. 249; Mock / Schildt, in: Hirte /
Bücker,Grenzüberschreitende Gesellschaften, § 16 Rn. 68; Rönnau, ZGR 2005, 832, 840;
Römermann / Röver, in: Römermann, Limited, E Rn. 113.
199 Fuhrmann, Tröndle-FS, S. 138, 145.
200 Kegel / Schurig, Internationales Privatrecht, S. 67; Kropholler, Internationales Privatrecht,
S. 229.
201 Kegel/ Schurig, Internationales Privatrecht, S. 67; Kropholler, Internationales Privatrecht,
S. 229; von Hoffmann / Thorn, Internationales Privatrecht, § 6 Rn. 40.
202 Kropholler, Internationales Privatrecht, S. 230.
203 Kropholler, Internationales Privatrecht, S. 230.
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gie zu einer im Strafrecht nicht zulässigen strafbegründenden Analogie unter dem
Deckmantel der Rechtsfigur der Substitution führen. Eine Anwendbarkeit des § 82 I
Nr. 2 GmbHG auf den director im Wege der Substituion ist daher abzulehnen.204
Eine Strafbarkeit eines directors einer englischen Limited gem. § 82 I Nr. 2
i.V.m. § 64 I GmbHG kommt damit nicht in Betracht, da er nicht Normadressat
ist.205
II. Strafnormen des GmbHG im Übrigen
Zwar verwenden die §§ 82 I Nr. 1, 3, 4, 5, 82 II, 84 I Nr. 1, 85 GmbHG ebenso
wie § 84 I Nr. 2 GmbHG den Begriff des Geschäftsführers, so dass nun grundsätzlich die Unanwendbarkeit nahe liegt. Es ist im Folgenden dennoch zu untersuchen,
ob aus den speziellen Tatbeständen oder der Systematik eine abweichende Beurteilung vorzunehmen ist.
1. § 82 I Nr. 1 GmbHG (Gründungsschwindel)
Die Vorschrift des § 82 I Nr. 1 GmbHG stellt falsche Angaben über eine Anzahl
von gründungsrechtlichen Voraussetzungen206, mit dem Ziel, die Eintragung der Gesellschaft im Handelsregister zu erreichen, unter Strafe. Mit dieser Norm soll die
Kapitalaufbringung bei Gründung der Gesellschaft auch mit strafrechtlichen Mitteln
gesichert, aber auch eine zuverlässige Informationsmöglichkeit der Gläubiger durch
Einsichtnahme in das Handelsregister gewährleistet werden.207
Da die Vorschrift offensichtlich an die Gründungsvorschriften der GmbH208 anknüpft, und damit einen blankettartigen Charakter aufweist,209 ergibt sich die Nichtanwendbarkeit der Norm schon tatbestandlich. Der Begriff „Geschäftsführer“ ist
damit vom Wortsinn her eindeutig, eine Auslegung in Richtung eines Geschäftsleiters einer englischen Limited ist mithin nicht möglich. Eine analoge Anwendung
scheitert am Verbot der strafbegründenden Analogie gem. Art. 103 II GG, § 1 StGB.
Die Vorschrift ist damit nicht auf einen director einer Limited anwendbar.
204 ebenso Eidenmüller, in: Eidenmüller, Ausländische Kapitalgesellschaften im deutschen
Recht, § 9 Rn. 34.
205 Nach Gross / Schorck, NZI 2006, 10, 13, ist ein director zwar vom Geschäftsführerbegriff
umfasst, eine Strafbarkeit gem. § 82 I Nr. 4 GmbHG scheitert danach jedoch an einer fehlenden Insolvenzantragspflicht des directors nach der Vorschrift des § 64 I GmbHG, die als
zum Gesellschaftsstatut gehörig bezeichnet wird.
206 Die Übernahme der Stammeinlagen, die Leistung der Einlagen, die Verwendung eingezahlter Beträge, Sondervorteile, Gründungsaufwand, Sacheinlagen und Sicherungen für nicht
voll eingezahlte Geldeinlagen (vgl. Wortlaut § 82 I Nr. 1 GmbHG).
207 B / H-Schulze-Osterloh / Servatius, § 82 Rn. 9.
208 Vgl. §§ 1-12 GmbHG.
209 B / H-Schulze-Osterloh / Servatius, § 82 Rn. 4.
Chapter Preview
References
Zusammenfassung
Das Werk befasst sich mit Fragen zur möglichen Strafbarkeit des directors einer englischen Limited nach deutschem Strafrecht und damit mit einem ebenso aktuellen wie vielschichtigen Problem, dessen praktische Relevanz und Zukunftsorientierung nicht genug betont werden kann. Anstoß der Überlegungen sind die Urteile des EuGH in den Rechtssachen „Centros“, „Überseering“ und „Inspire Art“, in denen die Bedeutung der Niederlassungsfreiheit insbesondere in Bezug auf die inländische Anerkennung von sog. Scheinauslandsgesellschaften behandelt werden. Die Autorin analysiert die Auswirkungen dieser viel beachteten Rechtsprechung auf das deutsche Strafrecht. Im Zuge dessen werden ausgewählte deutsche Strafnormen auf ihre Relevanz im Lichte der EuGH-Rechtsprechung näher untersucht. Ferner gibt sie einen Überblick über die Haftungsmöglichkeiten eines directors einer Limited nach englischem Gesellschaftsrecht und untersucht intensiv verschiedene Haftungsvorschriften nach englischem Strafrecht. Schließlich geht das Buch auf die Reform des GmbH-Gesetzes ein und schließt mit einer Stellungnahme zu den relevanten geplanten Änderungen.