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Schlussteil
I. Zusammenfassung und Bewertung der wichtigsten Ergebnisse
Obgleich das Insiderrecht durch das AnSVG grundleged reformiert wurde, kann von
einem gänzlich neuen Insiderrecht nicht gesprochen werden. Zahlreiche wesentliche
Elemente der insiderrechtlichen Vorschriften blieben von der Reform unangetastet.
Keine fundamentale Veränderung ist auch im Hinblick auf die Regelungszwecke des
Insiderrechts festzustellen. Neuartig ist insoweit lediglich die Zielvorgabe, im Zuge
der Integration der europäischen Finanzmärkte ein „level playing field“ zu schaffen.
In einigen Punkten wurde die Reichweite der Insiderverbote aber merklich erweitert.
Zum Kreis der potentiellen Insiderpapiere zählen nicht länger nur Derivate, die zum
Handel an einem organisierten Markt zugelassen oder in den regulierten Markt oder
in den Freiverkehr einbezogen sind, sondern alle Derivate nach § 2 Abs. 2 WpHG.
Im Rahmen von Aktienincentiveprogrammen ausgegebene „Phantom Stocks“ oder
„Stock Appreciation Rights“ sind indes weiterhin keine potentiellen Insiderpapiere,
weil die zugrunde liegenden Geschäfte nicht als Termingeschäfte zu beurteilen sind.
Die terminologische Umstellung von der Insidertatsache auf die Insiderinformation
sollte nicht überbewertet werden, da nach einer europarechtskonformen Auslegung
bereits vor dem Inkraftreten des AnSVG keine nachhaltige Selektierung im Rahmen
dieses Tatbestandsmerkmals erfolgen konnte. Eine Trennung der Spreu vom Weizen
erfolgt so jedenfalls im Wesentlichen nach wie vor im Zusammenhang mit der Frage
nach der Kurserheblichkeit. Insoweit wurde der so genannte subjektive Ansatz, der
sich bei der Frage nach der Kurserheblichkeit am Leitbild des verständigen Anlegers
orientiert, gesetzlich zementiert. Dies entspricht der früheren herrschenden Ansicht.
Bei den einzelnen Insiderhandlungen, welche nach § 14 WpHG zu unterlassen sind,
ist die Differnzierung zwischen Primär- und Sekundärinsidern aufgegeben worden.
Das Verbot des § 14 Abs. 1 Nr. 1 WpHG, welches den Erwerb und die Veräußerung
von Insiderpapieren betrifft, wurde zudem dahingehend modifiziert, dass nicht mehr
eine Ausnutzung, sondern nur noch eine Verwendung von Insiderinformationen bei
den betreffenden Erwerbs- beziehungsweise Veräußerungsvorgängen gefordert wird.
Nach zutreffender Auffassung kann daraus indessen nicht geschlossen werden, dass
ein Kausalzusammenhang zwischen der Kenntnis einer Insiderinformation und einer
Erwerbs- oder Veräußerungsentscheidung nun verzichtbar ist. Vielmehr illustrieren
vor allem dogmatische Überlegungen zur Struktur des Strafrechtstatbestands, dass es
unverzichtbar ist, an der Erforderlichkeit solch eines Zusammenhangs festzuhalten.
Beim Weitergabeverbot nach § 14 Abs. 1 Nr. 2 WpHG und dem Verleitungsverbot
nach § 14 Abs. 1 Nr. 3 WpHG haben sich lediglich marginale Änderungen ergeben.
Eine auf den ersten Blick schwer erkennbare Neuerung stellt es dar, dass nach den
§§ 38 f. WpHG nun in bestimmten Konstellationen die Strafbarkeit beziehungsweise
Bebußung des Versuchs sowie leichtfertiger Begehungsformen normiert worden ist.
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Nachdem im 2. Teil der Arbeit genauer untersucht wurde, wie sich die neugefassten
Vorschriften des Insiderrechts auf ausgewählten Problemfeldern auswirken, kann im
Ergebnis festgehalten werden, dass zwar teilweise neue Schwierigkeiten aufgetreten
oder bestehende Schwierigkeiten verschärft worden sind, zumutbare Möglichkeiten
zur Auflösung der Schwierigkeiten aber in den allermeisten Fällen erhalten blieben.
Die geltenden insiderrechtlichen Regelungen ebnen dem erstarkten politischen und
gesellschaftlichen Willen zur Bekämpfung der Insiderkriminalität in der Folge einen
gangbaren Weg. Nicht aus dem Auge verloren werden darf indes, dass auch bei den
insiderrechtlichen Straftatbeständen eine Aufweichung rechtsstaatlicher Prinzipien
inakzeptabel ist. Nicht hingenommen werden kann insbesondere eine Aushebelung
der materiellen Unschuldsvermutung. Weitere Bemühungen um eine Eindämmung
der Insiderkriminalität mittels Gesetzesverschärfungen sind mithin nicht angezeigt.
Weiter zu forcieren ist demgegenüber die effektive und nachhaltige Verfolgung von
Verbotsverstößen auf der Grundlage des geltenden Rechts.
Bei der Ad-hoc-Publizitätspflicht ist die durch das AnSVG bewirkte Umstellung
von einer Befreiung durch die BaFin nach vorausgehendem entsprechendem Antrag
auf ein System der Legalausnahme zweifellos als wichtigste Neuerung einzuordnen.
Diese neue Befreiungsregelung bringt den betroffenen Emittenten zwar ein erhöhtes
Maß an Flexibilität, auf der anderen Seite ist damit aber eine Aufbürdung von kaum
kalkulierbaren Haftungsrisiken verbunden. Denn geschädigte Kapitalanleger können
Ersatzansprüche nach § 37b WpHG auch dann geltend machen, wenn ein Emittent
fälschlicherweise davon ausging, dass die Voraussetzungen zur Befreiung vorlagen.
Eine gewisse Riskobegrenzung wird dadurch gesichert, dass allein bei vorsätzlichen
oder leichtfertigen Missachtungen der Ad-hoc-Publizitätspflicht eine Haftung droht.
Das gleiche gilt hinsichtlich der ordnungsrechtlichen Sanktionierung von Verstößen.
Dennoch kann den betreffenden Emittenten nicht geraten werden, die gewonnenen
Spielräume im Zusammenhang mit der Befreiung von der Ad-hoc-Publizitätspflicht
stets auszureizen oder im Einzelfall gar zu überreizen. Angezeigt erscheint vielmehr
eine offensive, auf die frühstmögliche Publikation ausgerichtete Informationspolitik.
Der 2. Teil der Arbeit hat gezeigt, dass Schwierigkeiten im Zusammenhang mit der
Ad-hoc-Publizitätspflicht teilweise darauf zurückzuführen sind, dass zwischen den
verschiedenen kapitalmarktrechtlichen Publizitätsvorschriften eine nur ungenügende
Abstimmung besteht. Insbesondere bei komplexen M&A-Transaktionen können die
verschiedenen Publizitätsvorschriften zu schwer durchschaubaren Wirrungen führen.
Die mangelnde Abstimmung der kapitalmarktrechtlichen Publizitätsvorschriften ist
indessen jedenfalls nicht primär dem nationalen Gesetzgeber vorzuwerfen, sondern
schon in den insoweit insuffizient koordinierten europäischen Rechtsakten angelegt.
Verbesserungen im Hinblick auf den Publikationsmodus konnten durch die Gesetze
zur Umsetzung der Transparenzrichtlinie bewirkt werden. Zu begrüßen ist vor allem
die auf das EHUG zurückgehende Pflicht zur Einstellung von Ad-hoc-Mitteilungen
in das elektronische Unternehmensregister. Das Veröffentlichungsverfahren nähert
sich dadurch einem Standard an, der in den USA auf der Basis des EDGAR-Systems
bereits vor geraumer Zeit etabliert wurde.
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II. Ausblick
Die „Reform in Permanenz“, welcher das Kapitalmarktrecht nun bereits seit vielen
Jahren unterworfen ist, erklärt sich aus dem Zusammenhang mit der fortschreitenden
Institutionalisierung und Globalisierung der Kapitalmärkte. Professionelle Akteure,
die weltweit nach Möglichkeiten der Mittelanlage und der Mittelaufnahme suchen,
treten zunehmend in den Vordergrund des internationalen Finanzmarktgeschehens.
Der europäische Gesetzgeber hat diese Entwicklungen zum Anlass genommen, um
die Etablierung eines integrierten europäischen Finanz- und Kapitalmarkts, welcher
internationalen Standards in jeder Hinsicht entspricht, nach Kräften voranzutreiben.
Eine Tempoverschärfung bei der europäischen Rechtsangleichung sollte und konnte
dabei auf Grundlage des neu geschaffenen Lamfalussy-Verfahrens erreicht werden.
Nachdem der auf Initiative der Europäischen Kommission gestartete Aktionsplan für
Finanzdienstleistungen, der die konzeptionelle Grundlage der regelungsgeberischen
Tätigkeit der Europäischen Union auf dem Gebiet des Kapitalmarktrechts darstellte,
in allen wesentlichen Punkten umgesetzt werden konnte, ist nun der Eintritt in eine
Konsolidierungsphase beabsichtigt. In dieser Phase soll der Fokus auf die effektive
Umsetzung der Rechtsvorschriften sowie die Verbesserung der grenzübergreifenden
Zusammenarbeit der verschiedenen nationalen Aufsichtsbehörden gerichtet werden.
Mithin ist davon auszugehen, dass die heißgelaufene Gesetzgebungsmaschinerie auf
der Großbaustelle des Kapitalmarktrechts doch zumindest vorübergehend zur Ruhe
kommen wird.
Chapter Preview
References
Zusammenfassung
Die Arbeit stellt die Neuerungen, die das Anlegerschutzverbesserungsgesetz in den Bereichen des Insiderrechts und der Ad-hoc-Publizität gebracht hat, in ausführlicher Weise dar. Bei der Erörterung einzelner Fragestellungen wird auf die Dokumentation von Sinnzusammenhängen ebenso besonderer Wert gelegt wie auf ein rechtsdogmatisch fundiertes Vorgehen.
In einem gesonderten Teil zeigt der Autor praxisrelevante Problemfelder, denen in zunehmendem Maße öffentlicher Augenmerk zuteil wird, auf.
Das Werk ist damit nicht nur für Wissenschaftler oder Studenten, sondern auch für Praktiker interessant, um von einer fundierten Basis aus konkrete Lösungswege nachzuvollziehen und weiterzuentwickeln.