192
B. Der Erwerb eigener Aktien
1. Überblick zum Problemfeld
§ 71 Abs. 1 AktG statuiert ein grundsätzliches Verbot des Erwerbs eigener Aktien,
welches nur in Ausnahmefällen, die in § 71 Abs. 1 Nr. 1 bis 8 AktG aufgelistet sind,
durchbrochen wird.836 Ziel des Verbots ist es, anknüpfend an das Zeichnungsverbot
eigener Aktien aus § 56 Abs. 1 AktG, welches die reale Kapitalaufbringung sichert,
für die Erhaltung des in eine Aktiengesellschaft eingebrachten Kapitals zu sorgen.837
Eine deutliche Lockerung jenes Verbots bewirkte das KonTraG vom 27.04.1998.838
Seitdem ist es Aktiengesellschaften nach § 71 Abs. 1 Nr. 8 AktG erlaubt, aufgrund
eines Ermächtigungsbeschlusses der Hauptversammlung eigene Aktien unabhängig
von besonderen Zweckvorgaben zu erwerben.839 Kritik an dieser Neuregelung, etwa
unter dem Aspekt einer Beeinträchtigung der Interessen der Gesellschaftsgläubiger
durch die Aufweichung des Verbots, wurde lediglich ganz vereinzelt vorgebracht.840
Entscheidend dafür war wohl insbesondere, dass die Kapitalerhaltung bereits durch
§ 71 Abs. 2 Satz 2 AktG als hinreichend gesichert angesehen wurde. Die Lockerung
des Erwerbsverbots wurde so als überfälliger Schritt zur Anpassung des nationalen
Rechts an die europäischen beziehungsweise internationalen Standards bewertet.841
Die Möglichkeit zu einer noch weitergehenden Lockerung des Verbots des Erwerbs
eigener Aktien bietet die Richtlinie 2006/68/EG vom 06.09.2006 zur Änderung der
Richtlinie 77/91/EWG (Kapitaländerungsrichtlinie).842 Durch die Kapitaländerungsrichtlinie fällt die Beschränkung des Erwerbsvolumens auf 10 % des Grundkapitals
nach Art. 19 Abs. 1 lit. b a.F. der Kapitalrichtlinie weg. Zudem verlängert sich die
Höchstgrenze für die Geltungsdauer einer Ermächtigung zum Aktienrückerwerb von
achtzehn Monaten gemäß Art. 19 Abs. 1 lit. a a.F. der Kapitalrichtlinie auf 5 Jahre.
Ermöglicht wird diese Entschärfung der aktienrechtlichen Bestimmungen durch die
hierzu als Gegengewicht fungierenden Vorgaben der Marktmissbrauchsrichtlinie.843
836 Vgl. nur Hüffer, AktG, § 71 Rn. 3.
837 Schäfer, in: Marsch-Barner/Schäfer, § 47 Rn. 3. Zur Kapitalverfassung der Aktiengesellschaft
sowie zum aktienrechtlichen Kapitalschutz vgl. ferner Bezzenberger, Erwerb eigener Aktien,
Rn. 7 ff.
838 Gesetz zur Kontrolle und Transparenz im Unternehmensbereich, BGBl. 1998 I, S. 786.
839 Hüffer, AktG, § 71 Rn. 19 c ff.; Schäfer, in: Marsch-Barner/Schäfer, § 47 Rn. 20 ff. Teilweise
wurde in jener Neuregelung ein Übergang von einem grundsätzlichen Verbot zu einer grundsätzlichen Erlaubnis erblickt, vgl. Bezzenberger, Erwerb eigener Aktien, Rn. 32, Fn. 52.
840 Vgl. dazu die Nachweise bei Bezzenberger, Erwerb eigener Aktien, Rn. 32, Fn. 53.
841 Erst durch das KonTraG schöpfte der Gesetzgeber den auf europäischer Ebene in Art. 19-24,
39 der Kapitalrichtlinie 77/91/EWG vom 13.12.1976, ABl. EG Nr. L 26/1 vom 31.01.1977,
S. 1, gesetzten Rahmen bezüglich des Erwerbs eigener Aktien aus. § 71 Abs. 2 Satz 2 AktG
geht auf Art. 19 Abs. 1 lit. c dieser Richtlinie zurück und wurde bereits viel früher durch das
2. EG-Koordinierungsgesetz vom 13.12.1978, BGBl. 1978 I, S. 1959, installiert.
842 ABl. EU Nr. L 264/32.
843 Vgl. dazu Cahn, Der Konzern 2007, 385, 387.
193
Dem Marktmissbrauch, also Marktmanipulationen und Insidergeschäften, soll beim
Erwerb eigener Aktien nicht länger durch aktienrechtliche Beschränkungen, sondern
allein durch spezifisch kapitalmarktrechtliche Regelungen entgegengewirkt werden.
Mithin haben die kapitalmarktrechtlichen Vorgaben der Marktmissbrauchsrichtlinie
die Tür zu einer weiteren aktien- respektive gesellschaftsrechtlichen Deregulierung
des Erwerbs eigener Aktien aufgestoßen.844
2. Insiderrecht
a) Bedeutung der Verordnung (EG) Nr. 2273/2003
Nach § 14 Abs. 2 WpHG ist ein Verstoß gegen die Verbote des Insiderrechts beim
Handel mit eigenen Aktien im Rahmen von Rückkaufprogrammen und Maßnahmen
zur Stabilisierung des Preises von Finanzinstrumenten ausgeschlossen, solange die
Vorgaben der Verordnung (EG) Nr. 2273/2003 beachtet werden. Diese Verordnung
gibt spezifische Bereichsausnahmen vor, die als „safe harbors“ bezeichnet werden.
Als Handel mit eigenen Aktien gilt insoweit jeder Erwerb eigener Aktien und nicht,
wie bei § 71 Abs. 1 Nr. 8 Satz 2 AktG, nur der von vorne herein auf die Erzielung
von Gewinnen durch Erwerb und Veräußerung eigener Aktien angelegte Handel.845
Dennoch sollte die Bedeutung der Verordnung (EG) Nr. 2273/2003 hinsichtlich des
insiderrechtlichen Erwerbs- und Veräußerungsverbots des § 14 Abs. 1 Nr. 1 WpHG
nicht überschätzt werden. Denn anders als das vergleichsweise unbestimmt gefasste
Verbot der Marktmanipulation nach § 20a Abs. 1 WpHG greift das insiderrechtliche
Erwerbs- und Veräußerungsverbot des § 14 Abs. 1 Nr. 1 WpHG ohnehin nur unter
fest umrissenen Umständen. Den spezifischen Bereichsausnahmen, die beim Handel
mit eigenen Aktien entsprechend der Verordnung (EG) Nr. 2273/2003 zu beachten
sind, kommt beim insiderrechtlichen Erwerbs- und Veräußerungsverbot in der Folge
keine so ausschlaggebende Bedeutung zu wie beim Verbot der Marktmanipulation,
bei dem die in der Verordnung vorgegebenen spezifischen Bereichsausnahmen nach
§ 20a Abs. 3 WpHG ebenfalls Beachtung finden müssen.846 Wie Erwägungsgrund 2
der Verordnung (EG) Nr. 2273/2003 verdeutlicht, ist auch nicht davon auszugehen,
dass der Erwerb eigener Aktien, soweit er nicht unter die spezifischen Bereichsausnahmen der Verordnung zu subsumieren ist, per se als Marktmissbrauch eingestuft
werden muss. Vielmehr ist auch beim Erwerb eigener Aktien ein Verstoß gegen das
insiderrechtliche Erwerbsverbot des § 14 Abs. 1 Nr. WpHG allein dann zu bejahen,
844 Den Zusammenhang zwischen aktien- und kapitalmarktrechtlicher Regulierung beim Erwerb
eigener Aktien thematisieren auch Bezzenberger, Erwerb eigener Aktien, Rn. 164; Drygala,
AG 2001, 291, 297; Singhof/Weber, AG 2005, 549, 551. Vgl. zu weiteren Interaktionsflächen
zwischen Aktien- und Kapitalmarktrecht Fleischer, ZIP 2006, 451 ff.
845 Geber/zur Megede, BB 2005, 1861,1862; Schäfer, in: Schäfer/Hamann, § 14 WpHG Rn. 105.
846 Ähnlich Singhof/Weber, AG 2005, 549, 562.
194
wenn die allgemein gültigen Voraussetzungen eines Verbotsverstoßes gegeben sind.
Auf einzelne Fragestellungen bezüglich der Reichweite der in der Verordnung (EG)
Nr. 2273/2003 normierten Bereichsausnahmen ist deshalb nicht näher einzugehen.847
Auch die Frage, ob als Belegschaftsaktienprogramme im Sinne des Art. 3 lit. b der
Verordnung (EG) Nr. 2273/2003 nur Programme gelten können, welche sich nicht
an Organmitglieder wenden, erscheint folglich von untergeordneter Bedeutung.848
b) Insiderrechtliche Problemstellungen
Ansatzpunkt für einen Verstoß gegen § 14 Abs. 1 Nr. 1 WpHG beim Erwerb eigener
Aktien können nur andere Insiderinformationen, als der Entschluss eines Emittenten
zum Erwerb eigner Aktien selbst sein.849 Denn auch dann, wenn ein Entschluss zum
Erwerb eigener Aktien kurserheblich ist und mithin eine Insiderinformation darstellt,
kann die Umsetzung einer selbst getroffenen Entscheidung für sich genommen doch
nie einen Insiderverstoß begründen.850 Insiderrechtliche Probleme wirft der Erwerb
eigener Aktien gleichwohl auf, da der Emittent regelmäßig alle Insiderinformationen
kennen wird, die ihn unmittelbar betreffen851 Einschränkend ist jedoch anzumerken,
dass Kenntnis von positiven Insiderinformationen bestehen muss, um die Kausalität
für den Erwerb eigener Aktien bejahen zu können. Wird ein Erwerb eigener Aktien
aufgrund der Kenntnis von negativen Insiderinformationen unterlassen, kommt ein
Verstoß gegen § 14 Abs. 1 Nr. 1 WpHG schon mangels einer Handelsaktivität nicht
in Betracht.852
847 Zur Reichweite der in der Verordnung (EG) Nr. 2273/2003 festgesetzten Bereichsausnahmen
vgl. Assmann, in: Assmann/Schneider, 4. Aufl., § 14 Rn. 214 ff.; BaFin, Emittentenleitfaden,
S. 29; Mock/Stoll/Eufinger, in: KölnKomm. WpHG, § 20a Anh. II VO 2273/2003; Pawlik, in:
KölnKomm. WpHG, § 14 Rn. 69 ff.; Schäfer, in: Schäfer/Hamann, § 14 WpHG Rn. 107 ff.
Zu ergänzen bleibt in diesem Zusammenhang lediglich, dass der Verweis in Art. 4 Abs. 1 der
Verordnung (EG) Nr. 2273/2003 auf Art. 19 Abs. 1 der Richtlinie 77/91/EWG auf Grund der
Richtlinie 2006/68/EG zur Änderung der Richtlinie 77/91/EWG eine inhaltliche Veränderung
erfahren hat. Entscheidend ist hier, da es sich um eine gleitende Verweisung handelt, nicht die
Umsetzungsfrist nach Art. 2, sondern das Inkrafttreten nach Art. 3 der Richtlinie 2006/68/EG,
vgl. Mock/Stoll/Eufinger, in: KölnKomm. WpHG, § 20a Anh. II VO 2273/2003 Art. 1 Rn. 3.
Da die auf der Richtlinie 2006/68/EG beruhende Neufassung des Art. 19 Abs. 1 der Richtlinie
77/91/EWG das grundsätzliche Verbot des Erwerbs eigener Aktien auflockert, kommt es so
zu einer Erweiterung des durch die Verordnung (EG) Nr. 2273/2003 definierten safe harbor.
Genutzt werden kann diese Erweiterung des kapitalmarktrechtlichen safe harbor indessen erst
nach einer entsprechenden Lockerung der nationalen aktienrechtlichen Regelungen.
848 Vgl. dazu etwa Assmann, in: Assmann/Schneider, 4. Aufl., § 14 Rn. 217; Geber/zur Megede,
BB 2005, 1861, 1865; Singhof/Weber, AG 2005, 549, 555.
849 Assmann, in: Assmann/Schneider, 4. Aufl., § 14 Rn. 38 f.; BaFin, Emittentenleitfaden, S. 30;
Pawlik, in: KölnKomm. WpHG, § 14 Rn. 72 f.; Singhof/Weber, AG 2005, 549, 552.
850 Vgl. Teil 1, III. B. 4. a) bb) 1).
851 Die Gesellschaft ist beim Erwerb eigener Aktien als „geborene Insiderin“ zu bezeichnen, vgl.
Bezzenberger, Erwerb eigener Aktien, Rn. 160; Lutter, AG 1997, August-Sonderheft, 52, 56.
852 Assmann, in: Assmann/Schneider, 4. Aufl., § 14 Rn. 39; BaFin, Emittentenleitfaden, S. 30 f.
195
Durchgeführt wird der Erwerb eigener Aktien normalerweise im Rahmen eines so
genannten „open market repurchase“, das heißt, einem Rückkaufprogramm, bei dem
die betreffende Gesellschaft als Käuferin eigener Aktien am Kapitalmarkt auftritt.853
Um ein übermäßiges Ansteigen des Marktpreises der eigenen Aktien aufgrund der
mit einem solchen Programm verbundenen Steigerung der Nachfrage zu verhindern,
wird die Gesellschaft das Programm zumeist über längere Zeit hinweg ausdehnen.854
Dass während der gesamten Laufzeit eines zeitlich gestreckten Rückkaufprogramms
keine Veröffentlichung von positiven Insiderinformationen nach § 15 Abs. 3 WpHG
aufgeschoben werden muss, wird eine Gesellschaft schwerlich sicherstellen können.
Denkbar erscheint es demgegenüber, dass schon zusammen mit dem Entschluss der
Unternehmensleitung zur Durchführung eines Rückkaufprogramms fest vorgegeben
wird, wie jenes Programm konkret ablaufen soll.855 Die nachfolgenden Aktienkäufe
über die Börse wären so ausschließlich auf den bereits gefällten Erwerbsentschluss
zurückzuführen. Vorhandenen und neu entstehenden positiven Insiderinformationen
könnten für die einzelnen Erwerbsvorgänge keine Kausalität zugeschrieben werden.
Als Nachteil eines derartig ausgestalteten Programms muss jedoch der Verlust von
Flexibilität gelten. Die Möglichkeit, durch Reaktionen auf den aktuellen Börsenkurs
der zu erwerbenden Aktien die Kosten zu reduzieren, ginge so vollständig verloren.
Zu prüfen ist daher, ob weitere Optionen zur Verhinderung von Insiderverstößen bei
Rückkaufprogrammen bestehen, die nicht auf so schwerwiegende Bedenken stoßen.
Beachtet werden muss ferner, dass bereits der Entschluss der Unternehmensleitung,
ein Rückkaufprogramm durchzuführen, einen Insiderverstoß begründen kann, wenn
der Entschluss auf die Kenntnis von positiven Insiderinformationen zurückgeht und
diese positiven Insiderinformationen bis zum Beginn des Rückkaufprogramms nicht
veröffentlicht werden. In der Regel wird die Kenntnis positiver Insiderinformationen
allerdings nicht für die Durchführung eines Rückkaufprogramms ursächlich werden.
Denn bei realistischer Betrachtung liegt es eher fern, dass die Unternehmensleitung
sich zur Durchführung eines Rückkaufprogramms letztlich deshalb veranlasst sieht,
weil ihr der Zeitpunkt geeignet erscheint, um eigene Aktien unterhalb des „wahren“
Wertes zu erwerben.
853 Hirsch, Erwerb eigener Aktien, S. 73 ff.; Oechsler, in: MünchKomm. AktG, § 71 Rn. 14,
jeweils m.w.N. Vgl. zu den deutlich seltener genutzten Verfahren zum Erwerb eigener Aktien
durch öffentliches Rückkaufangebot (tender offer) oder Individualvereinbarungen mit Großaktionären (negotiated repurchas) Hirsch, a.a.O. S. 76 ff., 81 ff.; Möller, Rückerwerb eigener
Aktien, Rn. 226 ff., 267 ff.
854 Hirsch, Erwerb eigener Aktien, S. 75 f. Zu den Auswirkungen des Erwerbs eigener Aktien
auf den Börsenkurs vgl. auch Teil 2, II. B. 3. b)
855 Ein Rückkaufprogramm, bei dessen Bekanntgabe Termine und Menge der Wertpapiere, die
während der Laufzeit des Programms gehandelt werden sollen, festgelegt werden, stellt nach
Art. 2 Nr. 4 der Verordnung (EG) Nr. 2273/2003 ein so genanntes programmiertes Rückkaufprogramm dar. Nach Art. 6 Abs. 3 lit. a der Verordnung (EG) Nr. 2273/2003 gelten bezüglich
solcher Rückkaufprogramme gewisse Erleichterungen. Näher hierzu Mock/Stoll/Eufinger, in:
KölnKomm. WpHG, § 20a Anh. II VO 2273/2003 Art. 2 Rn. 11 f., Art. 6 Rn. 10 f.
196
c) Strategien zur Vermeidung von Insiderverstößen
Um dennoch gezielt bereits dem Anschein entgegenzutreten, dass die Kenntnis der
Unternehmensleitung von positiven Insiderinformationen auch nur mitursächlich für
den Entschluss zur Durchführung eines Rückkaufprogramms geworden sein könnte,
erscheint es angebracht, Rückkaufprogramme in unmittelbarem Anschluss an einen
Berichtstermin wie Hauptversammlung, Bilanzpressekonferenz oder Quartalsbericht
zu starten. Wenn zum Zeitpunkt der Beschlussfassung bezüglich der Durchführung
eines Rückkaufprogramms positive Insiderinformationen vorhanden sind, bei denen
nicht davon auszugehen ist, dass sie zum nächsten Berichtstermin publiziert werden,
kann es eventuell auch angezeigt sein, mit dem Beginn eines Rückkaufprogramms
so lange zu warten, bis auch diese Insiderinformationen veröffentlicht worden sind.
Erforderlich wird dies indessen allein bei solchen Insiderinformationen sein, die aufgrund ihrer hohen Bedeutung als Indiz dafür gelten können, dass der Entschluss zur
Durchführung eines Rückkaufprogramms nicht vollkommen unabhängig von diesen
Informationen gefällt wurde und die Unternehmensleitung keine andere Möglichkeit
sieht, um jenes Verdachtsmoment stichhaltig zu widerlegen.
Dem Verdacht, dass im Zuge eines „open market repurchase“ der Zeitpunkt oder
der Umfang einzelner Erwerbsvorgänge an der Börse durch die Kenntnis positiver
Insiderinformationen beeinflusst wurde, kann von der Unternehmensleitung mittels
entsprechender Vorsorgemaßnahmen ebenfalls in effektiver Weise begegnet werden.
Anerkanntermaßen besteht insoweit die Möglichkeit, einen Dritten, namentlich ein
Wertpapierhaus oder ein Kreditinstitut, mit der Durchführung eines beschlossenen
Rückkaufprogramms zu beauftragen.856 Wird diesem Dritten lediglich vorgegeben,
innerhalb welchen Zeitrahmens welches Volumen an Aktien erworben werden soll,
kann die Kenntnis des betreffenden Emittenten von positiven Insiderinformationen
keinen Einfluss darauf haben, wie die einzelnen Erwerbsvorgänge gestaltet werden.
Ebenfalls denkbar ist es, dass der betreffende Emittent nicht einen Dritten, sondern
eigene Mitarbeiter mit der Durchführung eines Rückkaufprogramms beauftragt und
durch entsprechende Comliance-Maßnahmen, insbesondere durch die Installation so
genannter „chinese walls“ sicherstellt, dass diese Mitarbeiter während der Laufzeit
des Programms unter keiner Bedingung Kenntnis von Insiderinformationen erhalten.
Welches Vorgehen als angemessen zu betrachten ist, muss, unter Berücksichtigung
der in der Folge anfallenden zusätzlichen Kosten, im Einzelfall entschieden werden.
Nicht aus dem Auge verloren werden darf aber, dass auch dann, falls der betreffende
Emittent keine der dargelegten Vorsorgemaßnahmen ergriffen hat, die Kenntnis von
positiven Insiderinformationen lediglich als Indiz dafür herangezogen werden kann,
dass einzelne Erwerbsvorgänge tatsächlich beeinflusst wurden.
856 Assmann, in: Assmann/Schneider, 4. Aufl., § 14 Rn. 41; BaFin, Emittentenleitfaden, S. 30.
Ein solcher Rückerwerb unter Einschaltung einer Wertpapierhauses oder Kreditinstituts wird
als „accelerated buyback“ bezeichnet, vgl. Möller, Rückerwerb eigener Aktien, Rn. 273 ff.
197
d) Zusammenfassung
Die Verordnung (EG) Nr. 2273/2003 spielt bei der insiderrechtlichen Bewertung des
Erwerbs eigener Aktien lediglich eine untergeordnete Rolle. Als Ausschlaggebend
müssen auch insoweit letztlich die allgemeinen insiderrechtlichen Regeln gelten.857
Auf Grundlage dieser allgemeinen insiderrechtlichen Regelungen kommt es bei dem
Erwerb eigener Aktien vordringlich darauf an, zu verhindern, dass die Kenntnis von
Insiderinformationen für ein Rückkaufprogramm insgesamt oder die Ausgestaltung
einzelner Erwerbsvorgänge an der Börse kausal werden kann. Die Anforderungen an
eine verantwortungsvolle Unternehmensleitung verbieten es dabei, darauf zu hoffen,
dass ein Nachweis für eine solche Kausalität ohnehin nicht zu erbringen sein wird;
notwendig ist vielmehr die rechtzeitige Einleitung effektiver Vorbeugemaßnahmen.
Dies gilt nicht zuletzt deswegen, weil nach § 71 Abs. 3 Satz 3 AktG die BaFin über
Ermächtigungsbeschlüsse zum Erwerb eigener Aktien nach § 71 Abs. 1 Nr. 8 AktG
unabhängig von deren Kurserheblichkeit informiert werden muss, weshalb von einer
besonders intensiven Überprüfung der mit dem Erwerb eigenen Aktien verbundenen
Vorgänge durch die BaFin auszugehen ist.858
3. Ad-hoc-Publizität
a) Bedeutung der Verordnung (EG) Nr. 2273/2003
Hinsichtlich der Verpflichtung zur Ad-hoc-Publizität vermag die Verordnung (EG)
Nr. 2273/2003 keine spezifischen Bereichsausnahmen bei Rückkaufprogrammen zu
begründen. Ein Verweis auf die Verordnung (EG) Nr. 2273/2003, wie in § 14 Abs. 2
WpHG beim Insiderrecht und in § 20a Abs. 3 WpHG bei der Marktmanipulation,
existiert bei der Verpflichtung zur Ad-hoc-Publizität nach § 15 WpHG gerade nicht.
Ein solcher Verweis stünde auch im Widerspruch zu Art. 8 der Marktmissbrauchsrichtlinie, der allein eine Befreiung von den Verboten, nicht jedoch den Geboten der
Marktmissbrauchsrichtlinie aufgrund der Verordnung (EG) Nr. 2273/2003 vorsieht.
Die Verpflichtung zur Ad-hoc-Publizität gemäß § 15 WpHG und die Verpflichtung
zur angemessenen Bekanntgabe gewisser Informationen bei Rückkaufprogrammen
und Kursstabilisierungsmaßnahmen aus Art. 4 Abs. 2 beziehungsweise Art. 9 Abs. 1
und 3, jeweils in Verbindung mit Art. 2 Nr. 5 der Verordnung (EG) Nr. 2273/2003,
857 Deswegen ist auch davon auszugehen, dass, entgegen des Wortlauts von § 14 Abs. 2 WpHG,
ein Insiderverstoß auch bei vollumfänglicher Beachtung der Vorgaben der Verordnung (EG)
Nr. 2273/2003 nicht zweifellos ausgeschlossen werden kann, vgl. Bingel, Kursstabilisierung,
S. 213 ; Groß, in: GS Bosch, S. 49, 57; ders., in: Happ, Aktienrecht, 13.01 Rn. 28.
858 Näher dazu Hüffer, AktG § 71 Rn. 23a; Möller, Rückerwerb eigener Aktien, Rn. 296 ff.
198
stehen folglich nebeneinander.859 Unter welchen Umständen welche Informationen
bei Rückkaufprogrammen und Kursstabilisierungsmaßnahmen angemessen bekannt
zu geben sind, ist hier nicht näher auszuführen.860 In Bezug auf die Modalitäten der
Bekanntgabe soll indessen der Hinweis nicht unterbleiben, dass Art. 102 Abs. 1 und
Art. 103 der Kapitalmarktpublizitätsrichtlinie 2001/34/EG, auf die in Art. 2 Nr. 5 der
Verordnung (EG) Nr. 2273/2003 verwiesen wird, seit dem 20.01.2007 nach Art. 32
der Transparenzrichtlinie 2004/109/EG außer Kraft gesetzt worden sind. Zudem gibt
Art. 32 der Transparenzrichtlinie vor, dass der benannte Verweis in Art. 2 Nr. 5 der
Verordnung (EG) Nr. 2273/2003 nun als Verweis auf die entsprechenden Vorgaben
der Transparenzrichtlinie zu verstehen ist.861 An die Stelle von Art. 102 Abs. 1 der
Kapitalmarktpublizitätsrichtlinie sind nun Art. 21 Transparenzrichtlinie und Art. 12
der Durchführungsrichtlinie 2007/14/EG862 getreten, an der Stelle von Art. 103 der
Kapitalmarktpublizitätsrichtlinie ist Art. 20 der Transparenzrichtlinie zu beachten.
Angesichts der doch eher verworrenen europäischen Rechtslage kann es auch nicht
verwundern, dass es der nationale Gesetzgeber versäumt hat, bei der Änderung der
WpAIV durch das Transparenzrichtlinieumsetzungsgesetz (TUG) die angemessene
Bekanntgabe nach Maßgabe von Art. 2 Nr. 5 der Verordnung (EG) Nr. 2273/2003 in
den durch § 1 WpAIV definierten Anwendungsbereich der WpAIV einzubeziehen.
Da Ziel dieser Änderung war, die in Art. 19 bis 21 Abs. 1 der Transparenzrichtlinie
und Art. 12 der Durchführungsrichtlinie 2007/14/EG vorgegebenen Anforderungen
an den Publikationsmodus umzusetzen, müssten zutreffenderweise auch insoweit die
§§ 3a, 3b WpAIV zur Geltung kommen.863
b) Kurserheblichkeit des Erwerbs eigener Aktien
Eine Ad-hoc-Meldung bezüglich des Erwerbs eigener Aktien ist nur dann geboten,
wenn insoweit von einer Insiderinformation nach § 13 WpHG auszugehen ist. Die
potentielle Kurserheblichkeit wird oft schon deshalb bejaht, weil der Erwerb eigener
Aktien in jedem Fall mit einer Steigerung der Nachfrage einhergeht.864 Aus Sicht der
859 Ebenso BaFin, Emittentenleitfaden, S. 46 f.; Bingel, Kursstabilisierung, S. 223 ff. Schäfer, in:
Schäfer/Hamann, § 14 WpHG Rn. 115, hält es indes für möglich, die angemessene Bekanntgabe im Sinne der Verordnung (EG) Nr. 2273/2003 mit einer Ad-hoc-Meldung zu verbinden.
Da für Ad-hoc-Meldungen strengere Anforderungen in Bezug auf den Modus der Publikation
gelten, als für eine angemessene Bekanntgabe im Sinne der Verordnung (EG) Nr. 2273/2003,
kann dem zugestimmt werden, solange eine Ad-hoc-Meldung sämtliche inhaltliche Angaben
enthält, die nach der Verordnung (EG) Nr. 2273/2003 erforderlich sind.
860 Vgl. dazu Mock/Stoll/Eufinger, in: KölnKomm. WpHG, § 20a Anh. II VO 2273/2003 Art. 4
Rn. 7 ff., Art. 9 Rn. 2 ff., 10 ff.
861 Mock/Stoll/Eufinger, in: KölnKomm. WpHG, § 20a Anh. II VO 2273/2003 Art. 2 Rn. 13 f.
Zweifelnd Groß, in: GS Bosch, S. 49, 54 Fn. 31.
862 ABl. EU Nr. L 69 vom 09.03.2007, S. 27.
863 Vgl. Begründung RegE TUG, BT-Drucksache 16/2498, S. 48.
864 Bezzenberger, Erwerb eigener Aktien, Rn. 78; Drygala, AG 2001, 291, 297.
199
Wirtschaftswissenschaft mag dies eine zu oberflächliche Betrachtung darstellen.865
Empirische Studien sind jedoch übereinstimmend zu dem Ergebnis gekommen, dass
größere Mengen an Aktien zumindest nicht ohne vorübergehende Auswirkungen auf
den Börsenkurs der jeweiligen Papiere veräußert oder erworben werden können. 866
Schwierigkeiten bezüglich der Beantwortung der Frage nach der Kurserheblichkeit
des Erwerbs eigener Aktien resultieren aber daraus, dass dem Erwerb eigner Aktien
ein mehrstufiger Entscheidungsprozess vorausgeht.867 Nach § 71 Abs. 1 Nr. 8 AktG
müssen zunächst Vorstand und Aufsichtsrat der Gesellschaft den Beschluss fassen,
der Hauptversammlung vorzuschlagen, eine Ermächtigung zum Rückerwerb eigner
Aktien zu erteilen. Darauf folgt die Beschlussfassung durch die Hauptversammlung.
Ob und in welchem Unfang von so einer Ermächtigung zum Erwerb eigener Aktien
tatsächlich Gebrauch gemacht wird, hat dann neuerlich der Vorstand zu entscheiden.
Zusätzlich kann nach § 111 Abs. 4 Satz 2 AktG eine Zustimmung des Aufsichtsrats
zu diesem Vorstandsbeschluss erforderlich sein. Mittlerweile hat sich in Bezug auf
diese Problematik jedoch ein einheitlicher Meinungsstand herausgebildet, nach dem
erst mit dem Beschluss des Vorstands über die Ausnutzung einer Ermächtigung zum
Erwerb eigener Aktien eine zu publizierende Insiderinformation vorliegen kann.868
Grund dafür ist, dass die mittlerweile schon langjährige Erfahrung mit der Vorschrift
des § 71 Abs. 1 Nr. 8 AktG gezeigt hat, dass eine Ermächtigung durch die Hauptversammlung in der Regel routinemäßig eingeholt wird und fast nichts darüber aussagt,
ob in der Folge auch tatsächlich von dieser Ermächtigung Gebrauch gemacht wird.
Die Kurserheblichkeit des Vorstandsbeschlusses über den Erwerb eigener Aktien ist
dann an Hand der Umstände des konkreten Einzelfalls zu bestimmen.869
c) Aufschub einer Ad-hoc-Meldung beim Erwerb eigener Aktien
Die Frage, ob ein Emittent sich von der Ad-hoc-Publizität nach § 15 Abs. 3 WpHG
befreien kann, stellt sich insbesondere dann, wenn zusätzlich zu dem Beschluss des
Vorstands über den Erwerb eigener Aktien eine Zustimmung des Aufsichtsrats nach
§ 111 Abs. 4 Satz 2 AktG erforderlich ist.870 Einem solchen Zustimmungsvorbehalt
können Geschäfte unterworfen werden, die nach Art sowie Umfang von besonderer
865 Einen Überblick zum Meinungsstand gibt Lenzen, Börsenkursbildung, S. 34 ff.
866 Vgl. die Nachweise bei Lenzen, Börsenkursbildung, S. 39; Schweizer, Insiderverbote, S. 41.
Vgl. ferner die Studie von Schremper, Aktienrückkauf, S. 123 ff.
867 Vgl. v. Aerssen, WM 2000, 391, 400 ff.; Bosse, ZIP 1999, 2047, 2048 f.; Möller, Rückerwerb
eigener Aktien, Rn. 347.
868 Assmann, in: Assmann/Schneider, 4. Aufl., § 15 Rn. 86 f.; BaFin, Emittentenleitfaden, S. 30;
Groß, in: Happ, Aktienrecht, 13.01 Rn. 28; Schäfer, in: Marsch-Barner/Schäfer, § 47 Rn. 64;
ders., in: Schäfer/Hamann, § 14 WpHG Rn. 106; Singhof/Weber, AG 2005, 549, 551.
869 Assmann, in: Assmann/Schneider, 4. Aufl., § 14 Rn. 38, nennt als maßgebliche Kriterien das
Erwerbsvolumen, die Marktenge sowie den Zeitraum, über den sich der Erwerb ausdehnt.
870 Assmann, in: Assmann/Schneider, 4. Aufl., § 15 Rn. 87.
200
Bedeutung für ein Unternehmen sind.871 Folglich liegt es nahe, den Erwerb eigener
Aktien jedenfalls dann dem Vorbehalt einer Zustimmungs durch den Aufsichtsrat zu
unterwerfen, wenn der geplante Erwerb einen gewissen Umfang überschreitet.
Daran, dass eine Insiderinformation bereits nach der Entscheidung des Vorstands
zum Erwerb eigener Aktien vorliegen kann, ändert ein Zustimmungsvorbehalts des
Aufsichtsrats grundsätzlich nichts. Denn dafür, dass der Aufsichtsrat dem Beschluss
des Vorstands zustimmen wird, spricht eine weit überwiegende Wahrscheinlichkeit.
Nach richtiger Auffassung ist eine Befreiung von der Ad-hoc-Publizitätspflicht nach
§ 15 Abs. 3 WpHG aber regelmäßig als zulässig zu beurteilen, bis ein mehrstufiger
Entscheidungsprozesses zu seinem Abschluss gekommen ist. Eine Befreiung könnte
lediglich dann unzulässig sein, wenn die Zustimmung des Aufsichtsrats zum Erwerb
eigener Aktien mit Sicherheit erteilt werden würde und deswegen von einer reinen
Formsache zu sprechen wäre.872 Da der Aufsichtsrat nach § 111 Abs. 4 Satz 2 AktG
hinsichtlich der zustimmungsbedürftigen Geschäftse eine eigene unternehmerische
Entscheidung zu treffen hat, kann hiervon aber gerade nicht ausgegangen werden.873
Einer Befreiung von der Ad-hoc-Publizitätspflicht bis zur Zustimmung des Aufsichtsrats stehen so prinzipiell keine Vorbehalte entgegen.
d) Zusammenfassung
Bezüglich der Ad-hoc-Publizitätspflicht spielt die Verordnung (EG) Nr. 2273/2003
keine Rolle. Die Verpflichtung zur angemessenen Bekanntmachung von bestimmten
Informationen bei Rückkaufprogrammen und Kursstabilisierungsmaßnahmen nach
der Verordnung (EG) Nr. 2273/2003 kann die Verpflichtung zur Ad-hoc-Publizität
nach § 15 WpHG nicht außer Kraft setzen.
Eine Verpflichtung zur Ad-hoc-Publizität aufgrund des Erwerbs eigener Aktien
nach § 71 Abs. 1 Nr. 8 AktG kann sich erst dann ergeben, wenn vom Vorstand der
betreffenden Gesellschaft der Beschluss getroffen wird, von einer Ermächtigung der
Hauptversammlung tatsächlich Gebrauch zu machen. Vor dieser Beschlussfassung
liegt mangels Kurserheblichkeit keine publizitätspflichtige Insiderinformation vor.
Eine Befreiung von der Verpflichtung zur Ad-hoc-Publizität ist prinzipiell zulässig,
falls eine Zustimmung des Aufsichtsrats nach § 111 Abs. 4 Satz 2 AktG zum Erwerb
eigener Aktien erforderlich ist und diese noch nicht erteilt wurde.
871 Semler, in: MünchKomm. AktG, § 111 Rn. 399, m.w.N.
872 Vgl. Teil 1, IV. B. 3. a) bb) (3) (b).
873 Semler, in: MünchKomm. AktG, § 111 Rn. 390 m.w.N.
Chapter Preview
References
Zusammenfassung
Die Arbeit stellt die Neuerungen, die das Anlegerschutzverbesserungsgesetz in den Bereichen des Insiderrechts und der Ad-hoc-Publizität gebracht hat, in ausführlicher Weise dar. Bei der Erörterung einzelner Fragestellungen wird auf die Dokumentation von Sinnzusammenhängen ebenso besonderer Wert gelegt wie auf ein rechtsdogmatisch fundiertes Vorgehen.
In einem gesonderten Teil zeigt der Autor praxisrelevante Problemfelder, denen in zunehmendem Maße öffentlicher Augenmerk zuteil wird, auf.
Das Werk ist damit nicht nur für Wissenschaftler oder Studenten, sondern auch für Praktiker interessant, um von einer fundierten Basis aus konkrete Lösungswege nachzuvollziehen und weiterzuentwickeln.