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II. Problemstellung und Gang der Untersuchung
A. Problemstellung
Ob Insiderhandel überhaupt schädlich oder verwerflich und deswegen per Gesetz zu
verbieten sei, wurde nicht nur in den USA13, sondern auch in Deutschland durchaus
kontrovers diskutiert. Fundamentalkritisch bezüglich eines gesetzlichen Verbots des
Insiderhandels haben sich vor allem einen ökonomischen Ansatzpunkt verfolgende
Arbeiten geäußert.14 Andere Autoren, welche den Insiderhandel an sich missbilligen,
ziehen zumindest in Zweifel, ob die Androhung von strafrechtlichen Konsequenzen
bei insiderrechtlichen Verstößen mit dem „ultima ratio Prinzip“ zu vereinbaren ist.15
Auch die Notwendigkeit einer gesetzlichen Regelung der Ad-hoc-Publizitätspflicht
wurde bereits von verschiedener Seite in Frage gestellt. Vorgebracht wurde insofern,
dass die Ad-hoc-Publizität keinen Beitrag zur Kapitalmarkteffizienz leisten könne16
oder auch, dass eine Ad-hoc-Publizität auf freiwilliger Basis, zu deren Regulierung
die „unsichtbare Hand des Marktes“ genüge, einer Verpflichtung vorzuziehen sei.17
Ungeachtet der genannten Kritikpunkte ist allerdings festzuhalten, dass sowohl die
Insiderverbote als auch die Ad-hoc-Publizitätspflicht als gesetzgeberische Vorgaben
prinzipiell hingenommen werden müssen. Die Geltung jener Bestimmungen wird
dabei auch unter Bemühung des Verfassungsrechts schwerlich zu erschüttern sein.18
Hauptziel der Arbeit soll es daher sein, die nach dem AnSVG geltende Gesetzeslage
zu analysieren und auf die Praxistauglichkeit in unterschiedlichen Problembereichen
hin zu überprüfen. Aufgrund dieser Zielsetzung eine Ausblendung der theoretischen
Fundamente des Insiderrechts und der Ad-hoc-Publizitätspflicht zu fordern, würde
allerdings zu kurz greifen. Die Auslegungsfragen, welche sich insbesondere wegen
der Benutzung zahlreicher unbestimmter Rechtsbegriffe stellen,19 können vielmehr
13 Eröffnet wurde die Diskussion über die Berechtigung von Insiderverboten in den USA durch
Manne, Insider trading; ders., Harvard Business Review 44 (1966), 113. Weitere Nachweise
bezüglich kritischer Stimmen aus den USA finden sich bei Krauel, Insiderhandel, S. 20 ff.
14 Oberender/Daumann, Ordo 43 (1992), 255; Schneider; DB 1993, 1429; Schweizer, Insiderverbote, S. 27 ff.
15 Vgl. dazu die Nachweise bei Assmann, in: Assmann/Schneider, 4. Aufl., Vor § 12 Rn. 44 und
bei Sethe, ZBB 2006, 243, 244.
16 Schneider, DB 1993, 1429.
17 Vgl. hierzu Hsu, Ad-hoc-Publizität, S. 67 ff.; von Klitzing, Ad-hoc-Publizität, S. 9 ff. sowie
vertiefend Fülbier, Regulierung der Ad-hoc-Publizität, S. 165 ff.
18 Damit soll nicht in Abrede gestellt werden, dass verfassungsrechtliche Aspekte in Bezug auf
die Auslegung der Vorschriften, eine Rolle spielen können. Insbesondere muss auf Grund der
Strafbewehrtheit der Vorschriften das aus Art. 103 Abs. 2 GG abzuleitende Analogieverbot
Beachtung finden, welches einer erweiternden Auslegung der Normen enge Schranken setzt,
vgl. dazu Pieroth, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 103 Rn. 47, m.w.N.
19 Dreyling, in: Dreyling/Schäfer, Rn. 5, spricht insoweit plastisch von einem „Dschungel der
unbestimmten Rechtsbegriffe“. Jener Dschungel hat sich durch das AnSVG zumindest nicht
in erheblichem Maße gelichtet.
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allein mittels exakter Bezugnahme auf die Regelungszwecke beantwortet werden.20
Angesichts der Aktualität der gesetzgeberischen Maßnahmen auf dem betreffenden
Sektor kommt dabei den Gesetzesmaterialien eine ganz besondere Bedeutung zu.21
An den dort gegebenen Leitlinien wird man sich zur Beantwortung von Auslegungsfragen primär zu orientieren haben. Die Existenz von zwingenden europarechtlichen
Vorgaben mag diese Vorgehensweise verkomplizieren, geboten und durchführbar
bleibt sie aber dennoch.22 Solange die nationalen Gesetzesmaterialien oder auch die
europäischen Vorgaben eindeutige Schlüsse zulassen, bleiben „Glaubensfragen“ in
Bezug auf die Regelungslegitimation daher bedeutungslos. Sollte dies nicht der Fall
sein, gebietet die dann erforderliche objektiv-teleologische Auslegung eine vertiefte
Auseinandersetzung mit dem Regelungsbedarf und den Regelungszielen. Hierbei ist
zu ermitteln, ob zu den in nationalen und europäischen Gesetzesmaterialien explizit
benannten Zielen der Förderung des Anlegervertrauens und der Markttransparenz23
weitere hinzutreten, die im Rahmen der teleologischen Auslegung zu beachten sind.
In diesem Zusammenhang ist auch auf die Kritik an den Regelungen einzugehen, die
sich auf denkbare schädliche gesamtwirtschaftliche Auswirkungen stützen möchte.24
Mit der Frage nach der Zweckmäßigkeit der Vorschriften ist zudem diejenige nach
den Folgen bei den einzelnen den Regelungen unterworfenen Wirtschaftssubjekten
zu verbinden.25 Wann und inwieweit die Funktionserfordernisse von Unternehmen
durch die Vorgaben des WpHG beeinträchtigt werden oder mit den dort gegebenen
Zielsetzungen kollidieren, wird sich indes erst im Zusammenhang mit den konkreten
Problemsituationen zeigen und kann deswegen noch nicht bei den Regelungszielen
erörtert werden.26
20 Vgl. nur Larenz, Methodenlehre, S. 312 ff.
21 Larenz, Methodenlehre, S. 316 ff., betont, dass gerade bei jüngeren Gesetzen die Erforschung
des „historisch-psychologischen Willens des Gesetzgebers“ auf Grund des Fehlens eines vom
Zeitgeist abhängenden Bedeutungswandels besonders wichtig ist. Diese Aussage gilt dabei
nicht allein unter Zugrundelegung der geltungszeitlich-subjektiven Theorie sondern auch bei
Zugrundelegung der objektiven Theorie; vgl. dazu Wank, Auslegung, S. 47.
22 Vgl. zu Grenzen und Umfang der richtlinienkonformen Auslegung Auer, NJW 2007, 1106.
Zur besonderen Bedeutung der historisch-teleologischen Auslegung bei der Anwendung von
Gemeinschaftsrecht vgl. Grundmann/Riesenhuber, JuS 2001, 529, 531, 534.
23 Vgl. Begründung RegE AnSVG, BT-Drucks. 15/3174, S. 26 sowie Erwägungsgründe 12, 13
und 15 der MMR.
24 Im Rahmen der objektiv-teleologischen Auslegung ist dabei zu fragen, ob die Regelungen aus
gesamtwirtschaftlicher Sicht Sinn ergeben. Ob in einzelnen Fallkonstellationen wirtschaftlich
unerwünschte Folgen auftreten, ist hingegen bei der Konkretisierung der Normen zu erhellen.
Zur Unterscheidung von Auslegung beziehungsweise Interpretation und Konkretisierung vgl.
Stein, Rechtswissenschaftliche Arbeit, S. 31 ff.
25 Vertiefend zur Analyse von Rechtsfolgen Deckert, Folgenorientierung; Lübbe-Wolff, Rechtsfolgen; Pawlowski, Methodenlehre, Rn. 221 ff.; Sambuc, Folgenerwägungen.
26 Die Folgenorientierung spielt insbesondere bei der Konkretisierung von Rechtsnormen eine
wichtige Rolle, vgl. nur Stein, Rechtswissenschaftliche Arbeit, S. 39 ff. Die Auffassung, nach
welcher die Folgenanalyse die objektiv-teleologische Auslegung ersetzen soll, verkennt dies.
(Vgl. zu dieser Auffassung Koch/Rüßmann, Begründungslehre, S. 227 ff.)
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B. Gang der Untersuchung
Neben einer Einleitung und einem Schlussteil gliedert sich die vorliegende Arbeit in
zwei Hauptteile auf. Der erste Hauptteil stellt die neuen Vorgaben des WpHG dabei
auf eine abstrakte Weise dar. Auf Grundlage der anerkanntermaßen anzustellenden
methodischen Überlegungen sollen hier die neuen Regelungen ausgelegt und in ein
stimmiges Gesamtkonzept integriert werden. Der zweite Hauptteil möchte dagegen
aufzeigen, in welchen Situationen die neuen Vorschriften in der Praxis die meisten
Schwierigkeiten mit sich bringen und Ansätze zur Lösung der Probleme entwickeln.
Die im ersten Hauptteil erarbeiteten theoretischen Grundlagen bilden insoweit zwar
eine Basis bezüglich der Entscheidungsfindung bei den einzelnen Problemfeldern;
sollten wichtige Stimmen aber andere als die dort gefundenen Ergebnisse vertreten,
sind auch diese zu berücksichtigen. Weiterhin bietet dieser Aufbau die Möglichkeit,
die Ergebnisse der Auslegung daraufhin zu überprüfen, ob sie in den aufgezeigten
Problemsituationen zu tragbaren Ergebnissen führen. Sollte dies nicht der Fall sein,
wäre an den betreffenden Stellen zu diskutieren, ob zur angemessenen Bewältigung
der tatsächlichen sozialen und wirtschaftlichen Gegebenheiten Ergebniskorrekturen
angezeigt sind.27
Im ersten Hauptteil wird zunächst gezeigt, welche europäischen und nationalen
Rechtsquellen Regelungen enthalten, die das Insiderrecht oder die Ad-hoc-Publizität
betreffen.28 Daraufhin wird ein Überblick zu den relevanten Änderungen gegeben.29
Die folgende eingehende Darstellung und Analyse der das Insiderrecht betreffenden
Änderungen orientiert sich weitgehend am Aufbau der entsprechenden Normen im
WpHG.30 Vorangestellt wird ein Abschnitt, welcher sich mit Regelungsbedarf und
Regelungszielen des Insiderrechts auseinandersetzt, um dadurch eine Basis für die
Auslegung der Normen bereitzustellen.31 Im Anschluss daran wird erörtert, welche
Handlungen von den Insiderverboten des WpHG erfasst sind.32 Zum Abschluss des
dem Insiderrecht gewidmeten Abschnitts ist zu zeigen, welche Änderungen sich bei
den Rechtsfolgen von Verstößen und bei der Marktüberwachung ergeben haben.33
27 Die Ablehnung einer Ergebniskontrolle und der Möglichkeit zu Korrekturen auf der Basis
funktionaler Erwägungen müsste als Rückfall auf die Begriffsjurisprudenz unter Missachtung
der Erkenntnisse der Interessen- respektive Wertungsjurisprudenz bewertet werden, vgl. dazu
Stein, Rechtswissenschaftliche Arbeit, S. 17 ff. Eine Grenze für Ergebniskorrekturen gibt die
Bindung an das geltende Recht vor, Stein, a.a.O., S. 11 f. Näher erläutert wird das gewählte
methodische Vorgehen zu Beginn des zweiten Hauptteils der Arbeit. Hierbei ist weniger die
sprachliche Differenzierung zwischen Auslegung und Konkretisierung entscheidend, sondern
vielmehr die gebotene Berücksichtigung von Erkenntnissen, die sich aus der Folgenanalyse
und der Folgenbewertung ergeben.
28 Vgl. Teil 1, I.
29 Vgl. Teil 1, II.
30 Vgl. Teil 1, III.
31 Vgl. Teil 1, III. A.
32 Vgl. Teil 1, III. B.
33 Vgl. Teil 1, III. C. und D.
Chapter Preview
References
Zusammenfassung
Die Arbeit stellt die Neuerungen, die das Anlegerschutzverbesserungsgesetz in den Bereichen des Insiderrechts und der Ad-hoc-Publizität gebracht hat, in ausführlicher Weise dar. Bei der Erörterung einzelner Fragestellungen wird auf die Dokumentation von Sinnzusammenhängen ebenso besonderer Wert gelegt wie auf ein rechtsdogmatisch fundiertes Vorgehen.
In einem gesonderten Teil zeigt der Autor praxisrelevante Problemfelder, denen in zunehmendem Maße öffentlicher Augenmerk zuteil wird, auf.
Das Werk ist damit nicht nur für Wissenschaftler oder Studenten, sondern auch für Praktiker interessant, um von einer fundierten Basis aus konkrete Lösungswege nachzuvollziehen und weiterzuentwickeln.