19
Einleitung
I. Einführung
Zum 1. August 1994 traten die §§ 12 ff. des Wertpapierhandelsgesetzes (WpHG) in
Kraft, wodurch in Deutschland erstmalig mit Strafe bewehrte Insiderverbote galten.1
Auch eine effektive Regelung zur Ad-hoc-Publizität fehlte vor dem Inkrafttreten des
§ 15 WpHG zum 1. Januar 1995. Der zum 1. Mai 1987 eingeführte § 44a BörsG a.F.
entfaltete aufgrund des Fehlens einer adäquaten Überwachung sowie angemessener
Möglichkeiten der Sanktionierung in der Praxis kaum eine wahrnehmbare Wirkung.2
Die insiderrechtlichen Regelungen gemäß §§ 12 ff. WpHG sowie die in § 15 WpHG
normierte Ad-hoc-Publizitätspflicht fanden indes rasch die gebührende Resonanz.
Dass mit dem durch Art. 1 des 2. Finanzmarktförderungsgesetzes vom 26. Juli 1994
(2. FFG)3 eingeführten WpHG zwingende rechtliche Vorgaben eingeführt wurden,
beruhte jedoch trotz verbreitet geäußerter Kritik an der zuvor geltenden Rechtslage4
nicht auf einer freien Entscheidung des nationalen Gesetzgebers. Vielmehr war aufgrund der europäischen Insiderrichtlinie eine gesetzliche Regelung des Insiderrechts
und der Ad-hoc-Publizitätspflicht längst überfällig gewesen.5
1 Das WpHG trat teilweise bereits zum 1. August 1994, im Übrigen jedoch erst zum 1. Januar
1995 in Kraft. Näher zur Entwicklung dieser ersten gesetzlichen Regelung des Insiderrechts
in Deutschland Dickersbach, Insiderrecht, S. 118 ff. Vor Inkrafttreten des WpHG existierten
von der Börsensachverständigenkommission ausgearbeitete Empfehlungen zur Lösung der so
genannten Insiderprobleme, welche zur Geltung einer vertraglichen Anerkennung bedurften.
(Abgedruckt bei Hopt/Will, Europäisches Insiderrecht, S. M-100 ff.)
2 Auf Grundlage von § 44a BörsG a.F. wurden insgesamt nur 6 Ad-hoc-Meldungen abgegeben.
Vgl. dazu Assmann in: Assmann/Schneider, 4. Aufl., § 15 Rn. 20 ff.
3 Gesetz über den Wertpapierhandel und zur Änderung börsenrechtlicher und wertpapierrechtlicher Vorschriften (Zweites Finanzmarktförderungsgesetz), BGBl. 1994 I, S. 1749. Weitere
Änderungen, die insbesondere das Börsenrecht betrafen, enthielt Art. 2 des 2. FFG, vgl. dazu
Dickersbach, Insiderrecht, S. 123 ff.
4 Vgl. Hopt/Will, Europäisches Insiderrecht, S. 19 ff.; Pfister, ZGR 1981, 318 ff.; Ulsenheimer,
NJW 1975, 1999, 2004. Zu verschiedenen erfolglos unterbreiteten Gegenentwürfen zu jenem
System der Selbstregulierung auf Freiwilligkeitsbasis vgl. Assmann, ZGR 1994, 494, 496.
5 Richtlinie 89/592/EWG des Rates zur Koordinierung der Vorschriften betreffend Insidergeschäfte (Insiderrichtlinie), ABl. EG Nr. L 334 vom 18.11.1989, S. 30. Durch das 2. FFG sind
neben der Insiderrichtlinie auch die EG-Transparenzrichtlinie, ABl. EG Nr. L 384 vom 17.12.
1988, S. 62, sowie Teile der EG-Wertpapierdienstleistungsrichtlinie, ABl. EG Nr. L 141 vom
11.06.1993, S. 27, umgesetzt worden. Die Umsetzungsfrist für die Insiderrichtlinie lief bis
zum 31.05.1992, vgl. Art. 14 Abs. 1 Satz 1 der Insiderrichtlinie. Zu möglichen Konsequenzen
der verspäteten Umsetzung vgl. Siebold, Insiderrecht, S. 196 ff.
20
Etwa zehn Jahre nach der Installation des WpHG als „Grundgesetz des deutschen
Kapitalmarktrechts“6 durch das 2. FFG ist neuerlich ein Gesetzespaket verabschiedet
worden, welches tief greifende Auswirkungen auf das Insiderrecht und die Ad-hoc-
Publizitätspflicht hat. Das Gesetz zur Verbesserung des Anlegerschutzes (Anlegerschutzverbesserungsgesetz – AnSVG) vom 28. Oktober 20047 soll unter Bezug auf
ein im Februar 2003 durch die Bundesregierung präsentiertes 10-Punkte-Programm
zur Stärkung der Unternehmensintegrität und zur Verbesserung des Anlegerschutzes
den Anlegerschutz in dem Bereich der Kapitalmarktinformation und den Schutz vor
unzulässigen Marktpraktiken fördern.8 Art. 1 des AnSVG, der den Hauptteil jenes
Gesetzespakets ausmacht, beinhaltet dabei ausschließlich Änderungen des WpHG.9
Neben den Vorschriften zum Insiderhandel und zur Ad-hoc-Publizität wurden durch
Art. 1 des AnSVG die Regelungen betreffend den Anwendungsbereich des WpHG,
die Befugnisse der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht, das Directors´
Dealing, die Marktmanipulation sowie die Finanzanalyse teilweise ganz erheblich
umgestaltet. Seit dem Erlass des WpHG brachte das AnSVG damit die umfassendste
Reform des Gesetzes.10 Wie schon die Einführung des WpHG beruht allerdings auch
die mit Art. 1 des AnSVG realisierte Reform nicht auf einem Impuls des nationalen
Gesetzgebers, sondern dient der Umsetzung entsprechender europäischer Vorgaben.
Bei der Umsetzung der Marktmissbrauchsrichtlinie11, welche durch Anpassung der
Regelungen zum Insiderrecht, zur Ad-hoc-Publizität, zur Marktmanipulation sowie
den Finanzanalysen zur Vollendung eines europäischen Binnenmarktes für Finanzdienstleistungen beitragen soll, präsentierte sich die Bundesrepublik diesmal aber als
europäischer Musterknabe. Denn eine jedenfalls annähernd fristgemäße Umsetzung
der Marktmissbrauchsrichtlinie gelang nahezu keinem anderen Mitgliedstaat.12
6 Hopt, ZHR 159 (1995), 135.
7 BGBl. 2004 I, S. 2630.
8 Begründung RegE AnSVG, BT-Drucks. 15/3174, S. 26. Näher zum 10-Punkte-Programm der
Bundesregierung Seibert, BB 2003, 693.
9 Das AnSVG bestimmt in Art. 2 darüber hinaus Änderungen des Verkaufsprospektgesetzes,
(insbesondere Ausdehnung der Prospektpflicht auf nicht in Wertpapieren verbriefte Anlageformen des „Grauen Kapitalmarkts“,) welche nach Art. 6 AnSVG mehrheitlich aber erst zum
1. Juli 2005 in Kraft traten. Die Änderung des BörsG durch Art. 3. des AnSVG, der WpÜG-
Angebotsverordnung durch Art. 4 des AnSVG sowie der Grundstücksverkehsordnung durch
Art. 4a des AnSVG sind demgegenüber nur von untergeordneter Bedeutung.
10 Zu früheren Novellierungen vgl. Assmann, in: Assmann/Schneider, 4. Aufl., Einl. Rn. 20 ff.
Detailliert zur Rechtsentwicklung ferner Diehm, Insidergeschäfte, S. 91 ff.
11 Richtlinie 2003/6/EG des Europäischen Parlamentes und des Rates vom 28.01.2003 über
Insider-Geschäfte und Marktmanipulation (Marktmissbrauch), ABl. EU Nr. L 96 vom 12.04.
2003, S. 16 (MMR).
12 Gemäß Art. 18 der MMR wäre eine Umsetzung bis zum 12.10.2004 geboten gewesen, Art. 1
des AnSVG trat gemäß Art. 6 des AnSVG am 30.10.2004 in Kraft. Viele andere europäische
Staaten ließen sich mit der Umsetzung der MMR deutlich mehr Zeit, vgl. dazu die Nachweise
bei Claussen/Florian, AG 2005, 745, 747.
21
II. Problemstellung und Gang der Untersuchung
A. Problemstellung
Ob Insiderhandel überhaupt schädlich oder verwerflich und deswegen per Gesetz zu
verbieten sei, wurde nicht nur in den USA13, sondern auch in Deutschland durchaus
kontrovers diskutiert. Fundamentalkritisch bezüglich eines gesetzlichen Verbots des
Insiderhandels haben sich vor allem einen ökonomischen Ansatzpunkt verfolgende
Arbeiten geäußert.14 Andere Autoren, welche den Insiderhandel an sich missbilligen,
ziehen zumindest in Zweifel, ob die Androhung von strafrechtlichen Konsequenzen
bei insiderrechtlichen Verstößen mit dem „ultima ratio Prinzip“ zu vereinbaren ist.15
Auch die Notwendigkeit einer gesetzlichen Regelung der Ad-hoc-Publizitätspflicht
wurde bereits von verschiedener Seite in Frage gestellt. Vorgebracht wurde insofern,
dass die Ad-hoc-Publizität keinen Beitrag zur Kapitalmarkteffizienz leisten könne16
oder auch, dass eine Ad-hoc-Publizität auf freiwilliger Basis, zu deren Regulierung
die „unsichtbare Hand des Marktes“ genüge, einer Verpflichtung vorzuziehen sei.17
Ungeachtet der genannten Kritikpunkte ist allerdings festzuhalten, dass sowohl die
Insiderverbote als auch die Ad-hoc-Publizitätspflicht als gesetzgeberische Vorgaben
prinzipiell hingenommen werden müssen. Die Geltung jener Bestimmungen wird
dabei auch unter Bemühung des Verfassungsrechts schwerlich zu erschüttern sein.18
Hauptziel der Arbeit soll es daher sein, die nach dem AnSVG geltende Gesetzeslage
zu analysieren und auf die Praxistauglichkeit in unterschiedlichen Problembereichen
hin zu überprüfen. Aufgrund dieser Zielsetzung eine Ausblendung der theoretischen
Fundamente des Insiderrechts und der Ad-hoc-Publizitätspflicht zu fordern, würde
allerdings zu kurz greifen. Die Auslegungsfragen, welche sich insbesondere wegen
der Benutzung zahlreicher unbestimmter Rechtsbegriffe stellen,19 können vielmehr
13 Eröffnet wurde die Diskussion über die Berechtigung von Insiderverboten in den USA durch
Manne, Insider trading; ders., Harvard Business Review 44 (1966), 113. Weitere Nachweise
bezüglich kritischer Stimmen aus den USA finden sich bei Krauel, Insiderhandel, S. 20 ff.
14 Oberender/Daumann, Ordo 43 (1992), 255; Schneider; DB 1993, 1429; Schweizer, Insiderverbote, S. 27 ff.
15 Vgl. dazu die Nachweise bei Assmann, in: Assmann/Schneider, 4. Aufl., Vor § 12 Rn. 44 und
bei Sethe, ZBB 2006, 243, 244.
16 Schneider, DB 1993, 1429.
17 Vgl. hierzu Hsu, Ad-hoc-Publizität, S. 67 ff.; von Klitzing, Ad-hoc-Publizität, S. 9 ff. sowie
vertiefend Fülbier, Regulierung der Ad-hoc-Publizität, S. 165 ff.
18 Damit soll nicht in Abrede gestellt werden, dass verfassungsrechtliche Aspekte in Bezug auf
die Auslegung der Vorschriften, eine Rolle spielen können. Insbesondere muss auf Grund der
Strafbewehrtheit der Vorschriften das aus Art. 103 Abs. 2 GG abzuleitende Analogieverbot
Beachtung finden, welches einer erweiternden Auslegung der Normen enge Schranken setzt,
vgl. dazu Pieroth, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 103 Rn. 47, m.w.N.
19 Dreyling, in: Dreyling/Schäfer, Rn. 5, spricht insoweit plastisch von einem „Dschungel der
unbestimmten Rechtsbegriffe“. Jener Dschungel hat sich durch das AnSVG zumindest nicht
in erheblichem Maße gelichtet.
Chapter Preview
References
Zusammenfassung
Die Arbeit stellt die Neuerungen, die das Anlegerschutzverbesserungsgesetz in den Bereichen des Insiderrechts und der Ad-hoc-Publizität gebracht hat, in ausführlicher Weise dar. Bei der Erörterung einzelner Fragestellungen wird auf die Dokumentation von Sinnzusammenhängen ebenso besonderer Wert gelegt wie auf ein rechtsdogmatisch fundiertes Vorgehen.
In einem gesonderten Teil zeigt der Autor praxisrelevante Problemfelder, denen in zunehmendem Maße öffentlicher Augenmerk zuteil wird, auf.
Das Werk ist damit nicht nur für Wissenschaftler oder Studenten, sondern auch für Praktiker interessant, um von einer fundierten Basis aus konkrete Lösungswege nachzuvollziehen und weiterzuentwickeln.