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Zuhilfenahme der jeweiligen Fachgesetze lässt sich der Zweck der einzelnen Informationsmaßnahmen dagegen auch von einem fachunkundigen Bürger ermitteln. Die
Anforderungen an das Gebot der präzisen Zweckfestsetzung sind demnach gewahrt.
Ohne Verweisungen kommt das ATDG bei der Bestimmung des Zwecks der weiteren Verwendung im Sinne von § 6 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 ATDG aus. Er besteht in
der Verfolgung einer besonders schweren Straftat und der Abwehr einer Gefahr für
Leib, Leben, Gesundheit oder Freiheit einer Person. Bedenken hinsichtlich der
Normenklarheit bestehen insofern allein aufgrund des Begriffs der „besonders
schweren Straftat“. Die Auslegungsbedürftigkeit einer gesetzlichen Regelung steht
dem Bestimmtheitserfordernis aber nicht entgegen, solange die Auslegung unter
Einsatz der juristischen Methode möglich ist.885 Dies ist hier der Fall. Im Hinblick
auf den Sachzusammenhang zum Terrorismus und dem Sinn der Regelung, gravierende Eingriffe in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung zu legitimieren,
muss unter der „besonders schweren Straftat“ eine solche verstanden werden, die
den mittleren Kriminalitätsbereich deutlich übersteigt und die als solche und nicht
nur im Einzelfall besonders schwer wiegt.886
Die Verwendungszwecke sind demnach insgesamt im ATDG ausreichend präzise
festgelegt, hinsichtlich des Zwecks des Direktabrufs der erweiterten Grunddaten im
Eilfall wäre allerdings, wie zuvor ausgeführt, eine noch deutlichere Fassung durch
den Gesetzgeber wünschenswert.
II. Die Zulässigkeit der Errichtungsanordnung, § 12 ATDG
Gemäß dem Gebot der Normenklarheit hat der Gesetzgeber im Gesetz zur Verbunddatei die für die Grundrechtsverwirklichung wesentlichen Bestimmungen grundsätzlich selbst festzulegen. Administrative Richtlinien oder Errichtungsanordnungen
sind daher nur innerhalb des durch das der Verbunddatei zugrunde liegende Gesetz
selbst festgelegten Rahmens zulässig.887
Die in § 12 ATDG enthaltene Errichtungsanordnung, nach der das BKA im Einvernehmen mit den beteiligten Behörden Einzelheiten zum Anwendungsbereich und
zur verfahrensrechtlichen Ausgestaltung der Antiterrordatei festzulegen hat, begegnet insofern im Hinblick auf das Gebot der Normenklarheit keinen Bedenken. Sie
konkretisiert lediglich den vom ATDG selbst festgelegten Rahmen näher. Die zur
Grundrechtsverwirklichung wesentlichen Bestimmungen normiert das ATDG dagegen selbst. So legt es die Eingriffszwecke der Informationsmaßnahmen, die an der
Verbunddatei beteiligten Behörden (§ 1 Abs. 1 und 2 ATDG), den in der Datei zu
erfassenden Personenkreis (§ 2 ATDG), die Art der zu speichernden Daten (§ 3
ATDG), die Voraussetzungen des Abrufs (§ 5 ATDG), der Übermittlung und Ver-
885 BVerfG NJW 2004, 2213 (2216).
886 Zum Begriff der besonders schweren Straftat im Rahmen von Art. 13 Abs. 3 GG s. BVerfG
NJW 2004, 999 (1010f.).
887 Vgl. 6. Kap., A., II., 1., d.
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wendung der Informationen (§§ 6, 7 ATDG), die Dauer der Speicherung (§ 11 Abs.
2 und 3 ATDG), die organisatorischen Vorkehrungen und die Verfahrensrechte des
Bürgers (§§ 8 - 11 ATDG) fest. Der durch die Errichtungsanordnung der Exekutive
eingeräumte Entscheidungsspielraum ist demnach so minimal, dass er für die
Grundrechtsverwirklichung des Betroffenen kaum eine Rolle spielt. Lediglich der
Bestimmung der weiteren beteiligten Polizeivollzugsbehörden i.S.v. § 1 Abs. 2
ATDG kommt für die Grundrechtsverwirklichung ein nicht unerhebliches Gewicht
zu. Allerdings ist der Kreis der in Betracht kommenden weiteren Behörden wiederum durch § 1 Abs. 2 ATDG so genau umrissen, dass sich die der Verwaltung im
Rahmen der Errichtungsanordnung zukommende Aufgabe lediglich auf die Benennung der durch § 1 Abs. 2 ATDG selbst bestimmten Behörden beschränkt.888 § 12
ATDG ist daher mit dem Gebot der Normenklarheit vereinbar.
III. Die Zulässigkeit der Zweckentfremdungen
Bezweckt die Speicherung und die sich daran anschließende Verarbeitung der Daten
die Erfüllung der jeweiligen den beteiligten Behörden zugewiesenen Aufgaben der
Aufklärung und Bekämpfung des Terrorismus, so stellt die Speicherung und sonstige Verarbeitung von Daten in die Antiterrordatei, die zu anderen Zwecken als der
Terrorismusbekämpfung erhoben wurden, eine Zweckentfremdung dar, die nur unter
engen Voraussetzungen mit dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung vereinbar ist.
1. Bindung an fachgesetzliche Datenerhebungs- und Verarbeitungszwecke und Beschränkung auf den zwecküberschneidenden Bereich
Wie zuvor herausgearbeitet889 fließt aus dem Zweckbindungsgebot neben der Wahrung der Verhältnismäßigkeit des mit der Zweckänderung einhergehenden Transparenzverlustes die Vorgabe, dass Verbunddateien nur in solchen Bereichen und hinsichtlich solcher Daten mit dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung vereinbar sind, hinsichtlich derer sich Aufgaben und Befugnisse der beteiligten
Behörden überschneiden. Demnach sind Verbunddateien erstens nur für solche
Zwecke zulässig, die sich auf Aufgaben beziehen, zu deren Erfüllung alle beteiligten
Stellen gleichsam berufen sind. Zweitens dürfen nur solche Daten in der gemeinsa-
888 So im Ergebnis auch Schmid, Stellungnahme zum ATDG-Entwurf, S. 2f.; a.A. Hilgendorf,
Stellungnahme zum ATDG-Entwurf, S. 5; Roggan/Bergemann, Stellungnahme zum ATDG-
Entwurf, S. 6; Der Bundesbeauftragte für Datenschutz, Stellungnahme zum ATDG-Entwurf,
S. 5; Geiger, Stellungnahme zum ATDG-Entwurf, S. 4ff.; Poscher, Stellungnahme zum
ATDG-Entwurf, S. 8.
889 6. Kap., A., II., 2.
Chapter Preview
References
Zusammenfassung
Gemeinsame Verbunddateien der Sicherheitsbehörden auf dem Prüfstand: Kurz nach Inkrafttreten des in Politik und Rechtswissenschaft stark umstrittenen Antiterrordateigesetzes (ATDG) liefert das Werk eine wissenschaftlich fundierte Stellungnahme zur Verfassungsmäßigkeit der informationellen Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden im Allgemeinen und der Antiterrordatei im Besonderen. Am Beispiel der Antiterrordatei zeigt die Arbeit die verfassungsrechtlichen Grenzen auf, die das Trennungsgebot und das Recht auf informationelle Selbstbestimmung gemeinsamen Verbunddateien von Polizei und Nachrichtendiensten setzen. Eingebettet werden die Erkenntnisse in die verfassungsrechtliche Diskussion um die Grenzen staatlicher Sicherheitsgewährleistung. Mit ihren Ausführungen zum Spannungsverhältnis von Freiheit und Sicherheit bezieht die Arbeit Position zur jüngsten Antiterrorgesetzgebung insgesamt.