221
II. Eingriff in den unantastbaren Kernbereich durch die Antiterrordatei bei ihrer
Umwandlung zur Volltextdatei im Eilfall des § 5 Abs. 2 ATDG?
Allerdings besteht bei der Antiterrordatei die Besonderheit, dass den beteiligten
Behörden im Eilfall nach § 5 Abs. 2 ATDG auch hinsichtlich der erweiterten
Grunddaten ein direkter Zugriff gewährt wird. Im Eilfall wandelt sich die Antiterrordatei folglich zur Volltextdatei. Da bei Volltextdateien gemäß den Ausführungen
im 5. Kapitel876 nicht von vornherein auszuschließen ist, dass sie in den unantastbaren Kernbereich des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung eingreifen, bedarf
die Antiterrordatei insoweit einer näheren Untersuchung. Zur Beurteilung sind insofern maßgeblich die Kriterien der Anzahl und Art der Daten, der Anzahl und Art der
beteiligten Behörden und des Zwecks der staatlichen Befassung mit der Persönlichkeit heranzuziehen.877
Die in der Antiterrordatei nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 ATDG zu speichernden Angaben
betreffen 28 verschiedene Datensätze aus den unterschiedlichsten Lebensbereichen
des Betroffenen. Mit Angaben, wie etwa zur Religionszugehörigkeit oder Gewaltbereitschaft, erreichen die Daten ihrer Art nach einen hohen Grad an Sensibilität. Allerdings ist festzuhalten, dass das wohl sensibelste Merkmal der Religionszugehörigkeit hinsichtlich seiner Aufnahme in die Datei einer Einschränkung nach Erforderlichkeitsgesichtspunkten unterliegt (§ 3 Abs. 1 Nr. 1 b) hh) ATDG), also nicht
stets Eingang in die Antiterrordatei findet.
Der Zweck der Antiterrordatei dient der Aufklärung und Bekämpfung des internationalen Terrorismus, § 1 Abs. 1 ATDG. Die Speicherung insbesondere der erweiterten Grunddaten soll einer Ersteinschätzung der vom Betroffenen ausgehenden
Gefährlichkeit dienen878 und ist im Hinblick auf ihre Stigmatisierungswirkung und
etwaige Folgemaßnahmen für den Betroffenen belastend. Allein aufgrund der Tatsache, dass die Antiterrordatei der Identifizierung möglicher Terroristen und damit
letztlich dem Auffinden ganz bestimmter Subjekte dient, kann nicht geschlossen
werden, dass dennoch zunächst alle von der Erfassung in der Verbunddatei Betroffenen zum bloßen Datenobjekt reduziert werden. Denn alle nach dem ATDG relevanten Informationen werden aus ihrem ursprünglichen Zusammenhang gerissen
und in den Kontext der Terrorismusbekämpfung gestellt. Dem Betroffenen, der von
der Speicherung seiner Daten in die Antiterrordatei zunächst nichts weiß, verbleibt
keine Möglichkeit, den aufgrund der gespeicherten Informationen bei den zuständigen Stellen entstehenden Eindruck betreffend seine Person richtig zu stellen oder zu
revidieren. Er wird somit ohne seine Mitwirkung in den Katalog der „Terrorverdächtigen“ aufgenommen.
Die Zahl der gemäß § 1 ATDG an der Verbunddatei beteiligten Behörden ist mit
38 (die nach § 1 Abs. 2 ATDG möglicherweise ebenfalls beteiligten weiteren Polizeivollzugsbehörden nicht mitgerechnet) hoch. Allerdings entstammen alle beteilig-
876 Vgl. 5. Kap., B., II., 2.
877 Vgl. 5. Kap., B., I., 1.
878 Amtliche Begründung zum GDG, BT-Dr. 16/2950, S. 12, 17.
222
ten Behörden dem Sicherheitsbereich, sind ihrer Art nach also lediglich einem einzigen Bereich der Eingriffsverwaltung zuzurechnen. Eine Vernetzung mit Behörden
aus weiteren Bereichen der Verwaltung, etwa aus dem Finanz-, Sozial-, Gesundheits-, und/oder Kultuswesen ist im ATDG nicht vorgesehen. Die Anzahl und Vielfalt der zur Verfügung stehenden Daten ist dadurch wiederum begrenzt.
Im Rahmen der Gesamtwürdigung dieser Kriterien ist, um den durch den Menschenwürdegehalt vermittelten absoluten Schutz nicht auszuhöhlen, ein enger Maßstab anzulegen. Unter Beachtung dieser Vorgabe kann bei der Antiterrordatei, auch
soweit diese Volltextdatei ist, nicht davon ausgegangen werden, dass sie den unantastbaren Kernbereich des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung tangiert. So
mag diese zwar ein Schritt zum „gläsernen“ Menschen sein, letztlich ist sie aber
noch immer davon entfernt, den Menschen in seiner Persönlichkeit zu registrieren
und zu katalogisieren. Die Zusammenfügung der in der Antiterrordatei gespeicherten Daten zum Profil eines „Terrorverdächtigen“ vermag zwar eine Facette der personalen Identität beleuchten, erlaubt aber insgesamt keine so gravierenden Rückschlüsse auf die Persönlichkeit des Betroffenen in ihrer Komplexität, als dass von
einer Denaturierung zu einem bloßen Datenobjekt gesprochen werden könnte.
III. Zusammenfassung
Die Antiterrordatei greift weder in ihrer Ausgestaltung als zweistufige Datei noch
als Volltextdatei in den unantastbaren Kernbereich des Rechts auf informationelle
Selbstbestimmung ein. Sie ist daher unter Beachtung der übrigen durch das Grundrecht gesetzten Grenzen, insbesondere der aus dem Verhältnismäßigkeitsprinzip
fließenden Vorgaben verfassungsrechtlich zu würdigen.
C. Die Eingriffsintensität der Antiterrordatei und das Maß der an Bestimmtheit und
Verhältnismäßigkeit des ATDG zu stellenden Anforderungen
Das zu fordernde Maß an die Bestimmtheit, insbesondere hinsichtlich der bereichsspezifischen und präzisen Festlegung der Verwendungszwecke der erfassten Daten,
und an die Verhältnismäßigkeit des ATDG, richtet sich nach der Intensität der einzelnen Informationsakte. Dies sind im Rahmen des ATDG die Speicherung und die
Zusammenführung der Daten einschließlich der dadurch bewirkten Informationsverdichtung (§ 2 Satz 1 ATDG), die Recherche (§ 5 Abs. 1 Satz 1 ATDG), die Trefferanzeige (§ 5 Abs. 1 Satz 2 ATDG), der Direktabruf (§ 5 Abs. 2 ATDG), der Trefferabgleich (§ 6 Abs. 1 Satz 1 1. Alt. ATDG), das Stellen eines Übermittlungsersuchens (§ 6 Abs. 1 Satz 1 2. Alt. ATDG), die Weitergabe der Daten in Form der
automatischen Freischaltung (§ 5 Abs. 1 Satz 3, 4 ATDG) und der konventionellen
Übermittlung (§ 6 Abs. 1 Satz 1 2. Alt. i.V.m. § 7 ATDG), die weitere Verwendung
und die Zweckänderung der Daten (§ 6 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 ATDG). Die Intensität
Chapter Preview
References
Zusammenfassung
Gemeinsame Verbunddateien der Sicherheitsbehörden auf dem Prüfstand: Kurz nach Inkrafttreten des in Politik und Rechtswissenschaft stark umstrittenen Antiterrordateigesetzes (ATDG) liefert das Werk eine wissenschaftlich fundierte Stellungnahme zur Verfassungsmäßigkeit der informationellen Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden im Allgemeinen und der Antiterrordatei im Besonderen. Am Beispiel der Antiterrordatei zeigt die Arbeit die verfassungsrechtlichen Grenzen auf, die das Trennungsgebot und das Recht auf informationelle Selbstbestimmung gemeinsamen Verbunddateien von Polizei und Nachrichtendiensten setzen. Eingebettet werden die Erkenntnisse in die verfassungsrechtliche Diskussion um die Grenzen staatlicher Sicherheitsgewährleistung. Mit ihren Ausführungen zum Spannungsverhältnis von Freiheit und Sicherheit bezieht die Arbeit Position zur jüngsten Antiterrorgesetzgebung insgesamt.