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IV. Zusammenfassung
Das ATDG steht demnach nur teilweise im Einklang mit dem Trennungsgebot.
Soweit auch Informationen bezüglich legaler Verhaltensweisen in die Antiterrordatei eingespeichert werden, ist die Fassung der Zugriffsrechte des § 5 Abs. 1 Satz 1, 3
und 4 ATDG nicht in der verfassungsrechtlich gebotenen Weise an das Vorliegen
konkreter gefahr- oder verdachtsbegründender Tatsachen gebunden.
B. Die Gefahr der menschenunwürdigen Profilerstellung bei der Antiterrordatei
Wie im 4. Kapitel ausgeführt, greift das ATDG in mehrfacher Hinsicht in das Recht
auf informationelle Selbstbestimmung ein. Hinsichtlich der verfassungsrechtlichen
Vereinbarkeit des ATDG mit diesem Grundrecht ist daher gemäß den Ausführungen
im 5. Kapitel zunächst zu untersuchen, ob die Antiterrordatei wegen der Gefahr der
Herstellung von Persönlichkeitsprofilen den Menschenwürdegehalt des Grundrechts
berührt. Denn sollte die Antiterrordatei in den einer Abwägung mit Gemeinwohlinteressen entzogenen unantastbaren Kernbereich des Rechts auf informationelle
Selbstbestimmung eingreifen, hätte der Gesetzgeber des ATDG die durch das
Grundrecht gezogene absolute Grenze überschritten. Das ATDG wäre insoweit mit
der Verfassung unvereinbar.
I. Berührung des unantastbaren Kernbereichs durch die Antiterrordatei in ihrer Ausgestaltung als zweistufige Datei?
Die Antiterrordatei ist grundsätzlich als zweistufige Verbunddatei ausgestaltet. Sie
unterteilt die in ihr gespeicherten Daten in Grunddaten und erweiterte Grunddaten.
Zu den Grunddaten zählen nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 a) ATDG die zur Identifizierung
des Betroffenen dienenden Merkmale wie Name, Geschlecht, Geburtsdatum, Geburtsort und -staat, Staatsangehörigkeiten, Anschriften, körperliche Merkmale,
Sprachen und Dialekte, Lichtbilder sowie der Grund der Speicherung. Die erweiterten Grunddaten nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 b) ATDG sind sensibler und entstammen
verschiedensten Lebensbereichen. So fallen unter diese Kategorie Daten betreffend
die wirtschaftliche und finanzielle Situation des Betroffenen (Telekommunikationsanschlüsse und -geräte, Adressen für elektronische Post, Bankverbindungen,
Schließfächer, Fahrzeuge, Ausbildung, Beruf, Tätigkeit) Angaben über persönliche
Verhältnisse (Familienstand, Volkszugehörigkeit, besondere gefahrbegründende
Fähigkeiten oder Charaktereigenschaften, besuchte Orte und Reiseziele, Kontaktpersonen, unterstützte Gruppierungen und Vereinigungen) sowie Angaben zum Mentalbereich (Religionszugehörigkeit). Gemäß § 5 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 a) ATDG enthält
jede der an der Antiterrordatei beteiligten Behörden bei einer Abfrage direkten
Zugriff auf die Grunddaten. Hinsichtlich der erweiterten Grunddaten werden der
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abfragenden Behörde dagegen lediglich Indices angezeigt, die Auskunft darüber
geben, bei welcher Stelle weitere Informationen über den Betroffenen vorliegen. Die
erweiterten Grunddaten sind also lediglich recherchierbar, im Trefferfall aber nicht
sichtbar.873 Um an diese Daten zu gelangen, muss die anfragende Behörde gemäß
den sicherheitsbehördlichen Fachgesetzen um die Freischaltung nach § 5 Abs. 1 Satz
3 und 4 ATDG bzw. konventionelle Übermittlung nach § 6 Abs. 1 Satz 1, § 7
ATDG der Informationen im Einzelfall ersuchen.
Gemäß den Ausführungen im 5. Kapitel874 besteht die Gefahr einer die Menschenwürde tangierenden Profilerstellung bei der zweistufigen Datei von vornherein
nur hinsichtlich der ersten Stufe, da nur auf dieser Ebene die Daten dem Direktzugriff aller beteiligten staatlichen Stellen unterliegen. Allerdings ist zu beachten,
dass die ihrem vollen Inhalt nach angezeigten Daten der ersten Stufe von begrenzter
Anzahl sind und ihrer Art nach in der Regel nur einfache Identitätsmerkmale von
geringer Sensibilität darstellen. Aus ihnen allein kann ein Persönlichkeitsabbild
regelmäßig nicht erstellt werden, weil sie noch keine wesentlichen Rückschlüsse auf
die personale oder soziale Identität des Betroffenen zulassen. Die Daten der zweiten
Stufe, die einen solchen Rückschluss eventuell ermöglichen würden, stehen den
staatlichen Stellen dagegen gerade nicht direkt zur Verfügung. Vielmehr wird durch
die Anzeige von Indices lediglich das Auffinden dieser Daten bei anderen Stellen
erleichtert. Der zweistufigen Verbunddatei ist demnach durch das Recht auf informationelle Selbstbestimmung regelmäßig keine absolute Grenze gesetzt, ihre verfassungsrechtliche Würdigung vollzieht sich außerhalb des unantastbaren Kernbereichs
unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsprinzips.
Dies gilt auch für die Antiterrordatei in ihrer Ausgestaltung als zweistufige Verbunddatei. Bei den im Volltext angezeigten, zuvor bezeichneten Grunddaten handelt
es sich ihrer Art nach lediglich um einfache Identitätsmerkmale von geringer Sensibilität, deren Anzahl beschränkt ist. Sie ermöglichen keine wesentlichen Rückschlüsse auf die Persönlichkeit des in der Datei Erfassten. Die im Hinblick auf den
Menschenwürdegehalt des Grundrechts bedenklich erscheinende Verzerrung und
unumkehrbare Festschreibung der personalen oder sozialen Identität ist insofern
nicht zu befürchten. Einer Bewertung der übrigen Kriterien zur Beurteilung der
Gefahr der Erstellung eines die Menschenwürde tangierenden Persönlichkeitsprofils,
wie der Anzahl und Art der beteiligten Behörden und des Zwecks der staatlichen
Befassung mit der Persönlichkeit875 bedarf es im Rahmen der Antiterrordatei in ihrer
Ausgestaltung als zweistufige Datei nicht weiter. Sie greift schon aufgrund der Art
und Anzahl der allein auf der ersten Stufe im Volltext angezeigten Grunddaten nicht
in den unantastbaren Kernbereich des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung
ein.
873 Amtliche Begründung zum GDG, BT-Dr. 16/2950, S. 17.
874 Vgl. 5. Kap., B., II., 3.
875 Vgl. 5. Kap., B., I., 1.
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II. Eingriff in den unantastbaren Kernbereich durch die Antiterrordatei bei ihrer
Umwandlung zur Volltextdatei im Eilfall des § 5 Abs. 2 ATDG?
Allerdings besteht bei der Antiterrordatei die Besonderheit, dass den beteiligten
Behörden im Eilfall nach § 5 Abs. 2 ATDG auch hinsichtlich der erweiterten
Grunddaten ein direkter Zugriff gewährt wird. Im Eilfall wandelt sich die Antiterrordatei folglich zur Volltextdatei. Da bei Volltextdateien gemäß den Ausführungen
im 5. Kapitel876 nicht von vornherein auszuschließen ist, dass sie in den unantastbaren Kernbereich des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung eingreifen, bedarf
die Antiterrordatei insoweit einer näheren Untersuchung. Zur Beurteilung sind insofern maßgeblich die Kriterien der Anzahl und Art der Daten, der Anzahl und Art der
beteiligten Behörden und des Zwecks der staatlichen Befassung mit der Persönlichkeit heranzuziehen.877
Die in der Antiterrordatei nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 ATDG zu speichernden Angaben
betreffen 28 verschiedene Datensätze aus den unterschiedlichsten Lebensbereichen
des Betroffenen. Mit Angaben, wie etwa zur Religionszugehörigkeit oder Gewaltbereitschaft, erreichen die Daten ihrer Art nach einen hohen Grad an Sensibilität. Allerdings ist festzuhalten, dass das wohl sensibelste Merkmal der Religionszugehörigkeit hinsichtlich seiner Aufnahme in die Datei einer Einschränkung nach Erforderlichkeitsgesichtspunkten unterliegt (§ 3 Abs. 1 Nr. 1 b) hh) ATDG), also nicht
stets Eingang in die Antiterrordatei findet.
Der Zweck der Antiterrordatei dient der Aufklärung und Bekämpfung des internationalen Terrorismus, § 1 Abs. 1 ATDG. Die Speicherung insbesondere der erweiterten Grunddaten soll einer Ersteinschätzung der vom Betroffenen ausgehenden
Gefährlichkeit dienen878 und ist im Hinblick auf ihre Stigmatisierungswirkung und
etwaige Folgemaßnahmen für den Betroffenen belastend. Allein aufgrund der Tatsache, dass die Antiterrordatei der Identifizierung möglicher Terroristen und damit
letztlich dem Auffinden ganz bestimmter Subjekte dient, kann nicht geschlossen
werden, dass dennoch zunächst alle von der Erfassung in der Verbunddatei Betroffenen zum bloßen Datenobjekt reduziert werden. Denn alle nach dem ATDG relevanten Informationen werden aus ihrem ursprünglichen Zusammenhang gerissen
und in den Kontext der Terrorismusbekämpfung gestellt. Dem Betroffenen, der von
der Speicherung seiner Daten in die Antiterrordatei zunächst nichts weiß, verbleibt
keine Möglichkeit, den aufgrund der gespeicherten Informationen bei den zuständigen Stellen entstehenden Eindruck betreffend seine Person richtig zu stellen oder zu
revidieren. Er wird somit ohne seine Mitwirkung in den Katalog der „Terrorverdächtigen“ aufgenommen.
Die Zahl der gemäß § 1 ATDG an der Verbunddatei beteiligten Behörden ist mit
38 (die nach § 1 Abs. 2 ATDG möglicherweise ebenfalls beteiligten weiteren Polizeivollzugsbehörden nicht mitgerechnet) hoch. Allerdings entstammen alle beteilig-
876 Vgl. 5. Kap., B., II., 2.
877 Vgl. 5. Kap., B., I., 1.
878 Amtliche Begründung zum GDG, BT-Dr. 16/2950, S. 12, 17.
Chapter Preview
References
Zusammenfassung
Gemeinsame Verbunddateien der Sicherheitsbehörden auf dem Prüfstand: Kurz nach Inkrafttreten des in Politik und Rechtswissenschaft stark umstrittenen Antiterrordateigesetzes (ATDG) liefert das Werk eine wissenschaftlich fundierte Stellungnahme zur Verfassungsmäßigkeit der informationellen Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden im Allgemeinen und der Antiterrordatei im Besonderen. Am Beispiel der Antiterrordatei zeigt die Arbeit die verfassungsrechtlichen Grenzen auf, die das Trennungsgebot und das Recht auf informationelle Selbstbestimmung gemeinsamen Verbunddateien von Polizei und Nachrichtendiensten setzen. Eingebettet werden die Erkenntnisse in die verfassungsrechtliche Diskussion um die Grenzen staatlicher Sicherheitsgewährleistung. Mit ihren Ausführungen zum Spannungsverhältnis von Freiheit und Sicherheit bezieht die Arbeit Position zur jüngsten Antiterrorgesetzgebung insgesamt.